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Sechster Abschnitt.


Auswanderungen und kein Ende.

 

Um die Zeit, da mein Brüderlein sich auf seine glücklicheren Beinchen verlassen konnte, hatte es eine Kuh darauf abgesehen, uns aus des Schneckenhauses lieblicher Umgebung zu verdrängen, und weil nach dem Sprichworte der Nachgiebige auch der Gescheitere ist, also gaben wir nach und pilgerten, anstatt im Grase des Baumgartens herumzukugeln, ins Schneckenhaus der Großmutter oder gar in eine der Wollfabriken, die den schönen Namen »Klarenbrunn« führte.

Unsere Kühe durften nämlich zu gewissen Zeiten des Jahres im Baumgarten oder auch am Bächlein weiden und es ist nicht erhört worden, daß eine von ihnen von der gütigen Erlaubnis keinen Gebrauch gemacht hätte.

Eine aber, die Scheckin, hatte gleich den feinen Damen der Großstadt – Nerven, war also sehr empfindlich und wollte auf das zarteste behandelt, ja beinahe auf den Händen getragen sein. Ihr Gemüt war gleich der Platte des Photographen und so konnte sie einem selbst einen ernsten Blick wochenlang nachtragen, und ich glaube, sie hätte in ihrer verdrießlichen Laune beim geringsten Anlasse gestreikt und die Milchspendung eingestellt.

Davon aber hatte ich dummer Junge dazumal nicht die geringste Ahnung und so konnte es nicht fehlen, daß ich ihr gegenüber einen Verstoß gegen den guten Ton begehen und mir ihren tödlichen Haß zuziehen mußte.

Denn wie die Scheckin eines Tages mitten unter den saftigsten Kräutern stand und, statt sich wohlgemut dem Genusse hinzugeben, schwärmerisch zum tiefblauen Himmel emporblinzelte, da rief ich ihr die allerdings unzarten Worte zu:

»Friß, du alte Hexe!«

Das waren nun in vier leichten Wörtlein vier schwere Beleidigungen und so was konnten eben die Nerven der Scheckin nicht vertragen! Sie sprang also unverweilt auf mich los, faßte mich mit ihren Spitzhörnern unter den Armen und preßte mich mit ihrer breiten Stirne so kräftig an die Mauer, daß ich nur mehr einen Schrei ausstoßen konnte, worauf mir Sehen und Hören verging. Ich hätte auch sicher den Tod gefunden, wäre mir die Mutter von ihrem Spulrade hinweg nicht beigesprungen.

Nun erholte ich mich zwar bald wieder, trug aber zunächst kein Verlangen mehr nach der Scheckin, obschon sie von nun an, wie die Verbrecher des Mittelalters, zur Strafe und Warnung eine Holztafel vor der Stirne tragen mußte. Viel lieber nahm ich mein Brüderlein bei der Hand und ging mit ihm zur Großmutter in die Mühlgasse, und das Knirpslein, das nur stammeln und doch wacker schreien konnte, verkündete es laut singend aller Welt, daß bei der Ahne Eierkoch, unsere Lieblingsspeise, zu haben sei. Vergleiche »Aus der Mappe eines Volksfreundes«, 3. Auflage, S. 182.

Die gute Ahne war auch sonst nicht geizig, und daß uns bei ihr das Gerstenbrot aus der Tischlade und die Schnitze aus dem Tröglein weit besser schmeckten als zu Hause, das ist Kinderart und wird's bleiben, so lange so kleines Volk in Rock oder Höslein auf der Erdkugel herumkrabbelt.

Noch lieber aber saßen wir an Sonntagen im Kämmerlein der Base Eva auf einer grünen, rotbeblümten Kiste und schauten ihr mit großen Augen zu, wenn sie mit Mehlpapp und farbigen Papierbogen und glitzernden Goldbörtlein und getrockneten Frauenkäferlein und zierlich gewundenen Schneckenhäuslein hantierte und die lieben Gottesheiligen oder die vierzehn Leidensstationen des Herrn hinter Glas und Rahmen brachte, wenn ihr Violen und Rosen, Nägelein und Fuchsien förmlich aus der Schere herauswuchsen und im Handumdrehen zu herrlichen Sträußen wurden, wenn sie mit all der kostenlosen Pracht ihr Kämmerlein verzierte, als sei es die Kirche oder gar der Himmel selber. Vergleiche »Alraunwurzeln«, 4. Auflage, S. 140 ff.

