Josef Wenter
Monsieur, der Kuckuck, der Sonderbare
Josef Wenter

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Quartett

Daß die Welt so unermeßlich war, hatte Monsieur nicht geahnt. Er konnte sich nicht satt fliegen. Über besonnte Hügel stürmte er, glitt schlank durch schwarze Wälder, staunend über seine Gewandtheit. Mit dem Sperber war er um die Wette geflogen und hatte wenigstens nicht verloren. Über tiefe Täler schwang er sich und blickte aus goldenem Aug hinab auf blaue Bäche und goldgrüne Breiten. Zu grauen Schutthalden hinauf trug ihn der Überschwang seines Herzens, und er nahm sich vor, die Dohlen auf den Kalktürmen 114 zu besuchen. Den wilden Tauber hatte er übermütig aufgestört. Der sollte ihm was vorfliegen. Der Alte tat als ob und ließ dem Gauch die Freude des Sieges; er war abendlich gestimmt.

»Guguh, Kuckuck!« Er läutete seinen Stolz und seine Mannheit ins Land, daß der junge Herbst lächelnd aufblickte aus den warmen Stoppelfeldern.

»Wird einen späten Winter haben«, sagte die Försterin. »Der Gauch ist noch verliebt!«

»Kunststück«, lachte der Förster. »Schäkert ja noch eine Gauchin im Revier. Und solange noch ein Frauenzimmer um die Wege ist, geht der Bursch nicht auf die Walz!«

Aber Monsieur wußte nichts davon. Er war dem Frauenzimmer nicht begegnet, und ihr Geschäcker hatte er überhört. Spät abends landete er müde und mit überschwenglichem Herzen auf einem Schlafbaum.

Eines herbstheißen Mittags geriet er in eine einsame Talmulde. Eine Felswand schloß sie ab, über die ein dünner Wasserfall stäubte. Der hatte sich in unzähligen Schneeschmelze- und Hochwasserzeiten eine große Mulde in den Fels zu seinen Füßen gewaschen, um ein wenig zu verschnaufen nach dem Sturz. Ganz still war es hier. Vielleicht, daß Rehwild im Abenddämmer sich äste, und wahrscheinlich war hier in der ersten Frühe ein jubilierendes Vogelbad gewesen.

Der Gauch bäumte ziemlich tief. Bachufer lockten immer noch. Kindheit blieb mächtig. Es krabbelte und zickzackte immer etwas in der Nähe des Wassers. 115

Da sah er auf einem Erlenast, der über die Mulde hing, einen sitzen, vor dem ihm die Augen übergingen.

»Walzenpeter?« fragte er sich. »Unmöglich! Der Mann hat doch nicht gemausert. Und wenn er gemausert hätte, wo nimmt denn der solchen Feststaat her? Der Bursche ist ja aus dem Regenbogen gefallen!«

Monsieur hatte nicht unrecht. Blauer als der Sommerhimmel, grüner als Märzlaub der Buche, glitzernd wie Seide in den Farben des Sonnenuntergangs. Dabei schien der Mann gar nicht eitel. Er strählte sich nicht, putzte sich nicht, fächerte nicht, starrte nur immerzu vor sich hin.

»Wer sind Sie?« schrie der Gauch übers Wasser. Er redete eigentlich niemand an; aber der Bunte war ein zu großes Rätsel.

»Sit!« –

Das konnte alles Mögliche heißen. Wahrscheinlich aber hieß es: »Halten Sie den Schnabel, ich bin beschäftigt.«

Nicht einmal den kleinen Schwanz bewegte er. Starrte, starrte und fiel plötzlich köpflings ins Wasser. Ohne einen Flügel zu rühren. Wie ein Stein war er gefallen und im weißen Gischt verschwunden.

Monsieur staunte stumm.

