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Erster Abschnitt.


Ich komme zur Welt, erhebe ein Geschrei und soll ein Prediger werden.

 

Der Storch – doch wozu soll ich meinen Lesern veraltete Lügen auftischen, die in unserer aufgeklärten Zeit kein Wickelkind mehr glaubt? – nicht der Storch also, sondern der liebe heilige Nikolaus, der bei uns schlechthin Klas heißt, brachte mich am 23. Oktober, im Jahre des Heils 1852, meinen nun längst im Herrn selig verstorbenen Eltern.

In meiner Heimat besorgt nämlich, wie jedes Kind weiß, dieses Geschäft der heilige Klas.

Als dieser heilige Bischof noch auf Erden ging, da fand er seine größte Seligkeit im Wohltun, eingedenk des Spruches: »Geben ist seliger denn Nehmen« und »Hast du zwei Röcke, so gib einen dem, der keinen hat!«

Und wie er den Seelen seines Bistums die unermeßliche Wohltat der göttlichen Gnade spendete, also sparte er auch leibliche Gaben nicht, sondern ging von Hütte zu Hütte, um der Not zu steuern und sich an den dankbaren Blicken der Beschenkten zu laben. Die Kinder vor allem liebte er wie der zärtlichste Vater, und wo er ein Waislein fand, das im Elende zu vergehen und im Unrate zu verkommen drohte, da trug er's in sein Haus und pflegte sein und zog es groß und hatte seine Wonne an des Kindes körperlichem Gedeihen und geistigem Wachstume, wenn es zunahm an Weisheit und Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Diesem Heiligen konnte es demnach auch nicht fehlen, daß er nach seinem Scheiden von Mund auf in den Himmel kam; denn das Gebet der Dankbarkeit hört und erhört der allgütige Vater, der Allspender, am liebsten.

Aber wer hätte sich's gedacht, daß der liebe heilige Nikolaus an den Freuden des Himmels sein Genügen nicht finden konnte?!

Und doch war dem so.

Kaum war er etliche Tage in der Stadt Gottes und in den Gärten der Seligen, da durchwandelte er alle die Herrlichkeiten, die kein irdisches Auge gesehen und kein irdisches Ohr gehört hat, so teilnahmslos und mit so betrübten Mienen, daß es dem lieben Gott auffallen mußte.

Er fragte ihn also huldvoll, was ihm fehle und ob denn nicht alles da wäre, was nur ein Menschenherz erfreuen möchte.

Da schlug der gute Heilige sanft die Augen auf; sie waren voll Tränen.

»Herr,« sagte er, »du hast der Herrlichkeiten viele bereitet denen, die dich lieben und die deine Gebote befolgten, und dein Knecht aus Myra wäre überglücklich vor deinem Antlitze, wenn ihm nicht eine Wonne versagt bliebe, die Wonne des Wohltuns; denn siehe, wie ich die Himmel durchwandle und bei den seligen Kindern verweile, die mit Engeln unter Rosen spielen und kosen, drängt es mich, ihnen eine Gabe zu reichen. Doch wehe – sie haben alles von deiner Güte, kein Wunsch regt sich in ihren Herzlein, und so mag ich meine Gaben nur wieder mit mir tragen und kein freudiges Lächeln, kein seelenvoller Blick dankt mir und weckt in meiner Brust die Wonneschauer des Beglückens.

Darum, o Herr, kann ich nicht ganz selig sein, auch nicht in deinen Himmeln!«

Also sprach der Heilige und der Herr mußte selber lächeln über das ungenügsamste seiner Kinder; aber es war ein Lächeln unendlicher Liebe.

»Ich sehe schon,« erwiderte er, »du bist sehr verwöhnt und ich werde meine liebe Not mit dir haben! Die Wonnen des Wohltuns in den Himmeln habe ich mir allein vorbehalten; doch hoffe ich, es wird meiner Allmacht gelingen, selbst dich zufriedenzustellen.

Gehe also hin und teile dich mit dem Storche friedlich in das Geschäft des Kinderbringens! Er hat ohnehin so viel zu tun, daß er schon wiederholt um einen Gehilfen gebeten hat.

So magst du den Menschen der Gaben größte bringen für und für, magst sie segnen mit dem Kindersegen und magst des keuschen Eheweibes glühendste Sehnsucht stillen.

Bist du jetzt zufrieden mit deinem Herrn und Gott?«

Und ob er zufrieden war!

Nun konnte er wieder wohltun nach Herzenslust. Darum eilte er mit schnellen Schritten zur Erde hinab und teilte sich mit dem Storche in die Arbeit, und bei dieser Teilung fiel ihm unter anderen Ländern auch meine Heimat zu, während sich der Storch mit den schwarzen Afrikanern und den gelben Asiaten begnügte, die er nicht zu waschen brauchte, wenn er sie aus dem Nilschlamme zog.