Da Kinder nie müßig sein können, so griff ich bald zu und kleisterte mit der Künstlerin um die Wette und genoß so einen Handfertigkeitsunterricht, der erst mehr als dreißig Jahre später von gelehrten Männern in ein System gebracht und hie und da an Schulen öffentlich gelehrt wurde.

Ich erwies mich auch binnen kurzer Zeit geschickt genug, allerlei schöne und nützliche Dinge, als da sind:

Federschachteln und Kammhalter, Bilderrähmlein und Nageltruhen u. a. aus Pappe herzustellen, und wo es in unserem Schneckenhause etwas auszubessern gab, da war ich mit meinen kleinen Werkzeugen auch bei der Hand und hämmerte oder glättete, wie ich's dem Vater abguckte, und erwarb mir das Lob eines anstelligen Jungen.

Späterhin erkannte ich, wie dergleichen Übungen selbständig machen, den Sinn für Ordnung und Ebenmaß schärfen, die Gesundheit fördern und Geld ersparen helfen, und wie oft ich bis zum heutigen Tage mein eigener Tischler und Schlosser, mein Buchbinder und Tapezierer, ja sogar mein Holzhacker bin, das getraue ich aus Furcht vor mehrfachen Geschäftsstörungsklagen kaum zu erwähnen.

Doch ich habe wohl nichts zu befürchten; denn die Geschäftsleute am Ausgange des Jahrhunderts schlagen dem Handwerke den goldenen Boden selber ein. Sie sitzen im Wirtshaus und klagen über die schlechten Zeiten und teilen die Güter der Erde, und wer ihnen einen Auftrag gibt und sie um schnelle Besorgung noch so schön bittet, den vertrösten sie von einem Tag auf den andern und lassen ihn zehn vergebliche Gänge tun, bis er in Wut gerät und selber zu Hammer und Zange greift.

So bin auch ich froh, daß ich gelernt habe, mir in der Not selber zu helfen.

An Werktagen wanderten wir auch, wie ich bereits erwähnt habe, wiederholt in die Fabrik Klarenbrunn.

Dort drehte jetzt zufolge eines bewährten Grundsatzes der Großmutter die Eva den Wollhaspel. Es hatte nämlich nach dem Ausbau der Fabriken die Haus- und Handweberei ein Ende, und so mußte, was sich regen konnte, die rasselnden Maschinen bedienen. Auch das Mühmchen Nanne war bereits etliche Jahre ins Wollhaus gelaufen; jetzt aber sagte die Großmutter, es sei ein Spott und eine Schande, wenn in einer großen Familie immer ein und dasselbe Mädchen den Haushalt besorge und die andern allfort in den Fabriken auf Verdienst aus seien. Die Fabriklerinnen lernen von allen Hausarbeiten nicht das Schwarze unterm Nagel, also daß ein Mann gehörig angeführt sei, wenn er so ein dummes Ding kriege, das nicht einmal eine Wassersuppe kochen könne. Darum eben müssen bei ihr die Mädchen abwechseln und es sei an der Zeit, daß das Nanne jetzt bei ihr die Koch- und Haushaltungsschule besuche.

Also geschah es und uns war das gerade recht; denn so wurde uns die Fabrik für lange Zeit das Paradies, in dem wir die glückseligsten Stunden verlebten.

Die Mädchen, welche gleich der Base Eva feingesponnene Wollpüppchen auf langgestreckte Häspel zu drehen und so die Webezettel vorzubereiten hatten, arbeiteten in einem gesonderten Sälchen. Sie trieben ihre Maschinen damals noch mit eigener Hand und so herrschte bei den Hasplerinnen verhältnismäßig große Ruhe; nur wenn eine Türe geöffnet wurde und die schmierigen Lockbuben frische Gespinste brachten, tönte aus den großen Sälen der verworrene Fabriklärm herüber.

