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Die Bettleroper von William Hogarth.
Auf dieser durch den Markt bevölkerten europäischen Bühne sollen nun die Hauptspieler auftreten. Da sind Namen, die vielleicht einmal ans Ohr geklungen haben, nun aber wesenlos geworden sind. Es genügt nicht, sich damit zu trösten, daß dem Mimen die Nachwelt keine Kränze flicht. Wir stehen immer wieder stumm vor einer Tatsache: die Hilfsmittel einer Kultur, deren Mitträgerinnen diese Persönlichkeiten waren, reichten nicht hin, ihr Bild fest zu prägen. Da gab es noch nicht anderthalb Jahrhunderte einer Kritik, die jeden Zug zu erhaschen und mit immer feineren Organen der Sprache zu bannen suchte; da gab es keine Technik, stark genug, den Klang aufzufangen und aus ihm herauszulesen, was das nachschöpferische Wort nicht sagen konnte. Man vergötterte und verdammte. Man beschrieb wohl auch, blieb aber auf halber Strecke stehen. Der Aesthetiker Schubart begann tiefer zu schauen. Aber eine Zweiteilung der genießenden Persönlichkeit schien unmöglich. Und in der Tat: gebrochene Naivität mag Organe verfeinert haben, sie hat schließlich auch die Welt entgöttert.
Nun heißt es, die Halbgötter wieder in die Welt zu setzen, vom Staube zu befreien, was zu modern begann. Schon steigen die einst berühmten Menschen aus der Versenkung auf. Nur berühmt? Sie haben nicht nur an der Oper mitgeschaffen, sie lenkten hinter den Kulissen die Geschicke von Völkern. Die Primadonna, die Instinkte weckt, saugt auch Kräfte auf. Sie redet der Phantasie zu und der Vernunft ab. Wie sie die Wirtschaft des Landes beeinflußt, so auch die Politik, deren gerade Wege sie kreuzt. Und wie vieles andere noch wandelt sich unter ihrem heißen Atem!
Noch einmal: diese Hauptspieler der europäischen Bühne treten auf. Und wir wollen, wenn möglich, miterleben, wie sie mit dem Mann für ihre Kunst schöpferisch werden, wie sie sich hassen und die Gesellschaft zu leidenschaftlicher Parteinahme zwingen; wie sie endlich aus beschaulicher Ruhe auf ihr gehetztes Leben zurückblicken und neidlos ein neues Geschlecht im Vollgenuß des Ruhmes sehen.
Im Jahre 1772 besuchte der englische Musikschriftsteller Dr. Charles Burney auf seiner Reise durch Deutschland Wien, das buen retiro ausgedienter Sänger und fand dort zwei Matronen: Faustina Hasse und Vittoria Tesi. Wie alt waren sie doch? Schon hier beginnt das Romanhafte ihres Daseins. Das Alter einer Primadonna war selten genau nachzurechnen. In einer Zeit, wo sie oft schon mit fünfzehn Jahren die Bühne betrat, begann die Verschleierung des Geburtsdatums sehr früh. Gewiß ist, daß beide um das Jahr 1700 geboren wurden und schon im zweiten Jahrzehnt anfingen, berühmt zu werden.
Die berühmtere von beiden ist Faustina Hasse. Man hat im 19. Jahrhundert mehrmals ihr Leben beschrieben: romanhaft und auch treu. Die Frauen forderten diesen Tribut an ihr Geschlecht. Das 20. Jahrhundert, das nüchtern Kränze zerzaust, kennt solche Ansprüche nicht mehr. Um so notwendiger scheint es, diese Gestalt noch einmal zu beschwören: nicht indem man die Ereignisse dieses Lebens erzählt, sondern aus Person und Schicksal die Prägung und Begrenzung des Ausnahmetypus schöpft. Denn daß der Typus der Primadonna nur in einem kleinen Kreis hervorragender Menschen eine Höhe erreichte, die den Nachruhm rechtfertigt, ist unzweifelhaft. Faustina Bordoni, die eine Hasse wurde, beweist nicht nur die oft bewiesenen Zusammenhänge zwischen der Kultur des Südens und des Nordens. Sie zeigt, wie die Sinnlichkeit einer Vollblutsängerin sich im Zusammenwirken mit dem Mann verfeinert, wie sie als Frau in Rasse und Geschlecht entscheidet, aber durch den Mann zu gesammelter Kraft angespornt und so schöpferisch gemacht wird. Venezianerin, mitten in einem Opernbetrieb aufgewachsen, der alle guten und schlechten Instinkte gegeneinander führt, in Wien gefeiert, dann in London von einer Partei gegen die andere ausgespielt, immer von hemmungsloser Leidenschaft, bindet sie sich als etwa Dreißigjährige an einen geborenen Deutschen, dem Italien das Land seiner Wahl und Alessandro Scarlatti Meister ist: Adolf Hasse, den auch tenorsingenden »caro Sassone«, der nichts Höheres kennt, als auf italienische Worte eine italienische Musik zu setzen, unermüdlich die gesangvolle, durch ein dünnes Orchester noch mehr beleuchtete Arie zu pflegen. Von diesem Augenblick an trennen sich die Beiden nicht, sie schaffen in Liebe an der Melodie, der Kapellmeister denkt an seine Frau als die vornehmste Mittlerin seiner Gedanken, Faustina bereichert sie improvisierend. So wirken sie etwa drei Jahrzehnte lang hochgeehrt in Dresden, das eine italienische Kolonie ist, sehnen sich aber immer wieder nach Venedig. Und nun ist es hübsch, die beiden zu sehen: diese zweifellos etwas ältere Greisin Faustina, die sehr gesprächig die Vergangenheit aufleben läßt und an der Gegenwart geistig teilnimmt, aber die Aufforderung des Besuchers, zu singen, mit einem »Ich kann nicht, ich habe alle meine Fähigkeiten verloren« ablehnt, und den liebenswürdigen Adolf Hasse, der in Italien noch alles gilt, Sängerinnen empfiehlt und durchsetzt, aber doch schon eine neue Zeit anbrechen sieht, ohne an der Dauerhaftigkeit seines Lebenswerkes zu zweifeln.
