Josef Wenter
Monsieur, der Kuckuck, der Sonderbare
Josef Wenter

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Heißer Vormittag

Ihren Mann hörte sie drüben auf der Waldwiese schimpfen. Sie begriff, daß es für ihn härter war als für sie. Denn hier heroben kannte ihn niemand, und niemand wußte, wie sehr sie sich liebten und einander treu waren.

Zeternd und fluchend stocherte der Bachstelz in einem Maulwurfshügel herum und konnte sich nicht beruhigen. 24

Auf das Geschrei kam der Zaunschlüpfer angeschnurrt. »Tz, tz, tz! Was ist denn los? Warum fluchen Sie denn so?«

»Zisie! Zisisisie!« Dem erzürnten Pflegevater schlug die Stimme über. »Habe Grund dazu!«

»Zizipeh! Zizipeh!« Vor lauter Neugier vergaß die Kohlmeise, daß sie zwei Füßchen hatte, und schaukelte mit dem linken auf dem äußersten Ast einer Fichte.

»Was gibt's denn? Ist was los? Erzählen, bitte! Gleich erzählen! Hab' keine Zeit! Keine Zeit!«

»Der Bankert«, – mehr brachte der wütende Bachstelz nicht heraus.

»Zizizizi«, lachte die Meise. »Amüsant! Sehr amüsant!«

»Tschätschätschä«, kicherte der Zaunkönig, schlüpfte vor Vergnügen dreimal unter den nämlichen Zweig und kicherte immerzu.

»Dsiää!« Das kam vom anderen Ufer und klang schadenfroh. Der Goldammer hatte alles gehört. »Sie auch? Sie auch?« und er plusterte sich behaglich.

»Das ist kostbar! Wirklich kostbar!« lachte die Kohlmeise, die inzwischen fünf Äste abgesucht hatte und auf dem sechsten turnte. »Warum kommen Sie zu uns herauf, wenn Sie sich über so etwas aufregen!

»Ihre Frau ist ja gar nicht hergerichtet für einen Gebirgsaufenthalt«, rief der Bergfink, der einen Fichtenzapfen abfieselte. »Mit solchen dünnen Waden stelzt man doch nicht in unserer Landschaft herum!« 25

Der Bachstelz wurde immer zorniger. Er begriff nichts. Er war erstaunt über solchen Hohn und fühlte deutliche Familienfeindschaft. »Habe ich auch gesagt! Selbstverständlich habe ich das gesagt«, schrie er. »Leute mit Kultur gehören nicht hierher, wo man seine Sonnenbäder auf Maulwurfshügeln zu nehmen gezwungen ist, statt auf einem sauberen Schindeldach oder auf dem glatten Brunnenrand in einem Menschengarten!«

»Uitt! Uitt! – Rrrrtsch!« Da saß er! Knallte förmlich vor den Bachstelz hin, daß der erschreckt aufflatterte.

»Uitt, uitt! Was faseln Sie da von Kultur und Menschengärten?« Verwegen stach der lange, spitze Schnabel große Löcher in die Luft. Rechts hin, links hin fuhr der große Kopf, daß der stahlblaue walzenförmige Kerl mitrutschte, ob er wollte oder nicht. Was für ein böses Auge hatte der Bursche!

»Dunnerschlag! Hat der Kerl einen Dötz!« dachte der Bachstelz.

»Schon recht! Bravo!« schrie die Meise. »Der Kleiber wird's ihm besorgen! Der hat den größten Schnabel in der Familie! Der schimpft sogar die Spatzen aus den Gärten!«

»Uitt, uitt«, legte der Stahlblaue los. »Ich lebe im Winter gerne in der Nähe der Menschen, Verehrtester. Wenn Sie's mit der Angst vor dem Schnee kriegen und zu den Hottentotten flüchten, dann verziehe ich in die Nähe der Menschengärten. Ich hungere zwar, aber ich werde nicht landflüchtig.« 26

»Verlogener Banause«, dachte der Bachstelz. »Kommt mit seinem Rrrtsch-Flugwerk nicht übers Meer und drechselt Sentiments aus Ressentiment.«

»Wenn Sie während der sechs warmen Monate bei uns anbauen und sich davon mit Kultur mausig machen, die Sie angeblich besitzen, dann ist das Flunkerei, und Sie können mir leid tun, Sie arroganter Fliegenfresser!«

Auf das Geschrei waren mehrere der Meisenfamilie angerückt.

