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XXII

Der Mensch, den Alfred zu lieben sich sehnte, stand da vor ihm, als Tscherkesse in hellbrauner Uniform und hoher Mütze aus Astrachan, in ganzen Haufen brach er auf nach der Wirkung des gutsitzenden Wirkungsfeuers aus kleinen und mittleren Kalibern, das die Österreicher gegen den Stützpunkt der Russen geschmettert hatten.

Mit Hurra kamen die eigenen Leute vor, zerschnitten selbst mit Scheren ihre Drahtverhaue, demontierten die am Boden liegenden Flatterminen, rannten eifrig heran, um die gefangenen Russen in Empfang zu nehmen, die aus weißen Zähnen Freundlichkeit grinsten. Die Russen ließen alle heran an sich, bis man das Weiße ihrer Augen sah, dann rissen sie aus den weiten Taschen ihrer Mäntel kurze Stöcke mit schwarzen Köpfen, zogen an einem Schnürchen, wie man eine Spieluhr aufzieht, schwangen die Stäbe dann rollend und heulend um die hohen Mützen, in schwarzen Spiralen rund um die Soldaten und nieder auf sie, die in einem Augenblick aufgingen in Feuer und Tod, durch heuchlerische Liebe restlos vernichtet.

Viele sah Alfred nach dem Gefecht fast nackt daliegen, in kleine Gräberchen gebettet, die Glieder sprangen ihnen verrenkt vor aus den zerrissenen Gelenken.

Der Mensch sollte geliebt werden, aber von Spionen war man überall umgeben.

Ein alter Ruthene, der abends die Drahtverhaue durchklettern wollte, wurde eingefangen von der Feldwache, die in der eiskalten Nacht besonders wachsam war. In der eiskalten Nacht war er, nur in Hemd und Hosen gekleidet, fast unerkennbar im Schnee und starr vereisten Sumpf, wo sollte er seinen Verrat versteckt haben? Nachdem man ihn sorgfältig untersucht hatte und nichts gefunden, zauste ihn ein junger Unteroffizier an seinen langgelockten Haaren. Zu Hilfe wollte Alfred eilen, doch zwischen den dichtgefilzten Haaren hatte sich ein Zettel gefunden mit genauen Plänen und Geheimnissen, die selbst das Bataillonskommando nicht kannte.

Der Ruthene schien stumm und sogar blind zu sein, er hörte nicht, gab nie Antwort. Er sollte sofort gehängt werden. Niemand wollte das Amt übernehmen. Erst am nächsten Tage meldeten sich von einem Nachbarregiment zwei rumänische Zigeuner, mit denen man sich zwar nicht verständigen konnte, doch bot man ihnen zehn Kronen, und sie lachten voller Vergnügen. Sie kletterten auf einen Baum, dem Spion wurde der Hut vom Kopfe geworfen, der sehr lange Hals in eine Schlinge eingelegt, er sollte auf einen kleinen Schemel steigen, das wollte er nicht, so hob man ihn hinauf. Ein Zigeuner kletterte wieder hinab.

Ein guter Mensch gab dem Verurteilten den Hut wieder auf den Kopf, da scharfer Wind wehte und Schnee von überallher staubte. Jetzt zog der Gehilfe den Schemel weg unter dem Verurteilten, der Verurteilte schaukelte lautlos, schlug an den Stamm des Baumes mit hohlem Kratzen hin.

Unter ihm hob man sofort eine Grube aus. Nach einer Stunde konstatierte der Arzt den Tod des Ruthenen. Über Nacht hatte ihn Alfred mit ärarischen Kleidungssorten und einer alter Pferdekotze versehen, diese Dinge wurden ihm vor der Beerdigung wieder abgenommen; ein alter Feldwebel regte sich sehr darüber auf: »Das ist eine rechte Schlamperei, jetzt weiß man wenigstens, wo unsere Sachen hinkommen. Herzlose Viechskerle.«