Doch jene Vergangenheit, auf die eine reizende Matrone zurückschaut, werde uns zur Gegenwart. Die Jugend einer Primadonna ist eine unersetzliche Kostbarkeit. Zehn, zwanzig Jahre lang sucht sie den Zuwachs an Jahren zu überschminken. Dann aber fühlt sie, daß kein Kunstmittel den schönen Schein zurückzwingt, spürt es an dem schwächeren Echo, hört ein Spottwort und verzichtet. Auch Faustina begann früh zu altern. Unser fröhlicher Reisender de Brosses findet sie, die er als beste Frau der Welt rühmt, schon um die Vierzig herum nicht mehr ganz frisch.
Wir müssen weiter zurückgehen, nach London in die Händel-Zeit, wo diese beste Frau der Welt als junge, rasende Primadonna, durch eine Nebenbuhlerin herausgefordert, auf der Bühne kratzt und rauft. Diese Szene wird zum Sinnbild einer Kulturepoche. Sie läßt uns in die Seele englischer Menschen jener Zeit schauen.
Primadonnenkämpfe sind eine Selbstverständlichkeit. Wo die Eitelkeit im Dienste einer Sinnlichkeit steht, die erobern will, müssen sie auftreten. Aber zweierlei erst macht sie zum fesselnden Schauspiel: die Bedeutung der streitenden Persönlichkeiten und die Sinnlichkeit des mitspielenden Publikums. Darum sind sie eine natürliche Ergänzung des Karnevals in Italien, wo kindliche Naivität die Leidenschaften zur Siedehitze bringt. Man erlebt es schon im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts in Rom, als Margherita Costa aus Ferrara hier, Cecca della Laguna aus Venedig dort ein Fieber hervorrufen, die unvermeidlichen Kardinäle hinter den Kulissen arbeiten, Parteien sich bilden und hetzen und das Schlimmste nur dadurch verhütet wird, daß die Fürstin Aldobrandini anstatt der beiden Damen zwei unschädlichere Kastraten zu gleicher Zeit auftreten läßt. Hier verhindert der Adel den Skandal, den das Publikum herbeisehnte. In Neapel, wo das Publikum mitspielen darf, gedeiht er in der opera seria und in der buffa. Zwei Rivalinnen geben im Ernst eine komische Szene, werden von der Galerie gereizt, karikieren sich gegenseitig, prügeln sich und werden erst durch einen kalten Wasserstrahl getrennt. Die Unbeherrschtheit der Instinkte reicht noch weiter. Denn immer schüren Männer das Feuer, und es kann geschehen, daß ein Mann als Opfer von Frauenhand fällt. Das Erotische als bewegende Kraft schafft und vernichtet.
Wahr ist aber: in Italien mit seiner eingeborenen Liebe zum reinen Ton sucht man im allgemeinen den Theaterskandal als Selbstzweck nicht. Zwei »prime donne assolute« wie Kampfhähne gegeneinander loszulassen, widerspricht der Neigung der Sängerinnen und der des Publikums. Und nur sein Hang zum Spaß, zur »burla« läßt es entgleisen. Ohne dies keift die seconda gegen die prima donna: alles, von der Schleppe bis zur Arie, ärgert sie an ihr. Sie leidet an ihrer untergeordneten Stellung. Zwischen prima donna und primo uomo verstummt der Kampf. Der Geschlechts- und der Seelenunterschied, den man künstlich beseitigen wollte, aber nicht konnte, trennt zuletzt auch ihre Wirkungsgebiete. So ist in Italien, nach erregtem Spiel hinter den Kulissen, der Streit um die Palme im Belcanto ein künstlerischer Wettstreit.
In England dagegen sind die Sänger »charmers of an idle age«. Die Politik scheint alles zu verschlingen. Die Kämpfe der Tories und der Whigs prägen der Zeit ihren Charakter auf. Eine echte Sinnlichkeit gibt es nicht. Die Phantasie ist lahm. Von der Musik als metaphysischer Kunst scheidet ein Abgrund. Aber Unterhaltungsbedürfnis, Snobismus, Sensationslust verbünden sich, um den Müßiggang so genußreich wie möglich zu machen. Für diese Gesellschaft scheint der italienische Sänger, nicht als Instrument der Leidenschaft, sondern des reinen Tones geradezu erfunden. Ihn nach England zu locken, das den ganzen Kontinent in der Entlohnung der Belcantisten überbietet, ist nicht schwer. Die Motive aber, die eine italienische Oper in London befürworten, empfahlen auch möglichst gehäufte und gepfefferte Bissen. Wie dort Whigs und Tories, so sollen sich auf der Bühne zwei kämpfende Primadonnen gegenüberstehen. Das muß nicht nur zur erregendsten Szene hier, sondern zu Parteiungen dort, also zu einer künstlerischen Spiegelung des politischen Kampfes führen. Das Geschwätz in den Cafés und Salons hat freie Bahn. Die Zeitung wird zur Wortführerin der Parteien. Dichter treten mit auf den Schauplatz. Die Karikatur arbeitet.
