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Zehnter Abschnitt.


»Wir sitzen so fröhlich beisammen Und haben einander so lieb.«

 

Wie die Mutter uns für immer verlassen hatte, da zählte ich der Jahre neun, mein Brüderlein kaum halb so viel und der Stiefbruder kam mir, trotzdem er über die zwanzig hinaus war, an geistiger Regsamkeit nicht gleich.

Also weinten die Leute, so uns in christlicher Barmherzigkeit zur Ruhestätte der Geliebten gefolgt waren, weit mehr über unser trauriges Schicksal, als über die Geschiedene, die der Herr ja aus aller Pein erlöst hatte, und der Jammer wurde noch dadurch vermehrt, daß der kleine Lorenz einer Ungeschicklichkeit des Schusters wegen barfuß am offenen Grabe stehen und so als der Ärmste der Armen erscheinen mußte.

Und doch waren wir nicht halb so unglücklich, als sich's die Leute unter Kopfschütteln, Händefalten und Augenwischen zuraunten; denn eine Mutter hatten wir hinausgetragen, zwei trugen uns wieder ins warme, wohlige Heim, und was unsere Armut betraf, so scherten wir uns um das runzelige, grämliche Ding einen blauen Pfifferling!

Was ging es uns an, daß unser ganzes Um und Auf in etlichen hundert Güldelein – dem Erbteile der Mutter aus der Teilung – bestand, die von der Behörde hinter Schloß und Riegel gesetzt waren und auf noch schlechtere Zeiten warteten?

Was fragten wir viel darnach, wer uns nährte und kleidete?

Die Spatzen erkundigen sich auch nicht lange, wem der Kirschenbaum gehöre und ob sie ein Recht, ein wirkliches verbrieftes Recht haben, von dessen Früchten zu naschen, sondern sie picken munter darauf los, so lange der Tisch gedeckt ist, und machen sich noch, obschon sie keinen Kreuzer im Sacke haben, Tafelmusik, so gut oder vielmehr so schlecht sie's eben können!

Und die Blumen des Feldes tun gar vornehm in ihren weißen und roten, blauen und gelben Kopfpützen und in ihren grünen Röcklein und zahlen doch dem Tuchhändler keinen Pfennig und dem Damenschneider keinen Heller!

Also machten wir's auch so, ließen den lieben Herrgott und unsere Guttäterinnen walten und lebten wie die Vögel im Hanfsamen, und wenn uns der Armenvater scheelen Blickes musterte und uns im Geiste bereits im Hause der Barmherzigkeit ein Plätzchen anwies, so hüpften wir, als ob es ewig Fastnacht wäre, von einem Bein aufs andere oder schlugen unsere kunstgerechtesten Purzelbäume oder stellten uns gar schön kerzengerade auf den Kopf.

Der Armenvater aber musterte uns nicht ohne Grund; denn es hieß allgemein im Städtlein, daß es die zwei Fabriklerinnen nicht würden ermachen mögen, sich selber zu erhalten und noch zwei Kinder aufzuziehen, und daß sich also uns beiden über kurz oder lang die Tore des städtischen Armenhauses würden öffnen müssen.

Und sie ermachten es doch!

Bei einer Musik kommt viel darauf an, wer den Takt gibt, und den gab jetzt im Schneckenhause die Eva.

»Nun ja,« sagte sie, »jetzt fangen wir's halt an miteinander in Gottes Namen! Ihr müßt nur alle recht brav sein und mir helfen verdienen, so gut jedes kann, und mir aufs Wort folgen und fleißig beten, daß der liebe Gott das Stücklein Brot und die Mehlsuppe segne, dann wird's schon gehen und wir können allweil bei einander bleiben!«

Das versprachen wir denn alle gar ernsthaft. Der Bruder Friedrich meinte, er wolle nie mehr einen Kreuzer vertändeln und sich keinen Tag krank stellen, er sei es denn wirklich; die Senza nickte, sie wolle trotz ihrer eigenen Würde der Obermutter folgsam sein; ich gelobte, überall mit Hand anzulegen, und der kleine Stammler Lorenz schrie, indem er mit Händen und Füßen zappelte: »J–a–e–a–e–a,« was beiläufig heißen sollte: »Ich auch Eva helfen!«

Also gingen wir's an.

