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Sechzehnter Abschnitt.


Die Eva weiß nicht, wohin sie ihr Haupt legen soll; doch die Senza entpuppt sich als unternehmender Geschäftsmann. Der Friedrich sagt der Fabrik und dem Schneckenhause Lebewohl, macht sein Testament und zieht zum Vetter Winkelhofer.

 

Ach, das waren traurige Tage im Schneckenhause, und obschon uns der Glaube lehrte, es habe der Heiland die Sünden der ganzen Welt auf sich genommen, so wollte es uns doch fast bedünken, als habe er unser völlig vergessen und wir müßten die schwere Last allein schleppen und unbarmherzige Strafe erdulden!

Was half uns da der herrlichste Frühlingstag, was der allersonnigste Sonnenschein?

Die Eva stand vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht am Haspel und drehte und weinte halblaut vor sich hin, und wenn der Lenz auch zum offenen Fenster hineinguckte und mit freundlichem Nicken die ersten Veilchen hineinbot und ihr zurief:

»Du armes Herze, sei nicht bang,
Bald muß sich alles, alles wenden! ...

die Eva sah nichts und hörte nichts; denn sie wollte es immer noch nicht fassen, daß man ihr solch bodenlose Schlechtigkeit zugetraut hätte und daß sie jetzt, ohne sich wehren und verteidigen zu können, vor aller Welt in Spott und Schande dastehen sollte.

Ja freilich, bald .... bald mußte sie, die arme Fabriklerin, mit ihrer ebenso armen Schwester und zwei Waislein, die täglich fünfmal den Schnabel aufsperrten und jeden Abend nach einem flaumigen Federneste verlangten und allfort Hosen und Schuhe zerrissen, auf die Gasse!

Und die Nacht in ihrem Herzen hatte ihr jeden hellen Ausblick geraubt, also daß sie, zu ruhigem Denken unfähig, nur in ihrem Schmerze wühlte und nahe daran war, der Schwermut und Verzweiflung völlig anheimzufallen.

Der Friedrich aber, der es beim Herrn Vetter so gut bekommen sollte, der saß, so oft ihn die Arbeit zu Hause ließ, stundenlang am Tische und stemmte sein Haupt in beide Hände und starrte auf die Schieferplatte – und war doch nichts darauf geschrieben – und hatte das Reden völlig verlernt.

Und die kleine Senza ging ab und zu und schaute bald auf die Eva, bald auf den Friedrich und bald auf uns, die wir verlegen in den Winkeln herumstanden, an den Fingernägeln oder an den Rockzipfelchen kauten und nicht einmal den vielgeliebten Meerschweinchen Aufmerksamkeit schenkten, die uns beschnupperten und fragten, ob es denn draußen immer noch kein grünes Kräutlein gebe und ob es nicht gescheiter sei, vor dem Hause im Sonnenglast herumzuhüpfen, als in der düsteren Stube allweil Trübsal zu blasen.

Aber auch die Senza sprach kein Wörtlein, sondern sie schüttelte höchstens den Kopf und fuhr mit den Fingern gegen die Nase, als ob sie eines schnupfen wolle; denn es herrschte der Glaube, der Tabak reinige das Gehirn und mache hellen Verstand, und hellen Verstand brauchte sie eben, um die Wirrnis zu lösen und in dem verwickelten Garne unseres Zettels den richtigen Faden zu finden.

Da fanden wir schließlich, daß die Meerschweinchen noch die Gescheitesten von uns allen seien, und so nahm ich den Schecken und Lorenz den Schimmel in die Arme und bald hatten wir Spott und Schande und Heimatlosigkeit im beseligenden Spiele vergessen und die Tierchen waren's auch zufrieden und knusperten vergnügt an den feinen Gräslein und hüpften vor dem Schneckenhause auf und ab und wir liefen ihnen nach und pfiffen im Vollgenusse des Augenblickes auf alles Leid, das uns etwa noch treffen mochte.

So kam die Karwoche heran, in welcher die Kirche den Gläubigen das größte Leid, das je geschah, in ergreifenden Handlungen und Gesängen vorführt und ihnen im erhabensten Beispiele des göttlichen Dulders einen Trost spendet, den die Welt nie und nimmer geben kann.

Da war ich als Meßdiener jeden Tag so vielfach in Anspruch genommen, daß ich mich um die Kleinigkeiten im Schneckenhause gar nicht kümmern konnte.