Francesca Margherita de l'Epine, italienische Sängerin, hat ein böses Abenteuer auf Londoner Boden. Sie ist Künstlerin, aber häßlich. Man spielt die schöne Engländerin Catarina Tofts gegen sie aus. Ein Graf Nottingham hat den Mut, sich als Verehrer der Italienerin zu bekennen. Es hagelt Spottverse. Die schöne Frau siegt. Aber sie ist selbst entrüstet, als eines Tages ihre Dienerin die arme ausgepfiffene Rivalin auf der Bühne mit einer Apfelsine bewirft. Es gab einen Riesenskandal. Auch Margherita Durastanti, die von Venedig über Dresden nach London gelangt ist, erlebt Peinliches. Sie muß sich mit Anastasia Robinson messen.
Beider Tage sind gezählt. Das war nur Vorspiel. Denn Francesca Cuzzoni erscheint und fegt bald alle Mitbewerberinnen vom Schauplatze hinweg. Sie zeigt zum erstenmal die Kraft einer Persönlichkeit, die auch der Mißgunst der Natur spottet. Nichts weniger als eine schöne Frau. Auch keine anmutige. Dick und kurz. Sie ist wohl im 18. Jahrhundert das erste und stärkste Beispiel dafür, wie eine charakteristische Häßlichkeit durch den Ausdruck nicht nur Widerstände überwindet, sondern höchste Reize vortäuscht. Alles deutet darauf, daß der männliche Einschlag in ihr Heftigkeit zu rücksichtsloser Tatkraft steigerte, kurz daß sie eine Kanaille war. Der Zufall will, daß sie unter dem Kraftmenschen Händel singt, der sie trotz allen Zugeständnissen an ihre Kehle undankbar und widersetzlich findet, so daß er sie eines Tages zum Fenster hinauszuwerfen droht. Die deutsche Primadonna Mariane Pirker, sonst eine ganz brave Seele, nennt sie einmal in einem Briefe »eine dicke Sau«. Und wir wissen, daß dieses gewaltsame Weib später ihren Mann aus der Welt schaffte, aus Venedig verbannt wurde, der Mingottischen Operntruppe folgte, endlich Seidenknöpfe verfertigte und siebzigjährig starb. Es ist Renaissancegeist in ihr.
Diese Cuzzoni blendet nun aber nicht etwa durch das, was in jener Zeit zunächst den Ruhm begründet, nicht durch unerhörte Geläufigkeit im Allegro, sondern durch ihr aus den Tiefen des Instinkts geschöpftes Pathos, das ihr Adagio trägt. Eine »sehr angenehme und helle Sopranstimme«, die bis zum dreigestrichenen C reicht, gibt an Koloratur nur einen hübschen Triller her. Das Persönliche aber bezaubert alle, Männer wie Frauen. Das Billet für den Abend kostet vier Guineen. Ihre Arien schmücken die Fächer der Damen und die Hausgeräte. Man reißt sich um ihr Kostüm als Rodelinde, das Mode werden soll. Und doch steht fest, daß sie schlecht gekleidet ist.
Drei Jahre dauert die Raserei. Aber eine Alleinherrscherin gelten lassen, hieße zugleich, auf den Reiz des Widerspruchs verzichten. Man wird sie zu entthronen suchen. Die etwa gleichaltrige Faustina, die Venedig, Wien entzückt, scheint die rechte Kraft dazu. Seit 1725 ist sie für London gechartert. Und von da ab gewittert es in den öffentlichen Blättern. Nichts wird unterlassen, die Cuzzoni zu reizen.
Im »Alessandro« von Händel stehen 1726 beide auf der Bühne des Haymarkettheaters. Und nun scheiden sich die Geister. Man schien über dem Reiz charakteristischer Mannweiblichkeit, die sich den schönen Schein zu geben wußte, die Anziehungskraft echter Weiblichkeit vergessen zu haben. Faustina Hasse erinnert wieder an sie. Auge, Mienenspiel, Körper, alles verrät eine durch inneren Adel ausgezeichnete Vertreterin ihres Geschlechts. Anmut wohnt in ihr und krönt die Sinnlichkeit, die ihre Kunst mit Blut füllt. Ihr Reich ist das Allegro. Ihren nur zwei Oktaven umfassenden Mezzosopran in raschesten Noten, 16 durch einen Takt hindurchzuführen, ist ihre Eigentümlichkeit. Laufend; und schwingende Passagen, geschwinde gehauchte Töne, runde Triller werden mit Meisterschaft des Atems herausgeschleudert, Phantasie wie Verstand haben gleichen Anteil daran. Sie verachtet das Wort keineswegs. Jede Silbe erhält ihren Wert.
Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni, könnte man doch beide verschmelzen: dies, der Wunsch des alten Maestro Tosi. Die Gesellschaft dachte anders. Viel genußreicher, die eine gegen die andere auszuspielen. Faustina, diese im besten Sinne weibliche Frau, dabei voll Tatkraft und Ehrgeiz, bekehrte natürlich zunächst die Männer. Aber schließlich verheiratete sich die Politik mit der Kunst. Hier Cuzzonisten unter der Gräfin Pembroke, dort Faustinisten unter der Gräfin Burlington und Lady Delaware. Hymnen, Pamphlete, Duelle jagten einander. Zweikämpfe zwischen Klatschenden und Zischenden. Erkältete sich Faustina, wurde ihr Stimmverlust für die Ewigkeit erklärt. Man lud beide zusammen ein, führte die eine unter einem Vorwand beiseite, wenn die andere sang. Der Verhetzung sollte die Versöhnung folgen. Aber die Gesellschaft bestand auf ihrem Recht und schürte weiter. Das königliche Haus schaute zu. Bis eines Tages in Bononcinis Oper »Astyanax« die Witwe Hektors und die Tochter Menelaus ihre Rolle vergaßen und den lange angesammelten Zorn gegeneinander entluden. Zerkratzt und blutig traten sie vom Schauplatz ab. Die Szene wurde in ihrer Komik verwertet. Nicht weit davon belachte man ihre Parodie.
