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Das Ölbergspiel

Als Irro den Sattel von Aigen überstiegen hatte und hinter dem Flecken Unterwulda den Fluss erreichte, der dunkel und geschwellt durch die Au floss, ließ er sich unter einer Föhre nieder und schaute hinüber zu den waldfinsteren Bergen, deren Schatten auf die Heimat fiel. Sie erschienen ihm alle so zart und machtlos, und er maß sie in Gedanken an den erzgewaltigen, nackten Höhen des Landes Tirol, das er eben verlassen hatte, und auf einmal richtete ein wacher Traum um ihn die alten, schmalen Gassen wieder auf, darin er seine Gesellenzeit verbracht, und er sah sich in der Werkstatt manch festes Türband, manch zierlichen Schlüssel und manch kunstvolles Grabkreuz schmieden und lächelte voll gebändigter Wehmut in die Vergangenheit zurück, wo das Bild der Meisterstochter in allen Gnaden prangte. O wie hatte ihr Auge seinem mannhaften Gange nachgefukelt, als er mit Spieß und Eisenhaube mitgetan an dem großen Leidenchristispiel des Städtleins und er als römischer Kriegsknecht in der aufrechten Kraft seiner Jugend durch die Gassen klirrte und der Glanz der Sonne prallte von seinem blanken Rüstwerk! Aber dann kam die Zeit, wo er ihr die Brauttruhe schmücken musste mit eisernem Geschmeid, da sie einem andern ihr feines, falsches Herz bot, und er wirkte wunderwillige Ranken und edle Blüten und steil gefiederte Vögel in jenes Truhengespräng, dass es überreich und verwirrend wurde, und hämmerte hart darauf los, als wolle er den heißen Schlag seines Blutes erschlagen, und als er zu dem köstlichen Schloss noch das Schlüsslein verfertigt hatte, darein sein von verhaltener Liebe gepeinigtes Herz geschmiedet war, litt es ihn nimmer im Land, und er wanderte mit trotzigen Lippen uns starrem Hals davon.

Wie er nun unter der öden Föhre träumte und die böhmischen Wolken nordhin drängten und die von den Wassern des lenzaufgetanen Gebirges reißende Moldau ihre dunkle Weise sang, griff er ins Felleisen und holte ein Bündel Schriften heraus und entfaltete sie. Es war eine Abschrift jenes Tiroler Spieles, darin Gott seinen Sohn ins Leid sendet, und der rastende Mann versenkte sich darein, und wieder erhob sich vor seinem Geist das bunte, ergreifende Gewühl von aufgereiztem Volk, Schergen, Judenpfaffen, Zwölfboten und frommen Frauen, und mitten darunter der gemarterte Gottmensch, wankend unter dem Balken, den er sich selber zum Schmerzensbühel schleppt, und unter seinem Kreuz weiß und nonnenhaft verschleiert und gekrönt jene Magd, die den jungen Gesellen ins Scheiden gebracht hatte.

Still rollte Irro die Blätter wieder zusammen, als wolle er den schönen, herben Traum verschließen. Da pfiff es durch den Wind, im Geäst der Föhre prasselte es, und als der Gesell aufsprang, sah er auf der Au einen Trupp Reiter halten, die richteten die Rohre nach ihm und schossen wie die Teufel.

Besinnungslos warf er sich in den Fluss. Das Wildwasser packte ihn wie ein mächtiger Arm, zog ihn mit sich und entführte ihn der Gefahr.

Als er sich an einer tiefhangenden Weide erfangen hatte und ans Land kroch, hatte er außer seinem Leib nur noch einige Blätter des Herrgottspieles gerettet, darauf des Heilands düsteres Abenteuer am Ölberg verzeichnet war.

Da gelobte der Gerettete in der ersten Wallung des Dankes, Gott zu Ehren das Leidenspiel im heimischen Land darzustellen.

*

Irro ward in dem Flecken Amselberg sesshaft, nahm ein Weib und trieb manches Jahr sein Gewerb, ohne dass er das Gelöbnis erfüllt hätte. Er hatte nur einen geringen Teil der Abschrift geborgen, und weil ihm Stückwerk nicht genügte und er das Spiel in seiner ganzen Gewalt vom Verrat an bis zu Gruft und Urstände darzeigen wollte, so schob er es hinaus und wartete, bis der Krieg ende und er einen Boten fände, der nach Tirol reise und ihm eine vollständige Abschrift des frommen Werkes heimbrächte.

Der Himmel schien dem Säumigen darob nicht zu zürnen.

Wildes Volk fiel mit Ross und Tross immer wieder über den Ort her und fand kein Ende mit Rauben und Morden. Als der Krieg sich vertobt hatte, erhob sich mitten in wüsten Stellen und Brandstätten das Haus des Irro unversehrt und in leidlichem Wohlstand.

Die Pest stieß ihren verderblichen Atem in die Welt. Jeden Tag trugen die Amselberger drei oder vier auf den Leichenacker. An Irro wage sich der Tod nicht. Gott behütete ihn und die Seinen sichtbar. Als der Pfarrherr einst in des Schmiedes Stube saß und den Mund eben zum Gähnen auftat, stürzte er plötzlich tot vom Stuhl. Doch von Irros Sippe starb niemand.

Als der Peststern über den Ort hinweggegangen war und alles wieder freier atmete, lehnte einmal gen Feierabend der Schmied am Fenster und sann dem Lauf der trüben Geschehnisse nach.

Mitten am abgängigen Marktplatz, der unten von Kirche und Friedhof begrenzt wurde, war an der steinernen Prangersäule ein roter Arm angebracht, der ein Schwert empor reckte, das Friede gebot und Unfriede versagte und immer an Markttagen ausgestreckt wurde. In diesen sorgenvollen Zeiten hatte man vergessen, das Bannschwert einzuziehen, und so erhob es sich nutzlos wie eine verachtete Drohung.

Kühe grasten unbehütet um die Säule, Ziegen lustwandelten auf dem Rand des Brunnens. Rings standen wie mit toten Augen die Häuser, in deren wurmigem Gebälk der Totenschmied nicht vergeblich geklopft hatte; manche standen schief und mit Stangen gestützt, die Bretterdächer durchlöchert. Zerbrochen war die Kirche, zerrissen der Turm. Regenwasser hatte hässliche und gefährliche Rinnsale in den vernachlässigten Platz gerissen.

Der Verfall ihres Ortes rührte die Amselberger nicht sonderlich; immer wieder niedergestreckt von neuem Unheil, deuchte es sie lächerlich, sich gegen das Verhängnis zu wehren.

Als nun der Schmied so nachdenklich die verwüstete Nachbarschaft überschaute und sann, wie man die Leute aus ihrem stumpfen Dämmer aufreißen könne, dass sie den Ort getrosten Mutes wieder aufrichteten, sah er eine Schar Kinder singend den Markt hernieder ziehen.

Voraus ritt ein kleiner Bube auf einer Gerte, und hinter ihm trug ein anderer ein an eine Stange geflochtenes Kreuz, und ein dritter nahm sich gar wichtig, hatte ein flatterndes Mäntlein um und in den Händen ein dickes Buch, daraus er verderbtes Latein und hastige Ringelreime scheckig durcheinander sang, indes einer neben ihm als Messner galt und heftig eine Geißschelle schüttelte. Inmitten der nachtrottenden Kinder, die sich wie Leidträger still und gesenkten Blickes verhielten oder ein Tränentüchlein zum Auge führten oder sich heimlich die roten Öhrlein voll raunelten, mitten in dem putzigen Haufen trugen sechs Knaben eine Bahre, darauf lag ein rosiges, bekränztes Mägdlein, die jüngsten Frühlingsblüten auf der Brust, lächelnd und mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen.

Die Kleinen spielten Begräbnis, wie sie es in den Tagen des schwarzen Todes allzuoft von den Großen gesehen hatten, und das holde Dirnlein, das ergeben wie ein Leichnam auf der Bahre ruhte, war Irros einziges Kind.

