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Fünfter Abschnitt.


Ein Naturforscher bekommt Schläge und hierauf einen Unser-Herrgott; ein frommer Christ bekommt einen Unser-Herrgott und Schläge hinterher.

 

Aus Goethes unübertroffener Dichtung »Hermann und Dorothea« ist zu ersehen, daß die Bewohner meines Geburtsortes gleich den Bürgern des rechtsrheinischen Städtchens eigentlich des irdischen Heiles vollauf hätten teilhaftig sein sollen; denn auch sie paarten ländlich Gewerbe mit Bürgergewerbe und es gab in jener Zeit wohl kaum einen, der nicht neben seinem Handwerke oder seinem Kramladen ein Äckerlein bebaut oder ein Kühlein auf die Weide getrieben hätte. Selbst der Arme war der nährenden Scholle nicht völlig bar; sein Kühlein oder seine Geiß fand manch einen Monat auf der Allmeinde offenen Tisch und Allmein-Teile wurden um so geringes Entgelt vergabt, daß sich Rodung und Anbau immerhin verlohnte.

So konnte man bei einer Mißernte einen kleinen Rückhalt im Handwerke oder auch in den Fabriken suchen, und wollte das Handwerk nicht flecken, so lebte man der Hoffnung, es werde der milde Himmel sich öffnen und seinen Segen über die Gefilde ergießen.

In späteren Jahren fanden diese patriarchalischen Zustände in der zunehmenden Bevölkerung ihren Abschluß, die Eisenbahn, ein damals im Ländlein noch unbekanntes Ding, beanspruchte große Flecke fruchtbaren Bodens für sich, die Vermehrung und Vergrößerung der Fabriken führte fremdes, welsches Volk ins Land und so wurde und mehrte sich der Stand der Besitzlosen, die von der Hand in den Mund leben und der Gemeinde früher oder später zur Last fallen.

Also weisen die geräumigen Armenpaläste der Neuzeit einerseits auf eine erfreuliche Steigerung des Menschlichkeitsgefühles, anderseits aber auch auf die betrübende und beängstigende Tatsache der immer mehr um sich greifenden Massenverarmung.

Trotz der oben erwähnten, ehrwürdigen Verhältnisse gab es jedoch im Städtlein nur wenige Reiche, welche sich die nötigen Arbeitskräfte, Knechte und Mägde und Taglöhner, selber bestreiten konnten; die Mehrzahl war auf den uralten Gebrauch der »Wiederhilf« angewiesen.

Kam nämlich die Zeit der Ernte, so taten sich die Nachbarn oder Verwandten zusammen und halfen sich gegenseitig aus der Not und brachten heute des Schneiders Korn unter Dach und morgen des Schusters Gerste, und der Schneider oder Schuster eilte sodann auf den Acker des Sattlers oder des Kupferschmiedes und erwies ihm die gleiche Wohltat.

So ging denn auch meine Mutter eines Tages mit Rechen und Gabel auf den Allmein-Teil der Großmutter, um auf Wiederhilf mitzuheuen, und wir zogen den Bruder Lorenz gemeinschaftlich hinter uns her.

Schon lebte und webte alles in bester Arbeit. Das gebreitete, herrlich duftende Heu ward unter den fleißigen Händen zur langen Schwade, die gleich einer Riesenschlange, welche des Fraßes pflegt, an Dicke stetig zunahm. Mein Vater steckte seine mit Eisenspitzen bewehrte Gabel ein, schob einen Teil der Schwade zusammen, hob die gewichtige Last, seiner Kraft vertrauend, wie Spielzeug in die Höhe und warf sie in gutem Schwunge dem Onkel Lorenz, der auf dem Wagen stand und das Heu zur Fuhre breitete und festtrat, in die geöffneten Arme. Und die Weibsbilder waren mit ihren langstieligen Rechen hinterdrein und fuhren aus und zogen ein, daß kein Hälmlein mehr auf den Stoppeln blieb, und plauschten trotz der Hitze des Tages in fröhlicher Stimmung.

Der Tag der Ernte ist für den Landmann ein Fest, und daß die Arbeitslust anhalte, dafür sorgt ein dickbauchiger Mostkrug, der im Schatten der Grenzfurche steht, daneben des Brotes und Käses zur Genüge.

Meine Mutter stellte das Wägelein an den Rain, empfahl den schlafenden Bruder meiner Obhut, daß ich ihm die Fliegen von der Nase abhalte und den Zulp schön spitze und einstecke, wenn er ihn verloren hätte, und dann mischte sie sich unter die eifrig rechenden Weiber.

Es kam aber zufällig keine begehrliche Fliege, es steckte der süße Zulp fest in den schmatzenden Mündlein, und so konnte ich meinen eigenen Liebhabereien nachgehen.

Dem Nachbarfelde, an dessen Grenze ich stand, entsproß junger Mais in schönen Reihen, wie nach der Schnur, frei von jeglichem Unkraute.

Die kaum fußhohen Pflanzen mit ihren hellgrünen Stämmchen und den länglichen Säbelblättlein erweckten meine Neugierde, also daß ich ins Feld hineinmarschierte und mich, der genaueren Betrachtung halber, kecklich mitten unter die Türken setzte.