In diesem weltberühmten Streit faßt sich die ganze Kindlichkeit der gefeiertsten Primadonnen und die ganze Albernheit des englischen Publikums zusammen, das ebenso Händel gegen Bononcini und Porpora ausspielte. Aber die Gewaltsame, Herausfordernde unter den beiden Frauen war die Cuzzoni. Der Starrsinn verdarb ihr das Geschäft. Ihre Laufbahn führte sie wieder nach Italien und an den Hof von Württemberg. Ihre Stimme welkte rasch. Man weiß, wie sie endete. Faustina kennt ihren Weg. Sie hat den Trieb, ihrer innerlich vornehmen Natur das letzte abzuverlangen. Sie ist die erste Frau, die soviel Kühnheit in der freien Variation beweist. Aber mehr und mehr veredelt sie mit geschwächter Sinnlichkeit ihr Pathos. Gewiß hat der Vielschreiber Maestro Hasse, der sie für sich gewann, auch ihr manches vorgeschrieben, vor allem aber ihren Geschmack gelenkt. Sie wirkte auf ihr Geschlecht. Die Geläufigkeit wurde Mode. Mit diesem Ruhm und Vorwurf belastet, mag sie von der Bühne abtreten.
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Auch jene andere Matrone, die Burney 1772 in Wien aufsuchte, hatte manches zu erzählen und manches zu verschweigen. Vittoria Tesi, Florentinerin, hat mit starker Hand Schicksale geschaffen: Opern- und Männerschicksale. Sie ist die geborene Herrscherin, immer bereit, das Erotische auszukosten, und doch fähig, es zu ihrem Vorteil zu wenden. Eine hochgewachsene, mehr interessante als schöne Frau, wird sie schon durch Stimmlage und -timbre zum durchaus persönlichen Typ: ihr tiefer Kontraalt weist auf eine ins Männliche schillernde Weiblichkeit. Aber das ist keineswegs unsympathisch, sondern erhöht die Pikanterie ihrer Leidenschaft. So fesselt auch nicht eigentlich der Klangreiz der Stimme, sondern die eigentümliche Kreuzung zweier Geschlechter in ihr. Gewohnt zu herrschen und ihren Trieb zu lenken, beherrscht sie auch ihre Person auf der Bühne. Sie genießt den unter den Sängerinnen jener Tage seltenen Ruhm einer guten Schauspielerin. Vorzugsweise in Männerrollen. Für Baß gesetzte, um eine Oktave erhöhte Partien singt sie gern. Man begreift, daß sie Händel gefiel, zu dem man ihr Beziehungen nachsagt. Sie spielt in Neapel den Achill und schlägt so ihre Nebenbuhlerin Anna Peruzzi: ein Riesenweib verdunkelt ein Weibchen. Die Frau, die ebenso klug wie leidenschaftlich ist, gängelt Männer so, daß sie ihr alles opfern. Ein Graf von Parma läßt sich von ihr, die in Mailand singt, so völlig auspressen, daß auf Wunsch der Familie die Regierung eingreift. Aber was vermag sie gegen eine Primadonna? O, es ist eine große Heiterkeit in ihrem Leben. Den Namen Tramontini, den sie ihrem ersten beifügt, hat sie auf der Gasse gefunden. Denn als ein Wiener Adliger nicht von ihr lassen, sie gegen sein Interesse heiraten will, geht sie hinaus, begegnet einem Bäcker oder Barbier, läßt sich mit ihm trauen und richtet so eine unübersteigliche Schranke gegen die Ehe auf. Der Vorwand hat sie befreit. Sie bindet sich an einen anderen Mann von Stande.
Madame Mara als Armida
In den verschlungenen Pfaden ihres Lebens, das sie durch alle Stationen des Marktes führte, hatte sie sich nicht verloren. Kein Geringerer als Pietro Metastasio widmet ihr eine ideale Freundschaft. Der Dramatiker hatte ihre Fähigkeit, den Kern des Dramas zu fassen, erkannt und im Rezitativ entwickelt. So hat diese Tesi nichts von einem zwitschernden Vogel. Ihre in der Primadonna wie im Menschen zwingende Erotik hatte eine eigene Art sich auszusprechen. Sie hält sich lange. Und nun sitzt sie nahezu achtzigjährig in Wien und gibt Gesangstunden. Ein Dasein, das in kühnen Bögen verläuft.
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Derselbe Hofdichter Metastasio, die höchste musikdramatische Autorität der Zeit, gab etwas später einer anderen, weit ungefügigeren Frau den rezitativen Schliff: Katharina Gabrielli, dem interessantesten Singvogel der zweiten Jahrhunderthälfte.
Fürst Cabrielli zu Rom geht in seinem Garten spazieren. Da hört er wundersame Töne auffliegen. Wer ist's? Die Tochter des Kochs. Sie wird bei Garcia und Porpora unterrichtet. und entfaltet sich.
