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Die kalte Hölle

Das Volk des obersten Feldhauptmanns Jörg Frundsberg zog, alten Ruhm zu erneuern, wiederum mit Spießen und Falkaunen gen Lombardia. Der Kaiser schickte sie aus, die Anschläge des römischen Stuhles zu strafen, und so reisten sie mit lachendem Trutz wider des Papstes Strahl und Bann, ihm das Land Romandiola zu nehmen, die üppigen Städte dort zu brandschatzen und die Welt zu schrecken mit Feuer und Eisen.

Als sie durch das raue Alpengebirge schritten, fügte es sich, dass im nebelnden Tag zwei Knechte des Nachtrabes von dem Heerzug abkamen und in ihrem Verlangen, sich wieder zu ihrem Fähnlein zu finden, immer tiefer in ein enges Seitental sich vergingen. Es war Herbst, das Laub schied sich von den Zweigen, der Atem dampfte, und die beiden waren missmutig ob ihres Irrweges.

Der Ältere von ihnen erzählte, dem anderen die Weile zu kürzen, wie die kaiserlichen Knechte im vergangenen Krieg im Trientinischen Gebirge die verschlossenen Klausen an der Etsch aufgesprengt und sich in venedisch Land ergossen und Friaul geplündert hätten, wie sie anfangs in Armut, Frost und Hunger gewandert und hernach sich in Seide gekleidet und geschwelgt, den Wein Reintal in den Malwasser geschüttet und köstliche Meerschnecken gegessen hätten.

Es waren zwei unerschrockene, kriegsgierige Gesellen mit brieten Schlachtschwertern und hohen Spießen: der eine, der Rauhut, schritt in voller, gedrungener Mannheit; der andere, der Iring, frisch, biegsam und jung, tat dir harte Reise zum ersten Mal, gewillt für den Kaiser zu raufen und den starken Leib darzustrecken.

Der Rauhut stieß zuweilen in ein gewaltiges Stierhorn. Das hatte er einst, da des Frundsberg herzhafte Knaben den Schweizer bei Melagnano geworfen, aus der gekrapften Faust eines Urner Reisläufers gelöst, und jetzt brüllte es und rief nach Leuten, die des Weges kundig wären. Doch der Stier brüllte vergebens, und nur die verschleierten Felsen antworteten.

Erst kurz vor der heimgehenden Sonne lichtete sich das Düster, und das erste, was die Männer grüßte mit drohendem Gruß, waren Rad und Galgen, die, auf einem Mäuerlein errichtet, kündeten, dass hier einer berechtigt war, die Leute zu hängen, die ihm nicht behagten. An dem Balken schlotterte ein zerfetzter, halbverdorrter Kerl.

Der Rauhut schwor fluchend Gottes Grind und Schweiß ob solchen Willkommens, indes der Iring, obwohl des Tötens nimmer unerfahren, ein eisiges Rieseln im Nacken spürte und sich mit Ekel abwandte.

Aus dem eilig zerfließenden Nebel drangen nun die Umrisse von Mauern, und als die scheidende Sonne durchstieß, zeigte sich ein wohl berüstetes Städtlein, das am Grunde eines Kessels ruhte, jäh und grässlich von dem enthüllten Hochgebirge umringt, in dessen letzten, unzugänglichen Höhen ein Eisfeld fremd ergrellte, als wäre es nimmer Erdenland.

Da meinte der Rauhut, er habe schon einmal hier in dieser Wolfsgrube geweilt, und das wilde Eis droben sei seinen Augen nicht fremd. Doch wusste er nichts Genaues darüber zu sagen und ergrimmte darüber, dass sein Hirn nichts mehr fest halte, und schalt, es sei Zeit, dass er das Gras röte auf breiter Heide, denn ein rechtschaffener Landsknecht dürfe nicht alt werden.

Sie traten in den Ort und stolzierten, prunkend mit Straußfedern und buntem Gewand, durch ein menschenleeres Gässlein, das längs der Stadtmauer zu einem kleinen Platz hinführte und dort von einem Haus versperrt wurde, das über dem Tor ein Gemälde führte, Hans und Grete im Paradeis: der Mann, die Blöße mit einem Ahornblatt bedeckt, das Weib verhüllt hinter ihrem langen, gelben Haar, und zwischen beiden um den Baum die Schlange geringelt, das sündige Obst im Maul.

Der junge Iring betrachtete das Bild. Wie schamhaft die Eva sich in ihrem wilden Haar verbarg! Er ehrte die züchtigen Frauen, und es tat ihm immer leid, dass ihrer gar wenig zu sein schienen im Tross des Heeres. Und wie der schnöde Lindwurm gleißte! O verschmähtest du doch den Apfel, feine Paradeiserin!

