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Feurio!

Nach einer alten Passauer Chronik

Am letzten Dornstag des Aprilis, da man zählte nach des Heilands Geburt sechzehnhundertzweiundsechzig Jahre, trat ein zerlumptes, schielendes Weib ins Passauer Rathaus und begehrte, man möge sie in das bürgerliche Spittel aufnehmen. Weil selbes aber schon ganz und gar mit armen Leuten überfüllt war, wurde sie abgewiesen und bis auf günstigere Zeiten zur Geduld vermahnt. Da hub sie an, Stadt und Rat mit unflätigen Reden zu bedenken, und als ich deshalb einer der Schreiber das Maul verbot und sie anschrie, sie möge still sein und heimgehen und Altweibersommer spinnen, da lachte sie wie der leibhaftige Hans Urian und sagte. »Ich will euch wohl etwas spinnen!«

Desselben Tages ging bald nach Mittag, kein Mensch weiß wie, in der Mehlkammer des Spittals zu Sankt Johanni Feuer auf, und zu gleicher Weile raffte sich aus dem stillen, zarten Frühling, der Donau und Inn umsäumte, ein gäher Sturm und verbrüderte sich mit der Flamme und hetzte sie über die Firste, und sie drang alsbald bis zum finstern Gewölb vor, darin man zum Gestad des Inns hinabsteigt.

Ich, der Ratsbürger und Goldschmidt Wilhelm Schmidt, rannte, von dem Geschrei der Leute aus meiner Werkstatt gelockt, auf die Gasse und sah eben, wie ein brennender Pechbrocken durch die Luft flog und auf das Schindeldach des Bayerischen Hofes fiel und darin versank. Darauf war eine bange Weile Ruhe, dann aber schlug es lichterloh empor, und nun flog es allmächtig wie der höllische Leu über die ganze Stadt hin.

»Großer Herr, mit dir ist nit gut Kirschen essen!« dachte ich mir, eilte in mein Haus zurück und sagte zu meiner Frau: »Margret, unser Lebtag ist es uns wohl ergangen. Jetzt aber kommt ein banges Stündlein, und es gilt, dass wir es herzhaft bestehen.«

Und während uns zu Häupten das Dach brannte, schleppten meine gute Ehewirtin und ich unsern Silberkram, die schönen Kandeln, die ich gegossen, die Teller und Schüsseln und Becher, die ich geschmiedet, hinunter in den wölbigen Keller, wo wir es sicher vor dem wütenden Element hofften. Doch als brennende Balken den oberen Gaden durchschlugen, mussten wir ablassen, unsere liebe Habe zu bergen, wir befahlen Gott unser Leid und Elend und flüchteten betrübt aus der stürzenden Gasse hinunter zum Inn. Weil aber dort wüster Rauch die Brücke sperrte und wir drin nicht ersticken wollten, eilten wie, die brennenden Gassen umgehend, zum Ort, wo der Innstrom gen die Donau stößt. Dort lag eine Zille, und drin waren die Frauen des Klosters Niedernburg und wehklagten und deuteten auf das Feuer, das im Sturm bedrohlich heranflog. Ich half in der Verwirrung meiner Frau in das Schiff, und als es losgekettet schon zu rinnen anfing, gewahrte ich, dass weder Ferg noch Ruder drin war. Da ward mir schwül ums Herz. Doch fand ich im letzten Augenblick auf der Böschung ein Ruder liegen, und ich schwang mich damit in das schon abgeländete Schiff mitten unter die schreienden Nonnen, die verzweifelt auf ihr brennendes Stift zurückblickten. Die hochwürdige Frau Äbtissin lag in Ohnmacht wie gestorben, und meine liebe Hausfrau warf Wasser ihr ins Gesicht. Obwohl ich wohl kundig war, einen Kahn sicher durch den Strom zu leiten, konnte ich das überlastete Schiff nur sehr mühsam über den aufgewühlten, tückischen Inn bringen. Allein Gott half, und ich ländete an der Untern Au.

Doch schämte ich mich bald, als einziger Mann unter den Frauen da zu weilen, und so lief ich in meiner Unruhe am Gestad in die Innstadt zurück. Dort brannte der Schaffnerhof mit aller Macht. Ich ergriff einen Feuereimer und half löschen. Dem Besitzer des Hofes, einem angejahrten Mann, war ob des Unglücks der Geist verstört, sein eisgrau Haar wehte im Wind, er barg die Hände untätig und frierend in den Achselhöhlen und stammelte alleweil wieder: »Was will der rote Kerl auf meinem Dach?« Droben brannten Kloster und Gnadenkirchlein Mariahilf und die Pilgerstiege.