Aber sie wirkt durch das, was sie ist: die unbeherrschteste aller Sängerinnen. Die Frau, die in jedem künstlerischen Schritt von einem Mann geleitet wird; in der alles Schöpferische an ihn gebunden ist; der kein Versprechen heilig ist, wenn eine Leidenschaft sie zurückhält; die darum als die verkörperte Launenhaftigkeit berüchtigt wird.
Um 1730 geboren, tritt sie in Lucca auf. Ihr erster Liebhaber und Lehrer ist der berühmte Kastrat Guadagni, derselbe, dem später Gluck die Rolle des Orpheus in die Kehle schreibt. Der ist nicht nur »musico«, sondern »musicista«. Er unterweist sie im getragenen Gesang. Aber entfernt ihn aus dem Theater, und die junge Catterina ist unfähig zu singen. Das bleibt so: sie wird ihren jeweiligen Liebhaber immer womöglich in die vorderste Loge bringen, jede Arie nur an ihn richten, sie zum unverhüllten Bekenntnis ihrer Triebe machen. Die Zuhörer wissen es, Das fördert die Laune. Catterina »la coghetta«, die Köchinnentochter, ist fröhlich, immer zu allerhand Spaßen geneigt. Ihr Sopran ersteigt selten beschrittene Höhen, er jubelt, freilich unter reichlicher Anwendung des Falsetts, in bisher unerhörten Läufen. Denn die Stimmen sind kühner geworden. Mehr und mehr wetteifern sie mit den Instrumenten. Schon Alessandro Scarlatti hat ja Streicher und Trompete mit der Menschenstimme in Wettbewerb treten lassen und den Weg angedeutet, den das folgende Geschlecht wandeln wird. Nun treibt die Oboe in den Kampf. Und die großen Theater wie das von San Carlo mit seinem stets wachsenden Orchester scheinen eigens dazu geschaffen, die Stimmen zur Höchstleistung zu reizen.
Die Gabrielli ist die richtunggebende, revolutionierende Primadonna dieser Zeit. Aber nun besitzt sie beides: die hinreißende Fertigkeit einer jubelnden Stimme und das glühende Pathos einer anderen, die auch bis in die Tiefe hinabreicht. Noch mehr: sie liest mit erstaunlicher Vorstellungskraft vom Blatt. Und der leidenschaftliche Moment beflügelt ihre Phantasie. Mit so schöpferischem Ausdruck wirkt sie auch auf die Schaffenden. Traetta schreibt seine »Antigone« für sie. Singt sie »Ombra cara amorosa«, dann hat sich ihr Instinkt so weit verfeinert, daß auch Zärtlichkeit und Trauer sich aussprechen. Man spürt: ihre Straße hat aufwärts geführt, sie ist geschmackvoll geworden und müht sich, die italienische Oper, die Zweifeln begegnet, vor dem Untergang zu retten.
Folgen wir aber ein wenig der Lebensbahn der dreißigjährigen Gabrielli. Sie ist reich geworden. Nicht eben groß an Gestalt, aber echt römisch schön, nur mit leichtem Schielen am rechten Auge, verfeindet sie Minister, wird von einem Degen verletzt, reizt in Sizilien den König so durch ihren Widerspruch, daß er sie gefangen setzt, ist im Gefängnis die freigebigste Spenderin für alle Mitgefangenen, schimpft den liebestollen Infanten Don Philipp in einer schrecklichen Szene »gobbo maledotto« und entweicht. Die russische Katharina will sie hören, findet aber die verlangte Gage von 5000 Dukaten höher als das Gehalt ihres Feldmarschalls: »Dann laßt Euren Feldmarschall für Euch singen.« Sie behält recht, geht nach Petersburg und hat überdies freie Wohnung und Tafel.
Alle Theater fürchten ihre Launen. Neapel wird eine Zeitlang von ihr in tausend Aengsten gehalten. 1800 Zechinen. Gut, 1800 Zechinen. Da erhält der Impresario Grossatesta einen Brief. Die »Coghetta« meldet tief zerknirscht, sie gehe ins Kloster. Der Impresario weiß, daß irgend ein Mann sie hält und besteht auf seinem Schein. Man begreift in Neapel alles: den Scherz und die Wahrheit. Die Wahrheit: die Laune der Catterina ist nicht die übliche Primadonnenlaune. Lieben und Schaffen sind eines. Alle Organe können von Enthaltsamkeit gelähmt werden. Neapel, die fröhliche Stadt, wird nun doch eine Zeitlang ihr Hauptquartier. Francesca, ihre wahre oder falsche Schwester, begleitet sie hier wie anderswo als seconda donna. Wie das Schwesternpaar, dessen toller Streiche der König müde ist, auch aus dieser fröhlichen Stadt gewiesen wird, ist der Schluß der Komödie.
Solche Unbeherrschtheit, gegen die das Londoner Publikum sich auflehnt, ist die notwendige Beigabe des Künstlertums einer Frau, die zunächst nur sich selbst ausspielen will. Hier, wo ein Casanova möglich war, durften die Triebe sich so ungehemmt ausleben. Ein paar Jahrzehnte später wäre es schon zu spät.
Catterina Gabrielli, die 1796 starb, ist die Primadonna, die den Wettkampf mit den ersten Kastraten wagt: Marchesi, Pacchiarotti messen sich mit ihr. Es war ein letztes Zusammenklingen höchster weiblicher Kunst im Geiste der opera seria.
Denn so gewiß auch eine Anna de Amicis als die erste Sängerin, die schnelle aufsteigende Staccatopassagen sang und durch vollendete Glätte entzückte, oder die hinkende Lucrezia Agujari, zu Unrecht »la Bastardella« genannt, durch gesteigerte Technik berühmt wurden, es fehlte ihnen jene elementare Kraft, die aus künstlerischer und menschlicher Ursprünglichkeit fließt.