Von abergläubischer Furcht erfüllt, jagte der Schmied auf den Markt hinaus. Die Schar zerstob, als sie den Mann so ungestüm daher eilen sah, nur die Leichenträger konnten nicht fliehen und warteten mit bösem Gewissen.

»Wisst ihr kein lieberes Spiel?« schalt Irro. »Wiegt auf dem Anger die Docken oder schlagt eure Reifen!«

Er beugte sich über sein Kind, das tat die großen, heiteren Augen auf, schlang den Arm um des Vaters Hals und ließ sich von der Bahre heben.

»Schau nit finster!« bettelte sie und nestelte reuig an der Schleife, womit ihr kurzer, sonnenfarbener Zopf geputzt war.

»Afra, du kränkst mich und die Mutter«, mahnte er lind.

»Ei, ich tat, als läg ich schlafend in der Wiege, und die Buben trügen mich ins Himmelsschloss und legten mich der Muttergottes in den Schoß.«

Irro presste das geliebte Ding hart an sich und wandte sich zu den zerknirschten Bahrträgern. »Der Tod ist kein Spiel. Treibt euer Wesen anders!«

Sein Weib Magdalene hatte bereits von dem ungebührlichen Zeitvertreib der Kinder erfahren, sie empfing die Kleine mit einem Sturm von Zärtlichkeit, als wäre diese wahrhaftig aus dem Tod wieder heimgekehrt. »Dirnlein, du hättest die Docke auf die Bahre legen sollen, nit dich!« klagte die Frau. »Wie weh tut mir das Herz!«

In selber Nacht noch erkrankte die Afra an der Pest.

Gleich einer Rasenden tobte die Mutter durchs Haus, schluchzte wild und verfluchte die Kinder, die mit dem Dirnlein Begräbnis gespielt hatten, und maß ihnen alle Schuld bei.

Weil der Arzt von Amselberg auch schwarz und mit versäuchtem Blut gestorben war, so musste Irro sich allein behelfen, er räucherte mit Wacholderspänen in der Blutpfanne die Stube aus, hegte die Kranke und fühlte die Adern des zarten Leibes immer müder schlagen und stöhnte: »O arme Himmelauffahrtsblume!«

»Jag es weg!« fieberte die Afra, »jag das Pestmäusel weg, es frisst am Bettfuß!«

In jenen bekümmerten Nächten zieh Irro sich der Schuld an der furchtbaren Heimsuchung. Wenn man schon den Menschen das gegebene Wort halten muss, um wie viel mehr Gott! Und weil er das Gelübde nicht erfüllte, so legte der Herr ihm die Hand schwer auf die Schulter und erinnerte ihn.

In verzweifelten, reueheißen Gebeten beschwor Irro Gott um Geduld, er wolle gewiss redlich nachholen, was er versäumt habe, und sein Gelöbnis in Treuen halten zum Preise des Höchsten, der einheimsen will, was ihm gebührt. Gott erhörte ihn. Das Kind erstand gesund aus Schweiß und Dunst des Fieberbettes.

*

Voll warmer, wolkenloser Tage war das beginnende Frühjahr, und die Bauern rieben sich wohlgefällig die Fäuste, denn sie wussten, dass Märzenstaub goldenes Laub bringe, und in hellem Eifer fuhren sie aus, den Acker zu bestellen.

Irro aber suchte den Mann, der in Gestalt und warmer Stimme dem Heiland gliche, und fand ihn in dem Bruder seines Weibes, dem Zimmermann Hohenschläger. Der hatte die Augen ernst und fröhlich und das Haar von der Farbe einer zeitigen Haselnuss, er trug einen geklüfteten braunen, lockig wirren Bart, und an seinen Lippen bildete sich zuweilen ein unsäglich schönes, reines Lächeln. So mochte wohl Christus ausgesehen haben, als er auf dem Erdreich ging.

Als Irro diesen stillen, der Welt verlorenen Mann bat, ihm bei seinem Werke zu helfen und Wort und Leid des Herrn im frommen Spiele nachzuahmen, bebte der Zimmermann in Ehrfurcht zurück vor der Weihe dieses Amtes, und doch glühte es sehnsüchtig in seinen Augen.

Das junge Weib aber, das ihm angetraut war, ängstigte sich in törichter Art und bat: »Tu nit mit! Sie könnten dich wirklich ans Holz nageln!« Sie packte seine Hände, die sie gefährdet glaubte, und umschloss sie schützend mit den Ihren.

Als nun Hohenschläger meinte, sein Schwager möge einen anderen suchen, denn nur ein Heiliger dürfe den Weg unseres Erlösers und Seligmachers also nachwandeln, da fragte Irro ihn traurig, ob er es ihm unmöglich machen wolle, zu tun, was er Gott versprochen, und der Zimmermann dachte an die Afra, seiner Schwester Kind, das er überaus liebte, und willigte ein.

Hernach ging der Schmied einen abgedankten Soldaten an, des Namens Gotthard Zauner, der hatte ein kräftiges Gedächtnis und konnte viele Sprüche auswendig, und der Alte erbot sich sogleich, den schnellen Haudegen Petrus darzustellen. Er fügte sich gut dazu, denn er hatte den Schädel kahl, den Bart eisgrau und den Blick voll Flammen.

Johannes, den Liebling und Mundschenken des Herrn, warb Irro in einem Studenten, des Webers Gröllhesel Sohn, der aus Not nimmer die hohe Schule bezog, mit seinem glänzend gelben, langen Haar und den bartlosen weich geschwungenen Lippen ähnelte er einem Mädchen.

Den Jünger Jakobus sollte ein bejahrter Weber darstellen, der gern über die Zeitläufe schimpfte und sich dabei oft in den Wirtshäusern versaß, weshalb er den Hänselnamen »das Nachtlicht« trug.

Die Schergen und ihr Rottmeister Malchus waren bald gefunden, denn die jungen Burschen freuten sich, kriegerisch daher zu schreiten, den Eisenhut über der Stirn, Furcht zu verbreiten und Ansehen zu erwerben bei den gaffenden Dirnen.

Ein Mädchen, das eine glockenklare Stimme hatte, bestimmte der Schmied zum Engel.

Doch war es ihm nicht möglich, einen zu gewinnen, der den Verrat des Judas spielte. Wen er auch mit Bitten und Versprechen antrat, jeder wies mit Abscheu dies Ansinnen zurück. Als einst der fuchsrote Schinder, der in einer Einschichte sein anrüchiges Handwerk übte, am Pranger Riemen feilbot, die er aus dem Leder verreckter oder toller Hunde geschnitten hatte, überwand Irro die Scheu vor dem verrufenen Mann und bat ihn, er möge das Spiel des Judas übernehmen. Aber der Schinder fuhr grob in die Höhe: ehe er der sein wolle, der seinen Herrn mit falschem Kuss verraten, wolle er lieber in den Teufel hineinfahren.

Der Schmied erzählte seinem Weib von der vergeblichen Mühe. Da riet sie, er möge die Gestalt des Judas aus dem Spiel lassen, die allen ja nur ein Verdruss und Ekel wäre. Doch er meinte, solches gehe nicht an, ohne den Verrat sei die Gefangennahme im Ölwald undenkbar, man dürfe auch nicht so sehr den heiligen Schriften widersprechen und müsse schließlich den Wünschen der Zuhörer gerecht werden, die ihren heiligen Zorn an der Tat des Angebers entfachen und die Silberlinge wollen klingeln hören.

Endlich entschloss sich Irro, selber die Rolle des Verräters zu tragen, trotzdem dass ihm seine Frau erzürnt abriet; und da seine Augen düster waren und ein dunkler Bart und dunkle Brauen sein Gesicht verschatteten, so deuchte er sich äußerlich geeignet für die Gestalt des verirrten Jüngers.