Darum konnten auch die Mädchen während der Arbeit ungestört ihrem Lieblingsgeschäfte, dem Plauschen obliegen; aber die Base Eva hatte binnen kurzer Zeit die Herrschaft an sich gerissen und übte nun unter ihren Genossinnen bald eine fromme, bald eine heitere Tyrannis.

Während die Hände mit Blitzesschnelle in den Fäden herumschossen – sie verdienten bei gutem Willen und nach vieler Übung in zehn Minuten einen Kreuzer und mußten sich also tummeln – während sie die Schneller aufbanden oder das Rad im Wechsel drehten, feierte der Mund nicht; aber er mußte sich streng an die von allen feierlich beschworene Tagesordnung halten. Wer die Z'widerwurzen spielte und sich nicht fügen wollte, wurde in Acht und Bann erklärt und solange keines Wortes gewürdigt, bis der Trotzkopf windelweich zum Kreuze kroch.

Nach der Tagesordnung nun war eine Stunde dem gemütlichen Geplauder, eine zweite dem gemeinsamen Gebete gewidmet. Dann sangen die Mädchen im Chore allerlei geistliche und weltliche Lieder, wie das von der Maienkönigin Maria oder auch das vom Kaiser Napoleon, dessen ich mich noch erinnere und das ich aus dem Gedächtnisse hier aufzeichnen will.

Es lautet:

»Nun merket alle auf,
Was ich euch erzähl'
Vom Kaiser Napoleon
Von dem großen Herrn!

Als er ist 'kommen
Nach Rußland hinein,
Europischer Kaiser,
Das wollt' er gleich sein.

Als er ist 'kommen
In die große Stadt Mainz
Da ist es gewesen
In der Nacht um halb Eins.

Da hat er verloren
Viel Geld und viel Gut,
Von den Stiefeln die Sporen,
Vom Kopf seinen Hut.

Als er ist 'kommen
Nach Breslau zurück,
Erzählt er dem König
Von seinem Unglück.

»Ach König, ach Bruder,
Mit mir ist's jetzt aus,
Wie wird's mir erst gehen,
Wenn ich komme nach Haus!«

Da ist er gefahren
Auf exterer Post,
Auf einem Mistschlitten,
Da hat's ihn nix' kost!«

Hei, gab das jedesmal ein Gelächter, wenn Napoleon, der große Herr, auf dem Mistschlitten über die Grenze befördert wurde!

War man des Singens, Betens und Plauschens müde, dann kam eine Stunde des Schweigens – das war die längste des Tages, selbst wenn sie nach Evas Anleitung in heiligen Betrachtungen verrinnen sollte.

Ich war bald gescheit genug, dieser Stunde auszuweichen oder wenigstens erst gegen Ende derselben anzurücken, wo es schon recht lustig zu werden anfing; denn da konnten es etliche junge Wespen und Quecksilbernaturen bereits nimmer aushalten. Sie bissen sich auf die Lippen und stießen sich mit den Ellbogen und schnitten gräulich ergötzliche Gesichter und deuteten allweil auf die Uhr und kicherten oder platzten mit einem sprudelnden Lacher gar heraus und das war für uns schon unterhaltlich genug.

Und hatte endlich die boshafte, neckische Uhr ein Einsehen, dann ging das Allerschönste los, was ich mir nur denken konnte, dann wurden Geschichten erzählt die schwere Menge, solche zum Totlachen und solche zum Totweinen, solche, daß einem die Haare zu Berge standen, und solche, die so langweilig waren, daß man darüber getrost einschlafen konnte.

