Josef Wenter
Monsieur, der Kuckuck, der Sonderbare
Josef Wenter

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Allerhand im Menschenland

Am nächsten Morgen hatte Monsieur sich besonnen, daß er kein Nestling mehr sei, und saß vergnügt und hungrig hoch oben auf einem starken Ast, eng an den Stamm gedrückt; das Bedürfnis, sich zu kuscheln, hatte er noch. Das Rotkehlchenpaar hatte versucht, ihn von der Klettertour abzuhalten. Denn, daß der Junge durchgefüttert 89 werden müsse, war ihnen heut morgen klar geworden. Nur so hoch hinauf wollten sie nicht gerne. Betrogen waren sie ja; das ließ sich nicht ändern. Aber sie hatten leichte Vogelherzen, waren von Natur edelmütig und überdies: das Kuckuckskind war bereits flügge, man ersparte sich also das langweilige Geschäft des Brütens.

»Tirilie! Tiririlie!« Sie hatten schon gebadet und holten aus weißen Näpfen Frühstück für den Gauch. Mißtrauisch betrachtete Monsieur den Schnabel des Rotkehlchens, bog sich zurück und äugte von allen Seiten.

»Happ! – Gibt's hier nichts, das im Kropfe krabbelt?«

»Fang Fliegen, Ruppich!« schrie eine Kohlmeise herüber.

Monsieur äugte nach der Kohlmeise, die an einem Zapfen hackte. Aber er sagte nichts. Er legte keinen Wert auf Bekanntschaften, wenn sie nichts Eßbares vermittelten.

Jetzt hatte der Rotkropf im Bachrasen einen Wurm entdeckt und hackte ihn heraus. Monsieur äugte interessiert; das würde krabbeln. Er schluckte. Aber der Rotkropf tat nicht dergleichen. Er schickte sich an, selber zu futtern.

»Girrkh, girrkh!« Monsieur wurde unruhig. Der Rotkropf hatte taube Ohren.

»Zititititt!« Die Kohlmeisen waren angeflogen und standen schlank auf gespreizten Beinchen vor dem Rotkropf. Das kannte der.

»Im Menschenland ist nichts geheim zu halten!« ärgerte er sich. 90

»Zititititt!« Das klang schon gereizt und war gefährlich.

»Ich bin schon fort!« – Er huschte schluckend davon. Die Meisen balgten sich um den halben Wurm, der am Bachrand sich krümmte.

»Girrkh!« sagte der Gauch und plusterte sich übellaunig. »Man wird sich selber kümmern!« Er rutschte auf dem Ast nach vorne.

Da kam der Mensch herein. Monsieur kuschelte sich wieder an den Stamm.

»Guten Morgen, Kinder«, flötete es. »Aha, der Gauch hat sich auf sein Alter besonnen! Aber meinen Rotkehlchen hättest du das Brutgeschäft nicht zu verleiden brauchen!«

Die wohlbekannte Dose erschien. »Pitititit, Zitititit, Tirililie«, rief es durcheinander, rüttelte und flatterte um den Menschen.

»Switt, switt«, rief der Bergfink herüber. Von Würmern hielt er nicht viel. Seine Zeit kam, wenn sich der Mensch zu den Näpfchen bückte oder in die andere Tasche fuhr. Da flogen dann Sonnenblumenkerne oder Hanfsamen heraus. »Switt, switt!« Und er strählte sein schönes gelbes Gefieder.

Monsieur wurde ungeduldig. Er gewahrte, daß die Rotkehlchen mit den Mehlwürmern verfuhren wie mit dem Regenwurm. Sie schluckten für eigenen Bedarf. Und er überlegte einen Augenblick, ob es klug war, sich wieder aus dem Neste begeben zu haben.

»Ach was! Selber kümmern!« entschied er und rutschte den Ast heraus. 91

»Freilich, mein Gauch! Ich vergesse nicht auf dich!«

»Happ! – Girrkh! – Happ!«

Ah, das krabbelte angenehm! Dann kam eine Bremse, dann eine Heuschrecke und dann – jetzt leuchteten die Goldaugen – eine fette Spannerraupe. Das war ein ausgiebiges Frühstück! Es ließ sich leben im Menschenland.