Das erste war, daß die Eva in Haus und Garten Umschau hielt und durch einen Vetter, der in alle Handwerke hineinpfuschen konnte, auf ihre und der Schwester Kosten die vorhandenen Schäden ausbessern ließ; denn in der Krankheit des Vaters und der Mutter war das Haus etwas vernachlässigt worden. Demnach fehlte des öfteren ein Ziegel auf dem Dache oder ein Stecken im Zaune und von der Mauer war stellenweise der Mörtel abgefallen, und da tat Abhilfe not.

Das gefiel denn auch dem gestrengen Herr Vormunde des Bruders Friedrich nicht übel, und wie er sich die Sache besehen und erfahren hatte, wer die Auslagen decke, kraute er befriedigt seine Bartstoppeln unter dem Kinne und sagte:

»Nun, nun, das ist gut so, und wenn ihr wacker hauset und dem Friedrich nichts angänzet, so könnte man euch ja bei einander lassen!«

Hierauf ließ die Eva im Städtlein herum bekanntgeben, so in den Büchern eines Kaufmannes oder eines Handwerkers etwa ein Guthaben stünde, so möchten sie die Rechnung einschicken.

»Das«, sagte sie, »sind wir den Seelen der Geschiedenen schuldig, daß wir ihnen eine Last abnehmen, die sie sich etwa in bitterer Not aufladen mußten, und man soll ihnen nichts nachreden übers Grab hinaus, weil sie arm waren.

Wir aber wollen nicht mit alten Schulden anheben, zu hausen; denn wer auf den Baum klettern will, tut sich leichter, wenn er am Stamme, als wenn er in der Tiefe eines Schachtbrunnens zu kraxeln beginnt.«

Das gefiel dem gestrengen Herrn Vormunde des Bruders Friedrich weniger gut. Er kratzte sich also hinter den Ohren und über seine Stirne zog sich eine lange Falte; doch er schwieg, da die Eva das Recht und die befriedigten Gemüter der wenigen Gläubiger auf ihrer Seite hatte.

Dann begannen wir alle ehrlich zu arbeiten, so gut wir's vermochten. Die Eva haspelte und kochte und wusch und lief auf die Äcker und schien tausend Hände zu haben, die Senza zettelte und flickte an den Abenden die zerrissenen Kleider und strickte Strümpfe aus billigem Abfallgarne, der Friedrich schob dem Teufel, das ist der Krempelmaschine, schmierige Wolle in den Rachen, auf daß er sie zause und reinige, der Lorenz trug Holz aus dem Schopfe und Erdäpfel aus dem Keller, und was er nicht auf dem Wege verstreute, das brachte er richtig in die Küche, und ich – nun ich fing an, eine bedeutende Person zu werden, wie der Leser aus der kurzen Schilderung meiner vielseitigen Tätigkeit leicht wird entnehmen können.

Da war ich zunächst der Bote, der auf flinken Beinen alle Einkäufe besorgte und als Minister der äußeren Angelegenheiten den Bedarf aus Kramladen und Werkstatt ins Schneckenhaus schleppte. Es war dies auch für mich selber ein bleibender Gewinn; denn meine Kenntnisse des Handwerksbetriebes und des Herkommens in Handel und Wandel habe ich mir damals erworben.

Im Hause selber griff ich rüstig zu, einem unermüdlichen Heinzelmännchen nicht unähnlich.

Kaum hatte ich den Schulranzen abgelegt, so mußte ich Wasser holen, Feuer anmachen, Erdäpfel schälen, Kaffee reiben, Geschirr abwaschen und alle jene Dienste verrichten, deren sich in vornehmen Häusern die Mägde saumselig genug zu unterziehen pflegen.

Da wir des Holzes stets zu wenig hatten, spannte ich mich an schulfreien Nachmittagen in den großen Karren und fuhr, zumeist in Gesellschaft einiger Jugendgenossen, gleich dem seligen Vater zu Walde und stahl den Raben ihre Nester oder wagte mich sogar mit einem kurzen Handbeile an wenig beharrliche Wurzelstöcke, die viel Hitze spendeten und deswegen ganz besonders beliebt waren.

Ach, was waren das doch für herrliche Stunden im Walde!