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Verändern wir den Schauplatz. Wandern wir in das Berlin des philosophischen Preußenkönigs. Dieser Friedrich der Große, der seit 1728, seit dem Besuch am Dresdener Hof eine italienische Oper in der preußischen Residenz erträumt und kurz nach seinem Regierungsantritt Sterne des italienischen Kunstgesanges in seinem Opernhause, versammelt hat, ist nach dreißig Jahren im Begriff, eine Sängerin deutscher Abstammung zu verpflichten, die man ihm aufreden will. Lange hat er sich geweigert, sie anzuhören. Lieber ist ihm das »Wiehern eines Pferdes« als der Gesang einer Deutschen. Elisabeth Schmeling hat die Kraft, ihm eine Italienerin vorzutäuschen. Die Stimme, die vom Tenor-A ab über neunzehn Stufen reicht, ist durchdringend, den höchsten Ansprüchen an Raschheit gewachsen, klingt wie ein unfehlbares Instrument und gehorcht einem mit Bewußtsein, Kenntnis, Brio musizierenden Menschen. Seit 1771 ist die Schmeling mit 3000 Talern Gage Mitglied und Zierde der italienischen Oper. Wird sie sich dem königlich preußischen Reglement fügen? Der König, in den Wohlklang italienischer Stimmen vernarrt, ist doch der Tyrann seiner Sänger. Wehe dem, der es wagte, von der einmal vorgeschriebenen Linie der Koloratur abzuweichen! Das Reglement bindet die Improvisation, der Drill das Schöpferische. Aber es gibt Künstler, die sich nicht zwingen lassen. Die Tänzerin Barbarina mag einst ganz preußisch von der Bühne San Giovanni Grisostomo zu Venedig aus den Armen ihres englischen Liebhabers nach Berlin geführt worden sein, kaum haben ihre maskulinen Beine ihre aufreizende Koloratur an Ort und Stelle entfaltet, ist sie Herrin über den König, der sonst der Frau und darum auch der Musik gegenüber nichts von seiner vernünftigen Ueberlegenheit einbüßt. Auch die Schmeling, eine Persönlichkeit, macht ihm zu schaffen. »Leichter wird es mir, die 200 000 Köpfe meines Heeres zu leiten als dies Weiberköpfchen hier«, sagt er einst einem fürstlichen Gast, der eine Probe ihres Eigensinns erhalten hat. Zuweilen wird sie nun doch, wenn sie Krankheit vorschützt, aus dem Bett ins Theater geholt.
Luigi Marchesi
Aber alles, Kunst wie Eigensinn, wird auch hier von der Triebkraft des Erotischen bestimmt. Auch hier treibt der Instinkt nach der Gasse. Unter den zahlreichen Männern, die in ihr Leben hineinspielen, ist der bevorzugte Mara, ein böhmischer Cellist, Kammermusiker des Prinzen Heinrich, mit ihm durch eindeutige Freundschaft verknüpft, Trunkenbold und echter »Bohémien«. Die Beziehung zwischen der Schmeling und Mara greift in den Opernbetrieb ein, führt gegen den Willen des Königs zur Heirat und, da immer wieder das Reglement stören will, zur Flucht und Entlassung. Der Mann kreuzt alle ihre Berechnung. Sie ist nicht fähig, ihn zu beherrschen, auszunützen und wegzuwerfen, wenn sie ihn nicht mehr braucht. Sie wählt ihn nicht als Mittel, die Rente für den Lebensherbst und -winter zu begründen oder zu vermehren. Im Gegenteil: gutmütig läßt sie sich von ihm auspressen und muß schließlich bis in ihr Alter verdienen, um nicht Hungers zu sterben. Schon spüren wir hier etwas von der Sentimentalität der deutschen Frau, wie sie etwa auch in der württembergischen Primadonna Mariane Pirker liegt, die zwar einen Kastraten abgöttisch liebt, aber ihrem Mann Neigung und Kasse offenhält, der Herzogin zur Flucht verhilft, darum in die Festung gesperrt, dort irrsinnig wird und ihr Leben beschließt, indem sie Blumen aus Stroh flicht. Diese Mara schleppt ihren Mann lange Zeit als treue Sklavin mit sich herum, und sieht nicht oder will nicht sehen, daß er sie durch sein Betragen herabzieht. Wenn er am Hofe in München wie ein hergelaufener Musikant einen Skandal verursacht, ärgert sich Mozart über ihre Unverschämtheiten nicht minder als über den unflätigen Mann.
Ueberhaupt wird diese deutsche Primadonna, die einzige, der es im 18. Jahrhundert wirklich gelingt, international zu werden, merkwürdig durch die Vereinigung des Deutsch-Typischen mit dem Individuellen und durch den Zusammenstoß zweier Kulturen. Das Lebensschicksal tritt hinzu, der Künstlerin eigene Art zu prägen. Sinnlichkeit und Stimmwert scheinen sie zu einem dem Original nahen Abbild der Uritalienerin formen zu wollen. Ihre Laufbahn führt sie auch notwendig zur italienischen Oper. Aber nur in dem preußischen Berlin gilt sie als vollendete Primadonna, weil sie an Meisterschaft mit den Kastraten wetteifern zu können scheint. An allen anderen Mittelpunkten des Marktes wird erkannt, wie sehr sie sich von der großen italienischen Belcantistin unterscheidet. Man könnte hier wieder als Kronzeugen Mozart anführen, der mit geschärftem Sinn, freilich auch nicht ohne Vorurteil feststellt, daß sie mit einer Agujari nicht vergleichbar sei. Wir wollen nach den Gründen suchen, die uns zugleich den Zwiespalt in der deutsch-italienischen Sängerin erhellen.