»Rrrrtsch! Uitt, uitt!« Walzenpeter war da. Er hatte den ganzen Morgen einen Sonnenblumenkern gesucht, den er gestern gut versteckt hatte. Dabei hatte er auf nichts geachtet und kam jetzt in großem Schreck herangefahren. Er fürchtete, zu kurz zu kommen.

Er krallte über dem Gauch; und als der einen Wurm herumschleuderte, riß ihn der Kleiber einfach aus dem Schnabel.

»Was erlauben Sie sich!«

»Die Meisen haben mir meinen Kern gestohlen. Ich tue desgleichen!«

Der Gauch war erstaunt. Eigentlich war er satt. Er äugte auf Walzenpeter, der den Wurm in die Borke hackte.

»Was treibt der Kerl?« dachte Monsieur. »Davon wird der Wurm doch nicht bekömmlicher!«

Dann sah er den Menschen Körner streuen. Jetzt kamen Vogelleute, die der Gauch zu Hause nie gesehen hatte.

Ein Buchfinkenpärchen hüpfte daher. »Bitt, bitt!« Schön 92 sittsam schritt es vor die Füße des Menschen. Eine wunderhübsche Blaumeise schnurrte kokett daher. »Ah, meine kleine Marquise!«, sagte der Mensch. Sie aß furchtbar gerne Würmer. Aber sie hatte immer schlechtes Gewissen und war doch nicht so robust wie die Kohlmeisen, um das selbstverständlich zu finden. Deshalb blieb sie vor dem Menschen scheu. Die Vogelleute banden nicht gerne mit ihr an; sie war flinker als alle, ungemein jähzornig und fürchtete sich vor gar nichts. Bei der Würmerfütterung hatte sie scharf aufgepaßt. »Zittitit!« Schon hatte sie Walzenpeters Wurm aus der Borke gezogen und stob damit ins Dunkel. Der hatte längst darauf vergessen. Drei Sonnenblumenkerne auf einmal sackte er sich an und rrrtschte damit ab. Vorher hatte er rasch mehrere Hanfkörner verschluckt. »Man tut, was man kann!«, flötete er zufrieden.

»Düdülilie!« Sehr sanft, sehr weiblich! Wie zart sie mit spitzen, halbgeöffneten Flügeln anflatterte. »Ich bin da! Ich bin da! Verzeihen Sie!« Wie sie das Schöpfchen aufstellte und dann in plötzlicher Schüchternheit fest anlegte! Wie sie mit kleinen, wiegenden Schrittchen zwischen den lärmenden Meisen, den streitbaren Bergfinken und lustigen Buchfinken, die mit dem Menschen auf »du« standen, fein, vornehm und ein wenig fremd umhertrippelte, niemandem etwas fortnahm, immer bereit, sich zu entschuldigen, jedes Körnchen langsam und freundlich blickend aufpickte, – ja, dieser Vogel gefiel Monsieur. Er hörte, wie der Mensch ihn mit »Haubenlerche« anredete. 93

»Girrkh! Ja, der Seppel!«

Monsieur erinnerte sich, daß sein Pflegevater über den Gimpel gelacht hatte. Ja, richtig! Wie ist denn das? Gab es hier keine Leute, wie seine Zieheltern waren? Er hatte völlig auf sie vergessen. Er guckte, ob er einen langen Schwanz sähe. Nichts! Kein »Ziwieh« hatte er hier gehört.

»Gib, gib«, sagte der Gimpel zum Menschen und schälte umständlich einen Hanfkern.

