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Achtzehnter Abschnitt.


Die Eva will die soziale Frage lösen, wird aber durch die löbliche Polizei in der Ausführung ihres Vorhabens behindert, woraus sich ergibt, daß die Erde vor der Hand noch ein Tal der Tränen bleiben muß.

 

Wenn ich der vergangenen Zeiten gedenke, so will's mich manchmal bedünken, meine zweite Mutter war in allen Dingen zu gut für diese Welt, und selbst wenn sie zürnte, was sie gar kräftiglich konnte, so floß auch ihr Schelten aus der unerschöpflichen Quelle einer natürlichen, durch das Christentum ins Unglaubliche veredelten Herzensgüte, und selbst wenn sie eiferte, war es der Eifer des Herrn, der sie verzehrte.

Das ist einmal sicher und gewiß: Wenn alle Menschen so gefühlt und so gehandelt hätten wie sie, dann wäre die soziale Frage, deren vielleicht grauenhafte Lösung dem künftigen Jahrhunderte vorbehalten ist, nie in die Welt gekommen; denn in ihr lebte das Urchristentum in all seiner wunderlichen Liebesmacht und es ist bezeichnend für ihr ganzes Wesen, daß sie keine Geschichte öfter erzählte, als die vom heiligen Johannes dem Evangelisten, der in seinem hohen Greisenalter, da ihm bereits die Sinne schwanden, immer und immer wieder mit lallender Zunge die alles Elend bannenden Worte wiederholte:

»Kindlein, liebet einander!«

Und demgemäß handelte sie auch; denn sie konnte nicht anders.

So strenge Zucht sie gegen uns Kinder auch handhabte, in allen unsern Leiden und Schmerzen hatten wir an ihr eine Mutter, die sich in das Fühlen des Kindes völlig hineinlebte und selber zum Kinde wurde, um unser Schluchzen zu geschweigen und unsere Tränen zu trocknen.

Und des tröstenden Wortes durfte sie wahrlich nie ermangeln; den besonders mein Brüderlein entwickelte sich immer mehr zu einem Pechvogel ganz eigener Art.

Das Unglück stand bereits an seiner Wiege, geleitete ihn getreulich durch sein kurzes Leben und grinste ihm höhnisch in die brechenden Augen; aber zum ewigen Himmel hinauf, wo er nun selig thront, durfte es ihm doch nicht folgen, das konnte ein gerechter und allgütiger Gott nie und nimmer dulden.

Damals jedoch, als wir im Flügelkleide herumflogen, schien es, als habe der kleine, stammelnde Lorenz alle Beulen gepachtet, die irgend an den Mauerecken oder auf den Pflastersteinen oder an den Brunnentrögen zu haben waren, als fließe alles Gewässer nur deshalb zutal, damit er hineinfalle und seiner Kappe oder seines Hütleins verlustig werde, als habe jede Dornhecke die heilige Verpflichtung, ihn zu fangen und ihm Höslein und Haut zu zerreißen, als seien alle Glasscherben eigens dafür bezahlt worden, ihm die Füße, und alle stumpfen oder geschliffenen Messer, ihm die Hände zu zerschneiden.

War in irgend einem Hause eine steile Stiege, der Lorenz purzelte gewiß über sie hinab; lag in irgend einem Winkel eine vergessene Hechelbürste, der Lorenz trat gewiß mit bloßen Füßen in die spitzen Stahlnadeln; brodelte in irgend einem Topfe siedendes Wasser, der Lorenz mußte gewiß mit seinen Händlein drin fischen; sauste irgend ein Stein durch die Luft, der Kopf des Lorenz war gewiß sein Ziel; stand irgendwo ein Tintenhäfelein, der Lorenz nahm gewiß einen herzhaften Schluck. Also verging kein Tag, an dem er nicht heulend nach Hause kam, und die Eva mußte fortwährend blasen und verbinden und trösten und war nicht minder barmherzige Schwester, obschon sie die Aufnahme ins Kloster verscherzt hatte.