*

Unweit eines Marktes, dessen hoch und herrlich aufragende, uralte Marienkirche der Wanderer anstaunt, der auf Flügeln des Dampfes das Ländlein an der Ill, dem jungen Rheine und dem schwäbischen Meer durcheilt, dehnt sich in tannendunkler Waldschlucht ein Weiher oder Teich, genannt der Galtbrunnen.

Menschen können ihn nicht finden.

In ihm schwimmen und plätschern und spielen die ungeborenen Kinder und fahren auf den Blättern der Seerose Schifflein und haschen nach den seltenen Sonnenstrahlen, die sich durchs dichte Gezweige neugierig Bahn brechen.

Das tun sie, bis ihre Zeit gekommen ist.

Verlangt nun in meiner Heimat ein Ehepaar nach einer lachenden und weinenden Herzensfreude, nach einer Verkörperung seiner Liebe, nach einer Wiederholung der Jugend und nach einer Stütze des Alters, dann schreibt das Ehepaar einfach einen Brief an den Klas, wie daß es eines Mägdleins benötige oder eines Bübleins oder auch beider und der Klas holt, so es der Wille des allweisen und allvorsehenden Gottes ist, das Mägdlein oder das Büblein oder auch beide aus dem Galtbrunnen.

Und so brachte er eben auch mich – eigentlich nicht er selbst, sondern sein Knecht, der alte Ruprecht.

Das ging so zu:

Zu der selbigen Zeit, da meine lieben Eltern um einen wackern Buben geschrieben hatten, war der heilige Klas so mit Bestellungen überhäuft, daß er schier nicht zu Atem kommen konnte. Bis an den Bodensee hinab hatte er eilen müssen mit einem jungen Kupferschmiede und mit einem dereinstigen Reichsberater, mit der künftigen Bürgermeisterin der Landeshauptstadt und mit der nachmaligen Gastwirtin vom Gebhartsberge. Aus dem Studierstädtlein waren Briefe gekommen, es sei großer Mangel an Studenten und an Geistlichen, und die Rheindörfer ahnten damals schon, daß Stiefvater Rhein ihrer Feldwirtschaft ein Ende bereiten und sie in wenigen Jahrzehnten betreffs ihrer Lebensfristung auf die Stickerei verweisen würde oder auf die Baumwolle. Deswegen brauchten sie kräftige Sticker und schwindsüchtige Fabrikler die schwere Menge.

Der dienstwillige Klas hatte das alles getreulich und ganz nach Wunsch besorgt; aber als er am Abende vor meinem Eintritte in die Welt zwei eingeschriebene Briefe erhielt, er solle in später Nacht noch gleichzeitig in den Bregenzerwald und ins Walgau, da war das selbst für den mit Wunderkraft ausgestatteten Heiligen des Guten zu viel.

Er wickelte also eine zarte Wälderschmelg, wie die Mädchen dort heißen, sorgsam in seinen Mantel, um das Geschöpflein vor der rauhen Herbstluft in etwas zu schützen, mich aber übergab er dem Ruprecht, seinem Knechte, und einen Zettel dazu, worauf stand:

»Bludenz, Hausnummer 116!«

Nun muß ich offen gestehen: Ich habe mit dem alten, struppigen Ruprecht schlimme Erfahrungen gemacht, und wie ich späterhin in gelehrten Büchern las, er sei ursprünglich ein Heide gewesen und habe gerne Bier getrunken und sei erst, als das Christentum seinen sieghaften Einzug hielt, dem heiligen Nikolaus beigegeben worden, da schenkte ich dem nicht ungerne Glauben.

Auf mich armen Reisenden wenigstens verwandte er durchaus nicht die Sorgfalt, die meiner Stellung gebührt hätte, und wenn er auch den ihm gewordenen Befehl ausführte, Zeit brauchte er wahrlich genug dazu!

Er trug mich huckepack und splitternackt landein, beinahe immer längs der grünen Ill, deren Wellen sich in der hellen, kalten Sternennacht wohl ebenso lustige Geschichten erzählten, wie diese hier zum Teil eine ist, und darum fortwährend tuschelten und kicherten, oder die auch in ihrem Übermute den Ufersteinlein ein wenig Gefrorenes bereiteten, und wo der liebe Herrgott einen Arm herausstreckte und der Wirt noch einen Docht im Talge brennen hatte oder einen harzreichen Span, da kehrte er ein und trank ein Krüglein übers andere, gerade wie die alten, heidnischen Deutschen.