»Arroganter Fliegenfresser«, sekundierte die Tannenmeise. »Diese fexige Knixerei, dieses eitle Gestelze und Gespreize!« Im Eifer verlor sie das Gleichgewicht. »Nicht einmal auf beiden Beinen hüpft er. Wie ein Mensch kommt er daher: eins, zwei, eins, zwei! Wie der Storch!«

»Und diese herausfordernde Hüftenparade! Beide machen vor dem Spiegel Toilette!« höhnte die Schopfmeise. »Ich habe sie beim Tümpel überrascht!«

»Gestern hat sie die Schwanzfedern dreimal durch den Schnabel gezogen«, rief der Bergfink.

»Stimmt! Ich hab's auch gesehen! Und hab's gezählt!« entrüstete sich die Schwanzmeise. »Und hat ein Maucherl gegen den meinigen!«

»Die Leute gehören ins Dorf, nicht zu uns herauf! Basta!« schrie die Kohlmeise und flatterte einen Ast höher, von dem sich eine ahnungslose Spannerraupe herabließ.

Der Bachstelz schritt hochmütig am Ufer hin. Er staunte über das unbeherrschte Temperament der 27 Älpler. Er schwieg vor dieser Majorität, aber er unterließ es, zu knixen.

Rrrrtsch! Der Kleiber hatte einen grünen Waldsandläufer erblickt. Srrr! – Der landete über dem Bach. Der Kleiber hinterher!

»Uitt. Hat ihn schon!« – Rrrrtsch! Kopfunter sitzt er auf dem Stamm einer Fichte. »Und übrigens« – das kam undeutlich heraus, denn der Waldläufer zappelte noch – »und übrigens unterscheiden Sie gefälligst zwischen Kultur und Zivilisation, Verehrtester! Wenn uns die Menschen im Winter füttern, so ist das Kultur; aber wenn ihre Automobile uns den Pferdemist verquatschen, dann heißt das Zivilisation! Zur Kultur gehören wir mit dazu! Die Zivilisation bringt uns vor die Hunde!«

»Ich habe nicht gewußt, daß Sie Körnerfresser aus zweiter Hand geworden sind! Pfui Teufel! Ihre ungebildete Art freilich, Ihre hemmungslose Beweglichkeit erinnerten mich gleich an die Spatzen. Sie scheinen in deren Nähe zu deklassieren, mein Lieber!«

Das war mutig, aber unklug! Besonders, wenn man wunderschöne Schwanzfedern besitzt, auf die die Kurzschwänze eo ipso neidisch sind, und einen kleinen Pfriemenschnabel, indes der Gegner einen Dolch zückt und hemmungslos ist.

»Uitt! Uitt! Uituttuitt!« – Rrrrtsch! Mit gesträubten Federn war er angeknallt. Die tiefliegenden Augen funkelten sehr böse. Ein paar Käferbeine hingen ihm noch aus dem Schnabel; das sah bärtig und mörderisch aus. 28

»Zizizizi! Tititi! Tektektektek! Tschiep, tschiep! Dsiädsidsidsiää!« Von allen Seiten hob ein Wutgeschrei an. Die Meisen waren solidarisch mit dem Kleiber, ihrem größten Vetter. (Sie hörten es gerne, wenn er sich gelegentlich Spechtmeise nannte.) Alle waren sie halbe Körnerfresser und wußten, daß die Fleischjäger ein wenig hochmütig auf sie herabsahen. – Der Zaunschlüpfer tat mit aus Klugheit. Er war ein großer Schimpfer und Prahlhans, aber ein abgesagter Feind aller Vetternschaften, hielt sich allein und zog die Dämmerung dichter Hecken und den Erdgeruch vor. Aber er lebte sonst gerne in Frieden, und da die Meisen in ihrer Neugier auch seine Schlupfwinkel durchstöberten und rechte Klatschmäuler waren, hielt er es für besser, mit ihnen Wut zu heucheln.

»Tititit, Tektektek!« Er überschlug sich fast, reckte herausfordernd das Bürzel und wippte nach jedem Tektektek in den Knien. Das sah wichtig und überzeugend aus.

