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Brigida

Dem jungen Wildschützen Veit Flatz wurde der Spruch gemacht. Nach dem harten Gesetz hatte er das Leben verwirkt und sollte gehängt werden. Da ließ er sich von einem Mönch die Seele aussegnen, und der Henker brachte ihm Rehfleisch zur Galgenmahlzeit und sagte, er möge sich zum letzten Mal den Pams füllen. Sie tranken beide aus dem gleichen Becher dann Sankt Johannis Minne, wie man es übt, ehevor man eine beschwerliche Fahrt antritt.

Seine Liebst schicke ihm als letzten Gruß einen grünen Kranz, und den setzte er auf, als ihn der Henker auf dem Weg zum Rabenstein vorwärts stieß. Während andere wie störrige Stiere durchs Galgengässlein trotteten, Gott und seine Mutter vermaledeiten oder mit hohlen Augen noch einmal die Welt anstarrten, ging Veith Flath willig dahin, so dass der Blutrichter ihn lobte: »Hab' Dank, Herzensvetter! Du machst es mir leicht.«

Mit Trommeln und Pfeifen hatten die Zimmerleute den Galgen erbaut, die Müller hatten die Leiter beschafft. Und ehe der Armesünder den Tritt in den Tod tat, sang er mit frommer Stimme das Lied: »Mein junges Leben nimmt ein End.«

Indes er seine schwarze Stunde überstand, gebar seine Braut daheim ein frühes Kind. Brigida gebar heimlich und ohne Wehmutter, und vor Angst und Not stieß sie ihm das Genicklein ab, so dass es augenblicklich tot war. In ihrer Verstörnis begrub sie den kleinen Leichnam in einer Blumentruhe, und diese stellt sie nächtens auf den Anger außerhalb der Stadt bei Sankt Lazarus, wo ihr Liebster verscharrt worden war.

Ihre Seele aber blieb unruhig. Böse Träume rüttelten an ihrem Schlaf. Und als sie einmal im Kirchstuhl saß und der Priester gerade das weiße Brot wandelte, kam ein feines, zärtliches Kind vom Altar her getrippelt, setzte sich auf ihr Knie und flüsterte: »Nirgends und nirgends sitzt es sich so gut wie auf dem Schoß der Mutter!« Da sprang sie zu dem Rasen, wo sie das Blumengärtlein beigesetzt hatte, und da war dort die Blume gar lieblich und seelenschön aufgeblüht und gab einen mildfeurigen Schein. Als das Mädchen solches gewahrte, verging sie fast vor Leid, und alle die Schmerzen, die sie ihr Lebetag gefühlt, hatten zusammen nicht wo weh getan wie dieser Schmerz. Sie wurde davor wie unsinnig und gestand auf offener Gasse einem fremden Menschen, dass sie eine Kinderwürgerin sei.

Da lag sie nun im Turm und büßte. Finster und niedrig war das dreieckige Gelass, nur durch ein Mausloch drang ein dünner, blasser Strahl herein. Sie dachte an das Lächeln der Blumen draußen und an den ernsten Gang des Flusses, an die liebe Luft der Wälder, an das Schicksal der Menschen und die Freude der Mütter. Sie sagte zu dem schmalen Lichtstrahl: »O, wie glücklich ist alles, was keine Seele hat!« In ihrer Angst leugnete sie anfangs, wes sie sich selber geziehen hatte. Da lag sie denn manche Stunde in der Marter, von vermummten Knechten gequält. Aber die Richter forschten alles aus ihr heraus und urteilten, Zeter sollte über die Kindsmörderin geschrien werden und der Blutmann das Schwert über sie zucken.

Der Mönch tröstete sie in ihrem Schrecken. »Der die Sterne aufruft und jeden beim Namen kennt, der weiß auch von dir und wird sich dein erbarmen.« »Nein«, flüsterte sie. »Gott wird mich nicht kennen. Ich habe sehr Böses getan.«

Des Morgens in aller Frühe tat sich die Kerkertür auf, und ein Blendlicht stieß in den Keller. Da lag Brigida im Eisen, den Kopf auf dem geketteten Arm, und schlief. Eine graue Ratte saß auf ihrem Fuß.

Sie erwachte an dem Licht und hatte Tränen in den Augen. »Wie sie mich gemartert haben, ist mir kein einziges Zährlein geronnen«, sagte sie noch halb im Traum. »Jetzt kann ich wieder weinen. Wie süß ist das!«

Der Mann in der Tür stand mit borstiger Brust du knorrigen Armen, die Stirn zerrüttet, roh den Mund, düster beleuchtet den Blick. Der linke Schächer hätte nicht hässlicher sein können.