Damals meldete sich bei ihm ein hagerer, gelber Mensch mit Haaren, schwarz und steif gleich der Mähne eines Rappen, der hieß sich Schilk, der Krieg hatte ihn ins Land gespült, und um seine Herkunft wusste niemand Gewisses. Er behauptete, er habe am Rhein einmal bei einem Leidspiel den Hahn dargestellt, der dreimal krähe, und nun schrie der Schilk so kräftig und anhaltend ein Kikeriki, dass die getäuschten Hähne Amselbergs allerorten antworteten. Er erbot sich, um einigen Lohn sich als Teufel zu vermummen, dazu wolle er ein Wolfsfell anlegen und hinter dem Juds, wenn er sich am Hagebuttenstrauch erhängt habe, allerlei schnackische Sprünge tun und ihn mit einem Ochsenschwanz auf den Bauch schlagen, dass jedermann in ein freies Gelächter ausbräche.

Irro wies ihn zurück. »Mein Spiel entbehrt des Teufels«, sagte er.

Als er seine Gehilfen zum ersten Mal zu sich berief, las er ihnen die Schrift vor, und sie waren ergriffen und versprachen, sich ernsthaft in ihr Amt zu versenken und die Reden getreu sich ins Hirn zu prägen. Gotthard Zauner wollte anfangs manches Wort, das ihm nicht herrlich genug klang, ändern und die eigenen Sprüche darein mischen, die gar unflätig lauteten, damit die Zuhörer nicht vor eitel Betrübnis stürben, sondern auch ein lustiger Strahl durch den Jammer bräche, doch rügte Irro solches Vorhaben mit verdrossener Stirn und ließ es nicht zu.

Weil die Stube zu eng war, begaben sie sich auf den Randlesberg, der waldig hinter dem Flecken aufstieg, von einem Kirchlein gekrönt; dort droben übten sie, indem Irro ihnen erzählte, was er in Tirol geschaut, und sie in Ton und Gebärde unterwies, die Schüchternen befeuerte, die Wut der Schergen dämpfte, wenn sie den Heiland gar zu derb packten, und dem Petrus ins Schwert fiel, als dieser bei der ersten Probe den Knecht Malchus schier geköpft hätte. Es galt ein hartes Werk, ehe die Zungen geläufig wurden, und sie mussten eifrig proben, denn am Abend vor Fronleichnam sollte das Spiel dem Volke gezeigt werden.

*

Früher als sonst kehrten heuer die Schwalben zurück ins Land, aus dem feuchten Boden schoss die Saat üppig auf, die Wiesen schimmerten bald in sattem Grün, und es war noch nicht Mai, da saß der Kuckuck schon im dunklen Tannenbaum. Ein Tag war blauer als der andere, und den Menschen ging das Herz auf wie den Sträuchern die Knospen, und sie waren der Sonne und des eiligen Wachstums herzlich froh.

Doch als einige sonnige Wochen vorüber waren und die Feuchte, die noch vom Winter her im Boden wirkte, sich aufbrauchte, meinte hin und wieder einer, des hellen Wetters sei fürder genug, und es dürfte ein erklecklicher Regen fallen, dass sich Felder und Wiesen daran erfrischten.

Der hohle Wind, der stetig von Sonnenaufgang her blies, trocknete das Land aus, und bald staubte es auf den Straßen wie im hohen Sommer; die Bäche, die noch kürzlich in der Fülle des zerflossenen Bergschnees stolz gebraust hatten, milderten und schmälerten sich, und die Brunnen wurden schüchterner.

Der alte Wenhart aus Mautstatt hockte am Rain und murmelte: »Wenn es nur ein einziges Mal regnen tät, da wär es schon leichter; ein Regen zieht den andern herzu. Der Herrgott sollt ein Einsehen haben.«

»Das wird ein dürrer Sommer, die Kittel werden uns brechen«, seufzte sein Weib.

»Gott soll geben, dass du lügst!« schrie er erbost.

Daheim legte sie einen Rechen mit den Zähnen nach oben ins Gras und hoffte, damit ein Gewitter herauszufordern. Doch die Sonne spie ihr Gold herab und trank an den Weihern; und der dürre Wind sog die ermattenden Bäche auf, bis nur mehr dünne Rinnsale blieben. Rosige Wolken erhoben sich an den Abenden und kündeten wieder die Sonne und wolkenlose Bläue des kommenden Tages.

Der Altrichter aus dem Dorf Mugrau fing ein Herrgottskühlein, er zählte die Punkte auf dessen Flügeln, und als er ihrer mehr denn sieben fand, ließ er den Käfer wieder fliegen und meinte betrübt, nun müsse ein teurer Sommer kommen.

Andere fürchteten, die Hitze werde jäh mit einem unbarmherzigen Hagel enden, dann brauchten sie das bisslein Korn, das heuer gedieh, nimmer in die Scheuer zu schaffen, es würde schon am Feld ausgedroschen.

An jedem schwebenden Wölklein entzündeten sie Furcht und Hoffnung, doch vergebens. Der Durst der Wurzeln ward nicht erfüllt. Darob kränkelten die Blumen, das kurze Gras der Wiesen bräunte sich. Die Bäche waren nur mehr Tümpel mit totem Wasser, das nimmer fallen konnte und daran die lechzende Luft zehrte.

Vor Wassernot blieben die Mühlen stehen, das Korn konnte nicht gemahlen werden.

»Der Urähnel hat sich das Mühlrad selber gedreht, wenn der Bach ausgeblieben ist«, sagte der Schattenmüller. »Ich hab nit die Kraft dazu.«

Umsonst spähten die Bauern nach einem rettenden Gewitter aus. Kein Maienwölklein verträufelte sich gnädig den darbenden Schollen, kein Tau fiel und letzte feurig die Frühe. Der Himmel blieb verschlossen.

Die Sonne sog der Erde die letzten Quellen aus dem Leib, leerte die Teiche und trocknete den Schlamm, bis er brüchig wurde und zerstob. Sie vertilgte die Bäche, da konnte das Geschiebe rasten, und in den Wasserfurchen, die die Glut bloßgelegt hatte, verdursteten die Fische, und ihr Aas stank aus dem trostlosen Geröll. Zwecklos spannten die Brücken über versiegte Runsen. Mit den grünlichen Dorftümpeln endet das Getriller der Unken. Und Nacht für Nacht prangte unverhüllt und klar der riesige Sternenstrom, und sein Anblick wurde den Menschen zur Qual. Am Gschwendhof zu Eisengrub versiegte der Brunnen, der seit Menschengedenken reich geronnen war, und sie mussten das Wasser weither schleppen, das vor Durst brüllende Vieh zu beruhigen.

In Fässern führten sie das Wasser, dessen sie noch habhaft wurden, auf den Acker, das Kraut zu begießen, dass es nicht zugrunde gehe. »Wir müssen des Herrgotts Arbeit verrichten«, keuchten die geplagten Menschen.

Der junge Gschwendner ging einmal mit seinem Nachbarn nach Amselberg zur Messe, und sie klagten sich ihre Bauernnöte.

Der Nachbar seufzte: »Heut wird uns die Hand im Weihkessel nit nass. Wir haben nit einmal mehr geweihtes Wasser, dass wir den Teufel versprengen könnten, wenn er uns heimsucht.«

Der Gschwendner erzählte: »Jetzt hat auch unser Brunn ausgelassen. Es ist siebzig Jahr her, seit er das letzte Mal gestockt hat. Dazumal ist der Hungerwurm durch die Dörfer gekrochen. In Eisengrub ist den Kühen das Euter verdorrt, und kein Brot ist mehr auf den Tisch kommen. Und weil mein Ähnel nit hat Moos fressen wollen, so hat er sein größtes Grundstück, die Rosswiese, dem Moosholzer verkauft um einen Laib Brot, sonst hätt er müssen verhungern. Es ist aber die Stund noch nit verronnen, so kommt der Moosholzer wieder, will die Rosswiese zurückgeben und noch seinen eigenen Waldfleck dazu, der daran stößt, wenn er nur einen halben Laib wieder zurück kriegt; der Handel hat ihn gereu. Mein Ähnel aber will und kann ihm nit willfahren, und so werden die zwei strittig, und der Ähnel erschlägt den anderen mit dem ersten besten Stein, der ihm in die Hand geraten ist.«

