Josef Wenter
Monsieur, der Kuckuck, der Sonderbare
Josef Wenter

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Monsieur

Dann kam der Bachstelz, der am anderen Ufer nach Würmern gehackt hatte. Ein paarmal war er mit vollem Schnabel über die beiden Frauen weggeflogen, dem Neste zu. Aber er hatte sich nicht Zeit genommen, zu rasten. Jetzt war er müde und heiß. Er sprang ins seichte Wasser und kühlte sich ab.

»Wie leben Sie?« fragte er die Gebirgsstelze. Er war ihr nicht besonders zugetan, denn sie war schuld, daß man hier heroben wohnte, sich mit Wäldlern herumraufen, und statt eigener Kinder einen unbescheidenen Fremdling großfüttern mußte. Daß er den Ziehsohn sehr gerne hatte, sagte er nie. Aber seine Frau wußte es.

»Danke!« sagte die Gebirgsstelze. »Ich bin mit meinen Kindern ein wenig an Ihren Bach herüber.«

»Ja, Sie haben es gut! Der Unsrige wächst nicht so rasch. Dafür futtert er um so mehr!«

Er plusterte, daß das Wasser glänzend sprühte.

»Schläft er?«

»Woher! Der schläft kaum nachts! Futtert nur immerzu! Unsere Jagd ist bald ohne Käferbein und Made! Dann sind wir aufs Wildern in den Grenzjagden angewiesen. Aber die Wäldler haben keine Einsicht in unsere Lage. Sie kennen die Leute ja besser als wir! Ich habe neulich einem ein Auge ausgedrückt.«

»Oh«, wunderte sich die Gebirgsstelze, »konnten Sie das?« 42

»Habe ich einem roten Kreuzschnabel nachgemacht, dem ein grüner das Nest nehmen wollte.«

»Girrkh, girrkh!«

Ein heiseres und herrisches Stimmchen, daß die Gebirgsstelze aufhorchte.

»Ist er das?«

»Natürlich! Und wieder hungrig! Eben hat er eine große Grünfliege geschluckt.«

Die Gebirgsstelze flatterte über den Tümpel und holte eine Wasserspinne, ohne sich die Flügel zu netzen.

Die Bachstelzen staunten über die Geschicklichkeit ihrer Verwandten, denn sie vermieden den Fang aus dem offenen Wasser.

»Wo ist er?« fragte sie. »Die Spinne wird kalt, dann schmeckt sie ihm nicht mehr.«

Die Bachstelze flog auf, und die andere folgte ihr. Der Bachstelz hüpfte auf einen Maulwurfshügel und begann sein Gefieder zu strählen.

»Schön is er nix, der Bua!« sagte die Gebirgsstelze, nachdem sie die Spinne in den gelben Schnabel des Kuckucks gestopft hatte, was der mit heiserem Girrkh quittierte.

Nein, er war nicht schön, der kleine Gauch. Und ohne Anmut. Die blauschwarzen Stoppeln über Kopf und Rücken sahen ruppig genug aus; und wenn er ungeduldig die Flügelstummel reckte, bald links, bald rechts, dann sah das so häßlich aus, als ob eine Kröte zu marschieren begänne.

»Schön is er nix, der Bua! Grad soviel fein!« setzte die Gebirgsstelze fort, als er sie aus goldenem Auge frei, klar, aufmerksam und ein wenig 43 hochmütig anschaute. Dabei hatte er eine Art, sich im Nest zurecht zu rücken, sich nach hinten zu lehnen, eine abwartende Haltung einzunehmen, die die beiden Mütter mit Bewunderung erfüllte. Sie dachten an das Gedränge und Gestoße, das ihre fünf 44 Kinder sonst machten, und wie oft sie kaum recht zeitig zuspringen konnten, ehe eins über Bord ging.

»Monsieur!« sagte die Gebirgsstelze und knickste. Das hatte sie am blauen Flusse von einer vornehmen, wunderschön gekleideten Blaurake gehört, die aus den Pyrenäen gekommen war.

»Ziwieh!« rief die Bachstelze und knickste gleichfalls. »Monsieur soll er heißen! Ich glaube, er wird sehr verliebt sein!«

»Die Anlage hat er bestimmt! Schauen Sie nur die goldenen Augen! Die ganze Art ist so! In meinem Tal drüben war voriges Jahr einer. Es war hart zuzuschauen, wie verliebt der Mann war. Wenn unsereins in seinem verheirateten Dasein lebt und so einen immer verliebten Mann von Tagesgrauen bis in die Nacht herumhetzen, rufen, seufzen, locken hört, da wird einem ganz seltsam zumute.«

»Ach ja!« sagte die Bachstelze.

»Ach nein! Das ist nichts für uns!« sagte die Gebirgsstelze.

Der Gauch betrachtete unverwandt die ihm fremde Frau. Eine Motte zickzackte vorbei.

»Happ«, machte Monsieur und schnappte danach; aber so energisch, daß er fast das Gleichgewicht verlor und auf dem Nestrand turnte.