Da saß der schon wieder auf dem Ast. Hatte etwas im Schnabel, das sehr lebendig schien, viel lebendiger als Raupen, und ordentlich krabbeln mußte. Monsieur bekam Appetit. Da verschwand der Bunte in einem Erdloch über dem Wasser. Der 116 Gauch hörte das Geziep junger Vögel. Jetzt ward er völlig ratlos. Vogelkinder, wenn Alte reisen? Er saß und sann.

Da schwätzerte einer den Bach herauf und landete am Muldenrand. Er war braun und hatte einen weißen Bauch.

»Didiliziriwililie! Schön ist die Welt! Die Eltern sind an den Fluß ins Tal gezogen, Brüder und Schwestern haben sich verflogen! Nun gehört der schöne Bach mir ganz allein! Ach, wie ist das Wasser klar, schau mich drinnen selber gar! Nun ist die Wetterzeit vorbei, die mir das grüne Wasser trübt! Nun find' ich, was den Magen freut, kleine Fischchen, kleine Fröschchen, ertrunkene Schnacken und Käfer, die nicht schwimmen können! Kann jetzt am Grund spazieren gehen, ohne daß ein Stein mich trifft! Hier bleib ich in der weißen Zeit, denn da friert es nicht, wo das Wasser stäubt! Oh, wie bin ich glücklich! Ach, wie schön ist's auf der Welt! Didiliziriwililie!«

Der Gauch starrte aus weiten Goldaugen. Solche Beredsamkeit mit sich selber, das ging über sein Verständnis. Die Stare waren zu zweit gewesen oder im Dutzend. Da begriff er es schließlich. – Am Grund spazieren gehen? Was war das für eine Dummheit!

Jetzt war der Kleine auf einmal nicht mehr da. Aber dort auf dem Bachgrund – Monsieur hüpfte um ein paar Äste tiefer – wahrhaftig, da marschierte der Kleine auf dem weißen Kies, und das 117 grüne Wasser lief lustig über ihn weg. Jetzt sah er ihn etwas aufpicken, dann war er plötzlich nicht mehr da.

Aber der Bunte saß jetzt wieder auf seinem Ast und – ja, das war Hexerei – der Kleine saß auf einmal in ganz entgegengesetzter Richtung auf einem Bachkiesel, lachte und redete schon wieder glücklich mit sich selber.

Monsieur fand, daß die Welt geheimnisvoller wurde, je länger man auf ihr herumflog.

»Was treiben denn Sie hier?«

Saperlot, der Bunte hatte eine scharfe Art zu reden. Das gefiel dem Gauch.

»Ich treibe eben! Und futtere dazu und singe dabei! Dilidizit!« Was hatte der Kleine für eine mutig-anmutige Art!

»Ich rate Ihnen, schleunigst abzufahren! Ich ziehe hier meine Familie auf und dulde keine Nachbarschaft mit Leuten, die Taucher sind!«

»Ach, schöner Edgar, mach dich nicht lächerlich!« knickste der Kleine, »bei Sommerwind und reifen Vogelbeeren willst du Familie aufziehen! Wo doch andere Leute lang selbständige Kinder haben! Oder keine mehr! Da lache ich doch! Didilzit!«

Der Bunte war inzwischen in den Bach gefallen und mit einem kleinen Fischchen wieder aufgetaucht. Den Spott hatte er überhört.

»Fahren Sie ab! Verschwinden Sie! Sonst werde ich unangenehm!« schrillte er mit vollem Schnabel und verschwand im Erdloch.

»Süsüsü!« kam es von dort herüber. 118

»Didilidi! Er hat wahrhaftig kleine Kinder!« lachte der Braune. »Ach, jetzt erinnere ich mich!« – Er muß immer plauschen, immer mit sich selber, dachte Monsieur. – »Jetzt erinnere ich mich! Das große Hagelwetter hat den Bach so zornig gemacht, daß er böse um sich schlug, und da hat er dem Blauen die Kinder erschlagen. Mutter hat erzählt, daß sie bei unserem Haus vorbeigeschwommen sind. Vier waren es und noch halbnackt! Und jetzt muß der schöne Edgar im Herbst hausen und füttern. Ist das zum Lachen! Didilziwidi!«

»Was es für Unglück gibt auf der Welt!« dachte der Gauch; er erinnerte sich an Wiesel und Schlange, und wunderte sich, daß es solche Immerlustigs gab, wie diesen Kleinen.