Monsieur dachte, daß sein Ziehvater mit Recht gelacht hatte. Wenn man an so einem kleinen Happen solange herumfieselte, wie wollte man denn zurecht kommen in dieser Welt des Futterneides! Der Gauch wurde nervöser, je länger er zusah. »Zwei Heuschrecken hätte ich schon gekröpft«, sagte er zu sich, »und mindestens einen Wurm gestreckt!«

»Gib, gib!« Seppel ließ sich Zeit, schäkerte dazwischen mit seiner Frau, die nicht so stattlich in Rot gekleidet war, aber ebenso würdig und beleibt aussah. Das biedere und zärtliche Getue war dem Gauch zuwider. Angestammte heiße und elegante Ritterlichkeit stieg wie Abwehr auf.

Über dem Ast, auf dem Monsieur saß, turnte jetzt einer.

»Der Kerl hat sich den Schnabel verstaucht!« dachte der Gauch.

Da hing der Kreuzschnabel, der sich in einen Tannenzapfen verbissen hatte, und flatterte.

»Jetzt hängt er sich auf!«, dachte Monsieur.

Im Gegenteil. Der Zapfen sauste an seinem Kopfe vorüber zu Boden. 94

»Harte Arbeit!« sagte der Krummschnabel mit leicht klagender Stimme. Und saß auf dem Zapfen am Boden.

Erschrocken war der Gauch abgezogen und landete mitten unter den pickenden Vogelleuten, flatternd und unbeholfen; die stoben schreiend und schimpfend auseinander.

»Na, das war eine Leistung, kleiner Gauch!«, flötete der Mensch. Und Monsieur bekam einen Wurm. Das heißt, er sollte ihn bekommen. Aber noch ehe er Happ sagte, kam ein schwarzer Vogel an mit gelbem Schnabel und sehr bösen Augen, um die ein gelber Ring lief; der flog mit dem Wurm davon und lachte gellend und schadenfroh.

Monsieur schaute betroffen dem Gelächter nach. Der Grünspecht zwar lachte auch, aber lustig. Das war ein sehr böses Lachen gewesen, grausam und höhnisch. Er wollte sich vor dieser Frau in Acht nehmen. Jetzt lachte auch der Mensch über Monsieurs verdutztes Gesicht. Das war das guteste Lachen, fand der Gauch. Es war meistens von einem Wurm begleitet; auch diesmal. Dann war der Mensch fortgegangen.

Monsieur wollte eben wieder auf seinen Ast zurückkehren, da tat er ein erschrecktes Girrkh und sprang zur Seite. Unter seinen Füßen hatte die Erde sich bewegt. Er äugte mißtrauisch von der Seite. Wahrhaftig, der Rasen wölbte sich, er bekam einen Riß; jetzt quoll braune Erde hervor; darauf krümmte sich ein Wurm.

»Happ!« – Diesmal ließ Monsieur sich nichts mehr wegschnappen. 95

Aber da war auch schon wieder die höhnische, schwarze Frau. Mit bösen, funkelnden Augen lauerte sie vor der sich immer höher häufenden Erde. Die anderen Vogelleute hatten respektvoll Platz gemacht. Jetzt zappelte eine fette Made. Aber der Gauch mußte sich mit zornigem Girrkh begnügen; das schadenfrohe Gelächter ging ihm auf die Nerven, und er faßte eine tiefe Abneigung gegen die Amsel.

»Guten Tag, guten Tag«, kam ein feines Stimmchen aus dem Erdhaufen. Ein rosiges Schnäuzchen erschien, ein kugeliges Köpfchen, das keine Augen hatte, mit wunderschönem grauen Sammet angetan, reckte sich ein wenig und windete.

Das Rotkehlchen kam angehuscht. »Grüß dich Gott, Pelzmäxchen!«

»Guten Tag«, sagte das Stimmchen. »Sagen Sie bitte, wie ist das? Drüben schien die Sonne schön warm, und die Würzelchen waren alle saftig und die Engerlinge fett. Aber als ich unter dem Bach durchkam, waren die Wurzeln sauer und die Würmer mager. Wie ist das? Scheint bei Ihnen keine Sonne? Ich sehe nichts! Habe noch die Augen voll Sand.«

»Liebes Pelzmäxchen«, sagte das Rotkehlchen, »du bist im Menschenland, und da scheint die Sonne nur von der Seite herein.«

