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XXIII

Gütige Gesinnung der Menschlichkeit, ihre Liebe selbst zur toten, unbeseelten Scholle bewiesen die Menschen, geballt rechts und links von doppelten Stacheldrahthecken, durch Schuß. Recht und Gesetz, das über den Völkern saß, mußte bewiesen werden durch vollständige Erblindung von Arbeiteraugen, durch fürchterliche Knochenbrüche, wie man sie im Frieden nie gekannt hatte. Menschen verhungerten, Schleichpatrouillen wurden vom Kommando ausgeschickt, wurden leicht verwundet, konnten nur gerade nicht marschieren, hatten sich verfangen in verlorenen Stacheldrahtnetzen, winselten sich müde hinter unpassierbaren Sümpfen, hatten die geschwächten Arme so verwickelt in dem Drahtgeflecht, daß sie sich nicht einmal erwürgen konnten nach drei Tagen Hunger, nach drei Nächten Angst im Abrasen der stärksten Verzweiflung. Liebe zum Bruder aus dem Vaterlande bewies sich die Welt oder Gott, oder doch Gott? durch Erfrieren auf dem Leiterwagen, viele Kilometer weit war der Weg von der vorgeschobenen Feldwache zum ärztlichen Hilfsplatz. Der Hilfsplatz mußte in Ruhe, in relativ sicherer Deckung arbeiten, unschuldig waren die Ärzte dort an dem weiten Wege, den die armen Verwundeten auf den fürchterlichen Straßen, auf den ungefederten Fuhrwerken zurücklegen mußten. Wohl bettete man sie meterhoch auf Stroh, doch wenn sie ankamen, lagen sie fast auf den harten Brettern, gepeinigt von vorstehenden Nägeln, Lebende im Sarg.

Menschen wollten doch nur das Beste für sich, selten war ein böser zu finden, ein Fanatiker des mörderischen Willens, ein entmenschter.

So wollte Alfred den Menschen lieben, so wollte Alfred die Menschen lieben gegen alle ihre Tat!

Der Maschinengewehrkommandant erzählte ihm abends bei der Menage strahlend von wütenden Nahkämpfen, von blutdürstigen Bosniaken, die mit langen Messern zwischen den Zähnen prachtvoll vorstürmten und sich von Zigeunern dabei Märsche vorspielen ließen. »So ein Material arbeitet wundervoll, da ist es ein Vergnügen, Kompagniekommandant zu sein. Jetzt hat man mich zum Maschinengewehr eingeteilt, aber das ist auch sehr interessant, da kann man mindestens ebensoviel leisten. Wenn du dir's mal anschauen willst, bitte schön, morgen kannst du kommen, wird mich sehr freuen, ich habe auch einen Wein.« Er stand am Maschinengewehr, visierte mit langem Scherenfernrohr Haufen von Russen, auf sechzehnhundert Meter Entfernung, die er nicht schreien und nicht leben hörte, in die er aber hineinschoß mit mathematischer Ruhe und mit der letzten Präzision.

Als er aber nach vier Tagen fiel und ihm zuletzt noch die Bluse geöffnet wurde, sah Alfred ein Kinderhäubchen an einer seidenen Schnur hängen und ein Bild eines zweijährigen Kindes, das aus guten Augen strahlte. Gutes wollte doch dieser Mensch in seiner letzten Minute. Er ballte beide Fäuste in dem gebräunten Batist des Häubchens. Durch Spitzen schimmerte die dunkle Hand des Offiziers durch, sie war geschwärzt vom Schmutz und Öl des Maschinengewehres, das sie bis zuletzt bedient hatte.

Wohl rühmten sich alternde Soldaten, geschlechtslose Männer mit kleinen Goldringlein in den Ohren (nachts belauschte sie Alfred im Unterstand), »ich habe eine eigene Kunst, mit dem Gewehrkolben die Russen beim Sturm in das Eierzeug zu treffen. Den, was ich so kitzel, der fallt augenblicklich um, weißt, du hältst ihm dann die Hand, und ich tu ihm die Kehle durchschneiden, mit einem Ruck bis an den Knochen, wie ein gelernter Fleischhauer, verlaß dich drauf, geht wie geschmiert, schnell, der kommt nicht einmal zu einem Muckser.« – Doch sangen sie rührende Gesänge, und wenn sie schliefen, Kopf und Schultern und Schoß und Gehirn und Seele in einer Nacht, in einem Stroh, in einem Dunst, so war in ihrem knochigen Nebeneinander Güte und Männlichkeit.

Nicht im Menschen lag das konzentrierte Böse.

An Gott dachte Alfred oft, und Liebe stürmte gegen Haß.


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