Meine Leiden waren mehr geistiger Art, aber um nichts geringer, als die des Bruders oder die aller Menschen; denn in der Tat macht nicht das wirkliche, sondern das eingebildete Leid dessen Große aus und das Kinderherz zuckt beim Verluste eines Apfels in dem gleichen Weh, wie das Herz des liebenden Weibes an der Bahre des geschiedenen Gatten.

Aber über dem Kinde wacht die treue Mutter und lächelt und über dem Weh der Menschheit wacht der getreue Gott und lächelt gleichfalls; denn die Mutter weiß, wie leicht und bald sich des Kindes Weh in Wonne wandelt, und vor dem ewigen Auge Allvaters ist der größte Erdenschmerz nicht mehr als der kleinste und die Sekunde nicht weniger als das Jahrtausend, und also ruft er gleich der tröstenden Mutter:

»Du armes Herze, sei nicht bang;
Bald muß sich alles, alles wenden!«

Ja, auch ich hatte allerlei Schmerzen und schüttete sie getreulich in den Busen der stets hilfsbereiten und ratreichen Eva.

So war damals meine Lesewut ohne Grenzen, aber der Mangel an Büchern gleichfalls grenzenlos. Eine Buchhandlung gab es in unserm Städtlein überhaupt nicht, von einer Jugendbücherei in den Schulen hatten selbst die Lehrer keine Ahnung, und die Schätze der Flirscher Ploni aus dem verlassenen Schneckenhause konnte ich bereits alle auswendig.

Also sehnte ich die Jahrmärkte mit einer Ungeduld herbei, die mich beinahe aus der Haut fahren ließ. Entdeckte ich dann in einer der Standhütten mit forschendem Auge ein neues Büchlein mit kostbarem Bildnis, so marterte ich die gute Eva mit Bitten und Betteln und reichlichen Tränengüssen so lange, bis sie endlich nach dem Zehnerlein in die Tasche griff und halb unwillig sagte:

»Bub, du bringst mich noch um Hab und Gut mit deiner ewigen Büchernarrheit! Aber daß du's weiß, daß alles in der Welt verdient sein muß und niemand eine gebratene Taube ins Maul fliegt, wenn er's nur recht weit aufsperrt, so holst jetzt zwei Kübel voll Wasser und drei Arme voll Holz und dann betest, weil eben alles vom lieben Gott kommt, vor dem Altärlein kniend, mit ausgespannten Armen die fünf Wunden Christi, und dann magst meinetwegen das Büchlein holen, du Bettler und Plaggeist du!«

Ach, wie gerne kam ich der gestellten Aufgabe nach, wie wenig achtete ich des Juckens und Brennens in den ausgereckten Armen, wie lief ich atemlos zum Krämer, wie vergaß ich alles um mich her bei meinem schrecklichen Femgerichte um Mitternacht oder bei dem beneidenswerten Fortunatus mit dem Wunschhütlein!

Hätte ich auch so ein Hütlein gehabt, wahrlich, ich hätte mir das ganze Haus voll Bücher zusammengewünscht, wie ich denn auch in meinen Träumereien beim Nahen des jüngsten Tages das ganze Städtlein ausgestorben und alle Häuser menschenleer sah und in fliegender Eile alle Kästen nach Büchern und – alle Zuckerbäckereien nach Gutelein und Leckerlein durchstöberte!

Einen bitteren Schmerz empfand ich damals durch eine vermeinte Zurücksetzung in der Schule.

Es wurden nämlich am Schlusse eines jeden Schuljahres an die vier besten Schüler und Schülerinnen jeder Klasse schön gebundene Gebetbücher als Preise verteilt, und nun traf es sich, daß ich in jenem Jahre, so sicher ich darauf gerechnet hatte, zum erstenmale nicht beteilt wurde. Auch die Base Eva war der Überzeugung, es hätte mir ein Preis gebührt und es sei mir, dem armen Buben, ein reicher vorgezogen worden. Mich aber kränkte das vermeintliche Unrecht umsomehr, als die Preisträger nach altem Herkommen die äußeren Zeichen ihres Fleißes und ihrer hervorragenden Kenntnisse in den Häusern herumzeigen durften und dafür ein artiges Sümmchen Geldes einheimsen konnten.

