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Vom Reiz der Unvollendung will ich sprechen. Er wirkt in Angelica Catalani und Giuditta Pasta.
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Nirgends wie in der Menschenstimme mischen sich Technik und Ausdruck. Nirgends wie hier stoßen Animalisches und Geistiges zusammen. Alles zielt darauf, diesem Tanz eng verschlungener Partner das glatteste Parkett zu schaffen. Wie aber, wenn Welt und Mensch letzte Vollendung hindern! Dann drängt das Persönliche vor, zwingt Kehlkopf und Stimmbänder, ihm zu dienen, lacht der Schwäche oder ringt mit ihr oder täuscht sie gar in Kraft um. Und wie der Tanz der Partner auf unvollendetem Parkett in seinen Phasen, Höhen und Tiefen der Leistung und der Wirkung zeugend, sich abspielt: dies eben ist das Fesselnde. Zu sehen, wie der Ruhm, der scheinbar nur der Meisterschaft gilt, gerade dieser oft aufrührerischen Kreuzung von Unvollendung und Persönlichkeit folgt: dies führt zu den Wurzeln der Kunst.
Die Stunde ist gekommen, da der Wettstreit zwischen Stimme und Instrument an einen Prellstein führt. Der von den Neunapolitanern begünstigte Ehrgeiz, die Intervalle von Oboe und Violine im Geschwindschritt nachzuahmen, dem Kehlkopf instrumentale Unfehlbarkeit zu geben, hat die äußerlichste Gesangskunst in die Welt gesetzt. Raschheit über Hindernisse hinweg: Blendwerk ist erreicht. Aber der Grund ist unterwühlt. Der gehaltene Ton, das Sostenuto ist selten geworden. Es baut sich nur mit geduldigem Aufwand an Zeit auf. Die dem Erfolg zujagende Hastigkeit verachtet es.
Anderes noch ist tätig. Der gesunde Menschensinn hat in seinem Sturmlauf gegen die opera seria Siege erfochten. Die opera buffa der Cimarosa und Paesiello hat sie vollendet. Der Baßbuffo, männlich, rauh, rücksichtslos, spottet des Kastraten, den man als Schande, Entartung, Widersinn empfindet. Die Natürlichkeit des Spiels hier und die Verkalkung der Form dort scheinen unverträgliche Widersprüche. Das Komische, zuerst aus Laune, dann aus Ueberlegenheit, ist zur Macht geworden, die auf sie hinweist und eine höhere Einheit des Buffonesken und des Seriösen im Werk sucht. Das dramatische Gewissen ist geschärft. Es fordert mehr Fortlaufendes als Auf- und Abstürzendes.
Schade nur, daß um eben diese Zeit und nicht rein zufällig die Phantasie zurückgescheucht und geschwächt wird! Der Kastrat, Begründer des Belcanto, war zugleich Bereiter des Bodens, auf dem die Improvisation sich auslebte. Tut ihn ab: es leiden zugleich Können und Schaffen. Noch bevor Rossini dem Sänger die Noten genau vorschrieb, die nun für jede Kehle und für jede Stimmung passen sollen, war es diesem unmöglich, sie selbst zu ersinnen. Das Erotische als schöpferische Kraft hat sich verdünnt. Der Geist des Abenteuers ist durch die Revolution erschüttert. Ein Casanova sieht die Republik Venedig und seine Welt versinken. Nüchternheit, Bürgerlichkeit wagen ihren ersten Verstoß gegen das Theater, verändern sein Wesen und das der Menschen, deren Welt es ist. Die Musikbühne und der Sänger haben gemeinsam den Weg ins Freie zu erzwingen: von sich selbst und von der Gesellschaft, die beide an sich zieht.
