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XXVI

Der neue Regimentskommandeur wünschte Alfred, den jetzt viele liebten, neben sich zu behalten als ärztlichen Adjutanten.

Alfred wollte nur eines: Frei und ungedeckt dastehen im ersten Graben, ungedeckt gegen den Menschen, Mord von seinem Mord, Atem der Gemeinsamkeit im Bösen und im Guten.

»Lieber Dawidowitsch, du wirst es da bei mir viel besser haben, schon' dich nur, ein bißchen struppiert bist du doch, weshalb wüsten mit der Gesundheit? Hier bist du relativ geschützt, beim Vormarsch kannst du eines von meinen Pferden reiten, und du kannst sagen, was du willst, die Menage beim Regimentsstab ist doch besser. Du willst nicht? Im Infanteriedienst bist du doch ausgebildet? Direkt als Arzt dürfen wir dich nicht einteilen, das würde dem Sanitätschef gar nicht gefallen, denn die Prüfungen hast du noch nicht, oder ...« Nach einem langen Blick auf Alfred, der eisern dastand: »Meldest du dich vielleicht krank? Du siehst nicht gerade extra aus, und von meiner Seite hast du keine Schwierigkeiten.«

»Ich bin gesund, Herr Oberstleutnant!«

»Na, gesund bist du doch nicht.«

»Herr Oberstleutnant, ich bitte um meine Einteilung in die Front.«

»Sie sind doch in der Front.«

»Um meine Einteilung in der Feuerlinie.«

»Nach der Vorschrift muß ich Ihnen Ihren Willen erfüllen. So gehen Sie nur, melden Sie sich beim Maschinengewehr, dort haben Sie es doch leichter, die Pioniere arbeiten immer zuerst die Deckung für die Maschinengewehre. Sie werden sich schon halten. Alles Gute und viel Glück.«

Nun stand Alfred vorne, wartete auf den ersten scharfen Prasselknall des Maschinengewehrs, dessen Mechanismus er schnell lernte.

Es war Regenzeit, die Sicht war schlecht, es wurde nicht geschossen.

Nachts lag Alfred schlaflos; in der Einsamkeit wuchs Menschlichkeit zum Wahnsinn. Oft saß er und grub die Hand in eine Knochenrinne, die er zwischen dem Ansatz der Zähne und dem unteren Rand des Unterkiefers fühlte, liebkoste sein liebes Leben, fühlte die Narkoseader ruhig schlagen bei sich selbst.

Die Feldwachen schossen nachts blind herum, um den Russen zu zeigen, daß sie da waren, vielleicht auch nur, um sich zu beschäftigen in den langen Stunden und um die Patronen loszuwerden, die im schweren Tornister am Rücken hingen.

Zehn Tage blieb Alfred da. Die Sicht besserte sich, im Tauwind hellte sich die Gegend auf, die Russen standen vierhundert Schritt entfernt, dazwischen war doppeltes Drahtverhau mit spanischen Reitern sowie ein Minenfeld, dessen Plan Alfred und die anderen Offiziere besaßen, doch trampelten die Feldwachen nachts darüber weg, Überläufer schlichen sich über die Zündvorrichtung, da durch das Sumpfwasser die Leitung sehr verdorben war.

Am Morgen des vierten März sollte Alfred zum erstenmal schießen. Russen in erdfarbenen Uniformen stiegen aus ihrer Deckung, mit lichteren Händen sich über die Brustwehr hebend, um zu schanzen, vielleicht auch, um als Vorbereitung für den Sturm die eigenen Hindernisse fortzuräumen und Platz zu machen. Im Scherenfernrohr sah man alles.