Der lag, zwischen himmelanragenden Bergen und der wild dahinstürmenden Ill gebettet, in all seiner dunkelgrünen Pracht vor uns Kindern und weckte in unsern kleinen Herzen die Wonnen der Sehnsucht und des Schauers zugleich.

Unheimlich war's im Walde und doch so wunderbar schön!

Wenn wir mit bloßen Füßen auf dem feuchten Moosteppiche dahinschritten, erstarb jeder Laut, also daß uns der Atem in der Brust stockte und wir ängstlich nach Hilfe ausspähten.

Aber da standen die alten Fichten und hatten lange graue oder gelblichgrüne Bärte, und die schüttelten sie manchmal ein wenig, daß wir zusammenfuhren und des Berggeistes Rübezahl gedachten, von dem uns der Lehrer erzählt hatte, oder der riesengroßen, haarigen und borstigen Wildfenken, die mit ihren breiten Mäulern am liebsten Kinderfleisch schmausen.

Sie streckten ihre Arme aus, als ob sie uns fangen wollten, und wir bedurften unseres ganzen Mutes, um nicht eiligst das Weite zu suchen.

War ja die Gegend auch sonst noch verrufen genug!

Niemand konnte wissen, ob sich nicht aus dem Gestrüppe plötzlich eine Geisterschlange herauswinde oder ob nicht etwa das Nachtvolk dahergesaust käme, wenn wir uns bei Spiel und Arbeit übers Grußläuten hinaus verspäteten. In den Heubergen der benachbarten Wiesmahden lauerten selbst bei Tage schreckhafte Bütze, und wenn wir bei einbrechender Nacht heimkehrten, hatte sie das eine oder andere von uns Kindern wiederholt mit glühenden Augen auf irgend einem Baumstrunke sitzen gesehen, und wenn all das nicht war, so konnte doch einmal der Bergsee ausbrechen, das ganze Tal überschwemmen und uns elendiglich ersäufen!

Freilich verlockte wieder die nahe Burgruine Rosenegg zum Verkehre mit der Geisterwelt; denn wir kannten die Geschichte vom Büblein, das den Schatz bald gehoben hätte und dann unendlich reich geworden wäre.

War nämlich einmal ein Büblein und das war gar arm und mußte gleich uns täglich etliche Bürdelein Holz bringen, auf daß die Mutter ein Süpplein koche oder Grundbirnen siede zum sauren Käse.

Gut, und da wollte dasselbe Büblein eines Abends ums Zunachten eben sein Holz auf den Buckel laden und allsgemach heimzu, aber da stand auf einmal ein wunderschönes Fräulein im blütenweißen Kleide vor ihm und sagte freundlich:

»Ei, Büblein, sei so gut und lege deine Bürde nochmals ab und komm' ein bißchen mit mir und tue mir einen Gefallen! Daß du's nämlich weißt, ich bin das Schloßfräulein und muß schon jahrelang geisten; du aber könntest mich heute leicht erlösen, du wärest wahrhaftig der Mann dazu!«

Da bildete sich das Büblein nicht wenig darauf ein, daß es so ein wackerer Mann sollte sein; aber es war ein folgsames Kind, und darum sagte es höflich:

»Weißt, schönes Fräulein, jetzt hat's schon den englischen Gruß geläutet und da muß ich heim; denn die Mutter muß kochen und hat kein Spreißlein Holz in der Hütte. Wenn's dir aber recht ist und du gerade erlöst werden willst, so komme ich nach dem Nachtessen noch ein Sprünglein; es ist so schöner Mondschein und noch zu früh zum Schlafen und zum im Bett Herumkugeln.«

Natürlich war's dem Fräulein recht; aber drei geweihte Ruten aus dem Himmelfahrtspalmen solle das Büblein mitbringen, rief es ihm noch nach, wie es gleich einem Wiesel den geschornen Bühel hinabrannte.

Gut, und was das Büblein versprochen hat, das hat es auch gehalten; denn das Versprechen gilt auf der ganzen Welt, nur in der Schule nicht. Dort wird man gestraft, wenn man sich versprochen hat, eben weil dort Versprechen soviel ist wie Nichtswissen.

Aber daß ich wieder zu meiner Geschichte komme!

Das Büblein schlampte also seine Mehlsuppe hinab, stopfte geschwind ein paar heiße Grundbirnen – Nudeln sollen's gewesen sein – in den Hals und verbrannte sich dabei den Schnabel, holte aus dem Palmen drei geweihte Haselruten und sprang damit Rosenegg zu, springst nicht, so gilt's nicht.