Die Mara, deren Gesang bei allen Vorurteilslosen ein Echo der Bewunderung weckt, bleibt auf der Bühne mancherlei schuldig. Ihre Erotik, die im Stimmklang spürbar ist und ihre Zierkunst beflügelt, vermag nicht, sich unmittelbar der ganzen Erscheinung mitzuteilen, nicht den Weg zu den Sinnen der Zuschauer zu finden. Sie wirkt keine Mimik in ihrem deutschen Durchschnittsgesicht. Auch der mittelgroße Körper schwingt nicht mit. Es ist wahr: die zu Cassel 1749 geborene Elisabeth, die ihre Mutter schon sehr früh verlor, wurde vom Vater, der sie nicht bewachen, unbehindert seinen Geschäften nachgehen wollte, an einen Armstuhl gefesselt und litt nun ihr Leben lang unter einer Schwäche der vielleicht verkrüppelten Beine, die ihr nicht gestattete, lange zu stehen. Aber dies ist nicht das Entscheidende. Sie wird durch etwas anderes verhindert, als italienische Primadonna unmittelbar ausdrucksfähig zu sein.
Sie ist, im Gegensatz zu den meisten Sternen der italienischen Oper, die sich nur auf das Ohr verlassen und das Melos der Einzelarie empfinden, suchen und in sich wiederklingen lassen, Musikerin. Als kleine Geigerin war sie von ihrem Vater nach London gebracht worden, spielte vor der Königin und wurde von einer Edeldame, die die Geige für ein unweibliches Instrument erklärte, dem Gesang zugeführt. Der Gesangsmeister Paradiso unterweist sie. Und nun reift sie äußerlich zur Primadonna heran, deren Ohr, Stimme, Technik sie besitzt, während sie innerlich Mehrstimmigkeit in sich fortwirken läßt. Immer kreuzt sich die Sinnlichkeit mit einem freilich durch die Laufbahn gebundenen, nicht entwickelten Kunstverstand. Mit der Seele einer Konzertsängerin gehört sie der italienischen Oper, die allein den Weg zur Höhe bahnt. Konzert und Oper sind noch nicht von einander geschieden. Die Koloratur herrscht in beiden, und das Spiel auf der Bühne scheint sich nur auf wenige Gesten, auf stereotype Bewegungen der Arme zu beschränken. In Wirklichkeit aber verrät sich gehemmte Sinnlichkeit sofort und in allem. So geht dem ersten Auftreten der jungen Elisabeth, Konzertsängerin bei Meister Adam Hiller in Leipzig, auf der Dresdener Bühne eine dramatische Lehrstunde der Kurfürstin Antonia von Sachsen voran. Sie wird später in dem empfindlichen Wien als frühere preußische Hofprimadonna und als stocksteifer Gast der opera buffa, die gerade höchste Beweglichkeit fordert, kühl empfangen. Und dies um so mehr, als sie ihre Opernfremdheit auch durch das Geschmacklose und Unmondäne ihrer Kleidung beweist.
Und trotz alledem erlebt diese Frau die große Stunde, die jede Primadonna herbeisehnt: den Wettkampf. In jenem Paris, das eben den Streit zwischen Gluckisten und Piccinisten gesehen hat, wird 1782 ein neues Schauspiel vor den Kulissen inszeniert. Es ist die Zeit, da der Franzose, an seiner Kultur irre geworden, sich vor dem Deutschen verneigt. Das concert spirituel ist der Hauptschauplatz des Kampfes zwischen Elisabeth Mara und Maria Francesca Todi. Jene weiß durch die vollendete Nachzeichnung der melodischen Linie und durch ihr glänzendes Läufewerk über die glanzlose Erscheinung hinwegzutäuschen, diese Portugiesin, »die Sängerin der Nation«, verschmilzt Koloratur mit französischer Bühnenart. Maratisten und Todisten befehden sich. Wem der Preis zufällt, ist nicht zu entscheiden. Man kennt das Witzwort: Laquelle était la meilleure? Mara. C'est bien Todi (bientôt dit). Diese, die Verkörperung alles Mondänen, scheint den Franzosen wirklich weiter und stärker zu klingen.
Die beiden Primadonnen gehen ohne Verbitterung nach zwei verschiedenen Richtungen auseinander. Die Todi gibt Gastrollen in Deutschland, auch in der Berliner Oper, wo ihre heftigen Gebärden befremden, und wird in Petersburg die allmächtige Busenfreundin der Kaiserin Katharina. Sie spinnt die Intrige gegen den Maestro Sarti, in dessen »Armida« sie bewundert worden ist, wird schließlich selbst entthront und wandert wieder durch Europa. Nun weiß sie auch ein Adagio mit feinsinniger Kunst und zartem Klang zu erfüllen. Man rühmt sie als eine der größten Kapitalistinnen unter den Königinnen der italienischen Oper. Ihre Juwelen im Wert von 40 000 Talern reisen als starker Ruhmestitel mit ihr. Ihr Besitz wird sie trösten, wenn die Revolution sie von den Brettern verjagt. Erblindet lebt sie bis 1833 in ihrer Heimat Portugal.
