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Vorwort.

Wenn ich aufrichtig sein soll, so sind mir jene meiner verehrten Leser am allerliebsten, die, sobald sie ein Geschichtenbuch zur Hand nehmen, den Zeigefinger netzen, das Vorwort überschlagen und nur schnell wissen wollen, was, wie und wo etwas geschehen sei, wie es sich entwickelt und wie es geendet habe.

Darum habe ich auch als mitleidiger Wirt in meinen Volksbüchern, für deren liebevolle Aufnahme ich hiermit herzlich danke, auf eine langatmige Vorrede verzichtet und ich bitte auch hier alle diejenigen, so frischweg genießen wollen, dieses Geleitwortes nicht im mindesten zu achten!

Mögen sie sich ohne weiteres ins Theater begeben und die bunten Bilder schauen, die ich ihnen zu Lust und Leid vorführe!

Vielleicht blättern sie dann, wenn alle Personen dieser Geschichte besorgt und aufgehoben sind, wiederum zurück und horchen zu guterletzt und Letzte auch auf die Worte des Verfassers, der sich entschuldigen zu müssen glaubt, daß er, dessen Schicksale so unbedeutend sind, wie die der meisten Menschen, sie mit einem Teile seiner Lebensgeschichte behelligt hat.

Ich hoffe nämlich, die günstigen Leser werden in der Geschichte meiner Kindheit das finden oder gefunden haben, was der Gelehrte als »typisch« bezeichnet, das Allgemeinmenschliche nämlich, das nicht an Ort und Zeit und, da Kinder immer Kinder sind, kaum an die Unterschiede des Standes und Vermögens gebunden ist, sie werden in tausend Einzelheiten ihrer eigenen Jugend gedenken und den eigenen Jugendtraum nochmals träumen. Das mag mein Unterfangen rechtfertigen.

Hierbei kommen wohl die hie und da angedeuteten persönlichen Beziehungen, die eingestreuten Bemerkungen und angehängten Anmerkungen über meine Herkunft und Verwandtschaft kaum in Betracht und können, der Sache und Wirkung unbeschadet, füglich überschlagen werden.

Dem gelehrten Forscher, dem wohlwollenden und doch gerechten Beurteiler, kann es ferner nicht verborgen bleiben, daß ich mein »Ich« in den Rahmen einer anderen Handlung eingeengt habe, deren Heldin ein Weib aus dem Volke, eine durch das Christentum veredelte Natur ist, eine Heldin, deren Schicksale die Teilnahme der Leser hoffentlich in dem Maße fesseln dürften, daß mein kleines »Ich« nur mehr die Rolle des Erzählers spielt, sonst aber bescheidentlich in den Hintergrund treten kann.

Sollte aber die Darstellung meiner Erlebnisse noch einer Rechtfertigung bedürfen, so erlaube ich mir demütigst zu bemerken, daß ich vor etlichen Monden vierzig Jahre alt geworden bin, ein Alter, in dem nicht nur nach dem Volkssprichworte manche Leute gescheit zu werden anheben sondern dem der große Goethe sogar gestattet, daß es, auf der Höhe angelangt, zurückblicke und die Summe seines Lebens ziehe.

Auch habe ich die Geschichte einer Familie aus den niedersten Ständen so zu erfassen, zu gestalten und aufzubauen versucht, daß sich meine wahrhaftige Geschichte beinahe wie ein Roman lesen dürfte, also daß die Leser auch so wiederum alles Persönliche außeracht lassen und die Erzählung als typisch genießen können.

Einigen Wert glaube ich ferner jenen Teilen dieser Geschichte beimessen zu dürfen, die das Volksleben in meiner Heimat schildern.

Das schöne Ländchen vor dem Arlberge, dem ich gleich jedem seiner Söhne, und mögen wir auch in der fernsten Ferne weilen, treue Liebe bis zum Grabe schwöre, war bis vor etwa zwanzig Jahren von der großen Welt so abgeschlossen, daß es die Sitten der Väter bis zur Gegenwart bewahren konnte, daß die Sprache der Nibelungendichtung heute noch in ihm ertönt, daß die Religion in allen Schichten der Bevölkerung Herzenssache ist, daß eigenartige Tracht und eigenartiger Volksbrauch heute noch die Aufmerksamkeit des Forschers auf sich lenken muß.