Und so erprobte er das Gebräu in allen den Dörfern, und wo das Spundloch allbereits zu war, den Kretzer und trank sich landein, bis die Sternlein erloschen eins uns andere und bis die gewaltige Hochfläche des Gletschers in purpurnem Glaste ins dämmernde Tal herableuchtete.

Ist's da ein Wunder, wenn ich dem Biere, so es gut ist, nicht abhold bin noch in meinen alten Tagen? Böse Beispiele verderben gute Sitten und die ersten Eindrücke sind bekanntermaßen immer die wirksamsten und anhaltendsten.

Doch ich will von der Sache nicht abschweifen, da es nun bald höchste Zeit ist, daß ich endlich geboren werde.

Wie nun der Ruprecht also vors Städtlein Bludenz kam und ich, da mich nicht wenig fror, auf seinem Rücken zu wetzen anhub und gleich ins erste Haus hinein wollte, das am Wege stand, da huckte er mich besser auf und brummte:

»Da drinnen haust ein reicher Gastwirt – schade, daß noch zu ist! Aber für dich ist das nichts, mein Kerlchen!«

Beim folgenden Hause ging's mir nicht besser.

Ich wollte wieder absteigen; doch der graue, grausame Knecht gab mir von unten hinauf einen Klaps und schnurrte:

»Da drinnen wohnt ein Millionär, dahinein gehörst du schon gar nicht, du Wetzer, du ungeduldiger! Wenn du jetzt nicht gleich ruhig bist, so kauf' ich dir eine Rute unter den Bögen!«

Also ergab ich mich und wimmerte nur leise vor mich hin, wie er mich unter den Bögen oder Laubgängen hintrug und an allen Häusern vorbei, wo immer reiche Leute wohnen mochten.

Wir kamen bergab durch ein altes Tor zum Mühlbach, hierauf wieder an etlichen Häusern vorbei, darnach neben dem Hause eines ehrbaren Hafnermeisters über ein Bächlein, und eben wie das Glöcklein der Kapuzinermönche mit seinem durchdringenden Stimmlein zur Siebenuhrmesse rief und etlichemale nachzog, zum Zeichen, es sei jetzt höchste Zeit, so einer den Segen noch erwischen wolle, da bog der Ruprecht von der Straße, die zum Bergsee führt, nach rechts ab und warf mich, wie der Mühlknecht den Sack wirft, zu einem offenen Fenster des Hauses Nr. 116 hinein und meiner lieben Mutter gerade aufs Bett.

Er hatte es wohl nicht böse gemeint, aber in seiner Rauheit schlecht getroffen. Ich flog nämlich so heftig ans Bettgestelle, daß mir augenblicklich ein Füßlein entzwei brach und ich anfing, so schmerzlich zu weinen, daß das ganze Haus zusammenlief und beim lange ersehnten und nun doch so traurigen Anblicke die Hände über dem Kopfe zusammenschlug.

Die Mutter weinte leise ins tränenfeuchte Kopfkissen, der Vater ging schnellen, kräftigen Schrittes in der Kammer auf und ab und verwarf die Hände und runzelte die Stirne und biß die Zähne übereinander; eine ältere Frau stand, totenbleich im Gesichte, am Bette und beteuerte fortwährend, indem sie alle vierzehn heiligen Nothelfer zu Zeugen herbeirief, so etwas sei ihr das erstemal vorgekommen in ihrem langen Leben und sie könne wahrhaftig nichts dafür; ich aber schrie, so viel ich nur schreien konnte.

Nach einer Stunde etwa kam ein Wundarzt oder Bader in die Kammer. Der besah sich die Bescherung mit vielem Blinzeln und Brillenputzen. Dann deckelte er seine Lindenholzdose bedächtig auf, goß ein gutes Maß des schwarzen Samens auf den linken Handrücken und zog das liebliche Gerichte unter gewaltigem Schnauben in die mit gehörigem Fassungsraume ausgestattete Nase. Hierauf schüttelte er den Kopf und verlangte barsch nach abgetragener Leinwand und einigen dünnen Brettlein, wie man sie auf den Hausdächern unter die Ziegel legt, auf daß sie dort, wo je zwei aufeinanderstoßen und eine schmale Ritze lassen, dem Regen den Eintritt verwehren. Und nun streifte er sich die Ärmel zurück und begann sein Werk, indem er unter fortwährendem Schelten und mit gerichtlicher Anzeige drohend das gebrochene Gliedlein umwand und einbrettelte und einschnürte, ohne sich um meine allerdings unvernünftigen Verwahrungen viel zu kümmern.

siehe Bildunterschrift

Das Schneckenhaus.