Die italienische Primadonna, in der zuerst der Verstand die Sinnlichkeit überwiegt, ist eben die Catalani. Und merkwürdig genug, auch eine der ersten Frauen, die in Rom, nach der Abdankung von Heuchelei und Dunkelmännertum, auf öffentlicher Szene erscheinen. Karneval 1799 tritt die Sechzehn-bis Neunzehnjährige in der Ifigenia in Aulide von Giuseppe Mosca auf der Bühne des Teatro Argentina auf. Die Entführung aus dem Kloster Gubbio, wo das Mädchen aus Sinigaglia zuerst auffiel und sittenwidriges Beifallklatschen in der Kirche hervorrief, hatte ihr den Weg zur Oper, zum Fenicetheater in Venedig, gebahnt. Der Anlaß, sich mit dem Nachwuchs des Kastratentums zu messen, findet sich bald. Der Kastrat Crescentini, den Italien als Gesangsmeister ehrt, will sie auf seinen Weg führen, muß aber sehen, daß sie ihn gar nicht versteht. Doch man staunt über die Naturkraft ihrer Stimme. Lissabon begehrt sie und bezahlt sie mit 3000 Pfd. Es ist das Sprungbrett für den künftigen Aufstieg. Von hier führt 1806 der Weg nach England, wo sie am Kings-Theater Glanz und Besitz mehrt und schließlich ihre Jahreseinnahme bis zu 16 700 Pfd. steigert.
Zunächst kennzeichnet sie das Heroische. Sie war, wenn wir dem ernstesten Kritiker und Bekannten Sievers glauben dürfen, eher klein und zierlich und wird doch als hohe majestätische Erscheinung gerühmt. Hier baute sich der Geist Körper und Haltung. In ihrem Kopf streiten leuchtende Augen mit nordischer Herbheit. Man weiß, wie sie Napoleon anzog und doch fürchtete; dagegen den feuchtfröhlichen Haudegen Blücher ehrte. Sie wurde als politisches Machtmittel ausgenutzt und sollte Frankreich zur Tatkraft entflammen. Aber das Heroische, das schon gegenüber Napoleon nicht standhielt, versagte wohl am stärksten da, wo sie liebte: der Gesandtschaftsattaché Monsieur de Vallabrègue, eine habgierige soldatische Null, gewann ihr Herz und ihre Kasse. Das war sehr schätzbar, sicherte ihm nicht nur Reichtum und die Möglichkeit, ihn im Spiel zu vertun, sondern auch eine Frau, die das Abenteuer nicht liebte, sich nie von ihren Sinnen überrumpeln ließ. Das Heroische ist mehr ein Herrisches, aus Wirkungswillen und Erfolg geboren. Ludwig XVIII. verkannte ihre männliche Unternehmungskraft, wenn er ihr 1815 die Leitung des Théatre Italien in der Rue Favart zutraute und 160 000 Franken jährlich beisteuerte. Denn schließlich ist sie ein herrschsüchtiges Weib ohne Augenmaß für das Gerechte, die Primadonna trübt den Blick der Direktorin, die, auch nach Vorschrift des geldgierigen Gatten, jede Ausgabe für Sänger oder Szenarium kürzt oder gar streicht. Sie will nur sich inszenieren, bleibt allein und erfolglos. Alle erhöhende Tatkraft empfängt Begrenzung und Reiz von physiologischer Schwäche. Der eine lernt sie als großmütig, der andere als geizig kennen. Sie wirft viel weg, nur nie sich selbst. Denn sie ist, bei aller Laune, verständig und hält auf Würde. Mit Königinnen scheinbar als Ebenbürtige zu verkehren, sich Königinnen durch den Aufwand an Edelsteinen zu nähern; das entlohnt sie für entgangene Abenteuer, die sie im Innersten nicht begehrt.
Schon hat in nahezu zwanzigjähriger Laufbahn Fama ihren Namen zu einem klingenden Zauberwort gemacht, als sie 1816 im Lande der reinen Vernunft auftritt. Und nun ist es interessant, zu sehen, wie sie diese zum Entgleisen bringt. Das in Deutschland, Preußen, Berlin erwachende Konzertleben hat sich noch nicht gefestigt. Es schwankt zwischen Sensation und Vernünftelei; entnimmt noch dem Theater starke Anziehungskraft, ohne wie in Paris und London mondän, gesellschaftlich zu sein. Nur daß eben bei uns der Zug zur Uebersinnlichkeit im Konzert unverkennbar ist, während dort das Auge schließlich immer wieder den Glanz des Mondänen befiehlt. Freilich erleben wir auch auf deutschem Boden in der Zeit höchster Konzertkultur diese Rückfälle ins Theatralische, weil die Frau als erfolgwirkende Macht die Verführungen des Szenischen auf dem Podium herbeisehnt.