Die Stelzen erschraken sehr. Denn wenn der Mordsjunge hinunterfiel, landete er nicht wie ein Bachstelzenkind am nächsten Ästchen. Der schlug durch bis auf den Boden, und war dann rettungslos wegen des Wiesels und der großen Waldameisen und der Mäuse wegen verloren. 45

Aber der Gauch war allein wieder ins Nest gerutscht und setzte sich gravitätisch in Haltung.

»Schlimm wäre es, wenn Sie noch eigene Kinder drinnen hätten«, meinte die Gebirgsstelze. »Der Gauch wäre böse Nachbarschaft! Es war klug von der Gauchin, daß sie vorher Ordnung gemacht hat.«

»Sie ist nicht immer klug«, sagte die Gebirgsstelze. »Ich will Ihnen erzählen. Das war vor drei Meerflügen. Wir wohnten an einem Gebirgsbache. Eines Tages kam ich mit meinem Manne weiter ins Tal hinein. Es war schon die Zeit nach dem Sommerwind. Die Kinder waren lange selbständig und davongezogen. Wir haben die Reise ein wenig aufgeschoben, weil warmes Herbstwetter war. Das ganze Firmament war noch voller Fliegen und Bremsen, und auch sonst ist auf den Grasstoppeln noch allerhand gekrabbelt. Wie ich gerade einem verherbstelten Kohlweißling nachjage, höre ich das Gezwill von einem Blattmönch. Ich schaue groß! Bald Schneezeit, und die Leute noch im Gebirge? Die doch die geschwindesten Ausreißer sind, nach den ersten Herbstregen! Wie ich schaue, fährt mir der Blattmönch dazwischen und krapst den Weißling. Auch gut! Ich bin nicht neidisch. Aber dann habe ich mich gesetzt! Was glauben Sie? Geazt haben beide Schwarzplatteln! Nach dem Herbstföhn! Und wen? Einen Gauch, der aus dem Nestloch des Kleibers, in das ihn seine Mutter hingelegt hat, nicht mehr herausschlüpfen konnte, weil er zu groß geworden war. Was sagen Sie zu der Klugheit der Gauchin?« 46

»Armer Gauch! Armer Gauch!« sagte die Bachstelze und schaute auf Monsieur, als sähe sie ihn in der Spechthöhle.

»Die Blattmönchin hat gejammert, daß sie ihn nun verlassen müsse. Sie sei von den kalten Nächten so durchfroren, daß sie sich am Tage kaum erwärmen könne. Zu essen gäbe es schon recht wenig, und das beste bekäme der Gauch, der immer hungrig sei. Ihr Mann hat gewettert, daß er seine Pflicht getan habe und keine Lust verspüre, im Neuschnee zu krepieren, da er doch bei Heluan einen schönen Futterplatz wisse. Der Gauch hat dazwischen gequarrt, daß es spukhaft aus der Höhle gekommen ist. Es war eine traurige Geschichte. Ich habe keinen Rat gewußt, und wir sind heimgeflogen. So etwas passiert der klugen Gauchin eben auch einmal!«

»Happ«, machte Monsieur. Eine Schnake war übers Nest geflogen.

»Er kann noch nicht messen. Er überschaut sich noch!« sagte die Bachstelze.

Die andere hatte die Schnake erwischt und reichte sie dem Kuckuck.

»Happ!« – Wie ihm das Kröpfchen auf und ab tanzte!

Die Bachstelze konnte das Geschehnis im Spechtloch nicht begreifen. Sie zog vor Unbehagen das Köpfchen ein und saß geplustert.

»Haben Sie nicht auch einmal ungeschickt gebaut?« fragte die Gebirgsstelze.

»Im ersten Jahr haben wir in das Abflußrohr eines Gartenbrunnens gebaut. Da sind meine 47 Kinder ertrunken, weil die Menschenkinder im Garten Sintflut gespielt haben.«

»Sehen Sie!«

»Das waren Menschen. Und wir sind oft auf Menschen angewiesen. Fragen Sie nur den Rotschwanz, oder die Schwalben, oder die Stare! Aber Baumlöcher, die zu klein sind – soviel Verstand mußte die Gauchin haben!«

»Ich denke mir, daß es nicht Unverstand gewesen sein wird«, sagte die Gebirgsstelze. »Man muß gesehen haben, wie unbeliebt sie beim Waldvolk ist. Sie können das nicht wissen, Sie sind zum ersten Male unter den Waldleuten. Wo einer die Frau sieht, schimpft er hinter ihr her. Sie verdient es auch. Sie gibt schlechtes Beispiel. Die Vogelmänner mögen sie deshalb nicht. Und die Frauen, – nun, Sie wissen ja, wie Verheiratete über so etwas denken.«

»Ich weiß!« sagte die Bachstelze und betrachtete ihr glänzendes Zehenspitzchen. Dann zog sie ihre schwarze Halskrause durch den Schnabel und schaute ins Unbestimmte.

