Josef Wenter
Monsieur, der Kuckuck, der Sonderbare
Josef Wenter

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Der Mensch

Das also war der Mensch! Ungefähr stimmte es mit der dunklen Vorstellung, die dem Gauch aus tausendjähriger Ahnung aufgestiegen war, beim Angstruf seiner Pflegemutter.

Im tiefen Dunkel, in dem es nach Tabak und allerhand Fremdartigem roch, nahm er sich vor, allem, was da käme, mit Gleichmut entgegenzuharren. Daß der Mensch tödlich sei, kam ihm nicht zu Bewußtsein. Tod? Noch war er seiner Geburt zu nahe! Er hatte nur eine Sorge. ob er genug zu essen bekommen würde! Er girkhte ein paar Male; aber es wurde nicht heller. Ihn schwindelte, denn der Boden, auf dem er saß, schwankte immerzu, und die Luft war stickig und heiß. Er machte die Goldaugen zu und fühlte, daß er wahrscheinlich krank werden würde.

Dann fuhr etwas oben herein, das ihn wieder um den Leib faßte und fremd roch. Gleichzeitig wurde es hell. »Girrkh!« Er versuchte, zu beißen.

»Brav, kleiner Kerl! Wehre dich nur! Aber ich tue dir nichts!«

Bei Hel! Diese Töne waren merkwürdig. – »So also flötet der Mensch!« dachte er.

Dann saß er auf Sand. Das kannte er. Aber was sonst oben blau war und sehr weit fort und sehr leicht aussah, das schien hier grau und hing tief. Wahrscheinlich würde es regnen! Immerhin ward ihm wohler; es war wieder Tag, und die Luft konnte man wenigstens atmen, ohne krank zu werden. Bäume waren auch da. 85

»Girrkh! Girrkh!« Er hatte Hunger.

Da tauchte etwas vor seinen Augen auf, das sah genau so aus wie das Ding, das ihn um den Leib gefaßt hatte. Noch einmal in das dunkle Loch? Nein! Er biß zu. Erbittert ließ er den Schnabel offen. Das Ding mochte sich vorsehen!

»Also sei schön brav und koste einmal«, sagte der Mensch.

»Häßliches Geflöte!« dachte der Gauch.

Aber da hing ein Wurm an dem Ding.

»Sapperlot!« Er äugte rechts, er äugte links, ganz schief legte er den Kopf. Er war erstaunt. Sonst hing eins von den Pflegeeltern an dem Wurm. Nichts! Konnte man trauen? Ach was! Hunger ist Hunger! »Happ! – Girrkh! Nicht übel!«

»Brav!« flötete es. Das Ding kam wieder, und abermals hing ein Wurm daran.

»Happ! Girrkh!« – Ein halbes dutzendmal.

»Gesegnete Mahlzeit!« sagte der Mensch. »Aber meine Mehlwürmer muß ich für empfindlichere Mägen aufheben.«

Dann sah der Gauch, daß ein Rotkehlchen sich auf die Hand des Menschen setzte, einen Wurm nahm und damit unter die Hasel flog; dann kam eine Kohlmeise, dann ein Blattmönch, der aber bloß rüttelte, und noch andere Vogelleute.

»Es ist wie zu Hause«, dachte Monsieur. »Dort haben auch andere Leute das gegessen, was ich gerne gegessen hatte.« Und er ärgerte sich. Da er aber ziemlich satt war, kümmerte es ihn nicht weiter. Er schaute sich jetzt aufmerksamer um. Da sah er Bäume; sie rochen bekannt, waren aber 86 kleiner; ein dünner Bach floß durch Sand und Rasen. Alles wie zu Hause. Die Sonne kam von der Seite herein, und man sah blauen Himmel. Es würde also doch nicht regnen. Das war wegen der Schnaken besser und auch sonst. Aber an allen Seiten hingen große, in der Sonne silbern funkelnde Netze. Er nahm sich vor, die Spinne keinem anderen zu lassen.

