Josef Wenter
Monsieur, der Kuckuck, der Sonderbare
Josef Wenter

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Der Überfall

Es wurde immer anstrengender. Kaum, daß die beiden Stelzen sich Zeit für das tägliche Bad nehmen konnten. Lauter wurde das hungrige, heisere Girrkh, das hinter ihnen herhetzte. Von den verschlafenen Faltern, die sie in grauer Morgendämmerung unter taunassen Blättern 51 hervorzogen, über die blitzenden Käfer und Libellen, über die tollen Heuschrecken des hohen Mittags bis zu den Schnaken und Motten, die abends über dem Bache ihre Liebesflüge taten, war es ein atemloses Gejage hinter Kerf und Flügel her, und Dank hatten sie recht wenig.

Das freundliche Piepen ihrer eigenen Kinder hatte doch anhänglich geklungen. Jedes hatte sein Gesicht gehabt. Und jedes der drei Schnäbel hatte genau gewußt, wann es daran kam, hatte manierlich das Hälschen gereckt. »Bitt schön!« hatte es gepiept und »Dank schön! Gut war's!« hatten die Flügelstummelchen gesagt.

»Einmal und nie wieder«, hatte er schwitzend eines Mittags gesagt. Eine große, braune, haarige Raupe hatte er angeschleppt. Kaum zu überwältigen war sie gewesen. Er mußte seine Augen vor den Gifthaaren in acht nehmen.

»Wir sind doch keine Fleischerfamilie, wie Würger oder Häher, daß du solche Untiere beibringst«, schrie die Bachstelze.

Aber kaum war er mit der sich bäumenden Raupe vor den Gauch gekommen, als der erregt auffuhr, mit weit offenem Schnabel.

»Girrkh, girrkh!« Es sah aus, als rauften sich Vater und Sohn um den Bissen. Der Bachstelz wollte nicht loslassen, er fürchtete, Monsieur würde ersticken. Er hatte aus einer Art von Erbitterung über dessen Gefräßigkeit das haarige Biest aufgebracht. Daß der Ziehsohn darauf hereinfallen würde, hatte er im Ernst nicht gedacht. Dieser 52 aber ärgerte sich über die Unbeholfenheit des Pflegevaters.

»Loslassen!« girrkte er hochfahrend.

»Mach was du willst«, zürnte der Bachstelz. »Ersticke meinethalb« und ließ los.

Monsieur schwang die Raupe wie ein Fähnchen mit kurzen Rucken seines großen Kopfes ein dutzendmal hin und her, daß der Hören und Sehen verging und sie sich schlank und steif machte. Kaum war dies geschehen, hatte er das Biest mit Haut und Haar verschluckt. Dabei schaute er den Pflegevater überlegen an.

Eine Ahnung stieg diesem auf, daß ihre Wege sich bald trennen würden. – – – Und er strich müde ab, frischte sich am Bachufer; seine Frau schaute ihm zu. – –

Was war das? Hatte es nicht geraschelt? Drüben bei der Neststaude? Dieses Geräusch haßten sie vor allen anderen, weil es fast immer Gefahr verhieß und schrecklich vieldeutig war. Sie verhofften schlank vor Spannung.

»Girrkh, girrkh«, kam es herüber. Nicht hungrig; herrisch, wütend und ängstlich zugleich. Da schwankt ein Ast in der Staude. Ein brauner Kopf taucht auf, ein weißer Kehlfleck.

Das Paar stob auf.

Jetzt war äußerste Gefahr. Der blutgierigste aller Nesträuber war angerückt, das Wiesel.

»Mit seinem verdammten Girrkh!« fluchte der Bachstelz und stürmte voraus. »Auf Meisenflugweite hören ihn die Räuber!«

Sie flatterte atemlos hinterher. 53

Es war höchste Zeit. Das Wiesel versuchte, den Ast hinauf zu klimmen, in dessen Gabel das Nest war, und da ihm dies mißglückte, sprang es ihn an. Oh, wie pries sich die Bachstelze glücklich, als sie sah, daß ihm das mißlingen mußte, weil sie einen Ast gewählt hatte, den höchstens die Maus hinaufklettern konnte. Auch hatte sie so hoch über dem Boden gebaut, daß der Räuber das Nest nicht erspringen konnte. Nur eins war möglich: daß er von dem starken Nachbarast hineinsprang, wobei er dann freilich mit samt dem Neste zu Boden stürzen mußte. Aber alles konnte nicht vermieden werden, und das Wiesel war weniger unvermeidlich als der Hagel, und um dessentwillen hatte sie unter den Schutz des starken Astes gebaut.