Mein Brüderlein und ich, wir saßen auf einer umgestürzten, ölgetränkten Kiste, und während der unverständige Kleine sich in die Abfälle verwickelte, horchte ich auf die herrlichen Geschichten von der Genoveva mit der Hirschkuh und dem grausamen Golo, vom guten Fridolin und dem bösen Dietrich, vom Schinderhannes und dem gleich verabscheuungswürdigen Rinaldo Rinaldini, vom heiligen Altvater Antonius und von der heiligen Wohltäterin Elisabeth, vom schreckbaren Femgericht um Mitternacht und vom gehörnten Ritter Siegfried, vom Manne, der das Gruseln hatte lernen wollen, und vom Männlein, das im Bette sein Bein gebrochen, vom verwegenen Gesellen, der in der Geisterstunde einen Totenkopf aus dem Beinhause geholt, und vom frommen Kapuzinerpater, der viele, viele Bütze in den Bergsee hinauf gebannt hatte und – wie sie alle heißen, die Lieblinge der Jugend und des Alters, die Mären, die uns geleiten von der Wiege bis zum Grabe und die uns mit dem Spiele der Phantasie über so manche bittere Stunde Hinwegtäuschen.

Es war Regel im Haspelsälchen, daß jeden Tag eine andere das große Wort führen sollte; aber es erwies sich nur zu bald, jene, die sonst des Plauschens und Plapperns am kundigsten waren, stotterten ganz erbärmlich, wenn sie ihre Geschichten ordentlich vortragen sollten.

Nur die Eva war unerschöpflich und erzählte so anschaulich, daß sie sogar ihre eigenen Erfindungen selber glaubte und wir mit ihr.

Ich gedenke noch heute des Auftrittes mit Grausen, wie sie uns die Geschichte von Doktor Johannes Faust, dem weitbeschreiten Zauberer und Schwarzkünstler, erzählte, der den ††† in kohlenrabenschwarzer Mitternacht auf einem Kreuzwege beschworen und eingeladen hatte, ihn der blutigen Seelenverschreibung halber in seiner Studierstube zu besuchen.

»Und wie nun der Doktor in der Stube saß«, erzählte die Base Eva, »und seine Habichtsbrillennase in die großen Bücher hineinsteckte und in seinem sündhaften Fürwitz halt alles ergründen wollte, was da lebt und was da schwebt im Himmel und auf Erden, da klopfte es auf einmal an die Türe –«

Nun klopfte es, sei es, daß ein vorübergehender Arbeiter mit einer Last anstreifte, sei es, daß die mutwilligen Buben Schabernack trieben, in selbigem Augenblicke wirklich an die Türe des Haspelzimmers und alles wurde leichenblaß und ein Mäuslein hätte man hören mögen unter den Häspeln.

Nach einer Weile faßte sich die Eva und fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Ja, da klopfte es und der Doktor Faust stand auf, wischte sich die Tabakbröslein mit dem Sacktuche vom Rocke und rief mit starker Stimme: »»Herein!««

Es rührte sich aber auf dem Gange draußen kein Mensch und keine Seele und also setzte sich der Doktor ärgerlich wiederum zu seinem Zauberbuche, putzte seine Hornbrille und fuhr mit seinem Zeigefinger dem Hexensegen und den Teufelsgebetern nach, so in dem verdammten Buche standen.

Und wie er so abermals mitten drin war in seinem sündigen Studieren, da klopfte es auf einmal wiederum an die Türe und stark auch noch –«

Tatsächlich klopfte es auch jetzt und wir alle starrten, zu Tode erschrocken, gegen die Türe des Haspelzimmers und das Blut wollte in unsern Adern schier gerinnen.

»Ja«, sagte die Eva nach einer langen, bangen Pause, »es klopfte und der Doktor hob seinen Kopf aus den Büchern und schrie zornig:

»»Herein denn ins Dreiteufels Namen!««

Aber es kam noch niemand und war auch niemand draußen –«

»Und ist auch niemand draußen, kein Mensch und keine Seele, weder Hund noch Katz', weder Staub noch Floh und also hat der ††† selber geklopft«, schrie eines der Mädchen, das, der Türe am nächsten, selbe ein wenig geöffnet hatte.

Nun war es aus mit der Geschichte vom Doktor Faust. Alle erhoben wir die bebenden Hände zum Muttergottesbildnisse, das hinter Glas und Rahmen au einer Wand hing, und wir beteten gar inbrünstig, Gott möge uns unsere Sünden verzeihen und Marie, die heilige Gottesmutter, möge bei ihrem Sohne fürsprechen, daß uns der böse Feind nicht hole am hellichten Tage, bei lebendigem Leibe, mitten aus der Fabrik Klarenbrunn und mitten aus dem schönen, viellieben Heimatländlein.

