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Abgesang

Dies ist gewiß: die neuere Zeit hat dem Bühnensänger die Unbefangenheit genommen. Zeigt sie sich ihr zum Trotz als Torheit, dann fällt sie auf – als schöpferische Einfalt, dann wird sie vergöttert.

Er hat gegen eine Verschwörung der Geister zu kämpfen. Zunächst freilich will ihn Wagner einengen. Denn so sehr er auch im mittleren Sänger die Geste zu mechanisieren droht, er schärft die Gewissen.

Ihm aber setzt gerade in der Zeit seines unaufhaltsamen Aufstiegs ein Primadonnenkopf ein energisches Nein entgegen: Pauline Lucca.

Man steht vor der bisher letzten und tatkräftigsten Aeußerung eines Temperaments, das allen Forderungen einer bürgerlichen Musik und einer siegreichen Ensemblekunst mit der eigenen Einstimmigkeit widersteht. Ihr Melos, ihr Rhythmus wenden sich gegen die Vorschrift des Komponisten und den Taktstock des Kapellmeisters; die Primadonna ist stärker als sie, ja, auch als ein Teil des Publikums, dessen Mehrheit sich ihr freilich ohne Widerstreben gefangen gibt.

Die Zuschauer der werdenden Großstadt wollen den Genuß. Die Bühnengröße will ihn gewähren, verlangt aber als Lohn, daß man sie hätschelt. Das wird ihr bereitwilligst zugestanden. Das berauschte Ohr sagt zu allem ja. Das entzückte Auge tritt ihm bei. Die übrigen Sinne ergeben sich. Der Intendant weiß das und handelt danach, zumal er selbst innerlich die Sache der alten, der ältesten Kunst verteidigt. Und der Hof, der einer Primadonna den Glanz gibt, ist unserer Pauline Lucca hold.

Sie war in den vierziger Jahren geboren, als ein Naturschauspiel aufgefallen, gewaltsam aus dem Chor in den Vordergrund getreten und mit ehrgeizigstem Sichselbstbehaupten zu einer Macht geworden. Lilli Lehmann erzählt uns ja in ihren Erinnerungen von dem urfrischen Eindruck dieser Erzwienerin: wie sie etwa das »Schneuztüchel« mit der Frau Lehmann teilt, weil sie das ihrige vergessen hat. Aber Prag ist nur ein Vorspiel. Berlin, dessen Hofoper sie 1861 anwarb, gab ihr die Möglichkeit, alle ihre Trümpfe auszuspielen, selbst einen mächtigen Ministerpräsidenten, einen Bismarck, für ihre Reklame zu verwerten und als internationale Bühnengröße reich zu werden.

Pauline Lucca

Ihr seht eine Miniaturausgabe des Typus Weib. Aber zwei dunkle, gebieterische Augen voll Sinnlichkeit fordern euch auf, euer Lächeln aufzustecken. Und eine Stimme von edelstem Metall, von einer warmen und doch zwingenden Tiefe, die unterste Grenze zweier Oktaven ist, bestätigen euch die Ausdrucks- und die Wirkungsfähigkeit dieses zierlichen Geschöpfes. Ihr Gesang ist beileibe nicht Belcanto. Den zu erreichen, hat sie zwar Ehrgeiz genug, aber nicht Zeit gehabt. Aber ihre Valentine oder ihre Selika beweist euch, daß sie alles Unvollendete in sich durch den Timbre zu verschleiern weiß. Und in ihrem Metall liegt die Möglichkeit zu schmeicheln und sich ins Herz einzusingen. Doch ist das nicht ihr eigentliches Feld. Der Schalk, der in ihr steckt, guckt hervor und wird ganz übermütig, wenn sie eine der beiden Zerlinen, die des Don Juan oder die des Fra Diavolo singt. Bei Mozart gibt es immer Krieg. Sie hat ihre eigene Art zu phrasieren, zu zögern und zu beschleunigen. Dieses Recht will auch der Page Cherubim für sich beanspruchen. Aber kein Mensch wird bestreiten, daß dieses Persönchen nicht nur ihr Köpfchen durchsetzt, sondern sich auch mit Anmut in der Hosenrolle bewegt.