»Ach Gott, ach Gott«, wisperte es erschrocken. »Ins Menschenland habe ich mich durchgewühlt? Oh, das ist schrecklich!«

»Nein, es ist gar nicht schrecklich. Der Mensch ist gut und hat uns lieb!« 96

»Ach, das sagen Sie bloß so! Vielleicht hat er Sie lieb! Mir legt er böse Leibbinden an, in denen ich ersticken muß. Und ich tue ihm gar nichts! Meine entfernte Cousine, die Wühlmaus, die ist schlimm! Ich beiße ja selten Würzchen; ich brauche nicht viel für mich. Und ich esse die halbfertigen Maikäfer viel lieber! Aber der Mensch haßt mich, weil ich so schön angezogen bin. Er macht sich Kleider aus meinem kleinen Rock. Oh, er ist böse, der Mensch!«

»Natürlich ist er böse«, schrie die Amsel herüber.

»Das sagen Sie, weil Sie selber böse sind«, verteidigte das Rotkehlchen.

»Hihihi! Ich bin mir zu gut, mich als Piepflöte aushalten zu lassen, wie Sie«, höhnte die Amsel.

»Ich gehe wieder! Leben Sie wohl! Es ist zu laut hier! Und zu hell. Die Augen brennen mich.«

»Höre, Pelzmäxchen«, sagte das Rotkehlchen, »wirf da weiter unten noch einmal auf! Ich habe so große Lust auf Regenwürmer.«

»Ja, das will ich gerne tun. Gute Nacht!«, rief der Maulwurf aus dem Dunkel herauf.

Monsieur hatte staunend zugehört. »Was es doch alles gibt, über der Welt, auf der Welt und unter der Welt«, dachte er. »Und alle essen das gerne, was mir schmeckt! Ich muß ernstlich zusehen!« – Und er machte Flugübungen.

Silberne Netze kannte er von zu Hause. Der Pflegevater hatte aus ihnen die Spinnen geholt. Er flatterte also auf das Netz zu. Da schoß von draußen einer heran, den er nicht kannte, und krallte am Netz fest. Monsieur wunderte sich, daß dieses den ungeschlachten Kerl hielt, ohne zu 97 reißen; und er zweifelte gleich, ob es von einer Spinne benutzt würde. Im Menschenland war alles verkehrt. In den Netzen turnten Vogelleute, und die Haarleute stiegen aus der Erde auf.

Nein, das war bestimmt ein Kerl! Er kannte ihn gar nicht, und schon begann der zu krakehlen! Und in einer sehr gewöhnlichen Sprache! Was für eine grobe und keifende Stimme der Bursche hatte! »Schilp, schilp! Sage mal, kleener Döskopp, wie biste denn benamst? Ich habe dir noch niemalen hierzulande erblickt. Haste wol 'n Fimmel, daß du dich von der ollen Strippe, dem zweebeenigen Säugetier, hast aufgabeln lassen? Biste Muttern zu früh aus dem Neste gegangen! Was? Und da hat er dir geklaut! Oder haben dich die Läuse über Bord geschmissen? Kommt allens vor, auch bei gebüldete Leute!«

Monsieur war starr vor solcher Anrede. Er fühlte ein Jücken übers Gefieder vor solcher Pöbelhaftigkeit. Jetzt kam auch die Frau.

»Herrjott, den seh einer an! Da schau ich ja mit die Augen! Dem haben sie wahrhaftig Hosen angemessen! Schilp, schelp! Was haste vor mit diese Buxen, Kleener? Gelbe Augen hat er ooch! Na, siehste da vielleicht besser mit? Kannste gut im Dustern krapsen mit! He? Is nich zu verachten so was! Man kommt am weitesten damit. Bloß nich erwischen lassen, predije ich meinen Jungens immer! Ansonsten aber immerzu, immerzu! Schilp, schelp!«

Jetzt hingen bereits vier solcher Burschen am Netz und weitere vier randalierten im Sand herum. 98 Mädels mit ungenierten Gesichtern waren auch darunter. Monsieur fühlte sich unbehaglich und er war froh, daß die Menschennetze fester sind als die der Spinnen. Er wunderte sich, daß diese merkwürdigen Leute so viele Kinder hatten.