Beide schwiegen. Bei ihrem Besuch in Assuan hatte die Gebirgsstelze den Flirt ihrer Verwandten mit dem Kappenstelz wohl bemerkt. Und sie hatte sich erinnert, daß auch sie sich vor Jahren in einen schönen Madenhacker verliebt hatte. Ja, sie hatte um dessen willen den jungen Gebirgsstelz verloren, mit dem sie in Europa ihr Nest bauen wollte. Der mutige Europäer suchte es dem erfahrenen Afrikander nachzutun und war blindlings in den offenen Rachen eines im Nilschlamm sich 48 sonnenden Krokodils geflogen. Aber der Gebirgsstelz war in der Geographie des Saurierrachens nicht bewandert. Er geriet an eine kitzlige Stelle, es geschah ein häßliches Klapp, und er ward nie mehr gesehen.

Jetzt kam der Bachstelz. Eine goldschimmernde Viehbremse wehrte sich verzweifelt, als er sie dem Gauch reichte.

Der schnellte auf, fuhr aber zurück vor dem lauten Gebrumm. Dann äugte er von der Seite. Aha! Das brummte! Weg damit! Happ! – Ein Flügel der Bremse war fort. Es summte nur mehr wenig. Der Bachstelz hielt ihm die andere Seite hin. Happ! Jetzt brummte es nicht mehr. Happ! Ngt! Ngt! Girrkh! – Pause! Stolz sah er sich im Ring um. Im Kropf dehnte sich die Bremse. Die Stelzen freuten sich und knicksten vor Staunen über den geschickten Vielfraß und waren so lustig, daß das Rotkehlchen drunten in den Brombeerstauden schlank machte und mit großen Augen den Ammer fragte, was denn bei Bachstelzens los sei.

»Was weiß ich! Monsieur macht wohl Zigeunerkunststücke.«

»Monsieur?«

»Na ja! Die Bekannte aus dem Buchenwald hat so laut geredet, daß ich's im Bade gehört habe.«

»Monsieur?« – Das Rotkehlchen war bestürzt über so viel Fremdartigkeit.

»Paßt ja zu dem Kavalier!« Der Ammer war sichtlich gereizt. »Michel oder Jakob, oder wie sonst unsere Kinder hier heißen, ist für den 49 Stromer zu billig. Die Alten sind ganz vernarrt in den Grauslich.«

»Haben Sie ihn schon gesehen?«

»Danke! Früh genug, wenn er ausgeflogen ist und uns den Frieden verquarrt, daß die Raubritter angereist kommen. Bevor der nicht ausgewachsen ist, wird keine Ruhe im Revier.«

»Da mögen Sie recht haben!« sagte das Rotkehlchen.

»Ich habe recht! Die Maden werden selten, und Weißlingsnester gibt es schon längst nicht mehr! Die Leute sind behender als wir. Das lernen sie im Dorfe bei den Spatzen! Aber solcher Zuzug zu uns sollte verboten sein.«

Der Rotkropf merkte die Anspielung. Man hatte ihm vorgeworfen, daß mehrere seiner Familie in Menschengärten hausten.

»Der Gauch ist doch kein Dörfler«, wagte er bescheiden.

»Aber Sie sind ein halber!« murrte der Ammer.

»Schlafen Sie wohl!«, sagte der Rotkropf und huschte davon. Friede ging ihm über alles.

»Sie auch! Und nichts für ungut!«, rief ihm der Ammer nach. Dann flog er auf die Spitze einer Zwergeiche und sang sein Lied. Das klang heimelig, und er schaukelte im aufgehenden Abendwind, der den Duft blühender Wiesen aus dem Tal herauf brachte.

»Tirililie!«

Der Gebirgsstelz rief vom Wald herüber nach seiner Frau. Die Kleinen piepten schläfrig und sehnten sich nach der grünen Dämmerung in der Haselstaude. 50

»Ich komme!« antwortete die Gebirgsstelze. »Leben Sie wohl«, sagte sie dann. »Wenn Monsieur fliegen kann, besuchen Sie uns einmal! Unsere Kinder werden dann schon fort sein.«

»Ja, das wollen wir tun!« sagte die Bachstelze.

»Wenn er fort ist, ziehen wir ins Dorf hinunter. Dann kommen wir bei Ihnen vorbei«, sagte der Bachstelz und knickste.

»Vielleicht reisen wir im Herbst mit Ihnen«, sagte die Gebirgsstelze. »Oh ja! Wir sind immer in großer Gesellschaft. Vom Mühlenteich fliegen wir ab!«

»Leben Sie wohl!« – Die Gebirgsstelze hob sich auf.

Die beiden saßen am Nestrand und schauten den schönen Bogen nach, in denen die gelbe Gebirgsstelze über den Weiher flog, dann dem Bachlauf hinan folgte und am Waldrand ins Dämmer tauchte. Sie hörten noch das lustige Tirilie ihres Mannes und das eifrige Piepen der Kleinen. Dann wurde es still. Am Himmel glänzte der erste Stern.

 


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