Die Mara aber hat ihre große Zeit in London, wo sie zwischen italienischer Oper und Konzert ihre zwiespältige Eigenart ausspricht. Es gilt, den toten Händel in der Paulskirche zu feiern: da führt und übertönt sie 500 Sänger und Spieler und rührt alle Zuhörenden durch ihren Ausdruck. Das wiederholt und steigert sich noch bei vermehrter Zahl der Mitwirkenden. Man hat ihr Wesen begriffen. Wie diese Frau als Cleopatra auf der Bühne steht, taucht nach so viel Jahren die Erinnerung an die Cuzzoni auf, die, ebenso schlecht gekleidet wie sie, jene Händelsche Cleopatra doch zu einer verführerischen Gestalt machte. Aber die Mara, weniger häßlich als die Cuzzoni, kann sich an Bühnenblut nicht mit ihr messen. Doch erregt sie als echte Primadonna den Skandal in Oxford, wo sie im Konzert Dacapos verweigert und, freilich entschuldigt durch ihr Gebrechen, sitzend singt. Man untersagt ihr ferneres Auftreten, und der Vizekanzler der Universität spricht ihr seine Mißbilligung aus. Der englische Anstand lehnt sich gegen sie auf.
G. B. Tiepolo: Der Zauberer
So ist es immer: die Sängerin, die Musikerin scheint höchste Zierde des Konzertes und Stiefkind der Bühne, da mahnt ihr Bohemetum, ihre Verachtung aller Wohlerzogenheit, ihr Verbrauch an Männern und nicht zuletzt ihre Zierkunst an die Primadonna. Sie kommt noch 1803 nach Berlin und verscheucht die Andacht in der Kirche durch das Beifallklatschen, das sie ganz gegen die Sitte hervorruft. Aber anders als die meisten Kinder Italiens hat sie nichts getan, ihrem Lebensabend eine milde Sonne zu retten. In Reval, in Moskau darbt sie und muß sich noch 1819 in King's Theater als »eine berühmte Sängerin, deren Namen man verschweigt«, den völligen Verlust ihrer Stimme bestätigen lassen. Maß- und Urteilslosigkeit kennzeichnen sie. Die Grazien walten hier nicht. Aber nach solchen Schatten kommt etwas Licht in ihr Dasein, Freunde und Schülerehren die zusammengeschrumpfte Alte, und ein Goethe windet ihr 1831 mit den Versen »Sangreich war Dein Ehrenweg« den letzten Geburtstagslorbeer.
Es hatte seinen eigenen Reiz, diese deutsche Primadonna des Nordens gegen ihre Schwestern im Süden zu stellen: wie sie, im gleichen Belcanto unterwiesen, in allem Technischen ihrer Kunst heimisch, in allen Sprachen Europas singend, aller ruhigen Bürgerlichkeit der Heimat fremd, doch dem Feinhörigen ihre besondere Art zeigt So italienisch sie sich auch gibt, so international sie auch durch die Welt eilt: hier wird die nationale Begrenzung offenbar. Eine schrankenlose Sinnlichkeit scheint am Werk. Aber die Rasse, die den Körper bildet, schafft die Organe der Sprache. Die Stellung des Gaumens, die Resonanz des Klanges färben den Ton. Und aller Ausdruck, aus der Wechselwirkung zwischen Gehirn und Körper erwachsen, färbt sich mit. Die deutsche Primadonna verrät sich. Um so mehr, als das Persönliche die fremde Rasse trotz aller italienischen Kultur noch betont.
Doch nimmermüde wandern deutsche Sängerinnen nach Italien; dort als den heimischen ebenbürtig zu gelten, scheint ihnen höchster Ruhm. Der deutsche Süden kann eine vollendete Täuschung hervorbringen: Franziska Danzi, Gattin des berühmten Oboevirtuosen Lebrun, wie er in Mannheim geboren, wirkt als Primadonna echt. Andere wie die Teiber sind als Fremdrassige unverkennbar.
Aber allen Frauen des Jahrhunderts, die glanzvoll über die Bühnen schreiten, ist dieses gemein: der Instinkt entscheidet. Stellt sie außerhalb des Bereiches der Szene, so erhalten sie nicht leicht die Illusion. Eine ganz gewöhnliche Menschlichkeit tritt auf. Ja, sie entladet sich um so heftiger, als der Spannung die Entspannung folgen muß. Von einer Faustina zwar rühmt man, daß sie die Höflichkeit des Herzens besaß. Wie weit aber steht sie doch ab von der Kultur der kultiviertesten Menschen dieser Zeit! Das eben ist's: geistige Kräfte sind gar nicht oder selten im Spiel, solange sie auf der Bühne stehen. Die Darstellung reicht kaum über das Unwillkürliche hinaus. Nach der rechten Seite der Bühne streben sie, dort halten sie sich, besonnt von irgend einer Majestät, die ihren Ehrgeiz aufstachelt. Eros lenkt sie. Auf wenige Minuten drängt ihr Genie die Leistung zusammen, Sie werden schöpferisch. Ein paar Minuten später ist der göttliche Wahnsinn vorüber. Die Routine oder noch weniger löst ihn ab.
Noch eines: Um den schönen Traum zu verlängern, brauchen sie ein Maß in sich. Sie verzehren sich nicht. Zwischen Rausch und Kasteiung schreiten sie dahin: kasteien sich, um in langer Uebung das Technische fest zu gründen und alle gesammelte Leidenschaft in die reinste Kunst zu gießen. Dieser Rausch fordert neue Kasteiung. Das kostbare Material will geschont sein. Aber zwischen alledem packt sie das Leben mit seinen Verlockungen und schafft ihnen den Ausgleich.
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