Und richtig kommt ihm das Schloßfräulein in seinem blütenweißen Kleid und mit dem klingenden Schlüsselbunde am goldenen Gürtel schon vom Bühel herab entgegen, lächelt gar holdselig und führt das Büblein in den Turm und in einen tiefen, tiefen, naßkalten Keller, und da steht eine große Eisenkiste und auf der Kiste hockt, als könnt' es nicht fünfe zählen und als hätt' es seiner Lebtag noch keinen Menschen in die Waden gezwickt, ein schwarzes Hündlein – das scheinheilige Vieh!

Da sagt das Fräulein:

»Jetzt lug, du wackerer Mann, jetzt hast du gar nichts zu tun, als mit jeder deiner Ruten dem Schwärzler da eines hinauf zu fitzen! Dann springt er vom Liddeckel und das viele, viele Geld – ein unends Schatz – gehört dein und ich bin erlöst!«

»Na,« denkt sich das Büblein, »das wird doch keine Kunst sein, so einem Köter drei Gesalzene hinaufzufitzen,« und haut dem Hündlein eins über den Buckel.

Aber da hättet ihr den Hund sehen sollen!

Der hebt sich und schwillt an wie eine Schweinsblatter, wenn man hineinbläst, und sträubt seine Haare wie ein Igeltier und rollt seine Augen und hebt an zu knurren, daß es einem durch den Leib geht wie eine Brettersäge.

»Jesus, Maria und Josef,« denkt sich das Büblein, »das ist ja dem Teufel sein Hofhund!«

Aber es nimmt sich zusammen und fitzt ihm noch eins hinauf und der Hund – der schwillt an wie ein Luftballon und kommt Augen über, so große wie Pflugräder, feurige, und knurrt, daß man sein eigen Wort nimmer verstehen mag, und tut einen Gähner, als wollt' er das Büblein samt dem Burgfräulein auf einmal verschlucken.

Da fällt dem wackeren Manne das Herz in die Hosen und er läuft mit der dritten geweihten Rute – daß er sie nicht hat fallen lassen, das ist sein Glück gewesen – aus dem Keller und aus dem Turme und kugelt über den ganzen Bühel hinab und mitten in den Riedgraben hinein – und da läg' er heute noch, wenn er nicht herausgekrabbelt und pudelnaß heimgegangen wär'!

Das arme Schloßfräulein aber stand in seinem blütenweißen Kleide oben beim zerfallenen Turme, rang die Hände und jammerte gegen das Dorf hinab:

»Jetzt muß ich wieder neue hundert Jahr' geisten!«

Das war die seltsame Märe und nun entspann sich unter uns Kindern ein hitziger Streit über die Frage, ob nicht vielleicht die hundert Jahre um seien und einer von uns berufen werden könnte, den Hund vom Deckel der Kiste herabzufitzen und den Schatz zu heben.

Das schien den meisten sehr leicht möglich zu sein, und so spähten wir mit dem Vorsatze, uns ja nicht fürchten zu wollen, zwischen alle Bäume und in alle Schluchten, ob sich das blütenweiße Fräulein nicht zeige, und wenn die vielliebe Sonne eine Wand hell beleuchtete, schrie wohl einer erschrocken auf:

»Heilige Muttergottes und St. Anna, dort steht's!«

Es stand aber doch nicht wirklich dort, und so begnügten wir uns einstweilen damit, daß wir alle Steine hoben und in alle Felsspalten guckten, um die berühmte Maßflasche zu finden, in die der Sage nach das reinste Gold tröpfeln und die nach der bestimmten Versicherung eines alten Weibes schon mehr als halb voll sein sollte.

Ich habe später über den Sinn dieser lieblichen Sage reiflich nachgedacht, und nun will es mich bedünken, das Burgfräulein im blütenweißen Kleide sei die keusche Muse, die in tiefer Wehmut trauert, daß der überreiche Schatz der reinsten Poesie in meinem weltfernen Heimatlande Jahrhunderte lang begraben liegt und keiner kommt, ihn zu heben.