Die Catalani also führt zum ersten Male die reine Vernunft aufs Glatteis, doch nicht ohne ihr zu schmeicheln. Der nüchterne Kritiker wird von vielem in ihr. gekränkt, von der Gesamterscheinung aber gefesselt. Die Widersprüche in ihr reizen zur Aussprache. Es widersprechen sich Vorzüge und Schwächen im Mechanismus und im Ausdruck. Der Triller in seiner Rundheit und Dauer versetzt dem Zuhörer den Atem. Aber in der nicht eben langen Reihe von Tönen, die der Stimme zu Gebote stehen, mischt sich Edles mit Unedlem. Die instrumentale Sicherheit der Läufe, besonders der chromatischen, scheint nur bei leichtem Tonansatz möglich. Merkt ihr aber, wie sie die unteren Kinnbacken bewegt? Gewaltsam hervorgestoßene Laute, gutturale Laute wollen nichts von der Vorschrift des Maestro wissen. Das wäre also in der Hitze geschehen? Doch nein: ihr Temperament ist kalt und wühlt nicht auf. Hört nur diese kurze Kantilene: mühevoll und ausdruckslos wird sie gebildet. Die Rhodeschen Violinvariationen über nel cor più non mi sento sind ihr Paradestück. Instrumentale Staccati blitzen auf. Ein römischer Bildhauer amüsierte sie später sehr, als er das im Falsett nachahmte. Es scheint leerstes Virtuosentum, von einem Instrument auf ein ganz anders geartetes übertragen. Doch gibt es Koloraturen, die das Komische darstellen. Und wer sich eben noch an eitlem Prunk stieß, ist berauscht, wenn sie Variationen über God save the King mit hoch über dem Orchester thronender Stimme singt und das Publikum, in ihrem Banne, bei den folgenden Versen miteinfällt. Der Ausdruck der Majestät kann nicht überzeugender sein. In der Zeit neuentflammten Nationalgefühls kommt die Freundin der Könige dem Volke entgegen.
Die Bühnensängerin Gatalani hat kein echtes Pathos. Selbst die Gräfin in Figaros Hochzeit bleibt ihrem Wesen fremd. Seht sie aber als Susanna oder in einer opera buffa: da lenkt gesunder Menschenverstand den Instinkt der Italienerin, sie neckt, reizt, zupft, kurz: ist im Einklang mit der Musik beweglich und wirksam. Freilich wird der Gang der Darstellung durch irgend einen Widersinn unterbrochen. Die Primadonna, die sich eben ihrem Instinkt überließ, beobachtet und unterstreicht den Effekt, der den Ausdruck schädigt. So ist ihre Mimik in der Anlage gegeben, aber in der Ausführung zwiespältig und durch Aeußerlichkeit getrübt. Kurz: die Naturalistin ist bald fördernd, bald hemmend, in jeder Leistung der Künstlerin zu spüren. Die Natur, die übermächtig schien, wird von der Vernunft eingedämmt. Aber das Blendende hat gesiegt. Ein Wunder ist geschehen; der Rausch der Menschen bezeugt es. Und doch ist es nicht Entweihung, wenn kühle Ueberlegung Flecken auffindet.
Man begreift, daß diese Zwiespältigkeit sich zunächst an der Stimme rächen mußte. Der Mangel einer gesicherten Grundlage, das Fehlen des Ausgleichs der Register, die Unruhe einer Tongestaltung, die eine messa di voce, ein Tonspinnen hinderte, zeigte selbst bei dieser natürlichen Ueberkraft des Singorgans ihre Folgen rascher, als das Alter der Sängerin zu rechtfertigen schien. Sehr früh beginnen schmelzlose, blecherne Töne zu stören. Das veranlaßt sie freilich nicht zum Abschied von einer Oeffentlichkeit, die auch jetzt noch Grund genug hat, die Persönlichkeit zu feiern, mindestens aber unter dem Nachhall dieses vergötterten Namens von seinen Gunstbezeugungen nicht abläßt. Auch der Norden Europas hat sie gehört. Schließlich zieht sie sich in den Fünfzigern zurück, genießt, mit Glücksgütern gesegnet, von 1838 ab auf ihrer Villa bei Florenz eine ehrenvolle Ruhe als umschwärmte Gesangsmeisterin und stirbt 1849 in Paris als eines der ersten Opfer der Cholera.
