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XXV

Alfred hatte vor Jahren, in einer anderen Welt, Zusammenstürze des Lebens gesehen. Arbeiter, von Eisenbahnpuffern gegen die Bauchwand gestoßen, entatmeten weiß ohne Blut, und über die hellen, wachsam blinkenden Augen wälzte sich von verkrampfter Stirn langsamer Tod herab. Schwarzer Kaffee, Kognak, Einspritzungen halfen oft, anderen band man mit elastischen Binden die Beine und Arme ab, um das in den Körper verblutete Leben zurückzudrängen ins Gehirn und an das arme Herz.

So keuchte Alfred jetzt. Der gemeine Nebenmensch, der böse, der grausame, der unnütz brutale, der sinnlos marternde und der gemarterte, übermenschlich stießen sie vor gegen Alfreds Menschlichkeit.

Erschütterbar war er jetzt. Er liebte die Menschen, Ungeheuer war es, wie dieser Mensch widerspiegelte in sich den Schmerz aller!

Er fühlte: Anderes muß es geben, Gutes, Herrliches im Menschen, Freude mußte man empfinden können, Hoffnung war doch aufgespeichert bei Gott, zu dem alle kamen, von dem alle kamen, er allein nicht, er allein noch nicht?

Jeder andere war glücklich. Jeder andere sorgte in blinder Gemeinheit nur für sich, um dann feist zu lächeln in eigener Zufriedenheit. Er aber, liebte er sich selbst nicht genug? Tausendmal Liebe mehr und er hätte doch auch nur wenig besser sorgen können für seine Nahrung, hätte sich nur Kleider kaufen können, Pelzweste und seidene Hemden, einen besseren Schlafsack, eine wärmere Decke!

Er hätte sich nur schützen können vor den Menschen, Sandsäcke wie eine hohe Mauer aufstellen vor sich selbst, Horchposten marschieren lassen, die ihn weckten bei der leisesten Gefahr. Und Flucht. Er hätte sich drücken und verstecken können vor dem Kriege, sich unentbehrlich machen als Narkotiseur an der Klinik im Hinterlande, sich anschmiegen und sein Leben genießen bei der schönen Milada, dem guten alten Vater.

Aber der Krieg blieb. Erwirklicht war der mordende Mensch, unzerstörbar hatte Gemeinheit sich eingelagert und schwieg im Verbrechen, mit Glück angehaucht von Gott!

Alfred wanderte blind durch die Straßen der winkligen und verkoteten Stadt, sah Ambulanzautomobile rasen, die Wände aus Zeltleinwand mit vergitterten Fenstern, beweglich und haltlos wie alles, jagten im Wind.

Vor der Stadt war es finster, und gut war das Gehen in der aufgeweichten Erde, die ihn stützte. Ein kleiner Platz, etwas höher gelegen zwischen den Bastionen der Festung, war überweht von weichem Frühlingswinde. Er fühlte trockenen Boden unter den Füßen, kleine Höhlungen, die Ausgänge der Kasematten aus dem starrenden Gemäuer waren wie Gefängniswand. Der Himmel hellte sich auf, Sterne strahlten. Plötzlich trat Alfred in etwas Hartes, das sich regte. Zu seinen Füßen, unter seinen Füßen schimmerte ein weißes Gesicht, weiße Zähne, einem Schlafenden war er in die Zähne getreten, doch der Erwachte fluchte nicht, sondern lachte!

Eine Schanzdirne zog ihn an den schwankenden Gliedern zu sich, auf eine hochgebaute Brust, Weib umfing ihn mit tierischem Geruch, erfüllte ihn mit unverständlichem Gespräch, streichelte ihn mit fürchterlicher Liebkosung und spannte über seine schlanke Gestalt ein Gewölbe von Fleisch und blinkender Haut.

Alfred küßte den Mund dieses Menschen, drückte ihm alles Geld in die Hand, nahm die um das Geld geballte Hand in die seine. Die Liegende richtete er auf. Bald verschwand die Gestalt in den Winkeln der Nacht.


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