»Und er hätte uns auch geholt«, sagte später eine altersgraue Fabriklerin, die sich in solch unheimlichen Dingen auszukennen vorgab, »wenn die Eva weiter erzählt und zum drittenmale ›Herein!‹ gerufen hätte!«

Vom Doktor Faust durfte von jenem Tage an nie mehr die Rede sein, und wie ich der Eva nach Jahren, da ich bereits ein sehr gescheiter Student war, das bekannte Volksbuch zum Lesen gab, wies sie mich mit Abscheu und Entsetzen zurück und hatte mich stark im Verdachte, es möchte vielleicht mein Studierwesen auch ein klein wenig auf Zauberei hinausgehen.

So lebte sich die Base in ihre eigenen Erzählungen hinein.

Seitdem bin ich auch ein Geschichtenerzähler geworden und man hört mir nicht ungerne zu. Darum will ich hier der Wahrheit Zeugnis geben und frei gestehen: Ich habe die ganze Kunst, noch bevor ich zur Schule ging, von einer blutarmen Fabriklerin gelernt und ist also eigentlich nicht viel dran. Will ich etwas recht anschaulich und volkstümlich machen, so stelle ich mir einfach die Eva vor und lasse sie erzählen und schreibe nur schnell nach, was ihrem reichen Munde so wunderfrisch entströmt, wie der Bergquell dem moosigen Gestein in nie versiegender Fülle und kristallner Klarheit. Das gefällt den Leuten am besten und macht mir wenig Mühe; denn ich bin der Zauberkunst eines gewissen Gabelsberger mächtig und so entgeht mir keines ihrer Worte, also daß ich trotz der wenigen Mußestunden, die mir mein Amt gewährt, jedes Jahr ein erkleckliches Sümmchen lustiger und lehrreicher Geschichten in die liebe Welt zu senden vermag.

Doch ich will zu den Auswanderungen in unserer Familie zurückkehren!

Um dieselbe Zeit war ein Brief vom Oheim Ignaz über Meer gekommen, des Inhalts, im neuen Amerika möge einer, der keine Arbeit scheue und dem lieben Herrgott nicht einmal eine Stunde abstehle, geschweige denn einen Tag, wohl leichter vorwärts hausen, als im alten Europa, und darum solle nur nachrücken, was am Tische der Großmutter nimmer recht Platz habe. Das schrieb sich der Schuster Lorenz hinter die Ohren, und weil er sich dachte, wo man sich so zur Arbeit tummle früh und spät, da müsse man auch viele Schuhe zerreißen, also packte er seine sieben Zwetschken zusammen, beglich mit seinen Lieben die Rechnung auf Leben und Sterben, kam ungefährdet über die große Lacke, setzte sich mitten im großen Nordamerika im Staate Minnesota fest und schusterte noch mehr als dreißig Jahre eifrig drauf los, bis ihm der Tod den Hammer entriß, da er ihn selber brauchte zum Stundenschlagen an irgend einer Uhrglocke.

So war wieder etwas mehr Platz am Tische der Großmutter; aber da wuchs der jüngste, Konrad mit Namen, dermaßen in die Länge und Breite, daß er die Lücke bald wieder ausfüllte und demgemäß seinen Brüdern zu folgen beschloß.

Der arme Bursche war halbblind, schwerfällig in seinem Gehaben, scheu im Umgange, wenig anstellig zur unentbehrlichen Fabriksarbeit. Dennoch schnürte er, das Herz voll Bitternis, sein Bündel; sah er ja, so blind er war, wie das Großmütterchen von Tag zu Tag leidender wurde und halbe Jahre im Bette lag, wie Doktor und Apotheker den größten Teil des Gesamtverdienstes verschlangen, wie er beim besten Willen sein Essen und seine Kleidung durch seiner Hände Arbeit nicht halb zu bestreiten vermochte. Also fühlte er sich trotz der liebevollen Gegenversicherungen als unnützen Ballast und führte sein Vorhaben aus. Das Reisegeld wurde auch für ihn durch eine Anleihe aufgebracht, der Pfarrer schrieb ihm alle Städte, die er von Bludenz bis R........... in Minnesota berühren mußte, auf einen Zettel, die Eva gab ihm bis nach St. Gallen, wo der Reisevermittler hauste, auf Schusters Rappen das Geleite und dann fuhr der Arme unter den schmerzenreichsten Tränen des Heimwehs und der völligen Verlassenheit in die Fremde, fast um die halbe Erdkugel herum, er, dessen Ortskenntnisse nicht einmal so weit reichten, daß er die Hauptstädte seines Vaterlandes zu nennen vermocht hätte!