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Der Reiz des Unvollendeten verstärkt sich in Giuditta Pasta, weil eine ganz andere Innerlichkeit mit der Technik kämpft. Hier zeigt sich die merkwürdige Krisis, die das beginnende neunzehnte Jahrhundert i-m Opernsänger hervorruft. Nun stehen wir vor einer Frau, die den Geist der großen Primadonnen der Vergangenheit geerbt hat. Aber die Zeit stellt ihr Hindernisse. Nur Hindernisse? Eine höhere Auffassung vom Dramatischen gewittert auch in der Oper. Nun ist es ja wahr: die Oper Rossinis, von einem geistreichen Genießer, nicht von einem tiefen Empfinder geschaffen, scheint gerade der leidenschaftlichen Frau die Schwingen der Phantasie stark zu stutzen. Die Koloratur, die einst aus der Stimmung des schöpferischen Sängers strömte, ist genau vorgezeichnet und, nur wenn sie die klingenden Saiten der Stimme trifft, durch die glückliche Stunde in nachschöpferischen Wert umzugießen. Aber ist denn Koloratur alles? Die dramatische Darstellung soll jetzt nicht nur dem Höhepunkt der Bravourarie gelten, sondern schüchtern auf weitere Gebiete ausgreifen. Die Erotik als zeugende Macht soll sich mit der Erkenntnis verbünden und nun ein Niveau von Darstellung erreichen, die von den früheren Sängerinnen kaum eine oder zwei, etwa die Tesi, geahnt hat. Heute aber werden Menschen mit neuen Nerven geboren: sie tasten sich mit stärkerem Verantwortungsgefühl empor, wollen das, was eben geschaffen wird, durch ihre Kunst steigern und den Weg zu immer eigenartigeren Kunstwerken bahnen.
Giuditta Pasta als Desdemona
Die Pasta ist die erste Frau, die Probleme der Operndarstellung fühlt, wenn auch nicht durchweg erkennt. Denn sie ist nicht nur Italienerin, Instinktmensch, 1798 zu Savona bei Mailand geboren, sondern auch Jüdin, in der Geist, Nerven und ein tragisches Mitleid wirken. Während sie über die Schwelle des neuen Jahrhunderts tritt, wird sie durch ein höheres dramatisches Gewissen in Konflikte getrieben mit dem, was den Grund verklungener Kunst zu bilden schien: mit dem Belcanto. Stendhal, der feinhörigste, feinnervigste Liebhaber des italienischen Gesanges, ist der Erscheinung dieser Sängerin mit dem liebevollsten Essay nachgegangen. Heut ist es dem Rückschauenden, der mehr erlebt hat als dieser begeisterte Rossinist, gegönnt, das erste Aufleuchten einer interessanten Zweiteilung, den Widerstreit des Dramatischen und des Gesanglichen in dieser bezaubernden Persönlichkeit nachzuempfinden.
Denn sie ist eine Ringende. Mitgabe der Natur ist das Ebenmaß, die Linie des kaum mittelgroßen Körpers, des Gesichts, in dem die erhabene Stirn von Denken, das Auge wiederum von glühender Sehnsucht nach den Flammen schöpferischer Erregung spricht. Alles scheint auf antike Würde gestimmt, aber hier deutet sich bereits die Unruhe an, die Geist, Tiefe, Leidenschaft vereint in den Operndarsteller hineintragen. Und in der Tat: die erste Unruhe kommt vom Mechanischen. Die flüchtig gebildete Stimme ist lange kein gefügiges. Werkzeug ihres darstellerischen Willens. Mailand, dessen Konservatorium sie besucht hat, besitzt zwar eine für die Oper tonangebende Skala, bildet aber mehr zur Instrumentalmusik. Die junge Giuditta Negri muß auf italienischen Bühnen, in Paris unter der Catalani, in London am Kings-Theater im Schatten stehen, weil ihr Wesen unerkannt bleibt, nur durch einen reinen, schönen Gesangston hindurch erkennbar wäre. In Paris, wo alles abgeschätzt wird, finden die kältesten Koloraturprimadonnen, eine Fodor-Mainvielle, eine Camporesi das lauteste Echo. Und London hat sich gewöhnt, die Sängerinnen von Paris entgegenzunehmen. Wer sollte da für den echt tragischen Ton dieser nun mit dem Tenor Pasta vermählten Giuditta ein Ohr haben! Aber, Hand aufs Herz, Umkehr tut not, soll nicht ein unschätzbarer Wert verkümmern. Die Frau, die ihren Mißerfolg oft genug erprobt hat, wendet sich nach Italien zurück, macht bei Scappa Tonstudien und hofft, nach einem Jahr das Ungeheuer Publikum zu bezwingen, vielmehr: die Stimme bald auf die Höhe ihrer Darstellungskunst gebracht zu haben.