Schrecklich schwankte das Nest, und Monsieur, der wohl fühlte, daß dies nicht vom Winde kam, girrkhte bei jedem Schwanken und suchte mit unbeholfenem Flattern Gleichgewicht.

Klatsch! Beide Schwingen schlug der Bachstelz dem Räuber ins Genick. Der drehte blitzschnell und sprang zu. Fast hätte er die Schwanzfedern erwischt. Fauchend fiel er zurück. Da versetzte ihm die Bachstelze einen derben Stich in die Seite.

Das Wiesel bleckte und lachte grausam. »Was wollen Sie denn?« höhnte es. »Geht es Sie an, wenn ich mir einen Gauch zum Abendessen hole? Sie sind, wenn ich nicht irre, von der Familie der Bachstelzen! Ich kenne Sie vom Menschengarten her. Habe daneben in der Scheuer gewohnt. Seit wann befassen Sie sich mit Findelkindern?« Es knurrte unwillig. »Gehen Sie mir aus dem Weg. 54 Ich kann sehr ungemütlich werden, und Pfriemenschnäbel machen mich höchstens lachen!«

Die Bachstelzen schauerte das Gefieder vor solcher Kaltherzigkeit.

Sie schrien um Hilfe.

»Was für Aufhebens um einen Zigeunerbuben«, bleckte das Wiesel und sprang den starken Ast hinauf.

Aber der Hilferuf war gehört worden. Der Zaunkönig gab ihn sofort weiter; er kam angeschnurrt, und als er die Situation erkannte, teckte er so erschrecklich, daß es über die Wiese und weit in den Wald hinein scholl.

Das Wiesel knurrte zornig. Es wußte gut, daß das Geprahle eine Mobilisierung sämtlicher Feinde zur Folge haben würde, und das hieß. Alles was in Flur und Wald Federn und Haare am Leibe hatte und nicht größer war als ein ausgewachsener Hase. Darum beeilte es sich.

Schlank war es den Ast hinaufgelaufen. Unten hatte es schon gemessen, von welchem Punkte der Absprung ins Nest zu tun wäre.

Aber auch der Bachstelz hatte so viel jagdliche Erfahrung; und als der Räuber dort aus dem Blattdickicht auftauchte, rüttelte der Bachstelz so geschickt vor seinen Lichtern, daß der den Sprung nicht tun konnte. Auf dem Nestrand aber hatte seine Frau Posten gefaßt. Mit gefächertem Schwanz und wutzitternden Flügeln saß sie auf gespreizten Füßchen, schrie und zeterte, drohte mit halbgeöffnetem Schnabel. Der Gauch girrkhte, daß ihm der Kropf schwoll, und fächerte mit den Schwingenstummeln. Auf der Zwergeiche daneben prahlte 55 markerschütternd der Zaunkönig, dessen Frau auf das Hilfegeschrei in hellem Zorn angeschwirrt war. Beide überboten sich in Ausbrüchen tödlichsten Hasses.

Gottlob! Die Meisen hatten endlich zugehört! Zwei Tannenmeisen kamen angerückt. Zittititt! Ganz hoch und schrill vor Wut. Zittititit, antwortete es aus dem Walde.

»Gehen Sie mir aus der Luft!« fauchte das Wiesel und windete auf dem Aste hin und her.

Der Bachstelz rüttelte unentwegt. Ja, er war so kühn, einen Stich nach den Lichtern des Räubers zu tun. Das hätte ihm beinahe das Leben gekostet. Die Pfoten waren blitzschnell aufgezuckt; entsetzlich nahe hatte er den roten Rachen und den schrecklichen Wall der Reißzähne vor sich gesehen; der heiße Atem hatte ihn schwindlig gemacht; ein Fläumchen aus dem Bürzel stob auf.

Die Bachstelze war erschrocken vom Neste aufgeflattert.