Immerhin: es gibt mozarttreue Berliner, die murren. Sie halten mit ihrem Urteil nicht zurück. Doch wehe ihnen, wenn sie sich allzu sehr hervorwagen! Pauline Lucca merkt es sich und wird es sie fühlen lassen. Der Intendant Botho von Hülsen nimmt in einem öffentlichen Anschlag für sie gegen Mozart und seine Getreuen Partei. Umsonst. Und es hätte keines Zwistes mit Susanne, keiner Ohrfeige auf offener Bühne bedurft, um den längst gefaßten Entschluß in ihr zur Reife zu bringen: Amerika lockte sie und hatte sie im Jahre 1872. Es war der aufsehenerregendste Kontraktbruch.

Aber wir wollen, um unsere eigene Sache besorgt, der Primadonna nicht nachlaufen. Es genügt zu wissen, daß die Lucca in ihrem vielbesprochenen Privatleben aus einer Baronin von Rhaden eine Freifrau von Wallhofen wurde, daß sie 1874 zurückkam und den Europäern von neuem die Köpfe verdrehte; daß sie aber, in ihrer Vaterstadt Wien als Mensch und als Künstlerin umschwärmt, die Welt in der neuentdeckten Carmen von 1880 an mit einer ganz persönlichen Schöpfung beschenkte.

*

Die Sammlung der Geister, die Richard Wagner wollte, trat also nicht ein. Wie der Spielplan sich zersplitterte, so verzweigten sich auch die Sänger. Aber der stärkere Wille, den sie über sich fühlten, der Zwang, sinnvoll mittätig zu sein, kam auch von denen, die nach Wagner schufen. Sie alle vermochten nicht mehr, ganz unbefangen, ganz unbesonnen nur auf die Wirkung der musikalischen Phrase zu bauen. Das Drama suchte einen jeden von ihnen heim. Dem jüngeren Verdi war es schon in die Cantilene, in den Rhythmus, in seine Sforzati, Crescendi, in seine Tutti geströmt, dem alten ward es zur linienhaft gestaltenden Kraft. Aber immer noch konnte in Verdi der Sänger, wenn er frei ausatmete, sich auf den Meister berufen.

Eine heftige Wandlung brachte der Verismo. Er war die Absage an die Unbedenklichkeit, die man als italienisch ansprach; ein Versuch, die starken Effekte des bewährten heimischen Theaters für die Oper zu gewinnen und ihr doch den sinnlichen Reiz des lyrischen Selbstgesprächs zu erhalten. Von Mascagni über Leoncavallo zu Giordano und Puccini: eine Reihe von maestri, die den Schauspieler im Sänger, wenn auch oft mit rohen Mitteln, zur Tätigkeit zwingen. Sie regen ihn nicht nur zur bezeichnenden Geste, sondern auch zu einer neuen Verbindung von Arie und Parlando-Stil an.

Und zur stärksten Leistung treiben die Neueren und Neuesten wie Schillings, Richard Strauß und Schreker. Hier, wo zum Teil literarische Texte Musik gebären, wo Hugo von Hoffmannsthal auch das Milieu in die Oper einstellt und Strauß es schildert, wird vom Singschauspieler Außerordentliches gefordert: zumal in Salome und Elektra, wo die Menschenstimme aus dem Gleis singbarer Intervalle herausgedrängt und zu einem dramatisch auftrumpfenden Instrument gemacht wird.

Das sind neue Forderungen an die in der Oper wirkende Persönlichkeit, die nun mit einer Vielheit von Begabungen für das Werk einzustehen hat und in Gefahr ist, eine im Durchschnitt schon geschwächte Sinnlichkeit durch die immer wachen Kräfte des Intellekts zu lähmen, sich selbst ins Problematische zu verlieren und nur selten zu steigern.

Auch von anderer Seite nähert sich dem dramatischen Sänger Zwang und Versuchung: der Naturalismus des Schauspiels will ihm seine Gesetze vorschreiben, und die Opernregie ist an der Arbeit, sie auszuführen.

Hier wird Grundlegendes berührt: die Frage nämlich, ob die naturalistische Geste je für die Darstellung in der Oper zu brauchen ist. Die Ueberzeugung, daß Musik Allgemeingefühle darstellt, antwortet mit Nein und verlangt die symbolische Geste.

