Josef Wenter
Monsieur, der Kuckuck, der Sonderbare
Josef Wenter

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Nestflug

Wir können da nicht helfen!« Der Bachstelz saß resigniert auf dem Hochstand.

Federleichte Dämmerfrühe lag noch über der Wiese, und der Wald stand nächtlich. Die Ränder des dunklen Gebirges schnitten ungeheuere Zacken aus dem ergrünenden Himmel, in dem der Morgenstern blaß wurde. Um die Kalktürme geisterten dünne Nebel und waren auf einmal nicht mehr da. Harte Luft sank von den Schutthalden herunter; fast machte sich ein Morgenwind auf. Der Bach schwätzerte aus dem Walde, in dem noch die Nacht schlief, auf die Wiese heraus. Im Tümpel fand er das Silberhorn des Neumonds, umkreiste es ein paar Male, schaukelte es huldigend, daß es das ernste Gesicht zum Lachen verzog, und 60 eilte in den Tannicht; er mußte bei Sonnenaufgang unten an der Mühle sein.

»Bhüet! Bhüet!« kam es von hoch oben her, wo die struppigen Wetterzirben in finsterem Trotze um ihr Leben kämpften. Der Schwarzspecht war schon auf.

»Guten Morgen!« flüsterte die Bachstelze. Noch schlaftrunken war sie dem Gatten nachgekommen. Die große Morgenstille machte sie schüchtern.

So früh war das Paar noch nicht aufgestanden. Sorge hatte sie vor Tau geweckt. Sie erwarteten den Nestflug des Gauchs. Der war in der Vorwoche so gewachsen, daß sie in steter Angst lebten, er würde ins Gesträuch hinunter purzeln. Die Flügel, die schon ordentlich befiedert waren, hielt er über den Nestrand gebreitet und stützte sich darauf. Schon streckten sich schöne schlanke Schwanzfedern. Sie hatte diese schwarzen, weißgetupften Federn einmal gestrählt. Monsieur hatte es geduldet, kaum beachtet. Er war immer hungrig. Ohne Zärtlichkeit war seine Stimme; immer rauher wurde sie. Er riß die Happen herrisch aus ihren Schnäbeln. Nichts war ihm zu groß, nichts zu klein; nichts zu hart, nichts zu weich; nichts zu fett, nichts zu mager; nichts hatte übeln Beigeschmack, nichts schmeckte besonders gut. »Happ! Mehr!« Das war alles. Er redete nie zu ihnen, er bat nicht, dankte nicht; er war da, und schaute aus goldenem Aug' in eine weite Ferne. Wenn er die Bachstelze einmal anblickte, erzitterte ihr Herz seltsam vor einer fremden Gewalt in seinem Auge, und sie flog verschüchtert davon. 61

Sie waren beide mager geworden, hatten sich mit schlechter Kost durchgeholfen, um Monsieur zu sättigen. Heupferdchen waren Sonntagsbissen, die sie sich selten gönnten. Sonst taten es Mücken, Ameisen und anderes Kruppzeug, mit dem man dem Gauch nicht aufwarten durfte, ohne ihn zu reizen. Er hatte dann eine Art, das Gebotene lange von der Seite anzusehen, die verletzte. Geschluckt wurde es! Selbstverständlich!

»Frischen wir uns ab! Dann wirst du munter! Es war schwül heut nacht.« Er sprang voraus ins eiskalte Wasser.

Sie plusterte schon neben ihm. Er schaute ihr gerne zu. Sie hatte eine reizende Art, unterzutauchen; ihre Beinchen knicksten anfangs; vorsichtig tauchte sie das Brüstchen ein und schnellte gleich wieder hoch. Natürlich! Bei höchstens sieben Grad!

»Quiririe!« lachte er sie aus. »Wasserangst?«

»Immer langsam! Bin nicht Frau Eisvogel oder Fräulein Bachamsel!« – Da war schon das Bürzel im Wasser. Und damit wars getan. Jetzt arbeitete das Persönchen mit Flattern und Schwänzeln, daß ein Sprühregen aufstob; tief knickste sie, daß nur die klugen kühlen Augen unter dem grauen Mützchen und der kecke Schnabel aus dem Wasser guckten, schnellte hoch, wiederholte das ein dutzend Male, wurde immer übermütiger, schlug ihrem Manne mit den Flügeln tüchtige Gischtspritzer zu, lachte, tirilierte und benahm sich so himmelsselig, daß er sich glücklich pries, diese Frau geheiratet zu haben, die immer jünger wurde. Dann saßen die beiden auf dem Hochstand, 62 plusterten und aalten sich, strählten das Gefieder, schnäbelten verliebt einmal, sahen dann wunderschön aus und neu wie aus Gottes Hand und vergaßen ihre Sorge.