Ich pochte mit dem Tragkreuze am Kirchentore und half die Palmen weihen, ich beraubte die Altäre ihres Schmuckes, ich sang die Psalmen der Mette, ich löschte die Lichtlein aus und sah im Geiste, wie ein Apostel nach dem andern in schnöder Feigheit den Herrn verließ, ich klapperte gar tapfer mit dem Hammerbrette, ich enthüllte das Kreuzbild, ich baute das heilige Grab, füllte die Glaskugeln mit Wasser und entzündete die Dochte in den Talgnäpfen, daß es gar wunderbar leuchtete und spielte in allen Farben rings um das Grab des Heilandes nach dem Spruche der Schrift:

»Und sein Grab wird herrlich sein!«

Und wie der Karsamstag ins Land lugte, da war ich bereits in aller Frühe auf dem Platze vor der Kirche geschäftig, schürte das Feuer zur Kohlenweihe, trug das Wasser in einen großen Zuber, daß es der Priester segne, und ruhte nimmer und schaute, meiner Wichtigkeit bewußt, kecklich über die Menge hin, als wollt' ich sagen:

»Ei, was hättet ihr Leutlein für eine armselige Karwoche, wenn ich nicht wär'!«

Und ebenso lief ich am selbigen Tag, nachdem ich alle heiligen Gräber der Umgebung besucht und in Bergdorf den wandelnden Mond und die sich verfinsternde Sonne sattsam bewundert hatte, ums Zunachten gar eilfertig im Städtlein herum, lärmte und polterte mit der vierhammerigen Klopfe und lud nach den Tagen der Trauer jung und alt zur freudenreichen Auferstehung des Herrn, und wie nun vom Chore wiederum die Töne der Orgel erbrausten, wie die Glocken übers Tal hinjauchzten und vom Bergdorfer Turme die Antwort herüberscholl und herüberquoll, wie die Poller erdröhnten und ein vielfaches Echo wachriefen, da hätte ich den sehen mögen, mit dem ich getauscht hätte!

Mir war so selig zu Mute, als sei ich der allerglücklichste all der Sterblichen, die sich der wieder gewonnenen Unsterblichkeit freuten.

Aber trotz meines heiligen Amtes, dem ich mit allem Eifer vorstand, entging es mir doch nicht völlig, daß sich im Gemüte der leidenden Base mählich eine Wandlung zum Besseren vollzog, und ich gedenke heute noch der Worte, die sie am Karfreitag nach der Predigt an uns richtete:

»Kinder,« sagte sie, unter Tränen ein wenig lächelnd, »jetzt hat der Pater gemeint, es hätten zwar die Vögel ihre Nester und die Füchse ihre Höhlen, aber des Menschen Sohn habe nicht, wohin er sein Haupt legen könne, und jetzt haben wir's gerade auch so!

Also wollen wir aus Liebe zu Jesus, der doch allweil millionenmal unschuldiger gewesen ist als wir, alles tragen, so lang' es Gottes Wille ist; denn er wird wissen, warum er uns ein so schweres Kreuz aufgeladen hat, und er wird es uns auch wieder abnehmen, wann's Zeit ist!«

So ward auch der Eva ein Blick aufs Kreuz ein Blick des Trostes und aus der Herzenswunde des göttlichen Mittlers träufelte der Balsam der Gnade in das zerrissene Herz des armen Weibes, das in Kleinmut und Verzagtheit bereits vergehen zu müssen gewähnt hatte.

Und an demselben Abende, an dem wir die Auferstehung des Herrn feierten, ereignete sich noch die Merkwürdigkeit, daß die kleine, stumme, gehorsame Senza auf einmal gänzlich aus der Art schlug und ihr höchst befremdliches Gehaben fürs erste dadurch einleitete, daß sie uns beim Abendessen eine volle Glockenstunde warten und sitzen ließ, ohne irgendwie oder wo zum Vorschein zu kommen.

In der Familie, die wir miteinander vorstellten, war eigentlich die Eva sozusagen die besorgte Mutter, der nebst ihrer Haspelarbeit die Besorgung des Hauswesens und die Erziehung der Kinder oblag, und die Senza war sozusagen der verdienende Vater.

Also ging die Senza bei jedem Wind und Wetter gar tapfer hinaus ins feindliche Leben, das heißt, in die surrende, schnurrende, rasselnde und dunstige Fabrik: im häuslichen Kreise aber herrschte weise und stramm die wehrhafte Eva.

Auch die Senza war unter dem Pantoffel, die Eva war ihre geistliche und weltliche Obrigkeit und deren Winke galten unweigerlichen Befehlen gleich.