Der spazierte schon wieder über den Bachgrund. Auf seinem Ast saß der Blaue und funkelte böse auf den Braunen nieder.

»Sit!« rief er zu Monsieur hinüber. »Passen Sie auf! Jetzt erleben Sie etwas! Ich werde das Bürschchen los, ohne Flügel und Schnabel zu brauchen! Ich bin nicht eigentlich böse, wissen Sie! Aber jeder ist sich selbst der Nächste! Nicht wahr!?«

»Hast du über mich geschimpft, schöner Edgar? Über mich?« kicherte der Kleine. Er war unvermutet unter dem Aste aufgetaucht, auf dem der Bunte saß.

Der fiel aus Ärger sogleich köpflings in den Bach und ruderte gegen die Mulde, in der das grüne Wasser langsame Kreise zog. Er hatte tückische Absichten. 119

Der Kleine gab Obacht. Die Mutter hatte ihn gewarnt vor dem stillen Wasser. Es sei dort nicht geheuer.

Jetzt blitzte es blau in der Mulde. Der Bunte tauchte auf und schwang einen Jungkrebs im Schnabel.

»Ists schön dort, Edgar? Sag einmal, ist's geheuer dort? Natürlich! Jungkrebschen!«

Aber der Bunte war schon im Erdloch.

»Also, da werde ich es auch probieren! Soviel größer ist der Bunte mit dem großen Schnabel auch nicht, und ich bin viel flinker! Und was kann denn schon in dem klaren Wasser sein? Ottern? Haben ja gar nicht Platz! Ratten? Gehen nicht so hoch herauf! Kaltwasser mögen die nicht! Habe auch keine Rattenröhre gefunden den Bach herauf. Didilidi! Schöner Edgar, ich tauche!«

»Süüüt«, sagte der Blaue hämisch. Er hatte den Schluß des Liedchens gehört und wartete auf seinem Ast, was kommen würde.

Auch Monsieur wartete gespannt.

Flink schritt der Kleine auf dem Grund der Mulde im weißen Kies umher. Manchmal benutzte er die Flügel als Ruder. Dann sah man einen Augenblick das weiße Brüstchen.

»Es passiert nichts! Der Blaue hat geflunkert!«, dachte der Gauch.

»Sitt!« – Grausam scharf klang das.

Monsieur sah den Kleinen gegen eine dunkle Uferstelle marschieren, über die eine Felsplatte herausragte.

»Süüt! Passen Sie gut auf! Es geht sehr rasch!« 121

Dort fuhr plötzlich ein langer, dunkler Schatten heraus; wie ein Pfeil schoß er daher. Es gab einen heftigen Strudel am Grund der Mulde; der Gauch sah den Kleinen wild rudern, ein paar Luftbläschen stiegen auf, dann stand der Schatten unbeweglich im Wasser, das wieder durchsichtig war, und wie vorhin in ruhigen, beschaulichen Kreisen sich drehte. Der Kleine war nicht mehr da.

»Mein Urahn kannte sie schon! – ›Nicht weiter, als bis zum Muldenrand, solange ihr gelb seid an den Schnäbeln! Heraus geht die nicht mehr!‹ sagte mein Vater. Aber jetzt gehört der Bach mir und den Meinen!«

Dann fiel er köpflings ins Wasser. Monsieur schwang sich nachdenklich davon.

Das war des jungen Gauchs Erlebnis mit der schrecklichen Altforelle, dem schönen Eisvogel und der lustigen Bachamsel.

 


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