Hernach stand ich vor der schwadmenden Innbrücke und sah staunend drüben das Feuer über die bischöfliche Residenz hinweilen und den Dom brennen und hörte, wie die Böden einstürzten, dass es donnerte, als würden Karthaunen gelöst. Brennende Fetzen, Schriften, Bücher trieben hoch im Sturm. Der Neumarkt loderte. Wie der geile Teufel bleckte das Element die zackige Zunge. Jedes Haus war eine Feuersäule. Weißer Dampf wirbelte. Ich hatte manches bittere Brandjahr erfahren, habe mitgemacht, wie die wilde Donau die Stadt und die Strommühlen überfallen und wie bei den Unwassern das Salz in den Stadeln geschmolzen, aber solchen Jammer habe ich lebtags nicht geschaut. Der Mensch ist ein ohnmächtig Tierlein.

Weil die zornige Flamme schon an der Brücke fraß, fuhr ich mit einer Zille bei Sankt Severin über den Inn, ich wollte wissen, was mit meinem Haus geschehen. Die Gassen waren von den eingestürzten Mauern verschüttet. Das rührte daher, weil die Kaufleute daheim Schießpulver aufgestaffelt hatten, das hatte sich entzündet, und vor den Feuerschlägen waren die Häuser wie bei einem Erdbeben umgefallen.

Der wilde Gast hatte in meinem Heim böslich gehaust. Meine Werkstatt und sonderlich das hübsche Luststüblein im oberen Gaden, meine Feierabend- und Sonntagsfreude, alles war dahin, alles ein Hüglein Asche. Nur die kahlen Steinmauern waren geblieben. Ich stand in meinem menschlichen Elend und glaubte, ich müsste fürder als Brandbettler durchs Land rennen.

Da begegnete ich meinem Nachbar, dem Bortenmacher Pueller. Auch sein Haus war zerstört. Es hatte ein fürtreffliches Gemälde an der Stirn getragen: der heilige Florian, mit dem Mühlstein auf einer Wolke schwebend, hatte aus einem Schäfflein Wasser in die Brunst gegossen. Was hatte das Bildnis nun genutzt? »Alles ist mir verbrunnen, nur der Bettelstecken nit«, murmelte der Nachbar. Und als ich ihn nach seinem Weib fragte, winkte er mir traurig ab und hielt sich die Hände vors Gesicht und redete nicht. Ich erfuhr später, dass sie, ein geringes Salzfässlein zu retten, törichter Weise ins Haus zurückgestürzt und darin umgekommen war.

Wie ich nun vor meiner Brandstatt meinem Gram nachhing und müßig mit dem Feuerhaken in der Glut stürte, fand sich plötzlich meine Frau Margret bei mir ein: es hatte sie nicht ruhen lassen, und sie wollte in dieser Zeit mir zur Seiten sein. Sie legte mir ihre gute Hand auf die Schulter und tröstete: »Fass dich! Was Gott mit uns vorhat, ist ihm wohlbekannt.« Ich entgegnete voll Trauer: »Mein Unglück ist allzu groß.« Darauf sagte sie wieder: »Gott will, was mit uns geschieht. Er will, dass wir uns wieder fröhlich erheben. Wir wollen zusammenhelfen!« Dabei ergriff sie meine matte Hand. »Ja, Gott gebe mir Glück! Ich brauche er«, sagte ich.

Und als ich jetzt meinen Nachbar Meister Pueller vor seinen rauchigen Mauren stehen sah, erinnerte ich mich, dass ich nicht wie er mein Gesicht drücken müsse in das Moos eines stillen Grabes, und ich ermannte mich wieder. Ach, wenn man allen Jammer der Welt auf einen Haufen zusammentrüge, jeder griffe doch gern wieder nach seinem eigenen Elend. Mit diesem Gedanken beschwichtigte ich mein ungestümes Herz. Und ich und mein Weib rafften uns auf, den anderen zu helfen, die der Herr noch härter prüfe als uns.

Nachts hing dürstere Wolkenbrunst über das brennende Passau. Der Uhrzeiger des flammenden Rathausturmes glühte, und zur Mitternacht schlug die Uhr dort zum letzten Mal, dann schmolzen die Glocken, und ihr Gerüst stürzte ein.