Trotz des abschreckenden Beispiels traf man in der nächsten Nacht wieder einen Überläufer. Es war ein Bauer von ungefähr fünfzig Jahren, ein stämmiger Mensch, schwarzrot von Gesundheit im Gesicht. Man fand nichts bei ihm, doch seine Flucht schien deutlichster Beweis. Er betete unaufhörlich und murmelte, verlangte nach einem griechisch-orthodoxen Priester, der erst vom nächsten Divisionskommando durch mühsame Telephongespräche und Ordonnanzritte herbeigeholt werden mußte. Man war von Wut gegen den Mann erfüllt, dem man die schweren Verluste des Regiments in letzter Zeit zur Last legte und zwang ihn, sein Grab selbst Zu graben: »Unsere Leute haben Besseres zu tun, das wär' gerade die schönste Ordnung, sich zu schinden und zu plagen für so einen feigen Hund.«

Die Erde war hart. Der Priester stand bei dem Manne, zitternd vor Kälte hatte er seinen Pelzkragen hoch hinaufgestülpt, er betete leise, sparte mit dem Atem in der ungeheuren Kälte, während der Verurteilte Erde aufhackte, sich mit seinem schweren Gewicht auf den Spaten wälzte und die Erde sehr ordentlich nach einer Seite aufschaufelte, als hätte er sein ganzes Leben nur diese eine Arbeit gemacht. Dieser Mann starb schwer. Der Strick war irgendwie mit Fett beschmutzt worden, der Mann entglitt der Schlinge, fiel dem Priester fast in die Hände, doch beteten beide ohne Unterbrechung. Es war Abend und die Geschütze donnerten über das Gebet ungeheuer her.

Ein russophiler junger Mann hatte auf den kommandierenden General ein Attentat vorbereitet. Der General, sein Personal-Adjutant, ein Pferdewärter, einige Juden und Jüdinnen verschiedenen Alters waren tot. Der Ruthene Peter Petrowitsch wurde lange verhört, man dachte an ein Netz der Verschwörung, an eine planvolle Organisation von Verrat und systematischer Spionage. Hier war ein Mensch nicht mehr einfach Material, es blieb mehr von ihm als die Daten aus der Präsenzstandesliste, die Alfred vor vier Wochen den Ruhrkranken von Täfelchen am Halse abgenommen hatte. Der Oberleutnant-Auditor frug genau nach Vorleben, Studiengang und Vermögen, politischen Anschauungen, früheren Reisen und Bekanntschaften.

Der Student bunkerte durch schwere Brillen seinen großen grauen Blick, grau war auch seine Haut und sein Mantel, der rückwärts noch Knollen zeigte und Brüche vom Wälzen in der schlechtgeheizten Zelle nachts.

»Wann sind Sie verhaftet worden?«

»Ich wurde gleich nach dem Attentat aus dem Flusse ausgefischt, hatte mich an Steinen verletzt und war ohnmächtig. Ein guter Arzt hat mich verbunden, hat mir Einspritzungen gemacht und hat auch zu mir gesprochen, als ich erwacht bin. Dann hat man mich beim Etappenstationskommando eingeliefert, wo man mich hat drei Tage lang liegen lassen, wie ich war, in den nassen Kleidern.«

»Das ist nebensächlich. Wohin kamen Sie dann?«

»Zum Divisionsgericht.«

»Haben Sie mit Bewußtsein gehandelt?«

»Ja.«

»Und warum?«

»Ich hatte gehört und glaubte es auch, daß der Verstorbene ein besonders böser Mensch sei, der auch viele Menschen nutzlos geopfert hat.«

»Wollen Sie sagen, daß Sie aus Menschenliebe gehandelt haben?«

»Ja.«

»Aber wissen Sie, mein Lieber, Geld haben Sie doch auch genommen.«

»Geld?«

»Den rollenden Rubel. Oder nicht? ... Und wozu?«

»Meine arme Familie, die am Verhungern war, mußte ich unterstützen.«

»So so. Und wie das?«

»Ja, ich hatte etwas verdient, ich gab meiner Großmutter zwanzig Kronen, sie hat mich ihrerseits auch früher unterstützt.«