Umsomehr mußten wir darüber staunen, daß sie es auf einmal wagte, der gewohnten Ordnung ins Gesicht zu schlagen, den Gehorsam zu künden und es als eine Art Nachtschwärmerin kecklich darauf ankommen zu lassen, daß ihr Mutter Eva in gerechtem Grolle das Haustor vor der Nase zuschlage und unbarmherzig den Schlüssel drehe.

Wir aßen endlich und der Kaffee der Senza wurde, daß er etwas lau bleibe, in den Kunstherd gestellt; sie aber kam immer noch nicht und die Eva begann bereits zu wetterleuchten und zu brummen, auch des Betens sollte man einmal genug haben und es sei nicht nötig, daß man bis tief in die Nacht hinein in der Kapuzinerkirche sitze und zu Hause alle warten und gähnen lasse.

Da ertönte die Klingel im Hausgange und die Senza schnaufte die Stiege herauf und kam ganz erhitzt und nach Atem ringend in die Stube und setzte sich zum Tisch und ließ die Eva mit einem Gleichmut, der uns förmlich grauen machte, eine viertelstündige Gardinenpredigt halten, die einen weit heldenmütigeren Mann gänzlich aus der Fassung gebracht haben würde.

Sie schlürfte unterdes ruhig ihren Kaffee und löffelte die kalten, geschmorrten Erdäpfelblättlein aus der Schüssel, und wie der Eva schließlich gar nichts mehr einfiel, legte sie den Löffel nieder und sagte stotternd:

»Narr, du, jetzt bin ich doch ... gescheiter als du! Jetzt hab' ich halt ... noch geschwind ... vorm Schlafengehen ... ein Haus gekauft und ... jetzt wissen wir wenigstens, wohin wir unsere ... Häupter sollen legen, und ... brauchen keinem Menschen und ... keiner Seele schön zu tun!«

Da schlug die Eva die Hände über den Kopf zusammen und meinte, es sei nun wohl auch die Senza rappelig geworden; wir Kinder aber machten gar große Augen und horchten so ängstlich wie die Mäuslein in der Speckkammer, wenn der Tritt der Frau den Boden erschüttert.

Nur der Friedrich saß teilnahmslos hinter dem Tische; denn er wußte bereits, wohin er nach etlichen Wochen sein Haupt werde legen müssen, in das Haus des Herrn Winkelhofer nämlich, und also ging ihn der Handel der Base Senza leider nichts mehr an.

Es stellte sich aber heraus, daß die Senza nicht rappelig geworden war, sondern daß sie sich, während wir uns dem dumpfen Schmerze mehr oder weniger hingaben, als wackerer Vater trefflich bewährt und für eine neue Heimat gesorgt hatte.

In dem Ländchen an der Ill und am jungen Rhein findet man heutzutage noch den Brauch, daß ein und dasselbe Haus unter verschiedene Eigentümer geteilt erscheint und also einer ein Stockwerk oder einen Teil desselben als für sich bestehende und abgeschlossene Wohnung erwerben und weiter verkaufen darf, wann immer es ihm beliebt.

Hat dieser Brauch unter unverträglichen Leuten bei Bestreitung gemeinsamer Angelegenheiten auch hie und da Streit und Zank im Gefolge, so ist doch damit der Vorteil verbunden, daß es auch dem Armen möglich ist, um ein Billiges eine Wohnung zu erstehen und fest und behaglich in den eigenen vier Wänden sein Dasein recht und schlecht zu verbringen.

Auch das Haus, in dem meine Mutter das Licht der Welt erblickt hatte, bestand aus mehreren Teilhäusern und während die Base Nanne im Einverständnisse mit ihrem Bräutigam und den Geschwistern das Anwesen übernommen und die Erbteile auf Verlangen auszuzahlen versprochen hatte, war einer der übrigen Hausteile Eigentum jenes Tischlers und Totengräbers, dessen Tochter Karlina den Vetter Konrad übers Meer hinüber geheiratet hatte, ein anderer aber gehörte einem Handelsgärtner, der seines Geschäftes halber willens war, sich außerhalb des Städtleins aus gedeihlichem Grund und Boden häuslich niederzulassen.

Diese Wohnung konnte nun allerdings kein Palast genannt werden; aber sie bestand immerhin aus einer guten Stube und zwei Kämmerlein, war ihrem Herrn feil und deshalb um ein Billiges zu haben.