Da war die resche Eva schnell entschlossen. Sie nahm mich, den Weinenden, bei der Hand, führte mich zum Kaufmanne, ließ sich ein schönes Büchlein geben und bat, der Kaufmann möge in schöner Bruchschrift hineinschreiben, dies sei der mir gebührende Preis und ihn spende die Genoveva Vaplon in höchsteigener Person.

Und mit diesem Preise ging ich nun, nachdem die Base mein verweintes Gesicht am Johannesbrunnen fürsorglich gewaschen hatte, gleich den glücklichen Schulgenossen stolz von Haus zu Haus und die Leute lachten herzlich darüber, daß nun auch die Eva Preise austeile, und beschenkten mich mit etlichen Kreuzern und der Lehrer ließ die Sache großmütig oder betroffen auf sich beruhen.

Es war aber die Eva auch allen Kindern eine liebende Mutter, und wo sie ging oder stand, liefen ihr die Kinder gleich den Hündlein, die gar gut wissen, wer ihnen wohl will, nach, hängten sich an Schürze und Kittelfalte und wollten Geschichten hören die schwere Menge.

So fehlte es denn auch in unserem Häuslein nie an kleinen Gästen und die Eltern, welche der Arbeit nach mußten, waren mit der von der Eva errichteten ersten und billigsten Kleinkinderbewahranstalt recht zufrieden.

Da saßen die Knirpslein auf Stühlen und Bänken, auf Ofen und Fenstersims oder auch auf dem Fußboden und verhielten sich so ruhig wie in einer Kirche und sprachen mit gefalteten Händchen ihr Gebetlein und horchten auf die Erzählungen der Eva, die nicht müde wurde, den Haspel zu drehen und immer wieder neue Mären zu berichten oder zu erfinden.

Selbst den Erwachsenen gefiel es in unserm Häuslein gar wohl und es kamen Bauernmännlein und Bauernweiblein aus den tiefsten Tälern, um den Altar zu sehen, den die Eva mit wenig Geld aber vielem Geschick und Geschmack errichtet hatte, und die Bilder, die schön geordnet an den Wänden hingen, und die farbigen Tapeten, mit denen wir unsere Stube überkleistert hatten.

Zarte Seelen aber, welche die Furcht vor der Sünde quälte oder die mit schaudernder Angst einen Hang zum Bösen in sich verspürten und bekämpften, brachten der wohlmeinenden Eva, dem Weibe aus dem Volke, schier mehr Vertrauen entgegen als ihrem Beichtvater, und die so übel verleumdete und ungerecht verfolgte und sich selber ängstigende Eva hat in jener Leidenszeit und auch späterhin weit mehr Trauernde getröstet und Verzagende aufgerichtet, als man glauben möchte.

Es traf sich gar nicht selten, daß ein armseliges Männlein oder ein trübsinniges Weiblein weinend in die Stube trat und schüchtern stammelte, es täte es so drücken und es täte der Eva halt gar so gern sein Herz ausschütten und frei alle Sünden herausbeichten, daß ihm leichter würde.