Aber die Opernregie ist im allgemeinen ebenso anspruchsvoll wie unzulänglich. Der ausgediente, durch eigene Vergangenheit und veraltete Anschauung gebundene Sänger oder der gescheiterte, der Musik meist fremde Schauspieler wagt sich an die schwierigste der Aufgaben. Daneben freilich wirkte bis jüngst an weithin sichtbarer Stelle ein Liebhaber-Intendant. Oder, im Ausnahmefall, ein großer Kapellmeister wie Gustav Mahler. Alle, außer dem Liebhaber-Intendanten, bekämpfen die Selbstherrlichkeit des Sängers. Aber unter ihnen fordert den stärksten Verzicht der Schauspielerregisseur vom Schlage Gregors, der in Direktor Carré in Paris die Bestätigung eigener Neigungen gefunden hat. Und man konnte in der an Anregungen sonst fruchtbaren Berliner Komischen Oper die Wirkungen einer musikfernen Schauspielerregie beobachten, während im Königlichen Opernhause die Macht des von Amerika umworbenen »Star« durch höhere dramatische Rücksicht kaum eingedämmt war.

Die Verhältnisse sind zwingend. Sie mögen zwar die Unbefangenheit und Torheit verhindern, aber sie müssen auch aus der Reibung zwischen Sänger, Drama, Ensemble eine neue Persönlichkeit hervorgehen lassen, die das Beste, ihre Sinnlichkeit, nicht verloren hat.

Aber da hemmt schon die Treibhauskultur der Opernschule das Werden einer Primadonna, die Persönlichkeit werden soll. Eben sahen wir Pauline Lucca aus dem Chor in ihre Einzelrolle auf der Bühne hereinwachsen. Die neuere Sängerin ist in der Regel eine Zierpflanze, ohne Urwüchsigkeit, nicht aus innerer Notwendigkeit des Bühnenmenschen, sondern aus dem Entschluß der stimmbegabten Sängerin in die Opernlaufbahn gekommen. Und die Opernschule vollendet das Werk der Zähmung einer von Hause aus nicht unbändigen Frau, deren Bürgerlichkeit trotz manchem Abenteuer unangetastet bleibt. Diese Schule versorgt sie mit alten Posen aus dem Hausrat verkalkter Theaterei und tut das ihrige, die Entwicklung im modernen Sinn zu hindern. Denn der auf den Ton bedachte Kunstjünger ist nur zu gern bereit, die seinem Gesang günstigste Stellung zu wählen und jede unbequeme, aber ausdrucksvolle zu meiden.

Schwierig gewiß das Problem, Persönlichkeit und Ensemble in Uebereinstimmung zu bringen; jener ein völliges Sichausleben zu gestatten und ihr doch die Rücksicht auf das Sicheinspielen aufzuerlegen. Nur wo das Blut eine zweifache Begabung speist, nur wo ein übermächtiger Theaterinstinkt eine gefügige Stimme mit sich zieht, hört es auf Problem zu sein, wird die Schablone überwunden, und das große Staunen über das Wunder der Persönlichkeit tritt ein.

*

Man sage nicht, daß die neuere Zeit es uns ganz vertreibt. Denn gerade aus der Vielheit der Richtungen, die sich trotz Wagner naturgemäß entfalten, wird eine Vielheit von Erscheinungen geboren.

Das Startum, tausendfach bekämpft, zeigt sich in wechselnden Formen. Solange das Dollarland lockt, kann es auch, sollte man glauben, in Europa nicht untergehen. Berlin, Wien, Paris, London und Italien sorgten für seine Erhaltung.

Die Stagione scheint allerdings in Deutschland überwunden: ein Beweis für den Fortschritt der Ensemblekunst, dem auch der Star Rechnung zu tragen hat. Ein Caruso schon hat ja die Vereinzelung auf der Bühne aufgegeben; der vorbildliche, nach Willen und Erkenntnis tonfärbende Sänger ist, in einem begrenzten Spielplan, ein auf das Zusammenspiel eingestimmter Schauspieler, der den Don José ergreifend, erschütternd gestaltet; aber auch oft nichts weiter als ein routinierter Virtuose, weil ja kein Karneval mehr mit rasch folgenden Neuheiten seine schöpferische Leistung fordert. Und das war am Ende auch der immer springlebendige d'Andrade geworden, der den Don Giovanni als Abkömmling eines erotischen Harlekin packend gab. Oder der Schwede John Forsell, der die Kopie des romanischen Bühnenkünstlers als Rossinischer Figaro und Mozartscher Almaviva in eigener wirksamer Manier nachzuzeichnen wußte.