Die beiden holten den alten Gschwendner ein, dessen jähe Untat eben der Enkel erzählt hatte. Gebückt trippelte er dahin, den Oberleib schier waagrecht haltend und die Stirn gegen die Erde richtend, als wolle er es hindern, dass jemand darauf schaue und dort die nie erloschene Schuld lese. Mit dem Stecken störte er eine Natter auf, die in der Sonne ihr Gift braute. Er schielte über die Gefilde hin und zischte: »Das Jahr muss missraten. Die Ähren bleiben kurz und leer, kein Heu wird nit, kein Grummet, der Flachs nit zu brauchen. Das Vieh wird nit überwintern können. Die Zeit kehrt wieder, wo einer vor dem andern sein Brot versteckt. Ich hab es erlebt.«

»Es kann nimmer regnen«, sagte der junge Gschwendner kummervoll, »der Himmel hat keine Kraft mehr.«

»Brot haben wir gefressen, trockener als Rossmist; kein Hund fräß so eins«, grollte der Alte der gewesenen Zeit. Der Nachbar meinte: »Der Herrgott ist ein gewaltiger Mann, aber als Bauer tät er bald abhausen. Da versteht er nix.«

»Schänd den Herrgott nit!« eiferte der Alte. »Die Leut sind selber schuld an dem missrätigen Jahr.«

Auf einem Feldstein saß grämlich der Weber Gröllhesel aus Amselberg, ein armer Mann, und starrte auf die vergilbte Flur und auf den Rasen der Hänge, der rostbraun war wie das Fell einer Eichkatze.

Der krumme Gschwendner stieß ihn an: »Merkst du es auch, dass die Welt verdirbt? Der Irro ist Ursach, weil er seinen Spott mit dem Herrgott treibt. Ihm muss das Handwerk gelegt werden, sonst ist es aus mit uns.«

*

Eines Sonntags steckten die Bauern, die von den Dörfern herein zur Kirche gekommen waren, am Marktplatz die Köpfe zusammen und hielten hitzigen Rat. Und als Irro daher schritt, sein Dirnlein an der Hand, umzingelten sie ihn und grüßten ihn mit rauem Blick.

»Du bist schuld, dass Land und Leut verderben«, schrie ihm der Irihans aus Emmern zu.

Er staunte: »Was begehrt ihr von mir?«

Da murrten sie wirr durcheinander: »Holz und Saat stirbt ab. Nit Tau, nit Regen fallt. Mein Acker heißt Hungerbühel. Und mein Rain Bettelsack. Und meine Wiese Dürrnau. Dein Sünd, Schmied, tragt uns das Elend ein.«

»Seid doch nit gleich hellauf!« suchte Irro sie zu besänftigen. »Was kann ich dafür, dass es nit regnet?«

Der alte Gschendner aus Eisengrub trat her, gebückt, wie ihn der Zorn Gottes zusammengezogen hatte, zu Boden stierend. »Schmied, den Heiland äffst du mit dem Spiel, das du angezettelt hast. Am Kreuzgalgen ist er gehangen, durchspießt von Spott, und jetzt soll er noch einmal verspottet werden? Das leidet der lebendige Gott nit. Das Land lässt er verdürren, die tiefsten Brunnen verschmachten, alles zerfallen zu Staub. Die leidige Pest ist vorbei, jetzt soll uns der Hunger auffressen? Warum verfrevelst du dich so, Schmied?«

Mit gelassenem Auge begegnete Irro der Anklage. »Was murrst du wie der Wolf an der Kette, Gschwendner? Der Herrgott gibt jedem seinen Weg und sein Amt. Ich frevle nit.«

»Du verschraubter Mann«, zeterte der Alte, »mit dem Heiland seiner Not sollst du nit deinen Possen treiben. Keiner darf ihn nachmachen.«

»Wo steht das geschrieben, Bauer? Ist der Herrgott doch gemalt und hölzern aufgestellt und steinern und silbern in den Kirchen, und du kniest davor und nimmst nit Ärgernis daran.«

»Aber mit Reden und Deuten und Gaukelwerk darf sein Kreuzweg nit verspottet werden, Schmied. Und es darf nit einer hertreten mit geklobenem Bart und sagen, jetzt sei er der gegeißelte Christus.«

»Ich hab das Spiel gelobt in schwerer Stund. Leut, lasst mich gewähren!«

»Du heller Narr! Ins Elend reitest du uns«, kreischte der Krumme. »Dein Larvenspiel stinkt zum Himmel. Merkst du nit, dass der Herrgott es verabscheut? Sterben wird er schicken über Vieh und Leut. Deinetwegen.«

Der Altrichter von Mugrau mahnte: »Lass ab, Schmied, wir bitten drum!«

Da schrien sie heiß durcheinander: »Nit bitten! Sein Spiel soll nit verstattet werden. wir wollen es nit sehen, das lumpige, gumpige Spiel! Seit du damit angefangen hast, fallt kein Tropfen mehr vom Himmel.«

Der Schilk sprang vor Lust von einem Bein aufs andere, rieb den Daumen am Zeigefinger, als zähle er einem Verräter die Silberlinge hin, und jüdelte: »Eins, zwei, drei, wechsel mir den, der ist aus Blei!«

Ein Fuhrmann, der sein Gespann vorüber peitschte, rief: »In Krummau spielen die Kinder in der Moldau, der Fluss ist ausgeblieben.«

Die Stimme Irros überwog alles Geschrei. »Leut, hört zu! Dieselbe Witterung hätt uns betroffen, wenn ich das Spiel nit angehoben hätt. In Tirol spielen sie es auch, und doch ist das Land grün und gesegnet.«

»In Tirol müssen lauter Zigeuner sein«, keuchte der Gschwendner.

»Jetzt hab ich es begonnen, jetzt führ ich es aus, Bauern. Und just! Ich bin nit der Wankelmut. Und zwingen lass ich mich nit.«

Dabei reckte sich der Schmied und schaute höhnisch zu dem verkrüppelten Greis hinab und sah den lächerlichen Schatten an dessen Fersen haften.

Der Alte spürte den Blick. »Du großtrabender Kerl, du üppiger Mann, du Stierhalt! Ziem dich nit allzu hoch, weil du so stolz gewachsen bist! Denk an die hoffärtigen Engel, mit brennenden Flügeln sind sie herunter gestürzt und haben den Abgrund angezündet. Ja, gerad so hoch und schroff wie du bin ich gestanden in jungen Jahren, bis mich der Herrgott gebogen hat, dass ich mich nimmer aufrecken und die Sonne nimmer schauen kann, die er so schrecklich über uns aushängt. Hüt dich, Schmied, dass es dir nit noch schlechter geht!«

»He, dass dir die grüne Galle nit zum Maul herausspritzt!« schnarchte Irro den Krummen an. »Und ihr andern, loset her! Ich tu kein schlechtes Werk. Wie der Pfarrer am Altar Brot und Wein aufhebt und wandelt in Leib und Blut, so heb ich mein Spiel in die Höh und zeig es euch, dass ihr euch wandelt an des Heilands Todesangst und an seinem Opfermut, dass ihr seht, wie der beste Mann verlassen wird von den Menschen, verleugnet von den Freunden, verraten von Judas…«

Da zischte der Gschwendner: »Du bist der Judas, und du taugst dazu!«

Aschfahl wurde der Schmied. Sein Kind schrie ängstlich auf. »Gebt mir den Weg frei!« forderte er wild.

Doch sie stellten sich mit breiten Schultern ihm entgegen, mit bösem Lächeln, mit zunderroten Stirnen.

Zorntrunken hob er die Faust. Da wichen sie. Und der Hass war seine Gasse.

Der Gschwendner heulte ihm nach: »In die Zähne schrei ich dir es hinein, du bist ein Feind Gottes und verderbst uns alle!«

Mit aufgehobenen Händen empfing daheim den Schmied sein Weib. »Bei den durchnagelten Füßen des Heilands bitt ich dich, spott sie nit nach, die blutigen Martern. Der Himmel ist versteint, das Wasser ist gestorben, kein fröhliches Wachstum erfreut uns mehr. Deinetwillen!«

»Wer hat dir das ins Ohr geblasen?« brauste er sie an.