Unter Alfreds Hand drehte sich der schwere Lauf des Maschinengewehres von rechts nach links, senkte sich in weicher Welle, stand dann wieder schnurgenau in der alten Einstellung. Der Lärm war ungeheuer. Als ein langer Patronengurt abgerollt war, wurde »Feuer einstellen« kommandiert. Leise brodelte das erhitzte Wasser der Kühlung. Die Russen waren verschwunden, bald aber krachten zum Dank die Abschußdetonationen der Grabengeschütze, sechs Schüsse nacheinander klangen, wie eine schwere Kiste gewälzt wird, von einer Kante auf die andere gedonnert.

Doch der Hang, auf dem Alfred sich befand und der Unterstand des Regimentskommandos lag, war ein wunderbarer »toter Raum«, wie es alle nannten, denn die Bahn der Geschosse lief völlig parallel mit der Neigung der Böschung, ein Aufschlag der Granaten war nicht möglich.

In schlafloser Nacht wanderte Alfred auf reiner Verzückung. Geliebte Menschen und Tiere traten bei ihm ein, selbst Stücke Erde, wie das, das er auf dem Festungswalle in Krakau gesehen hatte, trocken und duftend nach Frühling und anderer Zeit.

Gegen Morgen riß ihn das Telephon vor. Schußziel und Tempo wurden ihm befohlen. Alfred gab nach einigen Pausen im ganzen achthundert Schuß ab.

Alfred sah die namenlosen Schüsse, die mordende Maschine erfüllt: erkannte, daß er, der gute, der liebende Mensch, nun Bauchschüsse, Durchtrennung der zarten Herzmuskeln, verkrampftes Liegen stundenlang am unbarmherzig kalten Boden ausstieß mit Gewalt!

Während der längeren Pause kam Lian, der Wolfshund des Kommandanten, zu ihm.

Alfred, der seit drei Tagen bloß Brot gegessen hatte, teilte seine Menage zwischen dem Diener und dem Hund. Das Tier kauerte sich bei ihm, und seine Zunge zitterte glückselig über große Fleischbrocken, die es beleckte, ehe es sie verschlang.

In dem Betrachten des seligen Tieres verlor sich Alfred einen Moment, dann zirpte das Telephon, ein neuer Befehl kam.

Plötzliche Erleuchtung erwachte in dem jungen Menschen, entflammend sein Innerstes: Wenn er nicht Liebe, Glück, Güte ausfeuern konnte im Drehkreis der sich drehenden Maschine, so wollte er Tod ausgeben im gleichen Chaos an die zerrüttete Welt. Die einzige Gemeinschaft, die letzte Gemeinsamkeit zwischen Menschen war töten jetzt und getötet werden. Vor ihm erschienen die ersten schwarzen Wolkenbäume sich aufbäumender Explosionen, Schreien der Russen hörte er wie ein Echo, doppelt geschwungen, jetzt drehte er den Handgriff der Maschine gegen den »toten Raum«, wo Infanterie gestaffelt stand als Reserve; plötzlich sich deckend, verschwand sie in der Mulde; dann stellte er den Hebel der Maschine fest, stürzte sich vor, raste in die eigene Garbe des todspeienden Gewehres, der arme Hund heulte ihm entgegen, Blut aus dem durchschossenen Maule tropfend. Die Erde hob sich weg vor ihm, er stürzte krachend über den Hund, dessen knorplige Klauen seinen aufgerissenen Mund berührten. Schwärze erfüllte ihn bis zur höchsten Verzückung. Befreit war der Mensch vom Schmerze aller Menschen!

Die Russen, die durchgebrochen waren, führten ihn mit sich zurück, als sie von den Österreichern durch einen starken Gegenstoß nachmittags vertrieben wurden.

Größenwahn der Güte, sein gegen alle Menschen unterschiedlos gezielter Mord hatte nur den Tod des Hundes verursacht. Alfreds Name wurde im Regimentsbefehl vom 22. März 1915 lobend erwähnt, er wurde, als auf dem Feld der Ehre gefallen, ausgezeichnet mit der großen Tapferkeitsmedaille. Man hörte nichts mehr von ihm.


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