Das hatte die wenig sprechende aber desto mehr horchende Senza erfahren und, rasch entschlossen, war sie noch vor dem Ostertage zum Gärtner geeilt und hatte, ohne die verzagte Eva lange zu fragen, das Häuslein nach einigem Feilschen um bare siebenhundert Gulden Neugeld erstanden und unter einem das Brautpaar mit dem Hinweise, daß jetzt die Not da sei und die Gelegenheit zur Abhilfe auch, zu bestimmen vermocht, das Geldlein aufzunehmen und so den übernommenen Verpflichtungen gerecht zu werden.

»So da,« sagte die Senza und schob ein Bröcklein Eierzopf, den Rest unserer Festmahlzeit, in den Mund, »jetzt bleiben uns von unserem Erbteil noch hundert bare Gulden und wir haben das Häuslein und einen Notpfennig auch noch, wenn etwa eine Krankheit sollt' ausbrechen, und die Buben haben auch noch ein paar Güldelein von der Mutter her für die größte Not, und wenn du jetzt noch nicht zufrieden bist, kannst einen Stecken dazu stecken, das kannst du!«

Ach Gott, die Eva war ja vollauf zufrieden und so glücklich, als wäre der Alp plötzlich von ihrer Brust gesprungen! Wahrhaftig, sie hätte die Senza diesmal umarmt und geküßt, wenn das Küssen und Schlecken bei uns zu Lande überhaupt Mode wäre!

Ein eigenes Heim, ein eigener Herd!

Jetzt war sie sicher vor all' den bösen Leuten, die ihr hämisch in die Fenster guckten und allweil zu tadeln und zu mänkeln wußten! Von nun an durfte ihr niemand mehr unter Hohngelächter die Tür weisen. Von nun an war sie Herr in ihren Wänden, und wenn sie den Schlüssel innen umgedreht hatte, ging sie die ganze Welt draußen keinen Pfifferling an!

So erhielt der Kauf durch das Jawort der Eva einen bestätigenden Abschluß, es wurde in der Gerichtsstube angesichts aller beteiligten Parteien ein Brief ausgefertigt und in ihm bis ins Einzelne festgestellt, was der Schwestern neue Rechte und Pflichten sein sollten, und nach etlichen Wochen hatten wir den Brief richtig in den Händen und waren Hausherrn geworden, das heißt, eigentlich nicht wir Kinder, sondern unsere Basen, die Mutter Eva und der Vater Senza.

Hierin unterschieden wir jedoch nicht gar genau, und wie wir bisher des Friedrichs Schneckenhaus ohne alle Umstände als das unsere betrachtet hatten, bis uns die hohe Obrigkeit eines Besseren zu belehren für gut fand, so hielten wir es auch jetzt für selbstverständlich, daß nun das Hausteilchen in der Mühlgasse mit dem Ausblicke auf den Stadtgraben und vier nachbarliche Düngerhaufen nach dem Rechte der wohlgemeinten Besitzergreifung uns angehören müsse.

So war denn ein gut Teil der Trauer und Trostlosigkeit verflogen und hatte sich gleich den Fledermäusen, die beim Frührot eiligst ihre dunklen Schlupfwinkel aufsuchen, vor dem Tage der Gnade und der neuen Lebenshoffnung geflüchtet, und nur das Gehaben unseres Stiefbruders machte, daß die Wolke der Kümmernis nicht völlig aus dem Angesichte der Eva verschwand.

Wie sie richtig geahnt und dem gestrengen Schutzvogte, der wohl noch nicht viel in der Seele eines Burschen gelesen haben mochte, der ganz Herz war, vorhergesagt hatte, zeigte sich der Friedrich seit dem Umschwung der Dinge wie ausgewechselt und die Eva mußte alle ihre Überredungsgabe aufbieten, um ihn einigermaßen zu beruhigen und im Gleichgewicht zu erhalten.

Die letzten Tage, die er in der Wollfabrik zubrachte, benahm er sich fast wie jenes Mädchen von Orleans, als es von den Bergen, den geliebten Triften und den traulich stillen Tälern Abschied nahm, um den friedlichen Hirtenstab mit dem blutigen Schlachtschwerte zu vertauschen, die Glieder in rauhes Erz zu schnüren und die zarte Brust mit Stahl zu bedecken.

Er stieg in dem gewaltigen Gebäude ruhelos von einem Stockwerke ins andere, durchwandelte trauernd alle Säle, blickte umflorten Auges aus jedem Fenster in die grünende, lachende Landschaft, betrachtete schwermütig jede Maschine, goß zum letztenmale da ein Tröpflein und dort ein Tröpflein Öl zu, streichelte die weichen, wolligen Zylinder, die sich allweil drehten und drehten und anschwollen gleich den zu Tal fahrenden Schneeleuen, und reichte mehr denn acht Tage hindurch jedem, den er wohl leiden mochte, die Hand zum Abschiede.