»Heut erst haben die Nachbarinnen mir es gesagt, was sie im ganzen Land schon wissen. In allen Spinnstuben, an jedem Wirtstisch geben sie dir grundböse Namen, auf den Straßen tragen es die Fuhrleute dahin, dass deinetwillen der Himmelsbrunn versperrt ist.«

»Sie sollen nur ihre Höllpfeile herschießen, mein Herz ist fest«, lacht er bitter. »Ich lass nit nach.«

»Schmied, sie erschlagen dich. Die Bauern sind hoch erbittert wider dich. Nit mit Unrecht. O mir ist himmelhart zu Mut!«

»Es gerate mir zum Tod oder nit, Weib, das Spiel setz ich durch. Ich muss!«

»Hat dich der Witz verlassen, du Wirbelkopf?« schalt sie. »O du felsenes Herz, du treibst mich und mein Kind ins Elend!«

Weinend stellt sich die kleine Afra zwischen die erregten Eltern und ruhte nicht mit Bitten und Tränen, bis sie schwiegen. Doch blieben sie unversöhnt, und wenn eines dem andern die Stirn zukehrte, lag Unmut und Anklage darauf.

Auch die kleine Rotte der Spieler litt mancherlei Drangsal von jenen Leuten, die die Ursache an dem Missjahr dem Schmied zuschoben.

So wurde dem Gotthard Zauner eines Nachts die Hütte umgeworfen. Es war ein hinfälliger Holzbau gewesen, allerecken gestützt und mit Stricken festgebunden, die Fenster seit einem Hagelschlag zersplittert, – der zornige Mann hatte die Scheiben nimmer erneuern lassen, sondern gegen Gott gewettert: »Der sie mir eingeschlagen hat, soll sie mir wieder einsetzen!«

Nun schürte die Tat feindseliger Buben seinen Trotz auf, fluchend nagelte er sich aus den Trümmern ein neues Obdach und verschwor sich, mit seinem Peterschwert den tückischen Bauern die Ohren zu stutzen.

Der Hohenschläger hatte einen härteren Stand: sein Weib schluchzte oft wie eine verwittibte Turteltaube, dass er teilhabe an dem vermessenen Werk seine Schwagers. Aber er hielt sich fest, er widerstritt ihr nicht und gab auch nicht nach.

Das Nachtlicht aber kanzelte die Widersacher in den Schenken wacker nieder, und die, welche als Schergen gehen sollten, waren Habenichtse, denen kein Feld verdarb und die in ihrer fröhlichen Armut keine Drohung rührte.

Auch waren sie alle leicht geneigt, zu glauben, dass das Wetter umschlage, es brauchten nur die Regenvögel zu schreien oder die Bremsen bös zu werden oder die Luft ein wenig die Flügel zu lüpfen. Also vertrösteten sie sich und andere und gaben denen kein Gehör, die sie abwendigen wollten, zumal damals mit der Sonne ein schöner Stern Löwenherz aufging und auf Donner und Erquickung deutete.

Der Schilk hielt seine Zeit für gekommen und fing wunderlich zu reden an, er könne mehr als Brot essen und wisse ein Mittel, den Regen auf die lechzende Erde nieder zu zwingen, ließ aber durchschillern, das Wettermachen sei eine verzweifelte Kunst, wobei einer die ewige Seligkeit daran setzte, und darum müssten wohl und übel die Bauern den Geldbeutel lockern, ehe er sich ihres Vorteils wegen so arg gefährde.

Die Furcht war im Land und allerlei Zeichen bestätigten nahes Unheil: ein Kind ohne Augen ward geboren, es hatte leere Höhlen im Antlitz; schwarze Kirchturmvögel rauften in den Lüften über Amselberg, und viele stürzten tot herab. Von einer gewaltigen Wurmwallfahrt ging das Gerücht und von Menschen und Tieren, die der Durst rasend gemacht hatte.

Den Leuten bangte, und sie gaben dem Schilk gute Worte und blankes Geld, er möge nach Kräften das Wetter wenden, und der Gauch grinste und kratzte sein Abakadabra und Hexen welsch auf ein Jungfernpergament, stopfte es einer Dohle, die er bei jenem Luftkampf gefangen hatte, in den Schnabel, beschwor sie und gab sie frei. Da flog sie gegen Untergang, woher immer die Wetter kamen.

In der Nacht schlug der Wind um, und frühmorgens brüteten die Wolken im Wetterloch.

Die Amselberger sahen bald über den Hügeln die finsteren, schwangeren Massen aufziehen und fernen Regen daraus hängen wie graues Haar.

Das Gewölk begann zu jagen und flog über den Ort, und als die ersten Tropfen fielen, war es, sie fielen mitten in die Seelen, und diese grünten empor in sehnender Hoffnung, die Brunnen wieder murmeln, die Mühlen wieder sausen zu hören.

Weiß schlugen die Tropfen nieder und knisterten in die geborstene, tote Erde, und die Menschen lauschten, als flüsterten Engel.

Nur ein neidischer Bettelmann, der trunken durch Amselberg taumelte, war nicht zufrieden und nörgelte und unkte:

Trauet nit, es sind lauter leere Wolken! Nit einen Schwitz geb ich drum, dass es besser wird. Früher Regen und Altweibertanz dauern nit an.«

Sie hätten den Schwarzseher schier erstoßen.

Irro atmete auf, als sich die Wolken wieder öffneten. Tief bedrückte es ihn, dass ihm sein Weib gram war und die Menschen ihn hassten. Vor wenigen Tagen hatten sie ihm einen ausgestopften Judas vor die Tür gehängt. Und er konnte nimmer zurück und war nicht zu hemmen wie Wasser, das in den Abgrund muss. Und das Gelöbnis, das ihn band, und aller schmiedeeiserne Trotz gegen die Widersacher war verblichen vor der reinen Freude an dem Spiel, dessen Tiefe ihm ahnend aufging, und er war bereit dafür zu leiden, wie auch der Erlöser durch rauen Kreuzdorn hatte wandeln müssen, und er wusste sich auf Gottes Fährte. Nun aber war er der lind anhebenden Tropfen froh, die seine Unschuld überzeugend dartun mussten, und er wies seinem Kinde, wie am Rasen die jungen Gänse, die keinen Regen noch erlebt hatten, sich drollig und verwundert benahmen und ganz aufrührerisch schnatterten und flatterten und die Schnäbel aufsperrten gen Himmel.

Doch da erhob sich wie aus des Teufels Schoß ein Sturm, der schleuderte mit seiner Wucht die fliegenden Vögel auf die Erde hin und bog die Bäume und vertrieb die Wolken, und als er nach kurzer Tobsal endete, wölbte sich der verschlossene Himmel wieder eisern, die Sonne schien noch glühender und stierte wie in höllischem Hass herab.

Der Wettermacher zuckte die Achseln, er habe das Seine redlich getan, doch des Irro Gaukelei führe jede Kunst zunichte; man möge sich an den halten, der alles am Gewissen habe.

Die Wut der enttäuschten Bauern überflog nun alles Maß. Doch wagten sie nicht, den Schmied zu stellen, denn er war stark und von jäher Wildheit und zählte manchen Anhänger. Irro selbst verließ nur mehr ungern sein Haus; der verhaltene Hass des Volkes schmerzte ihn.

Als er einmal abends über den Markt schritt, schlich in der Dämmerung einer daher, der seine Gestalt in einer geduckten Gebärde verhehlte, und während Irro wie gebannt unter diesem unheimlichen Eindruck stand, gab ihm der Geduckte plötzlich einen heftigen Schlag in die Rippen und huschte davon.

Seither ging der Schmied immer mit dem Hammer aus, drohend und stolz, und wenn er irgendwo seine Gegner versammelt sah, schritt er auf sie zu und mitten durch die verstummt Schar hindurch und streifte den und jenen herausfordernd mit dem Ellbogen. Weh dem, der aufbegehrt hätt! Irro hätte ihn niedergehämmert, um sein entrüstetes Herz zu sättigen. Doch konnte er nicht hindern, dass ihm hin und wieder die Stimme eines versteckten Menschen nachfluchte: »Judas!« Dieses Wort fraß an ihm, und sein Gesicht ward blass und schmal und hart.