Und die gute Eva erzählte nach Jahren noch uns wißbegierigen Kindern, St. Gallen sei eine furchtbar große, wunderschöne Stadt, aber gesehen habe sie davon eigentlich gar nichts, weil ihr die bittere Kümmernis samt dem Herzwasser in die Augen gestiegen sei, also daß sie die Erinnerung habe, es sei nur ein großer, nebeliger See dort gewesen, der den Bruder, den Heiter, verschlungen habe.

Des Oheims Konrad seltsames Geschick verdient aber, daß ich ihm noch einige Worte widme.

Nach etlichen Wochen kam der bedauernswerte Reisende mit der vom Pfarrherrn geschriebenen Generalstabskarte, mehr von guten Engeln als von seiner eigenen Umsicht geleitet, richtig in die Stadt, wo sein Bruder Lorenz in seiner Werkstätte saß und festen Schwunges auf die zähen Häute der Prärienbüffel loshämmerte.

Nun aber stand auf dem Zettel des Pfarrers nicht, wo des Bruders Werkstätte sei, und wie sich der gute Konrad mit der höflichen Frage an die Vorübergehenden wandte, wo denn da eigentlich der Lorenz Vaplon, sein Bruder, hausen täte, da stellte sich's erst heraus, daß die Herren Yankees zwar gut spucken und auch ihre Köpfe beuteln konnten, daß ihnen aber das Schwäbische rein spanisch vorkam.

Sie spuckten also in schönen Bogen und gingen ihre Wege und der arme Konrad, dem auch das Geldlein, das einzige Verständigungsmittel, ausgewandert war, irrte zwei Tage in der Stadt herum und litt Hunger und Durst und schlief unter Gottes freiem Himmel und sah nirgends einen Ausweg in seiner schrecklichen Not.

Also brach er in Tränen der Verzweiflung aus, rang die Hände und betete so laut, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. Auch die spuckenden Yankees fühlten nunmehr Mitleid und bald sammelte sich eine Menschengruppe um den schluchzenden und jammernden Jüngling, zu helfen bereit, wenn sie nur seine Worte verstanden hätten.

Es wurde aber durch den Auflauf auch der Schuster Lorenz aufmerksam, trat der Neugierde halber in die Gasse heraus, stellte sich auf die Zehen und guckte in den Menschenknäuel und fand so den Bruder und führte den Überglücklichen, selbst glückselig, nachhause.

Und demselben armen Burschen ging's infolge seines nimmerrastenden Fleißes, mit dem er rodete und säete und ein Blockhaus baute, binnen etlichen Jahren so gut, daß er daran denken mußte, sich ein Weib zu nehmen, auf daß es sein Heim in Ordnung halte und ihm helfe in Haus und Stall, in Feld und Wald mit rührsamen Händen.

Also schrieb er kurzweg der Schwester Eva, die er am zärtlichsten liebte, wie daß er zu heiraten gedächte; er wolle aber eine Deutsche haben, eine aus dem Heimatstädtchen, und so eine möge die Eva ihm schicken, ein frommes, häusliches, werksames Mädchen.

Dem Briefe legte er das Reisegeld bei, vollauf genügend bis in die Seestadt New-York; dort wolle er sein künftiges Weib erwarten und in sein Blockhaus geleiten.

So ging nun die Eva auf Brautschau aus und eines Tages ward die Sache beim Erdäpfelgraben in Richtigkeit gebracht.