Auch zu Hause strich er, einem Geiste gleich, der Erlösung sucht, unablässig durch alle Räume und stand bald nachdenklich im Keller unter den bereits keimenden Erdäpfelresten, bald auf der Diele unter den letzten Türkenkolben, die der hungrige Winter verschont hatte. Jetzt tauchte er plötzlich im Holzschopfe hinter einer Beige hervor und erschreckte die Eva oder uns, die wir den Herd füttern wollten, jetzt saß er mäuschenstill unter der Stiege und schrieb mit blutigem Rötel rührende Abschiedsverslein an die Wand, jetzt maß er den Garten mit langen Schritten und starrte in das noch nackte Gezweig, dessen Blütenduft er nicht mehr schlürfen, dessen süße Frucht er nicht mehr verkosten sollte.

Auch verlangte er einmal gar barsch Tinte, Feder und Papier, setzte sich breit an den Tisch und schrieb und kritzelte wohl zwei Stunden lang, und als er der Eva seine schriftstellerische Leistung geheimnisvoll vorwies, war es sein Testament, und er hatte alle Personen, deren Name und Bild in seinem Gedächtnisse hafteten, ohne weiteres zu Erben eingesetzt, nur uns, seine Stiefgeschwister, die wir seines Bedünkens zum Erben noch zu jung waren oder an die zu denken ihm vielmehr zu wehe tat, hatte er auch nicht mit einem Pfennige bedacht.

Am meisten munterte er sich noch abends auf, wenn wir alle beieinander saßen und die Eva ihm nachwies, daß eigentlich von einer ernstlichen Trennung ja doch nicht die Rede sei und daß er's beim Vetter ja doch viel besser haben werde.

»Denn siehst,« sagte sie, »du kommst es jetzt gar prächtig über, Bub, und wirst ein ganzes Herrenleben führen. Statt in die schmutzige, übelriechende und ungesunde Fabrik zu gehen, wirst du beim guten Wetter schön gemütlich die Haue oder die Schaufel auf den Rücken nehmen und ins Feld hinaus spazieren und die beste Luft von der Welt einatmen und, soviel es dich freut, ein bißchen herumhacken und die Erdschollen auseinanderschlagen, gerade nur, daß dir's Essen recht schmeckt. Oder du gehst im Sommer mit dem Rechen dem Heuwagen nach und greifst halt da und dort ein wenig zu, eben weil's Nichtstun schädlich wär' dem Leib und der Seele. Und wirst sehen, essen tun sie dir beim Winkelhofer schon hundertmal besser, als bei uns und alle Tage haben sie's Fleisch und das wird dir gar gut tun, das wird es. Von uns aber bist ja eigentlich fast gar nicht fort; denn, schau, vom Vetter ins neue Schneckenhaus, das die Senza gekauft hat, ist's ja kaum einen Hasensprung weit, und also kannst jeden Feierabend ein Stündlein bei uns sein und mit uns schwätzen oder dein Herz ausschütten, wenn dich etwas drückt und plagt. An Sonn- und Feiertagen aber gehen wir allweil alle miteinander spazieren und pfeifen auf alle Leute; denn jetzt ist's gerade ein Ding und das ist's!«

Da lachte denn der Friedrich aus der Tiefe seines Herzens auf und meinte, auch führen wolle er die Eva wiederum am Fingerlein, und wenn's ihm beim Vetter zu dumm werde, so laufe er ganz davon und verstecke sich bei uns im Keller oder auf der Diele.

So tröstete er sich einigermaßen, und als der Tag gekommen war, an dem er sein Schneckenhaus verlassen sollte, da langte er den Handkarren aus der Dreschtenne, ölte ihn gut ein, damit er nicht weine, wenn er mithelfen müsse, zu scheiden, was Gott zusammengefügt habe, lud seine Habseligkeiten auf, band eine Stange am Gegitter senkrecht in die Höhe und ließ von der Spitze aus einen Trauerflor herabwallen und in den Lüften flattern.

So zog der Friedrich durch die Gassen des Städtleins zum Vetter und die liebe Jugend lief hinterher und schrie:

»Der Friedrich ist närrisch worden!«

Ach, daß die meisten Menschen ewig Kinder bleiben und jeden, dessen Herz blutet, für einen Narren halten!


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