Eigentlich – was half es mir, wenn der leichtsinnige Ruprecht gerichtlich belangt und ihm die Erlaubnis, Kinder zu bringen, von Amts wegen entzogen wurde? Was, wenn sie ihn auf etliche vierzehn Tage bei Wasser und Brot in die Keiche setzten?

Das hätte höchstens, wie es bei einem gewissen Herrn Goethe aus Anlaß eines ähnlichen Falles geschah, meinen Nachfolgern von Nutzen sein können, und damals war ich, ach, noch gar so selbstsüchtig und eigenliebig!

Also weinte ich weiter, bis das Füßlein eingebrettelt war und ich vor Mattigkeit nimmer weinen konnte.

Da nun legten sie mich auf den großen Kachelofen, der fürsichtig und vorliebend geheizt worden war, und die vielen Wäschestücke, so an den Stänglein zum Trocknen herumhingen, machten eine wohlige Dämmerung, also daß ich armer, bresthafter kleiner Heide bald in den ersten Schlaf meines Erdendaseins verfiel.

So konnte denn die Freundschaft, welche sich um die Mittagszeit neugierig hereindrängte, mich geruhig betrachten und ihre Meinungen über den neuen Weltbürger austauschen.

Meine Mutter war die zweite Frau meines Vaters; ich ihr Erstling. Aus früherer Ehe waren noch zwei Kinder am Leben, ein hochaufgeschossener, hagerer Knabe, der gleich dem Vater Friedrich hieß, und ein kränkliches Mädchen des Namens Magdalena, das, obschon zur Jungfrau herangereift, den Tod auf der Zunge sitzen hatte, wie es denn alsbald, nachdem es mich etlichemale gewiegt, zu Grabe getragen wurde.

Außer einigen Nachbarn, die ja überall dabei sein müssen, wo ein Glück, besonders aber, wo ein Unglück Einkehr hält, fanden sich die Geschwister meiner Mutter ein, die im innern Städtlein, in der Mühlgasse, hausten, allen voran die Base Eva, zwar nur eine arme, wollige Fabriklerin, aber doch die Heldin dieser gewiß wahrhaftigen Geschichte.

Der etwas jähe, aber herzensgute Vater war allbereits wieder mit dem Geschicke versöhnt und zu harmlosem Scherze geneigt. Er übernahm also billigerweise die Vorstellung, indem er sich an die Eva, die älteste seiner Schwägerinnen wandte, die in ihrer aus Abfallstoffen gewirkten Ballastschürze mitten im Zimmer stand, die Arme in die Hüfte gestemmt hatte, den Kopf gar beweglich nach allen Seiten drehte und mit ihren großen braunen Augen suchend in alle Winkel guckte.

»Na, Eva,« sagte der Vater und wollte das vierundzwanzigjährige, dralle Mädchen schäkernd beim rundlichen Kinne halten, »na, jetzt ist er endlich gekommen, der Klas und hat uns einen zerbrochenenen Milchhasen zum Fenster hereingeworfen! Dort hinter den Strümpfen und Windeln und Schnupftüchern liegt der Heiter und der Hascher und träumt vom Galtbrunnen.«

Ohne sich lange zu besinnen, schlug die resche Eva ihrem Schwager die Hand weg und fuhr ihn in gewohnter Raschheit an:

»Jetzt mach' keine Dummheiten und wo ist das Kind?«

Die andern waren unterdes bereits auf die Bank geklettert, die sich am Ofen hinzog und worauf der Vater an den langen Winterabenden ein Vorschläfchen zu machen pflegte. Sie steckten ihre neugierigen Köpfe zwischen den Strümpfen und den Windeln hinein und erhoben ein unbändiges Gelächter.

»Ei lug,« rief die kleine Base Senza, die schon damals nur sprach, wenn sie sich verwunderte, sonst aber stumm wie ein Fisch und geduldig wie ein Lämmlein durch die Welt ging und fabrikelte ihr ganzes Leben lang, »ei lug, was hat er für einen großen Kürbiskopf!«

Und das der Schule noch kaum entwachsene Mühmlein Nanne, das sich auf die Zehen stellen mußte, um mich sehen zu können, kicherte und deutete:

»Und luget, was hat er für Lappohren!«

»Der kleine Muck mit Haut und Haar!« sagte der Vetter Lorenz, welcher neben seiner Schufterei allerhand weltliche Bücher zu lesen pflegte und daraus seine boshaften Anspielungen und hämischen Bemerkungen schöpfte.

Wiederum lachten alle hellauf, so daß sich die Trauer der ersten Stunden in eitel Fröhlichkeit gewandelt hatte.