Mein Beruf, der mich nun schon seit mehr als zwanzig Jahren von der Heimat fern hält, gestattet mir nicht, mich in die Reihen jener verdienstvollen Männer zu stellen, die namentlich als Mitglieder des »Museumsvereins« das Ländchen vor dem Arlberg als würdigen und ergiebigen Gegenstand ihrer gelehrten Arbeiten durchforschen; möge es mir, einem Kinde jenes Volkes, wenigstens vergönnt sein, meine Jugenderinnerungen aufzufrischen und in dichterischem Gewande einzelne Züge aus dem Volksleben meiner Heimat fest zu halten, ehe die alles ebnende Kultur auch die Charakterfiguren des Ländchens auf ihr Spannbrett legt und sie in fade, unpoetische Normalmenschen wandelt!

Ich hoffe, damit auch nach meinen schwachen Kräften einen Teil des Dankes abzutragen, den ich meinem geliebten, wunderherrlichen, engeren Vaterlande schulde, und deswegen wagte ich es, dieses Buch, das jedem fühlenden Menschen gehören soll, meinen Landsleuten vor dem Arlberge in Treue zuzueignen.

Du aber, liebe Eva, hast viel gelitten in deinem langen Leben und warst uns Kindern eine Mutter, wie es wohl keine zweite geben mag auf dem Erdenrund!

Ich weiß es noch, als ob es heute wäre, daß der etwas grobe, aber volkstümliche Doktor Vonbank in der Stube unseres Schneckenhauses in der Mühlgasse saß und du ihm erzähltest, was du alles hattest durchmachen und kämpfen und dulden müssen.

Da sprang der Doktor auf, schlug die Hände zusammen, tat einen kräftigen Fluch und rief:

»Jungfer, das muß aufgeschrieben werden, und wenn's geschrieben ist, wird's kein Mensch glauben wollen!«

Und zu mir, der ich damals bereits anhub, Griechisch zu lernen, sagte er:

»Bub', lern' wacker, und wenn du einmal ein Mann bist und kannst die Feder gebrauchen, dann mach' dich dran und schreib' die Geschichte deiner Eva, so gut du's vermagst!«

Das war damals.

Nun bin ich vierzig Jahre alt und meine, damit bereits ein Mann geworden zu sein, und daß ich die Feder gebrauchen kann, das habe ich durch etliche Büchlein nachzuweisen versucht, und also hab' ich halt die Geschichte geschrieben, wie sie mir eingefallen ist, und so muß sie halt der gütige Leser hinnehmen.

Und während ich mir allsgemach ein Jahr nach dem andern auf den Rücken geladen habe, bist auch du, vielliebe Mutter Eva, alt und grau geworden und hast deine Kinder, eines nach dem andern, voraus in den Himmel geschickt, und jedesmal, wenn wieder ein schlichter Holzsarg in der dunkeln Höhlung verschwand, ist ein Stück deines treuen Herzens und ein Stück deines Lebens mit ins Grab gesenkt worden ...!

Und als deine Augen bereits schwach waren vom vielen Weinen und der Hornbrille bedurften, wenn du in der Legende oder mit Mutterstolz in meinen Volksbüchern lesen wolltest, und als du die Arbeit eines Lebens mit dem Verluste eines Armes bezahlen mußtest und deinen Lebensunterhalt nicht mehr zu gewinnen vermochtest, da ging auch deine Gefährtin, die stumme Senza, in den Himmel und ließ dich auf der buckelten Welt allein zurück.

Nur zwei Lichtblicke noch erhellten deine letzten Jahre!

Als Spital-Eva hattest du trotz deiner sich mehrenden Gebrechlichkeit immer noch Kraft genug, die frommen Schwestern im Liebeswerke zu unterstützen, die Leidenden zu trösten und die Herzen der Sünder auf deine eigentümliche und packende Art zu Gott zu kehren.

Als Mutter-Eva freutest du dich Jahr für Jahr auf die Ankunft deines Josef, der es endlich bis zum Professor gebracht hatte und mit seinem Weiblein in den Sommermonaten bei dir weilte und mit dir in der Erinnerung ... schwelgte; denn, ach, selbst die schwersten Leiden sind dem Rückblickenden eine Quelle der Wonne!

Und als der Josef sich anschickte, dem Auftrage des Doktors Vonbank nachzukommen, da verfolgtest du auch in der Ferne das Werden dieser Geschichte mit der regsten Teilnahme und hattest nur noch einen Wunsch, selbe, ehe sie als gedrucktes Buch in die Welt hinausfliegen würde, im alten Lehnsessel durchzukosten und ... bald zu lächeln, bald zu weinen!