Rrrrtsch! – Der Stich des Stahlblauen war in die Luft gegangen. Der Bachstelz war in eleganter Pirouette ausgewichen. Er staunte. Er kannte den Mann doch. Walzenpeter hatte ihn seine Frau genannt, gelegentlich eines seiner Besuche im Menschengarten zur Herbstzeit. Weil er so wichtig tat, allzeit fidel pfiff wie ein Handwerksbursch und ein ungenierter Bettelmann war.

»Uitt!« – Walzenpeter rutschte blitzschnell am Boden hin und stieß wieder zu. Aber sein Temperament ging blind mit ihm durch. Er stieß sich 29 an einem Kiesel. Tschak! Es war ihm egal, denn er lebte vom Schnabelhacken, und der Schädel brummte ihm nie.

Aber der Bachstelz, der sich vor den Kiesel gestellt hatte, um den anderen anrennen zu lassen, versetzte ihm eins in die Seite.

»Bravo«, schrie der Zaunschlüpfer, dem bei dem Hieb ordentlich der Mut schwoll. Aber er bereute es sogleich und schloff unter die Rasenböschung. Dort hetzte er.

Die Meisen schrien und flatterten wie toll; der Ammer dsiääte, der Bergfink pfiff dazwischen. Sogar der friedfertige Rotkropf war angehuscht und äugte, schlank vor Alteration, aus einer Haselstaude.

Jetzt griff der Blaue im Flug an. Darauf hatte der Bachstelz gewartet. Die kleine Walze konnte nur blitzschnell und geradeaus fliegen. Er war Zielsucher, kein Flieger um des schönen Fliegens willen.

»Ziziziwieh!« Der Bachstelz stieg in die Höhe und schlug dem Ansausenden beide Flügel ins Gesicht, daß der geblendet in scharfem Winkel zu Boden fuhr.

»Zisieh!« Das war schmerzhaft! Satan! Woher kam der Hieb auf den schwarzen Scheitel? – »Aha! Sie?! Ich habe mit Ihnen nichts zu schaffen!«

»Hingegen ich mit Ihnen!« – Jetzt wurde es ernster. Mit der Kohlmeise war nicht zu spaßen. Das wußte er. Die hatte den Hieb geführt. Ein leidenschaftlicher Raufer ohnehin, fühlte sie 30 sich in ihrer Familienehre gekränkt durch die Ohrfeige, die der Kleiber erhalten hatte.

Sie war sehr flink. Ein Fläumchen aus dem Kehlfleck des Bachstelzes stob auf. Aber das war noch Geplänkel. Sie ging aufs Ganze. Und Vogelhirn war ihre Leibspeise. Sie versuchte, dem Bachstelz in den Nacken zu springen.

»Zisieh! Zisieh!« – Er fuhr ihr mit den beiden Krallenfüßchen an die Brust.

»Zitzitzit!« – Das war durchs Gefieder gegangen und brannte auf der Haut. »Geben Sie ihm doch den Fang«, schrie sie dem Kleiber zu, der schon wieder über den Bach gerrrtscht war, weil dort ein Tausendfüßler den Weg querte.

»Machen Sie das allein«, flötete der herüber. »Ich bin im Grunde ein friedlicher Mann, nur ein bißchen jähzornig. Und übrigens habe ich Familie.« – Schon saß er kopfunter auf einer Föhre, hieb den Tausendfüßler zurecht und stopfte ihn in einen Borkenspalt, der ihm als Speicher diente. (Deren hatte er viele im Wald; aber er vergaß meist darauf.) Nichts kümmerte ihn sonst. Die Tannenmeise hatte gut aufgepaßt. Kaum war er abgerrrtscht, holte sie das Fleisch.

Der Bergfink hatte seinen Zapfen über dem Schreien fallen lassen.

Drunten schob sich der Federnknäuel ziwiehend und zisiehend am Bachufer herum. Der lange Schwanz des Bachstelzes stach heraus, vor Wut gefächert und von der Balgerei verzaust.

Auf den Ästen und im Grase hetzte und flatterte die Meisenfamilie und die anderen beleidigten 31 Körnerfresser. Sogar der Häher war angeflogen bei dem Lärm und besah sich das Duell.