Und die Eva entgegnete lächelnd:

»Nun so leg' ab, was dich drückt, du Närrisch! Kommst alles von mir über, einen Sack voll Trost und einen Sack voll guten Rat und einen Sack voll Mitleid obendrein; nur wenn du ein Geld willst, mußt an einer andern Tür klopfen, denn ich hab' selber nur mehr drei Kreuzer und zwei rostige Knöpf im Täschlein und weder Schmalz im Topfe noch Salz im Kübel, Amen!«

Da wurden wir Kinder fortgeschickt, daß wir Fangens oder Versteckens spielten sollten in den Hofgängen und bei den Düngerhaufen, und wenn uns die am Haspelfenster befestigte Glocke zurückrief, saß die arme Seele glückselig lächelnd auf der Ofenbank und dankte:

»Vergelt's Gott und zahl's Gott viel hundert- und tausendmal, du gute, trostreiche Eva! Jetzt ist mir ein Zentnerstein vom Herzen und jetzt meine ich, ich könnt' fliegen, und jetzt traue ich mich erst, den Kapuzinern alles zu beichten und zu bekennen!«

So hatte die Eva für jeden ein Wörtlein der Ermutigung; aber wenn die Stunden der Schwermut über sie kamen, dann hörte ich sie manchmal im tiefsten Weh aufseufzen:

»O, mein Gott, o, mein Gott, für alle hab' ich einen Trost, nur für mich hab' ich keinen!«

Es wurde aber die gute Eva, die nun einmal alle Werke der leiblichen und geistigen Barmherzigkeit ausüben wollte, auch sonst genugsam in Anspruch genommen.

Wo immer eine schwerkranke Person, die vermöge ihrer Armut keine Wärterin bezahlen konnte, im Bette lag und auf den Tod wartete, da holte man die Eva und sie stand, auf ihre Gesundheit und ihre Kraft nur allzuviel vertrauend, oft wochenlang Nacht für Nacht am Krankenlager und Tag für Tag bei der Arbeit und gönnte sich wochenlang kaum zwei oder drei Stunden des so notwendigen Schlafes. Dies tat sie besonders dann am liebsten, wenn ein Armer an einer ansteckenden Krankheit litt und von allen, selbst von den Anverwandten, ängstlich gemieden wurde.

Sie kannte keine Furcht und Gott beschützte sie; denn die Kranken durften nicht aller Hilfe ledig sein und wir durften nicht auch noch die zweite Mutter verlieren.

Von einem dieser Samaritergänge brachte sie eines Tages ohne weiteres ein vierjähriges Büblein mit, das in Schmutz und Lumpen starrte, mit Geschwüren überdeckt und halb blind war und sich trotz seines vorgeschrittenen Alters kaum auf den Füßen zu halten vermochte.

»Jetzt, in Gottes Namen,« sagte sie zur Senza, »jetzt magst mich ausschelten, wie du willst, jetzt hab' ich nicht anders können, ich hab's müssen annehmen, so hat mich das Heiterlein erbarmt!

Der Vater ist ein Lump, der alles durch die Gurgel jagt, die Mutter liegt im Sterben, vier Kinder umstehen in einer stockdunkeln, triefenden, moderdumpfen Höhle den faulenden Strohsack und der arme Wurm da rutscht auf dem Lehmboden hungernd und wimmernd im grauslichen Unrat umher und muß leiblich und geistig zugrunde gehen, wenn ihn niemand aufhebt.

Die Reichen tun's nicht, das weiß ich schon, denen graust vor dem Elend; also müssen's die Armen tun, und also hab' ich gesagt:

»»Mann, schenk' mir das Kind, ich will's aufziehen wie meine eigenen für die Welt und für den Himmel!««

Da wirft mir das Weib aus dem Fetzenbette einen Blick zu, daß ich genugsam belohnt bin in alle Ewigkeit; der Lump aber lehnt an der nassen Mauer und schielt faul herüber und tut einen teuflischen Lacher und lallt:

»»Ha, gut, daß er fortkommt der Balg, der Fresser, der Kriecher; aber zahl' mir einen ... Schnaps, ich hab' .... hp .... Durst!««

Da hab' ich dem Untier einen Viererpatsch vor die Füße geworfen und jetzt hab' ich das Kind und jetzt werden wir halt doch nicht verhungern, wenn jedes einen Schöpf weniger nimmt beim Essen und mit dem Rest den Wurm füttert .... gelt Schwester?«

Die kleine Senza hatte anfangs eine saure Miene gemacht und die sich mehrenden Köpfe bedenklich überblickt, und wir hatten den Eindringling, die Wegschnecke, die ohne Umstände in unser Schneckenhaus gekrochen war und jetzt an einem Stück Brot tapfer herumnatschte, mit ängstlich neugierigen Augen betrachtet.