Doch der liebe Gott hatte es anders beschlossen.

Als ich meine Feder zum letztenmale eintauchte, da sankest du auf das Schmerzenslager, und als ich die Handschrift unter Tränen auf dein Herz legte, da hatte dich der Todesengel bereits geküßt und deine Seele hob sich aus diesem Jammertale und flog in die Arme der ewigen Liebe.

Am Tage der Verklärung Christi hat der Herr auch dich verklärt, du wackeres, getreues, tatkräftiges frommes Weib aus dem Volke!

Wenige Wochen vor deinem Scheiden noch hattest du mir geschrieben:

»Wenn ich in den Himmel komme, dann werde ich gleich fragen, wo der Lorenz und der Friedrich und der Johann und die Senza seien, und dann erst, wenn ich sie schön beisammen habe, erst dann bin ich im Himmel!«

Jetzt hast du sie alle beisammen, vielliebe Eva, und nur der Josef fehlt dir noch.

Er hat seine Aufgabe noch nicht vollendet, und die besteht nicht zum geringsten Teile auch darin, dein Andenken zu ehren.

Dort, wo sie deinen Leidensleib zur Ruhe gebettet haben, hebt sich mit der Zahl 137 bezeichnet, ein schmuckloses Holzkreuz, das, ein Spiel von Wind und Wetter, in kurzen Jahren morsch in sich zerfallen wird.

Dort, wo du im Spitale das Werk der Barmherzigkeit übtest, steht das alte, lebensgroße Muttergottesbild, das du in deinem Kämmerlein lange Jahre verehrtest, und die Armen und Kranken und Bresthaften werden die Eva nicht vergessen, auch wenn niemand mehr deine Ruhestätte zu finden weiß.

Und dein Josef? Der sendet als Denkmal deines segensreichen Erdenwallens dieses Büchlein in die weite Welt und hofft zuversichtlich, daß es freundliche Aufnahme finde bei jung und alt, arm und reich, bei allen, die guten Willens sind.

Es kommt vom Herzen und mag also wohl auch zu Herzen gehen, und es zeigt, wie Gott großes wirkt im kleinen und daß wir das Vertrauen in die Menschheit nie und nimmer verlieren sollen!

Krems a. d. Donau, im Frühling 1893
Der Verfasser.

 

Zur vierten Auflage.

Es ist unglaublich, wie ungehorsam die Leser sind!

Hab' ich sie doch gebeten, in diesem Volksromane alles Persönliche außeracht zu lassen, und nun bestürmen sie mich schon seit Jahren, sie möchten der Mutter Eva und der guten, schweigsamen Base Senza ins Antlitz sehen, als ob so Gesichter von zwei armen Fabriksarbeiterinnen etwas Besonderes wären und nicht vielmehr ihre gottgefälligen Seelen alles.

Aber es g'freut mich doch, daß nunmehr meine lieben Basen, die mir und meinen Brüdern Mutter und Vater waren, auch vor der Welt zu Ehren kommen, und so habe ich dem Drängen der Leser nachgegeben und hoffe, darob nicht sträflicher Eitelkeit geziehen zu werden.

Auch das Schneckenhaus auf dem Marktplatze in Bludenz sowie das in der Mühlgasse haben schon oft reisende Freunde meiner Muse aufgesucht und nicht gefunden, da die meisten meiner lieben Mitbürger schon längst vergessen haben, wohin Knecht Ruprecht des Schneckennazes Katharinas Josef gebracht oder vielmehr geworfen hat.

Ich will ihnen das weiters nicht verargen – aber meine reisenden Freunde verargen es ihnen und brummen, und so sollen sie die unscheinbaren Häuser wenigstens im Bilde sehen.

Sie, die Häuser nämlich, sind wohl von geringem Werte und ohne jegliche Schönheit, aber ihre Geschichte, die ich vor mehr denn zehn Jahren mit meinem Herzblute geschrieben, mag wohl einigen Wert haben und fortleben in den Herzen guter Menschen.

Beweis dessen die vierte Auflage – bei einem Buche dieser schlichten Art, das nun einmal durchaus nicht Sensation erregen will, immerhin ein Ereignis.

Auch darob freue ich mich von Herzen.

Krems a. d. Donau, im Herbste 1904.

Der Verfasser.


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