Ihre fiebermüden Augen errieten, wer der schnöde Mann war. Sie stammelte: »Du bist es, der das Blut vergießt!«

Er schaute sie mit furchtbarem Blick an.

»Ich verderbe!« stöhnte sie.

»Du sollst dein Genick rüsten, du hochschädliches Weib!« sagte er. »In einer Stunde hol' ich dich.«

»Herrgott, hilf!« betete sie feig.

Er höhnte: »Der Herrgott ist nicht daheim, nach Welschland ist er geritten.«

Nach einer Stunde kam der Mann im Scharlachwams daher. Er kaute Baldrian, auf dass ihm bei der Hinrichtung die Hand ruhig und das Herz hart bleibe.

Das Armesünderglöcklein grillte. Als Brigida ins Freie geführt wurde, war sie von dem Licht wie von einem Schlag betäubt.

Auf Fässern war die schmutzige Bühne des Henkers errichtet. »Ach, würde ich doch auf einer blumigen Wiese enthauptet!« dachte Brigida.

Sie saß aufrecht an den Stuhl gebunden, blass von langer Gefangenschaft, und das Volk drunten wartete mit aufgewühlten Gesichtern und grellen Augen und verzerrten Mündern, lüstern und grausam. In der Ferne erhoben sich verstörte Berge, böses Gewölk flog über die Stadt.

Da erschrak sie vor ihrem gräulichen Ende und flehte jammervoll um Gnade. »Die Welt kennt keine Gnade!« stöhnte der Henker.

»Ach, du lieber Blutmann, lass mich nur noch ein bisslein leben!« bettelte sie.

Finster sah er sie an. Er umschlich sie wie eine Katze den rauchenden Brei. Das Eisen hielt er eine Spanne weit weg von ihrem runden, holden Hals und zielte. »Ich muss dich schlagen, und wenn du auch die Muttergottes wärst!« murrte er. Er fühlte die wilde Seele seines Schwertes erwachen.

Diesen jungen, schlanken Nacken sollte er zerschneiden, diese Haut, heller als die Sommerwolke droben! Zum ersten Mal nach hundert Tötungen fiel ihm sein Amt schwer. Er fürchtete sich plötzlich vor ihrem Angstblick. »Lass dir ein schwarzes Tüchlein vor die Augen binden!« sagte er. »Du machst mich unruhig.«

Drunten vor dem Gerüst brauste die Menge, ungeduldig über sein Zögern. »Herunter mit ihrem Kopf!« schrie einer. »Herunter! Herunter!« schrien alle.

Der Henker ergrimmte. Ihm war, er müsse jetzt bluttoll werden und mit dem Schwert über die Richter herfallen und über den Galgenpater und darein funkeln in das fliehende Volk. Ihm war alles traumhaft. Mit Gewalt musste er sich fassen.

Mit gesenktem Stahl und demütig näherte er sich den Richtern. »Herren, ich begehr' das Fräulein da zum Weib.«

Staunend steckten die Richter die Köpfe zusammen und berieten. Dann sagte einer: »Mörderin, willigst du in unseres Freimanns Begehr, so entgehst du dem Tod!«

»Nein!« rief sie.

»Besinn' dich!« schmeichelte der rote Meister. »Bei mir wirst du nicht hungern. Mein Handwerk hat goldenen Grund. Ich komm' gar nimmer aus dem Scharlach heraus.«

Sie war einer Ohnmacht nahe. Ihre ängstlich zugepressten Augen sahen riesenhafte Farben vor sich wirbeln. Aber in Ekel vor dem Grässlichen kreischte sie: »Köpfer, schlag zu!«

Wut übermannte ihn. Er holte waagrecht mit dem Schwert aus. Doch sein Blick flimmerte, die Ohren brausten ihm, als stünde er in einem verstürmten Wald, und in der Unruhe seines Herzens schlug er zu hoch hin.

Blutend stürzte sie mit dem Stuhl um, den verstümmelnden Hieb quer im Gesicht.

Er schleuderte das Eisen von sich, sprang von der Bühne und flüchtete.

Die Menge, ergrimmt über sein Stümperwerk und verdrossen, dass ihr das düstere Schauspiel vorenthalten wurde, verfolgte ihn und riss Steine aus dem Weg.

Vor dem Sankt-Jakob-Tor holten sie ich ein und erschlugen ihn.


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