Wie wir aber von dem Elende hörten, da rannen aus den Augen der Senza Tränen des Mitleids und sie beugte sich und küßte den brosamreichen Mund des Kindes, der Lorenz brachte ihm eines seiner fußlosen Rösser und ich gab ihm aus meinem Preisbuche ein Bildnis Johannes des Täufers, seines Schutzheiligen, und so wurde der kleine Johann unser neues Brüderlein. Er wurde uns völlig gleich gehalten und gedieh und machte der Eva zunächst viel Kummer und Sorge seiner Unarten halber, da ihm jegliche Erziehung mangelte und er nur Schlechtes gesehen hatte, bald aber unsägliche Freude, da er der neuen Mutter in aller Liebe anhing und von Tag zu Tag folgsamer, sittiger und frömmer wurde.

Und in derselben Zeit, in der ein neues Schnecklein im Hause herumkroch, kam der junge Pfarrhelfer des Ortes und bat die Eva, sie möge, da sie wohl noch ein Kämmerlein entbehren könne, eine arme Irre, welche die Gemeinde aus Mangel an passenden Räumlichkeiten nirgends unterzubringen imstande sei und die kein Mensch betreuen wolle, in Kost und Pflege nehmen. Die Gemeinde sei gerne bereit, ein müßiges Kostgeld zu bezahlen, und jedenfalls tue die Eva ein gutes Werk, das der Engel mit goldenen Buchstaben in das Buch des Lebens einzeichnen werde.

Natürlich konnte die Eva, die im Geiste das Buch des Lebens bereits vor sich aufgeschlagen sah, nicht nein sagen, und so kam das unglückliche Mädchen, das nicht nur irren Geistes sondern auch an den Füßen gelähmt war und von einem Tische oder Stuhl zum anderen geführt werden mußte, halt in Gottes Namen auch in unser Schneckenhaus und machte sich im Kämmerlein der duldsamen Senza breit und die Base Senza zog mit ihrem Bette zu den Katzen und Gespenstern Vergl. Wichner »Zeitvertreib«, S. 92 ff. auf den Dachboden.

Wir behielten die Kranke über Jahresfrist und die Gemeinde war des wohl zufrieden; denn als das arme Wesen der sich mehrenden Tobsuchtsfälle halber in die Landesanstalt gebracht werden mußte, betrugen die Kosten wenigstens das Vierfache dessen, was der Eva bezahlt worden war.

Aber noch eine Sorte von Menschen erfreute sich der Gewogenheit der Base Eva.

Das waren die armen Reisenden, so heimatlos auf der Erde schweiften und in Nässe und Kälte, in Staub und Hitze von Ort zu Ort humpelten, die fechtenden Handwerksburschen und die betenden Wallfahrer, die wandernden Krämer und die ruhelosen Zigeuner, die Kesselflicker und die Dachmacher und alles, was Herberge suchte und kein Geld hatte, den Wirt zu befriedigen.

Die Eva nahm den Rat der Kirche als strenge Verpflichtung und vermochte keiner Bitte zu widerstehen, die in Gottes Namen an sie gerichtet wurde. Also verwandelte sich unsere Stube gar oft in ein Lager und es kam nicht selten vor, daß zwei oder drei der immerhin etwas unheimlichen Gesellen auf Ofen, Bank und Boden im Stroh lagen und so gewaltig schnarchten, daß wir im Nebenkämmerlein aus dem Schlafe geweckt wurden und, wenn die Müdigkeit uns doch übermannte, im Halbschlummer von Dieben, Räubern und Mördern träumten.

