Josef Wenter
Monsieur, der Kuckuck, der Sonderbare
Josef Wenter

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Stiefmütterchen

Die Bachstelzen hockten auf dem Rand des geschändeten Nestes. Hilflos schauten sie einander an und erschrocken, und beäugten den nackten Fremden, erkannten gleich, daß er nicht aus ihrer Sippe war, und fanden keinen Rat. 20

Er strich sogleich ab und setzte sich auf den großen Kiesel in Bachmitte. Dort ging er mit kleinen Schritten hin und her, wippte den langen grauen Schwanz und war so stumm wie noch nie auf seinem wellenumsäumten Lieblingsplatz. Schnaken kamen vorüber. Er achtete nicht darauf. Ein Mückenschwarm tanzte im schrägen Sonnenstrahl, der über das Kalkgetürm fiel. Er machte sich nichts daraus. Er hörte seine Frau klagen und sah, wie sie über dem Neste rüttelte. Jetzt saß sie auf dem Rand, betrachtete mit schiefem Kopfe von allen Seiten das nackte Geschöpf, plusterte sich vor schreckhaftem Staunen und strich ab. Aber auf halbem Wege kehrte sie wieder um; so rasch kehrte sie um, daß ihr schöner Schwanz einen breiten Fächer bildete. Wieder rüttelte sie über dem Nest, stieß ein klägliches, ein zweifelndes und beinahe zärtliches Ziwieh aus und wollte wieder abstreichen.

»Siep . . . . . . . . . .«

Das konnte sie nicht hören. In ihr wallte es auf. Sie hatte entschieden. Sie ging über dem Neste nieder und deckte den nackten kleinen Körper zu. Breit und aufgeplustert saß sie und blickte aus runden schwarzen Augen auf ihren Mann, der erzürnt über der Haselstaude rüttelte.

Er war mit einem Entschlusse von seinem Kiesel abgestrichen. Das Gezwille des Nestlings hatte ihn empört. Der Treue seiner Frau war er ganz sicher. Sie liebten sich sehr. Zwar fiel ihm die Geschichte von jener Störchin ein, die einen 21 jungen Flamingo in ihrem Gelege hatte, und dafür ihr Leben unter den Schnäbeln der versammelten Störche lassen mußte. Das war vor vielen Jahren in der Rohrwildnis am blauen Nil geschehen. Immer noch bedrängten ehrfürchtige Schauer die Herzen der Vogelleute, wenn ein alter Pelikan oder ein einsamer Schwarzstorch in der Stille der afrikanischen Nacht diese Geschichte erzählte.

Nein, der Treue seiner Frau war der Bachstelz sicher; das war uraltes Herkommen in ihrer adeligen Sippe. Aber den Fremden in ihrem Neste zu dulden, war er nicht gewillt. Wer der war, woher er kam, darüber wußte er keine Erklärung. Grübeln war auch nicht seine Sache. Das überließ er dem Krummschnabel oder dem wilden Tauber, der stundenlang auf einem Aste sitzen konnte, ohne sich zu rühren. Aber fort mußte der Bursch; oder – ja, das war wahrscheinlich das Beste, – er zog mit seiner Frau gleich ins Tal hinunter und überließ das nackte Ding sich selber. Mit beiden Füßen trat er links und rechts auf den Nestrand.

»Kommst du mit?« fragte er kurz und herrisch.

»Wohin?«

»Ins Tal hinunter!«

»O ja! Aber zuerst muß es fliegen können!«

»Wer?«

Sie rückte ein wenig zur Seite, daß das nackte Köpfchen zum Vorschein kam.

»Findest du nicht, daß es unseren Kindern ähnelt?« sagte sie sanft.

»Ich bedanke mich«, schrie der Bachstelz. »Weißt du überhaupt, wen du da bemutterst?« 22

»Nein«, sagte sie. »Aber das ist mir gleichgültig. Es lebt so gerne wie wir, das weiß ich, und darum soll es leben. Ich habe es lieb!«

Also aus der Übersiedlung wurde nichts. Das sah er ein. Wenn sie sanft redete, war sie unbeugsam. Das wußte er. Vielleicht half Gewalt.

»Laß ihn einmal anschauen!« sagte er ruhig und brachte seinen Schnabel in die Nähe des nackten Köpfchens.

Aber sie kannte seine Augen, wußte, daß er das Kind mit einem Schnabelhieb töten würde. Ließ sich jedoch nichts merken; plusterte breit ihr Gefieder, daß man kaum noch den Nestrand gewahr wurde.

»Es wird ihm kalt. Später! Geh ein wenig an die Arbeit! Wir hätten von Rechts wegen vier Schnäbel zu füttern. Jetzt haben wir bloß einen mehr; aber mir ist: der wird für vier fressen. Also, bitte! Mach vorwärts!«

Er gab es auf. Es war zwecklos.

»Vier eigene Schnäbel wären mir lieber«, sagte er scharf. »Das kommt davon, wenn man seine Jagdgründe aufgibt und in fremden Revieren abenteuert. Meine Schuld ist's nicht!«

»Nein, es ist allein meine Schuld!« sagte sie. »Und ich weiß auch gar nicht, was ich mir da großziehe. Aber es ist nicht mehr zu ändern.«

»Ich bin nicht neugierig, das kannst du mir glauben!«

»Ich aber sehr! Und du wirst es auch lieb bekommen. Ich kenne dich doch. Bitte, bringe jetzt etwas 23 Eßbares! Es ist sehr unruhig und bewegt sich viel stärker als unsere Kinder.«

»Nun, dann braucht er auch stärkere Nahrung. Ich will ihm eine ausgewachsene Kreuzspinne bringen. Vielleicht verdaut er sie, ohne zu krepieren!«

»Spannerraupen sind am nahrhaftesten!« rief sie.

Fort war er.

Sie schaute ihm nach und war glücklich, als sie das Herz des Jungen schlagen fühlte und manchmal seine zuckenden Bewegungen. Und sie grübelte darüber, wer wohl die fremde Frau sein mochte, die ihr das angetan hatte. Schön und vornehm hatte sie ausgesehen, als sie aus der Haselstaude geschlüpft war. Stolz hatte sie aus goldenem Aug' geschaut, und schön war ihr schlanker Flug gewesen, als sie sich zu den Karen aufschwang. Das Geheimnisvolle, das für eine kurze Spanne ihr Leben nun erfüllte, machte die Bachstelze glücklich wie zur Zeit, als sie ihr erstes Nest baute.

 


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