Wir suchen wohl in neuester Zeit die Goldkörnlein, die aus den Runsen träufeln, und die Perlen, die uns im taufrischen Grase entgegenleuchten, und unsere Ausbeute, die wir in Sagen und Liedern oder herzerfreuenden Geschichten oder als Ergebnis ernster Forschung niedergelegt haben, ist gottlob nicht gering; aber noch ist der Deckel nicht gelüftet, der die Geheimnisse der Volksseele birgt, noch ist der Tag nicht angebrochen, der meines Volkes urwüchsige Eigenart in aller Schöne offenbart, der meines Heimatlandes wonnevolle Pracht in goldnem Lichte zeigt.

Möge er kommen, bevor der Sage sinnige Gestalten vor dem Ruf und Wiederhall des Dampfes scheu sich flüchten und des Nibelungenhortes letztes Goldkorn sich zum letztenmale sonnt, bevor der Kampf ums Dasein des Herzens zartes Fühlen schweigen heißt und die Gottinnigkeit in wildem Sinnestaumel krankt und stirbt!

Doch ich will den Leser in den Wald meiner Kindheit zurückführen.

Dort gab es also des Zauberspukes genug und wir atmeten erleichtert auf, wenn wir den Fuß des Berges erreicht hatten und uns um die »Frauenquelle« lagern konnten, die aus lebendigem Fels in wunderbarer Frische und Klarheit armsdick hervorsprudelte und durch ein Täfelchen der Mutter des Herrn geweiht war.

Vor ihr, die uns das Heil geschenkt, verschwanden alle Schreckgestalten, die uns kurz zuvor geängstiget, und so gingen wir, da uns ihr sorgsam' Aug' bewachte, mit allem Eifer daran, unsere Karren mit Reisig und Wurzelholz und die mitgebrachten Leinensäcke mit den Fruchtzapfen der Nadelbäume zu füllen, und es geschah uns auch weiter kein Leides, als daß der Zwerg Waldhüter uns manchmal mit seinen Fäusten bedrohte oder den Karren dessen pfändete, der sich am grünen Holze vergriffen hatte.

War das Tagewerk unter erheblichem Schweißvergießen vollbracht, dann lasen wir, uns selbst belohnend, die duftenden Erdbeeren in den roten Mund, oder wir brockten die schwarzglänzenden Brombeeren und die rosigen Himbeeren in große Blätterschalen, oder wir gruben den zarten Wurzelfasern des Engelsüß nach, oder wir pflückten die lange, schmale Hirschzunge für unsere Raucher, oder wir wuschen unsere Glieder in einem warmen Tümpel des Flusses, oder wir liefen einander durch Wasser und Gestrüppe nach, als seien wir selber die wilde Jagd, lauter tolle, halbnärrische Moosmännlein!

Hei, war das schon in dem grünen, duftenden, flüsternden, sprudelnden, beerenreichen Walde!

Und kehrten wir endlich, wenn die Schatten an den östlichen Bergen hinangeklettert waren, wenn bereits einzelne Sternlein auf uns neugierig herabblinzelten und der Himmelshirte über unsere hochgetürmte und sich schaukelnde Last lachen mußte, wenn die Abendglocke vom plumpen Turme des Städtleins allen Müden gute Nacht wünschte, über die morsche Illbrücke heimwärts, da rauchten uns schon die Schornsteine traulich entgegen und es setzte sich der beste Koch von der Welt, der Herr Hunger, zu Tische und fragte nicht lange nach der Speisekarte.

So also sorgte ich durch meine Waldreisen für den Bedarf der Küche; aber ich vergaß nicht minder, daß im Winter ein warmer Ofen auch gut Ding sei.

Die Eva hatte sich's beim Gerber erbeten, daß wir die ausgelaugte Lohe trocknen und nach Hause führen durften, und das war nun den Sommer hindurch eine leichte und ersprießliche Arbeit, die uns in dem langen Winter sehr zustatten kam.

Damit aber war meine Tätigkeit noch lange nicht erschöpft.

Auch unsere Zottelgeiß bekam durch meine Fürsorge einen Wintervorrat getrockneter Laubbüschel und die gute Jahreszeit fand mich oft auf dem Felde, wo ich die Augenstücke der Erdäpfel in Gruben brachte und überdeckte, die Türkenkörner einlegte und die Hülsenfrüchte stupfte und des Unkrautes fleißig Herr zu werden bestrebt war.