Inzwischen waren Rotkropfs, Zaunkönigs, Ammers und andere Familien gekommen und lagen auf ihren ererbten Badeplätzen der Morgenwäsche ob, wobei es ziemlich laut herging.

»Haben Sie den Ziehsohn noch?« rief der Bergfink herüber.

»Leider ja!« sagte der Bachstelz.

»Sehen auch ziemlich abgerackert aus, samt Ihrer Frau! – Wann wird er denn selbständig?«

»So genau wie bei eigenen Kindern läßt sich das nicht sagen.«

»Dsiää! Gut Ding braucht Weile!« rief die Ammerin herüber. Man wußte nie genau, ob diese sonst so liebenswürdigen Leute ernsthaft redeten oder spotteten.

»Wie werden Sie denn Monsieur Flugunterricht erteilen?« fragte das feine Rotkehlchen.

»Wir sind sehr besorgt!« sagte die Bachstelze. Mit dem Rotkehlchen unterhielt sie sich gerne. Es war gut erzogen. »Wenn er sich nur nichts verstaucht!«

»Ach wo!« schnippte der Zaunkönig. »Von dem können wir alle lernen!« Er war schrecklich vorlaut.

»Dann lernen Sie von ihm, wie man den Schnabel hält!« rief der Würger vom Wipfel der Jungfichte. Er war ein Grobian und ärgerte sich, daß das Bad noch nicht frei war. Halbkreise schlug er mit dem Schwanz aus Ungeduld. Er badete immer allein. 63 Erschrocken und pudelnaß war der Zaunkönig unter die Uferböschung geschlüpft. Dort schimpfte er wütend; seine Frau sekundierte.

»Girrkh!« Er war auch noch da! Und war ungehalten, daß er noch kein Frühstück hatte.

Aber die Bachstelzen überhörten es im Lärm des Familienbades. Ein verspäteter Nachtfalter zickzackte schlaftrunken über das Nest. »Happ!« Mit allen Gliedern happte Monsieur. Natürlich verfehlte er den Falter; aber er war auf den Nestrand geraten und hatte dabei Entdeckungen gemacht, die ihn seinen Hunger vergessen ließen. Einmal sah er, daß die Welt unter ihm nicht besonders hübsch war; über sich fand er sie schöner. Er begriff es nicht, daß man in solchem Blätterdickicht gehaust hatte, wo doch oben viel schönere Aussicht war. Da konnte man ja gar nicht ordentlich – ja was konnte man nicht?

Er sann und geriet auf die andere, unendlich große Entdeckung. Wie war's? »Happ« hatte er gemacht mit seinem Körper; und auf einmal war der ganz leicht geworden, er hatte ihn gar nicht mehr gefühlt. Sonst lag er immer so schwer auf dem Nestboden, und das war zuletzt sehr heiß und unbehaglich gewesen. Aber da war nun ein so freundliches Luftwellchen über das Bäuchlein gefahren; das hatte er natürlich selbst mit seinen Flügeln gemacht.

Also nochmals! Es würde am besten sein, wenn man dazu »Happ« machte. Und Monsieur happte. Bei Hel! Was war das? Schwindelte ihn? Er hatte plötzlich kein Nest mehr unter sich. Er 65 taumelte abwärts. Fest, fest! Happ, happ! Immer zu! Jetzt taumelte er aufwärts. Immer fester! »Bin ich aber schwer«, ging es ihm durchs Hirn. »Das habe ich nicht geahnt! Ich schleppe mich kaum!«

Da saß er auf einer Jungfichte.

»Jetzt bin ich geflogen«, dachte er und betrachtete sich neugierig am ganzen Körper; besonders die Flugfedern imponierten ihm. So also machte man das! Er hatte in den letzten Tagen die Vogelleute aufmerksam beobachtet. Er schwang die Flugfedern noch einmal. Aus purer Neugier. Hoppla. Er verlor das Gleichgewicht und wäre fast gepurzelt. Krampfhaft krallte er fest. Für heut wars genug! Die Arme taten ihm weh, und im Magen wurde es plötzlich sehr öde.

»Girrkh! Das Frühstück! Girrkh!« – Laut und ungehalten klang es.

 


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