»Wieviel haben Sie erhalten?«

»Zwanzig bis dreißig Kronen.«

»Ja, aber sagen Sie doch auch, daß es jede Woche zwanzig bis dreißig Kronen waren. Von wem kam dieses Geld? Bekamen Sie es direkt von dem russischen Kommissär? Wollen Sie unbedingt nicht den Namen sagen? Und durch wessen Vermittlung seit der Okkupation? Nun ja, Sie sind ein edler Mann und ein Charakterheld. Aber das können Sie uns anvertrauen, wo Sie gewohnt haben?«

»In der Teresinskaja 53.«

»Haben Sie auch andere Unterstützungen gehabt?«

»Ab und zu etwas von einem Freund, bisweilen auch Lebensmittel und Kleider.«

»Auch Briefe?«

»Ich schrieb meiner Familie und erhielt auch Antwort von ihr.«

»Ihre Mutter wußte von Ihren Plänen?«

»Meine Mutter ist tot seit 1910, meine Stiefmutter jedoch wußte von nichts. Meine Großmutter litt sehr an Not und Nierenentzündung, doch wollte sie nur zehn Kronen nehmen, ich konnte sie kaum bewegen, alle zwanzig Kronen zu nehmen.«

»Sie waren zwei Tage vor dem Attentat noch einmal bei Ihrer Familie?«

»Ja, ich nahm Abschied. Auch von meiner Schwester nahm ich Abschied. Um den Vater tat es mir leid. Wenn er mit mir auch ungerecht verfuhr, so hatte er mich doch lieb.«

»Wie ging es weiter?«

»Dann ging ich gegen die Fedorsbrücke zu. Um nicht aufzufallen, ging ich auf und ab. Ich trat auch in eine Teestube ein, trank Tee und aß eine Mohnkolatsche. Ich war sehr in Sorgen, ich wollte recht acht geben, niemand anderen zu töten.«

»Also nur den General? Und warum wollten Sie nur den General töten?«

»...«

»Sprechen Sie doch!«

»Ich weiß es nicht.«

»Jetzt sprechen Sie nicht die Wahrheit.«

»Doch, hören Sie mich zuerst. Ich hätte am liebsten jeden getötet, der tötet, aber nicht in Gefahr steht, selbst getötet zu werden.«

»Hätten Sie auch einen russischen General getötet, oder den Großfürsten Nikolajewitsch?«

»Ja.«

»Nun, dazu werden Sie hoffentlich keine Gelegenheit mehr haben. Also, die bewußte Bombe war plombiert, und Sie haben schon in der Teestube die Plombe abgeschraubt?«

»Sie war nicht zugeschraubt. Als das erste Auto herankam, war ich aufgeregt. Als es vor mir war, sah ich nichts als die graue Kappe des Verstorbenen, da dachte ich, ich müsse es tun, machte die Sache zurecht und warf die Bombe.«

»Als Sie die Bombe gegen den Laternenpfahl schlugen, hörte man das zahlreich angesammelte Publikum schreien. Haben Sie das nicht gehört?«

»Ja. Ich warf die Bombe und sah, wie der Verstorbene mich mit kaltem Blick anschaute. Ich nahm das Gift, konnte es aber in der Eile nicht herunterwürgen, spie es aus und wollte mich ins Wasser stürzen.«

»Würden Sie Ihre Tat, die unschuldigen Menschen das Leben gekostet hat, wiederholen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Hatten aber Ihre Anverwandten für den Fall, daß Ihr Attentat gelang, eine besondere Geldzuweisung zu erwarten gehabt?«

»Nein, ich wußte, daß man sie dann erschießen oder doch aufhängen würde, da der Verstorbene bei der Armee sehr beliebt war. Er war auch nicht zu ersetzen.«

»Wußten Sie, daß Sie auf jeden Fall bestraft sein würden?«

»Ich wußte es. Auf dem ersten Vormarsch wurde hier ein Jude gefangen, der ebenfalls als Russophile verleumdet wurde, jedoch nur ein Wucherer war, man verhörte ihn drei Tage lang und zwar stundenlang nacheinander, dann gab man ihm hundert Kronen und ließ ihn laufen. Doch als er lief, wurde er dennoch von hinten erschossen, und auch das Geld wurde ihm dann noch abgenommen.«

»So? Weshalb diese Komödie?«

»Um ihm vielleicht die Todesangst zu ersparen.«


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