»Kare hat mich ins Bein gebissen!« schrie einer am Netz.

»Is nich, Mutter! Paule wollte mir die Käserinde schnapsen!«

»Keen Deut is das die deine! Ich hab se hinter dem Küchenfenster jeklaut!«

»Schilp, schelp! Er beißt mir schon wieder! Vata! Vata!« – Da war schon ein sich balgender, lärmender Knäul. Staub stieg auf.

»Paule is gemein! Er krallt mit die Füße! Ganz gemein biste!«

»Wollt ihr wohl stille sein?«

»Denke jar nich ran! Erst muß er Keile kriegen!«

»Nee, du bekommst se! Aber nich zu knapp!«

»Vata, fahr man dazwischen! Die Jungs müssen Senge haben! Man muß sich wahrhaftig schämen. Das is doch keene Benehmität mehr!« schrie die Frau.

»Woher sollen sie Benehmität haben, frage ich mir, wenn ich dich ankuke!« schrie er.

»Nu aber schlägt's funfzehn!« keifte sie zurück. »An jeder Zehe 'n Dutzend hätte ich haben können! Daß ich so 'n Miesepeter wie dich auch genommen habe. Ohrfeigen könnte ich mir!«

»Was haste gesagt? Miesepeter? Du, spare dir anzügliche Redensarten!« 99

»Miesepeter habe ich gesagt und erspare mir höchstens 'ne Lache über dich, oller Brummkreisel.«

»Miesepeter! Brummkreisel!« tönte es im Chor der Kinder und Vetternschar. Er stob dazwischen, zauste seine Frau, die wild um sich biß; die Söhne stürzten sich auf ihn, und eine allgemeine Keilerei kam in Gang. Das Geschrei schwoll markerschütternd, Staub wölkte dicht, Federn stoben auf; es war schrecklich und lächerlich zugleich.

»Schau nicht hin, Gaucherl!« sagte das Rotkehlchen. »Schau gar nicht hin! Man darf den Leuten keine Aufmerksamkeit schenken! Sie sind sehr ordinär!«

»Wie heißt die Familie?«

»Spatzen! Und leben größtenteils von der schlechten Verdauung der Pferde!«

Monsieur würgte es. Er schaute durchs Netz. Die Balgerei hatte sich verzogen und aufgelöst. Man saß lebhaft schwatzend in Staubbädern an der Sonne.

Das Rotkehlchen huschte davon.

Der Gauch flatterte auf die andere Seite; denn dort hörte er etwas. Da saß außerhalb des Netzes auf einem Apfelbaum einer, dem es gut ging.

»Ach, wie ist es schön zu leben! So schön, so schön ists zu leben! Ach, wie ist das Leben schön! Vom Morgen bis zum Abend nur zu leben und in der Nacht sich zu freuen, daß es wieder Tag wird, wo es so schön ist, wieder anfangen dürfen zu leben! Und so schön ist es, eine Frau zu haben, mit der man flöten kann, die so lieb ist und so sanft, und ein 100 Haus zu haben, das ein kleines Türchen hat, gerade groß genug für mich und für sie; und so schön ist es, vor dem Hause in der Sonne zu sitzen. Da wird man so schön warm, und im Wind ist's schön, da singen alle Federn mit, und im Regen ists schön, da wird man so schön naß, und in der Nacht ist's so schön dunkel, daß man gut schlafen kann. Und dann blüht es vor unserem Haus, da riecht es so gut, und dann kommen die Bienen und die schmecken so süß; und dann haben wir Kinder, drei Kinder, vier Kinder, fünf Kinder, ach, wie sind die so hübsch und so brav und so lustig und so schön hungrig; ach, wie ist es schön, sie zu füttern; und dann kommen die Kirschen; ach, wie sind die gut, und so schön ist's, in den Kirschen zu sitzen und zu plauschen; und die Holunderbeeren kommen und die Schwarzbeeren und die Bickbeeren und die anderen Beeren, und wenn die Vogelbeeren da sind, dann sind die Kinder groß, dann kommt der Herbstwind, ach, wie ist es schön, er riecht nach Meer und Fahrt, und dann kommt die schöne, schöne Reise in die wunderschöne Welt am blauen Fluß. Ach, ach, ach, wie ist es so schön, zu leben, zu leben, zu leben!«