Italien schenkte uns in diesen Jahrzehnten viel: eine Franceschina Prevosti durchpulste als Violetta vollendete Koloratur mit dramatischer Kraft und Schattierungsfähigkeit, eine Gemma Bellincioni gar, mit dem Verismo groß geworden, hatte nächst der ausdrucksreichen, sinnlichen, wenn auch nicht bis ins letzte ausgefeilten Stimme die große Wandlungsfähigkeit und die völlig schablonenfreie Geste, die sie bis in den Bereich der Straußschen Salome trug. Und allein etwa stand, wenn man ihn mit einem durch das Spiel der Hände ausgezeichneten Scotti verglich, der große, von jedem dramatischen Gedanken unberührte Bariton Battistini.

Ein reicher Segen kam von Oesterreich. Wien hatte längst in Marie Witt eines der größten Stimmwunder, eine der packendsten Gestalten der Opernbühne verloren. Aber dieser Boden ist unerschöpflich an Primadonnen. Nicht nur die Singfreudigkeit der Stadt erzeugt sie: die Neugier, das Salon-, Zeitungs-, Cafégeplausch begleitet sie auch bis in ihr Privatleben und erhält sie in Geltung, auch wenn sie verblüht sind. Die trillerselige, eiskalte Selma Kurz war dort Opernkönigin. Aber an der gleichen Stelle erinnerte eine Gutheil-Schoder an die höhere Pflicht der Sängerin. Von der Musik aus empfindet sie das Drama, das sie mit gewissenhaftem Studium herausschält, ist nicht nur die beste deutsche Carmen, sondern eine Elektra, die alles Widerhaarige in Musik, wenn auch nicht in vollkommenen Ton, aufzulösen weiß. Und eine Mildenburg, die mit ihr treu zu Mahler hielt, bedeutet eine der stärksten dramatischen Kräfte der deutschen Opernbühne: hier wird Wagnersches Pathos noch einmal Natur, Brünhilde zu einem elementaren Wesen. In besessenen Augen glüht eine fanatische Liebe zur Kunst, und die Hoheit der Erscheinung meidet alles Statuenhafte. Freilich kann die Blütezeit der Künstlerin, die sich in ihrem Feuer und im Kampf mit ihrer Stimme verzehrt, nur kurz sein.

Die schrankenlose Wiener Sinnlichkeit feiert ihre Siege in Marie Jeritza, einer gesegneten, ungeistigen Zigeunernatur, die noch als Ariadne einen Nachklang ihres Wesens gibt. Und Zerbinetta lebt durch die ganz anders geartete Wienerin Marie Ivogün, die eine durch Zierlichkeit begrenzte, aber in der Anmut unnachahmliche Ausdruckskoloratur für die Oper einsetzt.

Vergessen wir aber uns selbst nicht: nicht die amerikanische Geraldine Farrar, eine anmutige Manon und Butterfly, nicht eine Frieda Hempel, die bei der Zierkunst begann, Nachtigallensang vortäuschte und sich bis zur poesievollen Feldmarschallin im Rosenkavalier steigerte, Helene Wildbrunn, die eine bürgerlich treue, immer schönsingende Wagnersängerin und trotzdem eine scharf geprägte Isolde ist; eine Martha Leffler-Burckard, die Wagner, Linie und Pathos um den Preis einer dauerhaften Stimme erreichte, eine Melanie Kurt oder eine Margarethe Arndt-Ober, die wie die Hempel jenseits des Ozeans ihr Glück suchten; beide zunächst starke stimmliche Werte. Oder Cläre Dux, die süße Kantilenen spinnt und mit ihrer Musik ein blasses Inneres verhüllt; oder Lola Artôt de Padilla, der Désirée Tochter, die romanische Anmut in unser Klima trägt; oder endlich Sigrid Onegin, ein neues, unerschöpfliches Stimmwunder, aber unprimadonnenhaft in ihrer Einfachheit und Herzlichkeit. Und es fesselten auch die nun von der Bühne abgetretene Meisterin der Instrumentalcoleratur Emilie Herzog, die rassige Eva von der Osten, die hochdramatische Ottilie Metzger, die Mozartsängerin Elisabeth Schumann, einzig in ihrer Beschränkung auf jenes Kunstgebiet, auf das eine kernige Stimme, außergewöhnliches Können und innere Musik sie weisen.