Aber die Eva fuhr dazwischen wie ein Hecht, der unter die Karpfen schießt:

»Jetzt seid mir still alle miteinander mit eurem sündhaften, hölzernen Gelächter und gebt obacht, daß euch Gott nicht strafe! Wo so ein Unglück ist, da gibt's nichts zu lachen und Dummheiten zu machen schon gar nicht! Hat er große Ohren – um so besser, dann mag er vieles hören in der Welt und vieles auffassen, was an kleinen Löffeln vorbeigeht, und hat er einen wackern, tollen Kopf – nun, so hat viel Platz drin und er mag einmal ein fürchterlich gescheiter Mann werden, gescheiter als ihr, und wenn man alles auf einen Haufen tat, was ihr gelernt und wieder vergessen habt, ihr Kindsköpf' übereinander! G'sagt hab' ich's, und dabei bleibt's!«

Also nahm sich die gute Jungfrau Eva meiner zum erstenmale an, wie sie später so oft meine Partei ergriffen hat, wo immer ich Verfolgung litt und Kränkung ertrug, und, obschon sie von der Weisheit und Wissenschaft sehr massige Ansichten offenbarte, so fand sie doch keinen Widerspruch; denn alle hörten es gerne, daß ein offenbares Übel zum Guten ausgelegt wurde.

Man kam demnach überein, bei kleinen Kindern heile alles schnell und so werde auch das Füßlein bald anwachsen, und hinsichtlich der im Wachstum vorausgeeilten Körperteile tröstete man sich mit der Hoffnung, das zartere Körperlein werde schon nachkommen, wenn man's gehörig ätze und aufpapple.

Das hatte übrigens alles Zeit genug; aber etwas mußte bald besorgt werden.

Einen Heiden konnte und wollte man im Hause nicht über Nacht behalten!

In meiner Heimat ist die Religion noch Herzenssache und alle Handlungen sind von ihr durchtränkt und durchsättigt.

Demgemäß galt es als heilige Pflicht, das Neugeborne baldigst der Taufgnade zu versichern, und so wurde ich noch selbigen Tages in die Kirche des heiligen Laurentius auf den Berg getragen und es ward mir der Name Josef gegeben.

Aber während der heiligen Handlung hub mein Geschrei wiederum an, und alle Versuche der etwas grämlichen Patin, die mir ein schönes Geschenk versprach, das sie mir heute noch schuldet, mich zu geschweigen, mißlangen vollständig.

Einem wunderalten Weiblein jedoch, das, an der Kirchentüre kauernd, die Perlen des Rosenkranzes durch seine schiefen, runzelreichen Finger gleiten ließ und jeden, der eintrat oder ausging, eifrig besprengte, behagte mein Geschrei gar wohl und es tat den Ausspruch:

»Der Bub hat eine gute Lunge, und weil er gar so schreit und in der Kirche schreit und bei der heiligen Taufe schreit, so wird er gewiß einmal ein Geistlicher und ein guter Prediger, und das wird er!«

Ob ich's wurde?

Ich weiß es nicht; aber in etwas hat die Vorhersagung des wunderalten Weibleins doch den Nagel auf den Kopf getroffen. Es lebt und webt eine Sehnsucht in mir, durch die Macht des Wortes zu wirken. Ich kann mir keinen schöneren Beruf denken, als den des von seinen Idealen erfüllten Meisters der Rede, der die Geister nach seinem Willen lenkt und die Saiten der Gemüter zu stimmen vermag, daß in ihnen alles Wahre, Gute und Schöne widerklingt.

Darum habe ich als Kind schon den von Gottesminne durchglühten Mönch Franziskus bewundert, der da den Fröschen und den Steinen predigte, und ich hab' wohl in kindischer Einfalt versucht, es ihm nachzutun; aber die dummen Frösche schwammen eilig davon und die Steine warf ich ihnen entrüstet nach.

Auch auf die Bäume bin ich geklettert und in unsern Kirchturm bin ich heimlich hinaufgestiegen, wie weiland Bruder Bertold, der gute Landprediger; aber im Walde oder in unserem Garten hörte mir keine Seele zu und aus dem Turme holte mich der Mesner herab, indem er meine Ohren ganz unnötiger Weise in die Länge zog.

Abrahams Werke habe ich schon als Studentlein verschlungen; aber Prediger bin ich doch keiner worden.

Ob meine schriftlichen Predigten, die manchmal an meine Vorbilder erinnern sollen, wie mir das wunderalte Weiblein »Kritik« sagt, ob die viele Zuhörer finden – ich weiß es nicht.


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