»So, Gaucherl, jetzt mach dich heimisch in meinem Vogelhaus«, sagte der Mensch. »Ich freue mich sehr, daß ich endlich einen aus deiner schönen freien Familie habe. Wir wissen so wenig, was und wie ihr's treibt. Und halte mir Frieden mit den anderen!«

Seit der Gauch wußte, daß gute Würmer das Geflöte begleiteten, war es ihm weniger unsympathisch. Aufmerksam schaute er dorthin, von wo die Töne herkamen. Da begegnete er wieder den großen und guten Augen des Menschen. Er fühlte etwas von ihnen ausgehen und von der weißen Wand über den Augen, das ihm gut tat. Das war sehr seltsam. Er kam sich auf einmal sehr groß vor und sehr klein. Es ward ihm wohl zumute. Er plusterte sich und schlug mit den kleinen Flügeln.

»Noch sind wir nicht so weit!« sagte der Mensch. »Aber bald! Dann lasse ich dich frei!«

»Girrkh!« antwortete Monsieur.

»Vielfraß!« – Der Mensch lachte. Nicht sehr laut; aber der Gauch dachte gleich an den Grünspecht. Das war ihm unbehaglich und er suchte nach einem Versteck. Hopp, hopp! Halb hüpfend, halb 87 flatternd. Es fiel ihm nicht leicht. Fast hätte er sich etwas verstaucht. Jetzt hatte er einen niederen Fichtenast erreicht. Es roch nach Harz und war düster. Er drückte sich an den Stamm und schickte die Goldaugen gipfelwärts. Er dachte, wie lange man klettern müßte. Es war zu machen! Er begann zu klettern und half flatternd nach.

Der Mensch hatte sich in die Türe des Vogelhauses gesetzt und beobachtete den Kuckuck. Ihm war fast feierlich zumute, daß er da ein Geschöpf vor sich hatte, das er sonst kaum in Büchsenschußweite gesehen hatte, das scheu und abseitig ein unruhvolles Dasein führte, dessen Lebensgeheimnis noch nicht gelüftet ward; ein Geschöpf, dessen vieltausendjährige Ahnen die Wälder der Erde durchstürmt hatten, wahrscheinlich noch ehe der Mensch sich für ihren Herren zu halten begann. Uraltes Wissen um Geheimes auf Erden schien aus dem goldenen Auge des Kuckucks zu leuchten; nie hatte ihn das Auge eines Tieres so seltsam bewegt.

Sein eigenes Leben wurde ihm klein, ordnete sich in die Sprosse einer Leiter, die aus dunklen Bezirken aufstieg, in die hochheilige Wölbung, die das Geheimnis Gottes birgt.

Der Angstruf der Rotkehlchen, das hastige Pititittt, schlickerte wie scharfe kleine Kiesel in seine Versunkenheit.

Die Meisen zeterten mit; das sämtliche Geflügel war laut schimpfend um die Fichte versammelt, die der Gauch erklettert hatte.

Ein melancholisches Lächeln verzog das Gesicht des Menschen, als er sah, was sich begeben hatte. 88

Auf seiner Gipfelfahrt war der Gauch an das Nest der Rotkröpfe geraten. Da hatte ihn wahrscheinlich Erinnerung übermannt. Breit und behaglich, und als wäre es sein gutes Recht, saß er, viel zu groß, über dem kleinen Nest. Vier Eier hatte er hineinstolpernd zerdrückt. Eben fiel das fünfte zu Boden.

»Girrkh!« sagte er zufrieden und schaute den Menschen aus klaren Goldaugen an. »Girrkh!« Jetzt war er hungrig.

Die Dose erschien und der Mehlwurm. Aber das Rotkehlchen war flinker.

»Pititititit!^

Monsieur wurde ungehalten.

Und da geschah das fast Unbegreifliche. Einen Augenblick verhoffte das Rotkehlchen, als müßte es seinem Herzen Gewalt antun. Dann fütterte es den Gauch.

»Heimatlos und gottgeborgen!« murmelte der Mensch. »Unser aller tiefstes Los auf dieser stürmenden Erde.«

 


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