Die große sinnliche Kraft, die uns bezwingt, atmeten zwei; Emmy Destinn, eine Natur, die dem reinen, mit prächtiger Schallkraft ausströmenden Ton den Atem ihrer unerschöpflichen Geschlechtlichkeit einhauchte und allen Hemmungen ihrer Rundlichkeit zum Trotz die Illusion einer Santuzza, einer Carmen, einer Tosca, einer Aida, einer Donna Anna und Salome zu geben weiß. Es ist ein völliges Sichhingeben dieser Böhmin, die den Namen ihrer Lehrerin angenommen hatte und ihn berühmt machte. Sie ging von Berlin, das sie nicht zu halten wußte, über die Bühnen des Auslandes, über Amerika in ihr Böhmen, deren nationale Primadonna sie ist.

Und Barbara Kemp. Hier sind am Werk eine sinnliche hingebungssüchtige Naturkraft und ein fieberhafter Eifer das Drama auszusprechen. Man erlebt von neuem den Kampf einer Stimme, die nach höchster Veredelung des Klanges strebt, aber Mühe hat, gleichen Schritt mit dem Ausdruck zu halten. Es gibt Höhen und Tiefen, Fülle und Flachheit des von innen gespeisten, immer ergiebigen Tones; nie aber eine tote Stelle. Denn der künstlerische Mensch ist immer wach. Er hat die Forderungen der neuen Zeit, der neuen Werke gehört, und er fügt sich ihnen mit dem Zusammenklang von Selbstbewußtsein und Selbstlosigkeit, von Persönlichkeit und Ensemblegeist. Der untrügliche Instinkt schafft die freie Geste und löst alles Problematische in eine Leistung von stärkstem Eindruck auf. Heut ist sie die Aida, morgen die Mona Lisa, dann die Salome, die selbst den Tanz wagt und mit einem schmiegsamen Körper durchführt, und endlich die Donna Anna, die über allen Belcanto hinweg eine leidenschaftliche Rächerin ihrer Ehre wird. Hier ist nicht das Format, aber der künstlerische Wille einer Schröder-Devrient.

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Denn sie war ja, so weit wir blickten, die einzige Primadonna, die durch den Rausch zum Kunstwerk kam. Die anderen wollten nur den Rausch um seiner selbst willen, oder sie begnügten sich mit kühler Apollinik, oder endlich blieben am reinen Ton haften.

Barbara Kemp als Carmen

Dieser Belcanto, soweit er Koloratur ist, erweist sich ja zuletzt als Trugbild. Nie wird die Stimme den Triller des Vogels oder den des Instruments erreichen. Die Technik, die sich um Skalen müht, endet in Leerheit und Eitelkeit.

Für die Primadonna umdüstert sich der Himmel. Sie kann zwar immer noch von ihren Triumphen erzählen, auch wenn sie die Bühne mit dem Podium vertauscht und etwas von dem Zauber der szenischen Wirkung in die nüchterne Konzerthalle trägt.

Aber der vierte Stand zieht herauf, und scheint die Primadonna zu bedrohen. In weitem Umkreis ist nur wieder eine Schröder-Devrient das Kind des Volkes, das dem Volk alles, dem König nichts geben will. Alle anderen lebten im Sonnenglanz der Höfe.

So scheint auch für sie Götterdämmerung angebrochen. Sie müßte sich denn, als ein neues Wunder, zu der Persönlichkeit wandeln, die den Beifall des Volkes ersehnt, aber, mit der Kraft der Sinnlichkeit ausgerüstet, selbstlos zur Höhe der reinen Kunst emporsteigt.

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