Auf daß meine Pfleglinge gedeihen möchten, machte ich alle Straßen und Gassen mit meinem Stoßtrühlein unsicher, las den Mist auf, wo er umsonst zu haben war, und schuf so einen Düngerhaufen, auf den ich nicht wenig stolz war. Vergl. »Aus der Mappe eines Volksfreundes«, 3. Aufl, S. 41 ff.

Auch bei der Ernte war ich nicht lässig und half der Eva getreulich und beim Dreschen schwang ich meinen kleinen Flegel meisterlich im Takte.

Einmal machte ich sogar den Versuch, unsere guten Äpfel und Birnen unter den Laubengängen des Städtleins gleich den Höckerinnen feil zu bieten.

Da aber zeigte es sich, daß ich zum Handelsmanne kein Geschick besaß; denn ich verschenkte die Hälfte meiner süßen Ware an die bettelnden Kinder und den einzigen Käufer, der sich im Laufe eines langen Tages näherte, trieb ich weg, indem ich vom Feilschen durchaus nichts hören wollte.

Trotzdem verdiente ich mir in jener Zeit schon wahrhaftiges, wirkliches Geld.

Es hatte mich nämlich der Pfarrhelfer zum Meßdiener auserkoren, und nachdem ich die nicht unbedeutenden Schwierigkeiten der lateinischen Gebete überwunden hatte und nicht mehr »da dudeln Soldaten«, sondern richtig » ad utilitatem« sagte, durfte ich ihm jeden Morgen zur Frühmesse, im Sommer um fünf, im Winter um halb sechs Uhr dienen. Das war nicht nur ein Werk der Frömmigkeit, dem ich, von der Eva auf meine hohe Würde und Gnade aufmerksam gemacht, mit heiligem Ernste oblag, sondern es trug im Monate auch etliche dreißig Kreuzer, und wie nun der Ministrant des Herrn Pfarrers in die Lateinschule ging, da kaufte ich ihm den Herrn Pfarrer um vierzehn bare Kreuzer ab und diente nun auch täglich bei der Spätmesse, also daß sich meine Einnahmen monatlich beinahe auf einen Gulden beliefen, abgesehen von dem allerfeinsten Obste, das uns die P. Kapuziner hie und da aus den Ärmeln schüttelten.

Auch machten die geistlichen Herren mit uns Ministranten jährlich einen Ausflug in irgend ein benachbartes Dorf, wo es bei Brot und Wurst und einem Gläslein Wein so hoch herging, daß ich, des Trinkens gänzlich ungewohnt, auf dem Heimwege des geistigen Führers auch als eines leiblichen bedurfte.

So war also das reinste Glück bei uns eingekehrt, das Glück der tätigen, genügsamen Armut, und das spiegelte sich denn auch in unsern fröhlichen Mienen und in dem lautem Gesänge, der am Abend weit hinaus ertönte, wenn wir beim Hanfschleißen vor dem Hause saßen oder beim Türkenausschälen um den warmen Ofen herum.

Selbst die Eva, die doch alle Sorgen tragen mußte, gab uns an fröhlicher Stimmung nicht nach, und oft hörte ich sie aus tiefstem Herzensgrunde rufen:

»O, du heilige Armut,
Wie hast's doch du so gut!«

Nur einmal zog in jener glücklichen Zeit ein flüchtiger Schatten über ihr allzeit heiteres Antlitz.

Es erschien nämlich eines Tages jene Jugendfreundin, die schon längst dem Orden der barmherzigen Schwestern angehörte, in unserem Schneckenhause und sagte:

»Eva, jetzt kann dein Herzenswunsch in Erfüllung gehen; denn ich habe bei unserer ehrwürdigen Mutter deine Aufnahme durchgesetzt und soll dich gleich mitbringen.«

Da trübten sich die hellen Augen der Guten und eine Träne rieselte gleich einer Perle über die rosigen Wangen; aber im nächsten Augenblicke hatte sie sich gefaßt. Sie deutete auf uns und erwiderte, in die Tränen lächelnd:

»Da lug, jetzt bin ich schon barmherzige Schwester und bedarf eures Klosters nicht mehr!«

Und die Freundin nickte verständnisvoll und drückte der wackeren Mutter die Hand, und also blieben wir fröhlich und in Gott gefälliger Liebe beisammen.


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