Darin irrt sie. Aber der Zwiespalt, der zwischen Brust- und Kopfregister zu spüren ist, kann ihrem Erfolg nicht schaden. Von nun an steigt sie zu europäischem Ruhm. Paris stempelt sie 1821 für Europa ab. Man frage aber, in welches Fach die Stimme gehört: unmöglich sie einzuordnen. Der Kampf zwischen einer tiefen Alt- und einer hohen Sopranlage, die durch eine unsichere Mitte geschieden sind, gibt Opernerlebnisse seltenster Art. Die Arie hat eine ganz neue Wärme, das Rezitativ einen tiefdringenden Ton, und, seltsam genug, die Höhenlage bringt Koloraturen. Sie haben nicht die haarscharfe Treffsicherheit noch die glitzernde Kälte der instrumentalen, sondern sind von einem Temperament getragen, in dessem Grund Würde und Tiefe ist. Und besonders eigentümlich, wie diese Frau mit dem Instinkt der tragischen Schauspielerin die Stimme an ihren starken wie an ihren schwachen Stellen umfärbt, das Zwiespältige mit den Schwebungen der Leidenschaft durchfühlt und in ihrer ganzen Skala nicht einen einzigen Ton ohne Inhalt läßt. Es ist ein unaufhörlicher Kampf mit dem Singorgan, ein Trieb, es mit dem Dramatischen in gleichem Schritt zu steigern, eine Genugtuung darüber, daß immer noch neue Aussichten sich zeigen. Talma lauscht, um von ihr zu lernen. Sie selbst glaubt viel von dem italienischen Schauspieler de' Marini zu haben, schöpft aber ihr Bestes aus sich selbst. Sie ist mit sparsamen, aber wundervoll ruhigen Gesten eine rührende Desdemona Rossinis geworden, die den Dolch Otellos unschuldssicher, ohne zu zucken, empfängt, hat Tancred, Romeo einen Ausdruck gegeben, den der Maestro nicht geahnt, nicht einmal gewollt hat. Denn ihr Geist ist nicht der Rossinis. Der liebt seine maccaronispinnenden Primadonnen, liebt sie manchmal sosehr, daß er zum Beispiel seinem abgefeimten Impresario Barbaja zu Neapel die koloraturfreudige Geliebte Mlle. Colbrand wegheiratet und sich Werke von ihrer Kehle diktieren läßt. Madame Colbrand-Rossini wird zunächst teurer bezahlt als Madame Pasta. In Vincenzo Bellini ersteht dieser ein neuer ahnungsvoller Schaffender. Dem Komponisten der Sonnambula und der Norma, der zuerst in die bezauberndste Cantilene tieferen Sinn und eine zarte Seele legen will, schwebt als Muse die Pasta vor.
Gewiß, nun wird sie, in den Dreißigern, der Cavatine »Casta diva« mehr Glut und Hoheit als ihren Vollklang geben. Aber sie hat den echten Ton, zeigt einen unerschöpflichen Reichtum an Einzelzügen und wächst als Zürnende und als Rächerin zu der einprägsamsten Gestalt unter den Sängerinnen der Zeit. Sie kam später als die Catalani, in der Dämmerung ihrer Kunst, 1841 nach Deutschland, und enttäuschte auch für eine Riesengage: in Petersburg. Zwischen ihrem Drama und ihrer Musik begann schon ein Abstand zu klaffen, und der opernhafte Mendelssohn belächelte die Berliner, die ihr Falschsingen nicht hören wollten.
Sie starb 1856 nach einem Leben, das aller Opernflitter nicht von seiner Grundrichtung ablenken konnte. Für das Echte der Empfindung auch innerhalb der Unechtheit eine immer höhere Form zu finden, war das Problem, das sie mit dem ganzen Aufgebot persönlicher Kraft im Geist ihrer Rasse löste.