»Nichts, nichts! Es ist gut abgegangen!« Und er rüttelte wieder. Aber er verlor langsam die Kräfte. Es war noch nicht Herbst, wo er sich immer gut in Kondition setzte, des Meerfluges halber. Jetzt kam Hilfe. Die Kohlmeisen. Gleich zu sechst stürmten sie an. Vergessen war die Keilerei von neulich. Gemeinsamer Haß band die Vogelleute. Der Ammer war mit seiner Frau auf die Spitze der Haselstaude gerückt; beide schmähten das Wiesel von oben. Bergfinken pfiffen beim Nest, zu dessen Schutz sie sich in die Nähe der Bachstelze niedergetan hatten. Sogar der phlegmatische 57 Gimpel war aufgeschreckt und zeigte sich verwegen und gewandt, als er mehrmals auf das Wiesel herabrüttelte.

Die Kohlmeisen taten gute Arbeit. Zwar der Bachstelz war nicht minder tapfer, doch hatte das Wiesel seine Waffen verhöhnt. Die Schnäbel der Meisen aber waren ihm unbequem. Es duckte sich knurrend hinter die Blätter und wartete. Aufgeben würde es den Kampf keinesfalls. Der kleine Gauch sah zu appetitlich aus, und der Geruch so vielen gesunden Gefieders hatte den Blutdurst gesteigert. Das Wiesel rechnete mit der Fahrigkeit der Meisen, für die irgend ein Scherzwort aus dem Walde genügte, um lachend abzufahren.

Vielleicht fiel ein Schuß irgendwo. Dann würde alles aufstieben, und er, der sich aus Pulver und Blei nichts, aber schon gar nichts machte, weil er sich in jeder Bodenfalte unsichtbar halten, ins nächste Erdloch schlüpfen, schlimmstenfalls sich tot stellen konnte, er würde dann Halali haben. Vorläufig putzte er sich unter dem Blätterdach das schwarze Schnäuzchen und sog schluckend und knurrend den Duft der Vogelleiber ein.

Rrrtsch! Also der Kerl mit dem Dolch war ihm peinlicher als die Meisen.

»Uitt uittititt! Fahren Sie ab! Schleunigst! Marder, Mörder, Blutsauger!«

Zeternd, pfeifend, schmählend fiel der Vogelchor in das Geschimpf des Kleibers ein.

»Ich trinke Herzblut, verdammter Stammrutscher!« herrschte es den Kleiber an, der kopfunter über ihm aufhackte und den Dolch zückte. 58

»Feigling mit dem weißen Bauch! Heraus aus dem Dickicht!«

»Da lach ick öwer!« Das Wiesel wußte, daß Feigheit nicht auf seinem Programm stand. Bloß Klugheit. Es pfiff und zeterte aus den Ästen und Stauden. Der Bachstelz verschnaufte am Nestrand; drei Kohlmeisen rüttelten an seiner Stelle. Sogar der Würger, den sie alle haßten, war gekommen; auf dem Wipfel einer Jungfichte bäumte er und tat den Warnruf in allen Richtungen. »Tschä, tschä, tschä!« Näher kam er nicht. Er fürchtete einen Umschwung der Volkswut gegen sich selbst.

Dem Wiesel ging der Lärm auf die Nerven; es würde springen, koste es, was es wolle. Zweimal hatte es mit genauer Not Augenstiche abgeschlagen. – Also los! Der Kopf fuhr aus dem Gezweig. Dort war das Nest! Kein weiter Sprung! Augen zu! Denn die Meisen rüttelten sehr nahe. Jetzt schwirrte auch der Bachstelz schrill zeternd an. Man wird diese Federnphalanx einfach durchstoßen! Hernach – Gott befohlen!

Das Wiesel duckt sich zum Sprung, knurrt, rot gähnt das Maul, die Zähne blitzen.

Da bekommt es einen schrecklichen Hieb auf den Schädel, daß es auf halbem Wege zu Boden schlägt. Eine Sekunde liegt es betäubt. Krach! Noch ein Hieb! Nun aber Fersengeld! Mit einem mächtigen Satz ist es in der Röhre einer Wühlmaus verschwunden. Es hört noch das Rauschen starker Flügel hinter sich und das Freudengeschrei der Vogelleute.

»Dem habe ichs besorgt! Was?« schrie der Häher und sträubte die schwarze Schaube. »Habe ihn 59 schon lange auf dem Zug! Gute Nacht miteinander!!«

Lachend schwang er sich über die Wiese und bäumte neben seiner Frau auf einer dichten Föhre, wo er seine Kinder aufzog.


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