Monsieur stand der Schnabel offen. Er hatte den Atem verloren über der langen Rede dieses Mannes.

Da kam dessen Frau heraus, und die sagte das gleiche, aber von rückwärts, und dann sagten beide zusammen noch einmal das nämliche von vorne und schlugen mit den Flügeln und starrten in die Sonne, reckten die Hälse, daß die Kröpfe 101 sich aufplusterten, schnäbelten, waren überaus verliebt und benahmen sich so absonderlich, daß dem Gauch ganz wirbelig wurde.

»Hihihi! Er hält das für Gesang, der Tropf!«, höhnte die Amsel irgendwoher. »Aber er ist nur ein Schwätzer, der alles nachredet, was er hört. Ich mißlinge ihm!« sagte sie hochmütig und flötete einen wunderschönen Bogen ihrer Melodie. Der Gauch lauschte und die Stare. Aber sie brach ab. Sie war sehr stolz.

Monsieur dachte, wie sonderbar es sei, daß man böse sein könne und doch so schöne Töne im Halse habe. Aber es schien ihm, daß auch ihre Töne hochmütig waren.

Jetzt geschah draußen ein lauter Plumps. Etwas war vom Himmel gefallen. Wie ein Stein. Und das sah aus, als ob es ein Vogel wäre. Aber der hatte zwei Köpfe und lag im Grase wie ein Schieferbrocken. Nur die Köpfe bissen aufeinander los, grimmig, haßerfüllt, ohne Laut. Da kam der Mensch aus der Türe. Der hatte auch den Plumps gehört. Er hob den Vogel auf. Nun würde er fliegen, dachte der Gauch. Keineswegs! Die Köpfe bissen einander, haßerfüllt, lautlos. Trotz dem Menschen.

Nun sah der Gauch, daß das zwei Vögel waren, die sich an der Brust gepackt hielten. Aber sie ließen nicht los, trotzdem der Mensch versuchte, sie auseinander zu reißen. Sollte das Herz mitgehen! Sie hielten fest!

»Ihr stolzen, heißen, bösen Satane!« sagte der Mensch. »Rausch in der Liebe, Rausch im Haß, 102 Rausch im Flug, Rausch im Schrei, Rausch im Fraß! Mich wundert's nicht, ihr Sonnenstürmer, Sonnenanbeter, Sonnetrunkene, Freieste aller Freien! Oh, euer wildes herrschsüchtiges Auge unter der Hornbraue! Wild, herrschgierig wie euere Sonne. Fremd und uralt euer Blick, blind wie düsteres Glas, um nicht zu verdampfen im stürzenden Glanz! Geweitet in den unermeßlichen Räumen des Lichts, verächtlich schweifend über die mühselige Erde! Laßt los!«

Die krallten tiefer und bissen blind. Sie würden sterben, verwesen, aber ihre Gerippe hielten sich noch gepackt!

Da half nur eins. Wasser! Der Mensch bückte sich und tauchte den Federknäuel in den Bach. Jetzt wich der Rausch. Der eine trieb hin, der andere ruderte ans Ufer. Der Mensch sprang dem Treibenden nach, und holte ihn heraus.

»Satan!« – Die Hand blutete. Scharf war das Gewehre.

Jetzt saßen beide im Gras. Hilflos kriechend strebten sie irgendwohin, ins Dunkel. Ein fast gespenstischer Anblick. Da nahm der Mensch den ersten und warf ihn in die Höhe. Sausend stob er zur Sonne auf. Dann den anderen. Grelles Gejohle erscholl hoch im Blauen. Sie stießen haßerfüllt aufeinander.