Manch unselige Narrheit geschah damals.

So war ein Mann aus dem Waldgericht von Sinnen gekommen, als er die Ernte verdorren sah. Er jammerte, die Sonne sei ein Messer und schneide ihn mitten durchs Hirn. Einmal stieg er mit einer langen Stange auf den Kuhhübel hinauf, Wolken zu stüren, dass es regne. Man fand ihn droben erhängt.

*

Wallfahrer zogen auf den Randlesberg, bei der Muttergottes in der Kapelle droben Zuspruch zu nehmen.

Die Gebirge rings vergrauten im Heerrauch, verblassten in Ahnungen. Aus dem blauen Schoß der Leere gähnte, geiferte die Sonne, die unbarmherzige Sengerin, das wüste Gestirn; wie ein Fluch brannte sie über der Welt und wob eine Glut, als müssten daran die Felsen schmelzen.

Die Wallfahrer überschritten das Rinnsal des verdorrten Baches und lechzten auf schrundigem Weg zwischen armen Ackern und versengten Wiesen bergan. Der Pfingst, der hier sonst in goldenem Ginster flammte, war ohne Blumen, müd hing das Laub, vieles war abgefallen, als herbstete es schon; die saftlosen, entkräfteten Zweige ließen das verrunzelt ansetzende Obst los, das nicht reifen konnte. Halm und Heide und Weide verdursteten und der Wald mit seinem Wild.

Versiegt waren die würzigen Wiesenquellen, die Waller konnten sich daran nimmer letzen, und sie trabten stumpf dahin, den Blick an die schmachtende Erde gebunden. Ihre Wangen waren dürr, ihre Stirnen von Sorgen zerrissen, denn das Vieh stand ob des schlechten Futters krank daheim im Stall.

»Herr, erbarm dich unser!« Die Bauern beteten um ein gnädiges Gewitter. An den Stangen hingen die geweihten Banner schlaff und welk.

Einer trieb, dem Himmel zum Vorwurf, seine hagere Kuh mit. Sie taumelte und nagte zuweilen vergeblich an der Erde. Bei einer Feldkapelle hielten sie unter einem schier entlaubten Ahorn und grüßten Gott in seinen heiligen drei Wesen.

Auf dem Acker sauste bleiches Korn. Der Besitzer stand davor, er war ein kurzer Mann, und doch reichten ihm die Halme nur bis ans Knie. Die winzigen Ähren bargen keine Körner. Risse zogen durch den Acker, und das Bäuerlein kauerte hin und legte die Hand darein wie in eine offene Wunde.

Droben waberte die Sonne. Ein schwarzes Blatt wehte herbsthaft vom Baum.

Die Bittfahrer brachen auf. Einer wankte voran, die verkrampften Hände steil und starr über dem Kopf, die Augen unverrückt an diese Gebärde heftend, die Lippen gepresst, an seinem fruchtlosen Gebet verzweifelnd.

*

Es war am Abend vor Fronleichnam. Nach einem sengenden Tag war das Licht gewichen, doch lebte die ungeheuerliche Schwüle noch nach, und die Erde lag wie unter einem bleiernen Dach. Die aufgehenden Gestirne glänzten matt, als verschmachteten auch sie.

Das Spiel zu schauen und zu stören, sammelten sich am Marktplatz die Bauern des Umlandes, aus ihren Einöden waren sie herabgestiegen, geplagtes, verzweifelndes Volk. Heute glomm ihr Blick; lauernd, murrend mengten sich die dunkeln Gestalten unter die Bürgersleute von Amselberg und betrachteten das Brettergerüst, das vor dem Friedhof aufgeschlagen war, von Kerzen beleuchtet, die auf Stangen brannten. Sie hätten am liebsten gleich diesen Tanzboden des Teufels zerschellt, doch hielt die Neugier und unbestimmte Scheu davon ab, und so warteten sie, bis ihre Zeit käme. Als das Kehrausglöckel vom Turm geläutet hatte, stand ein gewappneter Mann vor der Bühne, reckte den Spieß und rief hallend über die Menge hin:

»Jetzt loset auf! Das Spiel hebt an.
Dort kommt der bange Jesusmann
mit seinen guten Jüngern drei
zum Ölberg trauersam herbei.
Seid still, erbauet euch und seht,
wie Gott es bei den Menschen geht!«

Aus dem burgfesten haus des Irro traten vier Männer und wandelten feierlich daher, voran der Seligmacher in priesterlichem Kleid, mit gespaltenem Kinnbart, wie er auf frommen Gemälden abgebildet war.

Er wirkte wie Feuerzwang auf die Flammen. Schauder erfüllte die aufgerührte Menge, sie glaubte den göttlichen Meister wieder auf die Erde gestiegen und leibhaft niederschreiten den abhängigen Markt. Das Wort versiegte an den Munden, viele riss die Ehrfurcht in die Knie, Hass und böse Absicht erstarben vor dieser Gestalt.

Lautlos bildete sich eine Gasse, und der Heilbringer schritt gesenkten Hauptes zur Bühne. Hände zuckten nach dem Saume seines Gewandes, Segen heischend.

Petrus folgt ihm, ein mannliches Schwert zur Seite, im Gurt des Lodenrockes zwei Schlüssel, zu schließen und aufzutun. Das alte Soldatentum straffte ihn, hochmütig hob er das Kinn. Der Glanz der Kerzen spiegelte auf seinem kahlen Kopf, in seinem Silberbart.

Ihm schloss sich Jakobus an, Muscheln am Hut, mit weitem Mantel und dem Pilgerstab, den er weit vor sich setzte und mit zögerndem Schritt einholte. Der Mensch, der also fromm vermummt ging, war wegen seiner trunkenen Stunden oft das Ziel der Höhner gewesen, jetzt aber fiel der Abglanz des vorauswandelnden Heilands auf ihn und umwob ihn mit Würde und Ehre.

Zum dritten kam der Jüngling Johannes, das vielhelle Haar um die Schultern geordnet, ein Buch in Händen, sanft und scheu.

Als die vier, erhoben über alle, auf der Bühne weilten, trat der Zimmermann Hohenschläger in funkelnder Feiertracht vor, ein zages Lächeln am Mund, und sagte bebend und seine Erregung kaum bändigend:

»Ich bin der Heiland, Gottes Sohn,
und lös euch aus der Sünde Fron.«

Gotthard Zauner stellt sich mit keckem Anstand hin, kriegerisch tappte er an das Heft seines Schwertes und rief:

»Ich bin der Mann am Himmelstor,
dem Malchus stumpf ich ab das Ohr.«

Der Pilgrim schlug den Stab dumpf in die Bretter, rückte den Hut und stemmte dann den Arm rüstig in die Hüfte.

»Ich schwinge meinen Muschelhut,
bin Jakob, Christi Jünger gut.«

Der junge Gröllhesel stand mit unbewegtem Leib und redete so schüchtern, dass ihn viele nicht vernahmen.

»Der Jüngste bin ich in dem Kranz,
des Heilands liebster Sankt Hans.«

Nun wechselten sie manches beklommene Wort und sprachen einander tröstlich und traurig zu, bis Christus scheidend die Trautgesellen bei der Hand nahm.

»Ihr lieben, treuen Boten mein,
seid stark, getröstet euch allein!
Derweil ich mich ergeh im Garten,
sollt beten ihr und mich erwarten.
Ich will mich schwer in mich versenken,
ganz an mein bittres Sterben denken,
denn was von mir geschrieben steht,
das heut noch in Erfüllung geht.«

Da warnte Jakobus und hob steif den Finger:

»Der Juden Murmeln kenn ich gut,
mein teurer Christ, steh auf der Hut!
Kaifas der Juden Bischof ist,
der stellt dir nach mit übler List.«

Petrus legte die knochige Faust auf die Brust und klirrte mit seiner Wehr.