Wie die größten Naturforscher, so wollte auch ich das Gras wachsen hören; da aber meine Ohren, obschon selbe sich zu diesem Geschäfte vorzüglich eigneten, nichts vernahmen, so bewunderte wenigstens das Auge die vielen grünen Dinger, die Hände fuhren tastend über die rauhen Blätter und ehe ich mich dessen versah, war eines der Pflänzchen ausgerissen und streckte die schwarzen, dünnen Wurzelfingerlein in die helle, von der Hitze zitternde Sommerluft.

Aber was mußte ich Wunderbares sehen?!

An einem der Würzelchen hing ein schönes, gelbes Maiskörnlein.

Aus dem war also die ganze Pflanze herausgeschlossen und herausgewachsen, aus dem kleinen Häuslein das groß und immer größer werdende Ding!

Ob wohl die andern Türken auch solche Körnlein an den Zehen hätten? Ob sich wohl ein rotes Körnlein finden würde? Ob die Pflanzen aus den roten Körnlein anders aussehen als die aus den weißen Körnlein?

Solche Zweifel folterten meine wissensdurstige Seele und ließen mich völlig vergessen, daß ich auf des Nachbars Grund und Boden saß, daß ich des Nachbars Mus und Brot, seinen Brei und seinen Ribel vor mir hatte, daß der Nachbar ein kleines eisgraues, heimtückisches Giftteufelchen war.

Also riß ich eine Pflanze nach der andern aus und lebte auf freier Flur in glückseliger Hingebung der freien Forschung und lag meinen Studien solange ob, bis ich mich zu meiner größten Überraschung plötzlich in die Höhe gehoben fühlte.

Ein Weilchen baumelte ich in der Luft, dann wurde mein Kopf zwischen zwei Beine geschoben und nun waltete eine schwanke, fürchterlich bissige Gerte ihres Amtes in nie erfahrener Schnelligkeit und Kraft – das war des jungen Naturforschers Glück und Ende!

Das Giftteufelchen hatte, seines Weges gehend, mein allerdings schandbares Tun bemerkt, hatte sich von der nächsten Hecke eine zügige, pfeifende Rute geschnitten, hatte sich mit boshaftem Gegrinse angeschlichen und schlug nun, des Gelingens froh, auf mich ein, als wollte es mir einen Begriff des Spießrutenlaufens beibringen.

Ich glaube, das Männlein hätte es über sich gebracht, mich maustot zu schlagen; aber es stand in den Sternen geschrieben, daß die Leser nicht um diese Geschichte kommen sollten.

Darum rief mein entsetzliches Geschrei alle Heuarbeiter an den Rain, vorab meine Mutter, die, einer Tigerin gleich, der man ihr Junges zerfleischt, heranstürmte und mich dem sinnlos Wütenden entriß.

Es entspann sich nun ein heftiger Wortwechsel, der mit seinem Gelärme viele Neugierige anlockte. Die Mutter schalt den Giftteufel in höchster Aufregung einen unbarmherzigen Höllenhund, der Giftteufel meinte, wenn jemand seine eigenen Fratzen nicht erziehe und nicht verhüte und von ihnen anderer Leute Äcker schänden lasse, so müssen schon andere Leute die Erziehung – er meinte wohl die Rute – in die Hand nehmen. So ging das fort, bis die Zuschauer meine Partei ergriffen, meine stadtbekannte Dummheit als Schild entgegenhielten und das Männlein durch Drohungen und Übermacht zum Schweigen brachten. Zudem erklärte sich der Vater bereit, den angerichteten Schaden durch einen Korb der schönsten Äpfel wett zu machen und so verzogen sich die Wolken auf der Stirne des Männleins und es reichte, da es seine Bosheit noch nicht ganz lassen konnte, die zerfetzte Gerte meinem Vater mit der Bemerkung, er möge sie mir seinerzeit mit in die Schule geben, wenn ich mit dem ABC-Täfelchen ausrücken müsse.

Mich hatte unterdessen die Base Eva auf ihre Arme genommen, und da ich unablässig schrie und, so oft meine Augen auf das Giftteufelchen fielen, am ganzen Leibe erbebte, so trug sie mich, befürchtend, ich mochte das Einfallende oder gar den Veitstanz bekommen, heimwärts.

Wir kamen an dem Hause des Hafnermeisters vorbei und der gute Mann steckte eben seinen Kopf zu einem Giebelfenster heraus und rief herab, ob die Zigeuner in der Au wären und einen hätten abmurksen wollen, oder ob die Schweizer mit Hellebart und Morgenstern über den Rhein rückten oder was es denn sonst gäbe.

Darauf berichtete die selbst weinende Eva das klägliche Ende meiner Naturforscherei und der Hafnermeister sagte:

»Komm' nur, Büble, ich mach' dir einen Unser-Herrgott!«

Da vergaß ich meines Leides, entglitt den Armen der treuen Base, stieg in die Kammer hinauf, wo der Meister seine zierlichsten Werke zu formen pflegte, und richtig – bald war ein Lehmklumpen in die eingestäubte Form geschlagen, das Zuviel abgestrichen, die Form umgestürzt und vor mir lag auf einem Brettlein ein neuer, schöner Heiland samt dem Kreuze, an das ihn die bösen Juden geheftet hatten.