Ich machte mich mit einer kleinen Hacke auch geschäftig, schlug vorsichtig in die lockere Erde und hie und da auch mitten in die schönen weißen oder roten Knollen und also kann ich nicht nur vom Hörensagen berichten, sondern vom Selbsthören.

Die älteste Tochter eines Nachbars, der Tischler und Totengräber zugleich war, aber bei seiner vielköpfigen Familie trotz des zwiefachen Verdienstes und obschon er Wiegen und Särge machen konnte, ganz nach Wunsch, arm blieb wie eine Kirchenmaus, diese Tochter tat auch mit auf Wiederhilf und es war eine Lust, zu sehen, wie sie der Arbeit vorstand und uns in ihrer Zeile stets um eine Manneslänge voraus war.

Auf einmal stützte die Eva ihren linken Ellenbogen auf den Stiel der Hacke, nahm eine Prise, reichte die Dose auch der Helferin und sagte:

»Karlina, möchtest nicht heiraten? Alt wärst schon genug dazu und Not tät's auch, daß du den Deinen aus den Füßen käm'st!«

Die Karlina war wohl auch eine von denen, die gleich meiner Mutter lieber zuhören als mitsingen mochten. Darum sagte sie kurz und gut:

»Ja freilich möcht' ich – wenn mich einer möcht'!«

Da lachte die Eva eine Scholle heraus und entgegnete:

»Wenn's nur das ist, bist in zwei Monaten ein Weiblein. Der Konrad in Amerika braucht nämlich eins. Du kennst ihn und weißt, daß er ein guter Bub ist, und du selber bist ein wackeres Mädchen – also schlag ein, so nagle ich dich in eine Kiste, geb' dir Käs und Brot hinein und einen räßen Most und schick' dich hinüber, bevor der Winter kommt und das Meer bocksteif gefriert durch und durch.«

Und richtig schlug die Karlina ohne langes Bedenken ein; »denn,« sagte sie, »den Konrad hab' ich allweil gut leiden mögen, und hab' ich auch kein Geld, so will ich ihm doch ein treues Weib sein, und sind meine Eltern einverstanden, so knüpf' ich meine vier Hemden und meinen Sonntagsrock in ein Schnupftuch und fahr halt in Gottes Namen!«

So war die Sache in Richtigkeit gebracht worden, die Eltern der Karlina machten auch keine Einwendung und einzig das Weltmeer schüttelte seine Wellen zu einer so schnellen Verlobung.

Wie nämlich die Karlina auf dem Weltmeere dahinfuhr, erhob sich ein so gewaltiger Sturm, daß das Fahrzeug zugrunde ging und alle Insassen den Tod gefunden hätten, wäre nicht in der höchsten Not ein anderes Schiff gekommen, um die Verunglückten zu bergen. Es lag aber die Karlina, an der Seekrankheit schwer leidend, halb ohnmächtig unter Deck und konnte sich, obschon das tötende Wasser im Schiffsraume immer höher stieg, nicht rühren noch regen.

Aber was sein soll, schickt sich wohl und will's Gott, daß zwei einander finden und Freud und Leid in Liebe und Treue teilen, so kann's auch der wildeste Meeressturm nicht hindern.

Wie das Schiff bereits dem Sinken nahe war, sprang noch ein kühner Matrose unter Deck, um seine Habseligkeiten fortzuraffen. Der ersah das kranke Mädchen, schwang es mitleidig über seine Schultern und warf es in das rettende Boot.

Also hat der Konrad im englischen Amerika ein deutsches Weib bekommen und hat in New-York nicht vergebens auf die Braut gewartet.

Nicht lange aber, nachdem der Konrad das Schneckenhaus in der Mühlgasse verlassen hatte, gefiel es auch dem kranken Großmütterchen in Europa nimmermehr. Da es aber wohl wußte, daß auch in Amerika der Schmerz hause und die Klage ertöne, schloß es in frommem Christenglauben die leidensmüden Augen und pilgerte dorthin, wo kein Schrei mehr den Jammer des Geschöpfes kündet, wo der Müde der süßesten Ruhe pflegt und ein alliebender Vater jegliche Träne trocknet, in das himmlische Jerusalem.


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