»Herr, fürcht dich nit und sieh mich stehn,
mit dir bis in den Tod zu gehen.«

Doch Christus blickte an ihm vorüber, sein Wort klang gramvoll und fern:

»Eh dass der Hahn heut krähen ist,
du dreimal mein Verleugner bist.«

Die Jünger ließen sich mit Zeichen der Müdheit auf drei Schemeln nieder, die nebeneinander bereit gestellt waren, und sie umfingen sich mit den Armen, senkten die Häupter und entschlummerten, indes der Menschensohn sich an das andere Ende der Bühne begab und erschüttert von seine Welteinsamkeit die Stirn verhüllte.

»Da unter diesem Espenbaum
will tragen ich den blut'gen Traum.
Ein Stern herab vom Himmel fallt,
ein banger Vogel klagt im Wald.
Du Vöglein hoch im schwarzen Tann,
bin ein verzagter, armer Mann.
O Gott, wie arg die Welt doch lauft!
Ich wird um schnödes Gelt verkauft,
verhöhnt in einem Purpurkleid,
der grobe Schalksknecht mich bespeit,
ans raue Kreuz werd ich gespannt,
durchnagelt grausam Fuß und Hand.
O Herre droben, hilf mir! Ach,
der Geist ist stark, das Fleisch ist schwach.
Lass mir es doch gelingen,
das Leiden zu vollbringen!«

Die wehe Stimme dieses Mannes rührte die gedrängte, atemlose Menge, und das Gefühl des Mitleids entlud sich in wilden Tränen und ersticktem Schluchzen und herben Seufzern, als die Leute sahen, wie der Gott in tiefster Menschlichkeit vor den Qualen des Leibes und vor dem aufgerissenen Untergang zurückschauerte und Furcht und Verzweiflung seine Seele verdunkelten.

Der Göttliche ermannte sich, er kehrte zu seinen Vertrauten zurück und fand sie schlafen. Petrus stützte das Haupt aufs Schwert, Johannes lehnte an des Jakobus Schulter, und sein Antlitz leuchtete entspannt von aller Kümmernis.

Mit seiner schlanken Hand berührte der Herr den gewaffneten Freund.

»O Petrus, Felsmann, schlafest du?«

Der fuhr unwirsch auf und polterte:

»Wer stört mich da in meiner Ruh?«

Da erwachten die andern und rieben sich die Augen.

Der Heiland stützte den Bart auf die Brust und bat beweglich:

»O wacht und denket meiner Not!
Ich bin betrübt bis in den Tod.«

Tröstend schmiegte sich Johannes an ihn.

»Herzallerliebster Jesus mein,
was willst du wandern in die Pein?
Von dir ein einzig Tröpflein Blut
die ganze Welt erlösen tut.«

Sanft wies Christus den sanften Versucher ab.

»Die Welt ist jetzt geschlafen ein,
ich knie auf diesem Felsenstein,
bald kommen sie mit Strick und Stangen,
werden greifen mich und fangen,
Schmach mir antun, Qual und Jammer,
Geißel, Dornkranz, Nägel, Hammer,
der Henker bricht den weißen Stab,
vom Kreuz sink ich hinab ins Grab.
In diesem wilden Angstgedrang
schrei ich dich, lieber Vater, an:
Hilf deinem Sohn du aus der Not!
O weh, ich fürcht mich vor dem Tod!«

Schweigend kniete er und schien dem blutbeströmten Bilde seines letzten Schicksals verfallen. Dann raffte er sich auf, als peinige ihn die Einsamkeit mit sich selber, und wieder weckte er die Gefährten.

»Jakobus, Freund, ei schlafest du,
derweil mein Herz find't keine Ruh?«

Der im Pilgermantel richtete sich empor, traumhäuptig lehnte er an dem Stab.

»O Herr, in dieser späten Zeit
wir schliefen ein vor Traurigkeit.
Ich bin so aller Wege müd,
der Schlaf mich wieder niederzieht.«

Da rügte der Heiland mit herbem Wort die drei:

»Könnt ihr nit in der Angstnacht
ein Stündlein mit mir halten Wacht?
O wacht und betet in dem Wald,
das ihr nit in Versuchung fallt!«

Zum dritten Mal kehrte er sich ab von dem schlaftrunkenen Gefolge und stürzte hin in höchstem Schmerz, gebrochen in seiner Verlassenheit, niedergerissen vom Verrat der Schöpfung, und er lag flach auf der Erde, die Finger in den Boden gekrallt, und stöhnte und bäumte sich leidenschaftlich auf und unterwarf sich.

»Ich bitt dich, hehrer Vater mein,
so viel als möglich mag gesein,
von mir nimm diesen Kelch hinweg
und mich der Marter überheb!
Doch nit mein Wille, wie ich fleh,
allein dein Wille, Gott, gescheh!«

Nun trat, früher ungesehen, ein Engel in weißem Gewand herfür, goldene Flügel gebunden an die Schultern. Mit reiner, ernster Stimme begann er:

»Du musst den bittern Kelch austrinken,
sonst wird die ganze Welt versinken.«

Einen wehen Schrei tat der Menschensohn, dass den Lauschern das rollende Blut erstarrte. Dann hob er still das Leidensantlitz.

»Eh dass ich lass die Welt versinken,
will ich gern den Kelch austrinken.«

Der Himmelsgesandte reichte ihm einen Kelch, er trank ihn zu Neige und gab ihn zurück. Der Engel verschwand, und niemand lauschte ihm nach, ob er sich in die Lüfte gewandt habe oder den Weg auf Erden weiter nehme, denn der Heiland erhob sich gewaltig vom Boden, sein göttlicher Entschluss strahlte wunderbar von ihm aus in die Nacht.

Zum letzten Mal störte er die Schlummernden auf. Er streichelte die Locken des Johannes, und der öffnete im Schlaf die Lippen und flüsterte: »Mutter!«

Mit mildem Vorwurf sprach Christus:

»Dass ich dich wieder schlafend find',
Johannes, du mein liebstes Kind!«

Der Jünger taumelte empor und starrte den Erlöser an.

»Mein Herr und Meister, was ist das?
Du bist von blut'gem Schweiße nass.«

Und während Petrus und Jakobus erwachend mit blöden Augen um sich blickten, als wüssten sie nicht, wo sie wären, erwiderte der Heiland:

»Im Ölwald um die Mettenzeit
Die harte Stund ist mir bereit.
Schon gehen die roten Fackeln. Seht,
dort lauscht er schon, der mich verrät!«

Sein Antlitz wies in die Ferne, und die dunkle Masse der Zuschauer geriet in flutende Bewegung, alle Blicke folgten dem deutenden Antlitz.

Wohl zwei Steinwürfe weit stand einer schwarz und einsam am leeren Markt, ein unheimlich drohender Schatten, witternd wie ein durstiger Wolf.

Lauernd tat er einige Schritte. Er trat in einen fahlen Lichtstrahl, der aus einem Tor fiel. Sein Gesicht war hart und finster. Einen spitzen Hut trug er, einen rotdüsteren Mantel und in der Hand den Beutel mit den verruchten Silberlingen.

Irro! Judas!

Der Hass der Menge dunstete zum Himmel auf und verhüllte die lieben Sterne: Hass gegen den Mann, dem man die Schuld an Dürre und Elend zuschleuderte; Hass gegen den Verräter des Erlösers. In diesem Augenblick fielen jene von Irro ab, die ihm hold gewesen.

Judas winkte. Da rasselten aus der Tür, woraus das fahle Licht rann, die Schergen. Ein Pfeifer gesellte sich zu ihnen, gell und gespenstisch die Schwegel blasend. Fackelschein war in die Düsternis gepresst, und die Rotte klirrte mit Ketten und war mit Kolben und Spießen gewaltig versehen.

Drängend fasste Johannes den Herrn beim Ärmel.

»Was fährt daher das wild Gesind?
Verbirg dich, Gottessohn, geschwind!«

Petrus aber plusterte sich prahlerisch auf.

»Her, wer an deinen Leib sich wagt!
Mein Herz ist trutzig, nit verzagt.«

Als Judas, die Scharwacht führend, sich der Menge näherte, drängte diese in irrsinnigem Ekel vor ihm zurück, dass ja des Verworfenen Gewand sie nicht berühre, dass sein giftiger Hauch sie nicht anwehe.