Ich traf den alten Messerer Stadler, dessen Haus erst in später Stunde vom Feuer ergriffen wurde. er warf ein geweihtes Brot in das Geloder und segnete und beschwor es: »Sei gehorsam! Leg dich und schlaf ein!« Dann flüchtete er auf Furcht, eine der gereizten Flammen könne aus dem Brand herausspringen und ihn verfolgen und stechen. Die Beschwörung half aber nicht.

Vor dem Bürgtor wimmelte es wie in einem Feldlager, viele Leute waren mit Hausrat, Wagen und Rössern hinausgefahren, hatten meist wertlosen Plunder gerettet, waren dem Federlein nachgerannt und hatten das Bett verbrenne lassen. Verschlafene Kinder weinten, das Volk kauerte und fror. Auch mein und meines Weibes Tisch und Bett musste manchen Tag die harte, kalte Erde sein.

Wir erfuhren manch sonderliche Zeitung. So war eine junge, hochschwangere Frau in die prasselnde Wohnung zurückgejagt, dort die Kinderwäsche zu retten, die sie vorbereitet hatte in großer Liebe zu dem Ungeborenen. Sie konnte über die flammende Stiege nimmer zurück, und ans eiserne Fensterkreuz geklammert, gebar sie verbrennend ihr Kind.

Viele waren in die Keller geflüchtet und dort im Rauch erstickt wie der ehrengeachtete Apotheker Hirschauer und der Lebzeltner Lindner. Herrn Kreuzers Hausfrau sprang brennend in den Brunnen am Platz. Sie lebt noch, doch ist ihr Gesicht verstümmelt, dass sie sich nimmer vor der Welt schauen lässt. An die zweihundert Tote zählte man. Ich will den Jammer nicht weiter erzählen, in den Stadtbüchern ist alles genau vermerkt.

Vor dem Bürgtor saß auch mein Freund, der Maler Urtimaier, der rieb sich just seine Wunder mit Eidotter und Safran ein, und dabei erzählte er mir, der Bierwirt Xaver Huber sei noch eine Stunde nach dem Ausbruch des Brandes im Bett gelegen, seinen Mittagsschlaf zu feiern, und als man den gemächlichen Mann schreiend geweckt, die Stadt brenne, habe er an die Mauer neben seinem Bett gegriffen und gegähnt und gesagt, seine Wand sei noch kalt, und sei seelenruhig liegen blieben.

Ich suchte den Dom auf und fand auf dem Estrich halb veräscht viel des geschmolzenen Silbers und auch die silberne Tabernakeltür, darauf die Steinigung des heiligen Stefan kunstreich getrieben war, und sorgte, dass sie nicht von dem Gesindel veruntreut wurde, das in der Verwüstung schon zu wühlen anfing.

Am dritten Tag nach der fürchterlichen Einäscherung traten wir Bürger in der Ilzstadt zusammen, uns zu beraten. Keiner trug einen Mantel, wir kamen bloß mit Stecken daher. Und alsbald huben wir an, unsere Brandstätten auszuräumen.

Zu Fronleichnam feierten die Franziskaner ihren Umgang, und als auf der Gasse das zweite Evangelium gesungen wurde und die Musketiere eben ihren Ehrenschuss abgaben, brach das ganze Domgewölbe vom Hochaltar bis hinten zur Orgel ein. Es war ein Glück, dass in jener Weile keine Menschenseele im Dom war.

Ungefähr ein halbes Jahr nach der schrecklichen Heimsuchung fanden Tagwerker im Schutt eine Kellerstiege die Leiche eines Weibes, sie war von dem kalkigen Sand umkrustet und entstellt. Als sie auf die Gasse getragen wurde, rauschte gerade ein übermütiger Brautzug vorüber, und der Meister Stadler war der Bräutigam und schwenkte sein Hütlein. Und plötzlich blieb er erschrocken vor der Toten stehen und erkannte in ihr an Gewand und Gestalt sein verschollenes Weib Ulrika. Er ließ sie würdig zur Erde bestatten und gab dabei mit seiner neuen Ehefrau das Geleit zu ihrem ewigen Bettlein.

Noch eines möchte ich nicht unberichtet lassen, nämlich, dass damals viel edeln Getränkes nutzlos verronnen ist. Sonderlich der Wein auf der Schenkstatt in den oberen Kellern floss aus den zerstörten Fässern und setzte sich so heftig in den Erdgrund, dass man ihn in den benachbarten Brunnen deutlich und sehr stark spürte. Darum rannte damals männiglich zu den bemeldeten Brünnlein, daraus zu schöpfen, und nimmermehr hat man zu Passau also freudig Wasser getrunken wie dazumal.


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