Da erinnerte sich Monsieur, wer diese Leute waren, deren Schreie ihn zu Hause manchmal erschreckt hatten. Und er gewahrte das sehnsüchtige Antlitz des Menschen, der den Mauerseglern nachschaute, die durchs tiefe Firmament, 103 klein wie Mücken, in die rote Sonnenscheibe stürzten. –

»Ziwieh! Zisisisieh!«

Dem Gauch gab es einen Ruck.

»Girrkh, girrkh«, sagte er erstaunt und schaute durchs Netz auf den Bach.

Dort rüttelte der Bachstelz hinter einer Schnacke her.

»Girrkh«, rief Monsieur.

Aber der Bachstelz hörte nichts oder wollte nichts hören. Er flog mit der Schnacke auf den Hausgiebel, zerlegte sie dort und schluckte für sich. Dann stelzte er auf den Schindeln umher und trilierte ein wenig. Es klang nicht sehr lustig. Monsieur wandte sich unwillig und enttäuscht ab.

»Merkwürdig«, sagte der Mensch. »Bald August, und noch ein einschichtiges Bachstelzenmännchen zugezogen? Wie mag das zugehen?«

Dann trat er in das Vogelhaus und bereitete seinen Vogelkindern das vielfältige Abendessen. Auch die Dose mit den Mehlwürmern tauchte auf. Alle wurden satt und waren fröhlich.

Dann ging der Mensch, und es ward dämmrig. Die meisten Vogelleute nickten schon ein; hier und da plusterte es, und ein halbwaches Stimmchen flötete da und dort.

Nur Monsieur konnte keinen Schlaf finden. Er hatte zuviel erlebt am heutigen Tage. Darum hörte er auch noch ein höchst friedfertiges Abendlied, das aus einer dunklen Ecke kam, in der dichte Farrenkräuter eine Birke umstanden.

»Fürchte Gott, fürchte Gott!« flötete es, und dann 104 spazierte ein sanftes und scheues Frauchen heraus, das ein allerliebstes Häubchen trug. Dem Gauch wurde ganz behaglich vor so viel Anmut und Zierlichkeit. Das Frauchen suchte Körner, kramte im Rasen nach kleinen Würmchen und sang dazwischen fromm und dankbar seine kleine Strophe. Die Dämmerung ward aber so dicht, daß er die Wachtel aus dem Gesicht verlor. Nur ihr Liedchen vernahm er bald da, bald dort; das schläferte ihn wundersam ein.

So hörte er auch nicht mehr das wispernde Stimmchen, das da sagte. »Ich habe aufgeworfen! Ich habe aufgeworfen! Bitte kommen Sie!«

Das großäugige Rotkehlchen, das die tiefe Dämmerung nicht fürchtet, huschte gleich daher.

»Wo denn, Pelzmäxchen? Wo bist du?«

»Hier bin ich! Hier bin ich!« wisperte es von außerhalb.

»Ach, liebes Pelzmäxchen, dein Häuschen ist nicht mehr im Menschenland! Ich kann nicht zu dir kommen!«

»Oh, wie schade, oh, wie schade!« sagte der Maulwurf. »Ich habe Ihnen einen schönen Wurm oben aufgelegt! Wie schade!«

»Danke, liebes Pelzmäxchen! Iß ihn selbst! Und komm bald wieder!«

»Ja, das will ich tun, das will ich tun! Leben Sie wohl!«

Ein paar Erdschöllchen rieselten. Dann kam die Nacht.

Da begann es um die Obstbäume zu geistern. Ein Flüsterliedchen schaukelte hin und wieder. 105

Bin kein Vogel, doch flieg' ich,
Bin keine Maus, das weiß ich,
Fledermaus, so heiß ich.

Urahne war ein Riese,
Ich bin so klein geboren,
Zwei Segel und zu große Ohren.

Winterzeit verschlaf' ich;
Bin aus Samt und heiter,
Ein stiller Außenseiter.

 


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