Da wir jedoch beim besten Willen zu arm waren, unsere Gäste, wie es sich für eine ordentliche Verpflegsstation geziemt, auch zu verköstigen, so hatten die Fremdlinge ein Einsehen und fochten die nötigen Lebensmittel im Städtlein zusammen und ließen uns Kinder sogar mithalten. Und wenn sie weiter zogen, bezahlten sie mit einigen »Vergeltsgott« und priesen die Eva im ganzen Ländlein und empfahlen sie allen Schicksalsgenossen, so sie auf Weg und Steg trafen, aufs beste.

Dies hatte zur Folge, daß sich der Zulauf in dem Maße mehrte, daß wir bald nötig gehabt hätten, unser Schneckenhaus zu verlassen und beim Bäslein Nanne unterzukriechen, und das wurde schließlich wohl nicht gerade der Eva, wohl aber der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu dumm. Also legte sich die Polizei ins Mittel und verbot der Eva die fernere Ausübung eines Werkes, das, so gut es gemeint war, allerdings auch manch lichtscheues Gesindel zusammenführen und unter Umständen dem Gemeinwohle nachteilig wirken mußte.

Aber auch das Betreuen der mit ansteckenden Krankheiten behafteten Armen wollte man der Eva untersagen; denn der kugelrunde Physikus, ein wackeres Männlein, hatte es richtig herausgebracht, daß die Eva offenbar die Krankheiten überallhin zu verschleppen und das ganze Städtlein in einen Seuchenherd zu verwandeln imstande sei. Auch nahm er es ihr mit Recht übel, daß sie, unseren kindlichen Bitten nachgebend, uns wiederholt in die Krankenstube mitgenommen und so unsere Gesundheit gefährdet habe.

Weil nun der Bürgermeister die Eva bereits von der borstigen Seite kennen gelernt hatte und in der geheiligten Gemeindestube einen allzulebhaften Auftritt vermeiden wollte, schickte er den alten Lazarus, daß er das Verbot mündlich überbringe, und wie der seinen Schnaps erhalten und seine Meldung erstattet hatte, sagte die Eva nachdenklich:

»Jetzt laß mir den Bürgermeister und das Dökterlein schön grüßen, und was sie da wegen der Reisenden und wegen der Kinder befohlen haben, da mögen sie recht haben und ich will folgen, wie's billig ist; solange aber die Gemeinde statt eines ordentlichen Spitals nur eine wackelige, vorlotterte Windmühle hat, in der man höchstens zehn Kranke unterbringen kann, solange die unglücklichsten aller Menschen, selbst von den Anverwandten gemieden, in ihren Schmutzhöhlen liegen bleiben, bis sie die Seele auf der Zunge haben, solange tut die Eva, was sie für ihre Pflicht hält!

Hebt endlich einmal bei den reichen Leuten eine Sammlung an, tut endlich den zugeschnürten Gemeindesäckel ein bißchen auf, baut ein großes, lichtes und gesundes Krankenhaus, schafft barmherzige Schwestern hinein, daß die Armen eine Pflege haben, dann bleibt die Eva gern beim Haspel und während der Nacht in ihrem Neste. ... Das kannst dem Bürgermeister und dem ganzen Gemeinderat und allen Doktern brühwarm hinauftragen, Lazarus, das kannst du!«

Da ging der Lazarus windschief seines Weges und richtig ließ man der Eva die Freude, barmherzige Schwester zu spielen, und richtig .... nach etlichen Jahre wurde der Wunsch nach geordneter Krankenpflege immer lauter und lauter und wieder nach etlichen Jahren stieg in der herrlichsten Lage ein Krankenhaus in die Höhe, das allen Anforderungen der Heilkunde vollauf entsprach und in dem auch der Ärmste, wenn auch nicht immer genesen, so doch auf menschenwürdige Art verscheiden konnte.

Mit Recht sind meine Mitbürger auf diese Einrichtung stolz; daß aber die arme Eva die erste Anregung dazu gegeben hat, das haben sie völlig vergessen.


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