Allzu plump für einen Verräter neigte sich Judas zu dem Heiland und gab ihm den falschen Kuss, der den Gott verkaufte, und raunte: »Mein Herr und Meister, bist gegrüßt!«

Mit aufgerissenen Munden, mit erstorbenem Odem lauschte das Volk; staunenweite Augen suchten ein rettendes Wunder. Ein Schrei lebte in allen, den sie nicht zu schreien wagten, der sie drosselte, dass sie wie Leichen erblassten, dass es wie Fieber ihre Leiber warf.

Der Verratene stand angeglutet on den Bränden, die die Häscher gegen ihn reckten.

»Gegrüßet, Judas Skarloth!
Dein Kuss bringt mir gewissen Tod.
Verratest um zergänglich Gut
gar schimpflich mein unschuldig Blut.«

Mit seinen Knechten umringte der Rottmeister Malchus tümmelnd Jesum und die Jünger.

»Bist Gottes Bub du oder nicht?
Bist du der Judenkönig? Sprich!
Du Weltverkehrer, Leutaufstürer,
Du Winkellehrer, Landverführer!«

Der Meister streckte die Hand aus. »Wen suchet ihr?«

»Jesum von Nazareth!« heulten die Schergen.

Er erwiderte schlicht: »Der bin ich.« Seine Stirn, strahlend wie ein reiner Schild, sein Wort, sein starkes, lauteres Auge stießen wie ein Donnerschlag die Rotte in die Knie. Wütend raffte sich Malchus auf, hetzte die Häscher:

»Springt auf und packt ihn freidig an
und zagt nit vor dem Zaubermann!
Seid fromm und wacker, haut und stecht
so fest wie deutsche Lanzenknecht!«

Ob des groben Spruches flackerte Petrus auf, er zuckte mit dem Schwert gen den Rottmeister hin. Der griff heulend an sein Ohr.

Nun meisterte sich das zuschauende Volk nimmer, das schon lange nicht mehr Schein und Wirklichkeit zu sondern vermochte, und wüstes Geschrei ward laut: »Peter, hau zu! Rassel drein mit der Plempe! Die Schädel hack ihnen ab!«

Malchus übergellte das Wirrsal dieser Rufe.

»O weh, mein Ohr ist abgehaut,
das Blut hebt an zu rinnen,
der Glatzkopf mich zum Krüppel haut,
der Krist wird und entrinnen!«

Unwillig verwies der Heiland seinen Gesellen diese Tat.

»Petrus, steck die Fuchtel ein!
Mus denn gleich geschlachtigt sein?«

Er legte die Hand dem wunden Rottenführer auf.

»Bei Gott, der alles wirken kann,
das Ohr dir heile wieder an!«

Petrus warf sein Schwert in die Scheide, sprang von der Bühne und verschwand im Volke, das durch des streitbaren Jüngers Flucht und durch des Erlösers verzeihende Heilungstat arg in seiner Begier nach heimzahlender Gerechtigkeit enttäuscht war und unwillig zu murmeln anhob und sich nimmer beruhigte.

Die Rotte droben auf dem Gerüst schleuderte ihre rohen Henkerflüche auf den verkauften Menschensohn und schalten ihn einen Trudenmeister und Hexer, und als er willig seine Hände den Ketten entgegenhielt, befahl Malchus seiner Meute:

»Nehmt hin den Menschen, packt ihn an,
dass er uns nimmer mag entgahn!«

Mit ungestümem Grimm fielen die über ihn her, griffen ihm in den Bart, schlugen ihn mit den Panzerfäusten, banden und bespien ihn und warfen ihm einen Strick um den Hals.

Da brach der Bann, der alle niedergehalten hatte.

Zuerst stieg ein Ruf aus den Zuschauern, selbstvergessen und leidvoll: »O wie gehen sie mit unserem Herrgott um!« Getümmel entstand, die Frau des Hohenschläger war wie tot imgesunken.

Schwül schnob die Luft, nimmer zu ertragen.

Leidenschaftliche Worte zuckten aus der Menge, die sich wie mit einem Schlag aus der Erstarrung gelöst hatte. »Sie dürfen den Herrgott nit wegteiben wie ein Vieh! Wir leiden es nit. Sprengt sie auseinander, die Schinder!«

Die Bauern erklommen die Bühne, überrannten die Schergen; Fäuste erhoben sich, Messer.

Irro fühlte sein Herz bersten. Sein Auge ward dunkler, seine Stimme verschleierte sich. »Ihr Erzbuben, ihr sollt mir das Spiel nit verderben!«

Der krumme Gschwndner tauchte vor ihm auf. »He, du Gottsöberster! Willst du mit dem frevlen Spiel die Qual des Heilands noch einmal aufrühren? Leut, her zu mir! Bindet den verschmitzten Judas! Spannt ihn ans Kreuz! Er hat es um und verdient.«

»Du alter Mordbub, du willst mich lehren, was gut und was schlecht ist?« loderte Irro auf. »Du verworfenen Hund, der keinem ins Aug schauen kann! Was tragst du die Stirn so tief? Hat sie der Henker gebrannt? Ja, der Herrgott hat sie gezeichnet, dass du sie nimmer heben kannst!«

Wie ein Stier brüllte der Beschimpfte auf, ein Ruck ging durch seinen gebeugten Leib, Wut sprengte, ungeheuer sich entfaltend, die Lähmung, es riss ihn in die Höhe, und er stand gerade. Ein hässliches, entstelltes Gesicht flammte Irro an, Schaum troff über das entfleischte krumme Kinn, die Augen schienen zu keuchen. Mit dem verdorrten Gesicht, den gekrallten Fingern und den langen, ringenden Gliedern glich der Alte einem Untier, halb Vogel, halb Spinne.

Der Schmied sprang zurück vor diesem Antlitz: hier erhob sich aus grässlichem Abgrund der Fratze gewordene Hass.

»Schaut hin!« krächzte der Alte. »In seinen verwirrten Augen ist der Teufel drin. Bindet den Judas! Hängt ihn an den Pranger!«

Sie lasteten ihm an den Hals, an den Armen, an den Hüften, sie würgten und schlugen ihn, er schüttelte sie in heißem Zorn von sich. Sie fassten ihn fester, schleiften ihn zur Schandsäule.

Da – ein wildes Weinen! Sein Mägdlein kam gelaufen, reckte die Hände nach dem missbrauchen Vater.

Da – ein Schrei! Die kleine Afra sank hin.

Ächzend schleuderte er seine Bändiger ab, beugte sich über das Kind. Ein Stein hatte es getroffen. An der Schläfe hing ein roter Tropfen. Wie ein Blutnäglein.

Sein Hirn brannte dumpf, Gram zerschnitt ihm den Mund.

Das Dirnlein röchelte.

»Sie stirbt!« heulte er.

Die Wahnwitzigen ehrten nicht den Tod. Fackeln stanken, Steine flogen, Flüche schwirrten, es krachte die brechende Bühne. Die Rache riss den Schlund auf, sich zu sättigen.

Schmerzlich sah Irro auf, als suche er den rätselhaften Gott.

Schweres Gewölk hing über dem Ort. Ein Strahl zuckte. Der Donner ergrimmte und rollte auf. Geblendet senkte der Schmied den Blick.

Sein Weib drängte sich durch den Aufruhr. »Dein eigenes Kind hast du umgebracht, schwarzer Judas!«

Verloren starrte er das Volk an. »Was hab ich mit euch zu tun?« murmelte er.

»Renn davon!« zischte ihm jemand zu.

Da floh er, nicht unter ihren Steinen zu sterben. –

Droben auf dem Randlesberg stand der Verfemte in der Nacht voll Wildfeuer und Donner, das Hemd aufgerissen, dass die schweren Tropfen die Brust kühlten und sänftigten und ihre Wunden wüschen.

Die Wolken hörte er krachen und stürzen. Er sah, wie das Feuer aus dem Himmel fiel und der Segen mit dem Schrecken kam.

Nun wurden riesige Kräfte in der Erde frei, die dürr und welk gefeiert, nun tranken tausend und tausend Wurzeln.

Er aber schüttelte das Haupt und sann schmerzlich über die Welt nach.


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