»Ätsch, ätsch«, schrie er vor Vergnügen. Als Unparteiischem war es ihm gleichgültig, wer die Hiebe austeilte und wer sie empfing. Blieb einer weidwund, dann hatte er sein Mittagmahl. Also nur zu! Eine zweite Kohlmeise war angeschwirrt und sprang wie ein Sekundant um die Kämpfenden, daß der Sand stob. Höchst unehrlich suchte sie Gelegenheit für ihren mörderischen Sport. Dem Bachstelz wurde ungemütlich. Ihm fiel schaudernd ein, daß die Meisen Kopfjäger sind. Er dachte an seine Frau, und daß es schön sei zu leben, und eine namenlose Wut packte ihn, als er so am Rücken lag. Denn diese Lage versuchte er krampfhaft zu behalten, um seinen Schädel vor den Kopfhieben der Meisen zu schützen.

Jetzt gelang es ihm, den rechten Fuß frei zu bekommen. Den krallte er ins Gesicht der Meise, die auf seiner Brust stand; und das war seine Rettung. 32

»Zitzitzit«, – Schreiend stob sie davon. Er hatte ihr ein Auge ausgekrallt. Die andere folgte schimpfend und zeternd. Alle umflatterten die Verletzte; das Familiengefühl tobte sich in hundert Ratschlägen und Wohlmeinungen, in verwandtschaftlicher Neugier und aufdringlichem Mitleid aus.

Der Bachstelz plusterte sich auf, federte den Staub vom Rücken.

»Tirilili! Vor denen haben wir Ruhe!«

Er sprang auf seinen Kiesel in Bachmitte. Der Trunk schmeckte.

Gelassen zog er die schönen Schwanzfedern durch den Schnabel, bis sie ganz glatt waren, und äugte in die Runde. »Bin ich ein Mann? Jawohl! Tirilili!«

Aber die Meisen lärmten schon tief drinnen im Wald.

»Uitt, uitt«, klang es fröhlich dazwischen. Der Kleiber hatte alles vergessen; denn seine Frau hatte den Heimkehrenden mit vier piependen Jungen begrüßt.

»Tütütütü«, flötete Walzenpeter.

Da kam gellendes Gelächter vom Ende der Wiese her. Der Ammer horchte auf und der Bergfink; der Zaunkönig hopste auf einen Haselzweig und teckte sofort laut. »Man kann nie wissen!« war seine Parole. Sogar die Meisen schwiegen drinnen auf einen Augenblick und horchten; lautlos war der Rottropf angehuscht.

»Hihiiihihihi« – – In sausendem Wellenflug kam der Grünspecht über die Wiese her. 33

»Hihiiihihihi!« Er wieherte, daß es von den Karen widerscholl. Auf einer Tanne krallte er fest.

»Fort ist sie! Über zwei Täler habe ich sie gejagt! Beinahe hätte ich eine Schwanzfeder erwischt!«

»Dsiää! – Beinahe!« Es war nicht deutlich, ob der Ammer bedauerte oder spottete.

»Von wem reden Sie?« fragte der Bergfink.

»Die Gauchin! Hihiiihihihi! Über zwei Täler! Die kommt sobald nicht wieder!«

»Bravo!« schrie der Bachstelz, und »Bravo!« schrien die anderen und waren lustig, daß der Nesträuber aus ihrem Revier vertrieben ward.

»Jikikickick!« Ganz nahe aus einer Fichtenschonung kichert es und lockt.

»Teufelsweib!« flucht der Grüne. – – Trrrrr, Trrrrr! Die Tannenborke fliegt in Fetzen herunter.

»Dsiää! – Beinahe!« sagt der Ammer. Diesmal ist es deutlicher Spott.

Der Grüne rutscht hinter den Stamm.

»Jikikickick!« – Betörend, alles verheißend, gefährlich in sich selbst verliebt ist dieses Gekicher. »Ich, ich, ich, ich, ich!«

Er hat es gehört. Es hat ihn ins Herz getroffen. Er fiebert.

»Guguh! Kuckuck! Guguh! Du, du, du, du, du!«

Oh, ekstatische Leidenschaft dieses Liebesgeläuts! 34

 


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