Überglücklich eilte ich mit meinem Schatze nach Hause. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß mir mein Unser-Herrgott, so behutsam ich auch mit ihm umging, in kurzer Zeit in Stücke brach und ich mich nach einem Ersatze umsehen mußte.

Dieser fand sich bald.

Wer von unserm Schneckenhause in der Kastanienallee gegen die Illbrücke ging, der traf nach wenigen hundert Schritten ein lang gestrecktes Haus, das die Bäckerei genannt wurde.

Dort war nämlich vor Jahren für die Soldaten das Kommißbrot gebacken worden und so behielt das Hans den Namen, selbst als das Städtlein die Besatzung abgeben mußte und das Kneten und Backen ein Ende hatte.

In dieser Bäckerei hatte ich zwei Jugendgespielen, Kinder eines Schreiners, und mit ihnen trieb ich mich häufig auf ihrer Diele herum.

Wie ich mich nun einmal, um mich vor dem Sucher recht gut zu verbergen, in einen alten Trog verkriechen wollte, lag in demselben unter einigem Gerümpel ein Christusbildnis, das mir unsäglich schön vorkam und nach meiner Ansicht, weil es aus gutem Lindenholze geschnitzt war, das zerbrechliche Kunstwerk aus Lehm bei weitem übertraf.

Und nun ließ es mir keine Ruhe, weder im Wachen noch im Träumen.

Immer sah ich das Bildnis vor mir, das da im Troge ungeehrt beim Gerümpel lag, immer redete ich mir ein, man schenke in der Bäckerei dem leidenden Christ so wie so keine Beachtung, ich müsse den lieben Heiland aus der Gefangenschaft erlösen und was dergleichen Finten mehr sind, mit denen das Kind schon die Stimme des Gewissens zu geschweigen und seine Fehltritte zu bemänteln sucht.

Was das einfachste gewesen wäre, den Schreiner um das Bild zu bitten, dazu fehlte mir der Mut; wohl aber hatte ich Mut genug, den lieben Herrn bei der nächst günstigen Gelegenheit einfach zu – stehlen.

Ich trug ihn im Triumphe nach Hause, stellte ihn auf mein Altärlein und bat ihm als frommer Dieb kniend das Unrecht ab, das ich etwa an ihm begangen hätte.

Und der liebe Heiland verzieh mir wohl alle meine Schuld; aber die Strafe blieb nicht aus und sie war umso härter, als die Eltern aus verschiedenen Anzeichen ersahen, daß ich den Unterschied zwischen Mein und Dein nicht recht zu erfassen vermochte.

So hatte ich der Mutter wiederholt etliche Kreuzer aus dem Kasten entwendet und dieselben an nicht gar wählerische Kameraden verschenkt. Auch hatte ich einmal dem Branntwein meiner Mutter, die öfters an Übligkeiten litt und sich mit einem Kirschwasser oder Zwetschgner, einem Enzian oder Wachholdergeist das Herz anbinden mußte, einen Besuch abgestattet und, wie's die Großen taten, ein Gläslein wurzweg über den Kopf ausgetrunken – es war aber Rizinusöl gewesen!

Die lieben Eltern hielten nun die Redlichkeit und Ehrlichkeit für die erste Bürgertugend und demgemäß schlug sie der Vater so fest in mich hinein, daß ich sie mein Lebtag nimmer verloren habe, auch als Geschichtenschreiber nicht, wo doch die Versuchung groß ist.

»Selten, aber dann ausgiebig!« pflegte mein Vater zu sagen, wenn er in den Tischwinkel ging und hinter das Kreuz griff; ich danke hiermit dem Seligen nochmals herzlich für jeden wohlverdienten Schlag!

Und was die Eltern durch den bekannten Erfahrungsbeweis – a posteriori, sagt der Lateiner – erzielten, das vollendete die Base Eva durch das grausige Geschichtlein vom Schneidergesellen, der seinem Meister nur ein gotteinzigesmal eine gotteinzige, kaum sichtbare Nähnadel gestohlen und es schließlich, vom Kleinen zum Großen fortschreitend, so weit gebracht hatte, daß man ihn aufhängen und zwischen Himmel und Erde baumeln lassen mußte.

Diese Geschichte machte auf mich einen gewaltigen Eindruck und so oft in Zukunft der Versucher an mich herantrat, so oft sah ich den unglücklichen Schneidergesellen mit der gestohlenen Nähnadel in der Hand am Galgen hängen, sah die bösen Raben von den fernen Hügeln und den nahen Pappeln mit heiserem Gekrächze aus ihn zuschießen, erblickte schaudernd, wie sie ihm mit ihren scharfen Schnäbeln die Augen aushackten und das Herz aus dem Leibe rissen, und wenn ich recht genau zuschaute, so glich der Schneidergeselle mir selber auf Haut und Haar, also daß ich die Strafe des Diebstahls gleichsam an mir selber fühlen mußte.


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