Der Rauhut wusste auch von dieser frommen Märe nimmer viel. Ihm dämmerte nur, dass ein Engel mit der Flamme in der Faust das genäschige Paar aus dem Lustgarten vertrieben habe. Der Krieg ließ dem Rauhut wenig Zeit, von göttlichen Dingen zu reden: viel lieber rief er den Teufel an, dessen Name sich gar mild von der Zunge löste. Aber nun erinnerte er sich, dass er in der Schenke zum Paradeis schon einmal gezecht habe, damals habe der Wirtin Mägdlein, obzwar erst zwei Ellbogen hoch, mit zauberhaft zierlichen Schritten getanzt, so dass man staunend kaum die Augen davon zu wenden vermocht habe; wie behext habe sich das Kind gedreht und nicht aufhören wollen, bis die Mutter es gewaltsam fortgetragen habe.

Darauf dachte der Iring, jenes Mägdlein werde heute schon viel längere Beine haben und damit weit verführerischer tanzen denn vormals. Des war der Rauhut neugierig, und er stieß mit dem Spieß das Tor auf und ging ins Haus. Der junge Rottbruder aber, todmüde von dem Irrweg, streckte sich auf die Bank unter dem Paradiesbild hin, das Kinn sank ihm auf die Brust, und schon schnarchte er sanft. Bald hernach kam ein verrufenes Fräulein des Weges, sie sah den schönen, reisigen Knaben schlafen, und, frohlockend, fremdes Volk im Ort zu wissen, rüttelte sie ihn wach. »Bist gegrüßt mit deinem wunderlangen Spieß! Wer bist du?«

Der Iring rieb sich verdrossen die Augen. »Der Spieß ist dem Landsknecht kein Geschmeid. Lass mich! Bin müd.« »Solch jung Blut sollte nit schlafen. Die hübsche Nannina bin ich. Die Zeit vergeht nit in dem schläfrigen Städtel.« »Bist eine Venusnonne?« murrte er. »Ich mag dich nit.«

»Versäum nit Weibergunst!« warnte sie. »Wer Gottes feinstem Geschöpf absagt, wird einmal mit der kalten Pein gestraft dort droben auf dem gebannten Berg.«

Der Iring staunte zu den vereisten Felsenknäufen hinauf, die schier höher waren, als die Geier fliegen konnten. »Dorthin komm in nit«, sagte er versonnen. »Ich geh ins warme Land Italia. Und du plauderst Märlein.«

»Es ist wahr, Mann. Der Wirt aus dem Paradies da ist gesehen worden, wie er mit einer Hakenstange und vermummt in Fuchspelz und Fäustlingen am Tag nach seinem Begräbnis in die Verwunschenheit hinaufgestiegen ist. Schlecht gemessen hat er den Wein. Er muss es ewig büßen.«

»Ewig büßt man nur in der Höll.«

»Droben ist die Höll«, sagte sie eifrig.

»Dirn, die Höll ist eine heiße Burg.«

Sie krauste die Stirn. »Droben die Alm ist mit Eis übergossen. Dort treibt der Teufel die verdammten Seelen auf die Weide.«

»Fürcht mich nit davor, Dirn. Bin gewohnt, gut Wetter und argen Wind zu tragen, wie es sich just schickt. Hab oft die Wacht gehalten in kalter Nacht, schier angefroren an den Spieß.«

»Du kennst nur die irdische Kälte, Knechtlein. Aber dort droben heulen die Büßer in den Nächten, heulen wölfisch, frieren mit den Knien ans Eis.«

»Ei, so mögen sie doch wieder heruntersteigen, Nannina. Müssen sie denn wie die Steinblöcke hausen? Mögen sie sich in einer Almhütte wärmen! Oder dürfen sie das nit? Morgen steig ich die Schrofen hinauf und schau ihnen zu.«

»Verfrevel dich nit, Gesell! Wenn ein Lebendiger hinauf will, donnert das Eis und klüftet sich, die Schründe speien ungestüm das Wasser aus und die unverwesten Leichen von Menschen, die seit uralters verschollen sind.«

»Fürcht mich nit vor der kalten Höll. Doch der Tod ist mir nit im schroffen Eis gesetzt«, sagte er hochfährtig. »Auf breiter Heide weist er mir die Zähne. Und unser Geschütz, die grimme Godel, die Sumserin und die Drometterin orgeln mich in den Schlaf.«

»Sind drei grobe Schätzlein«, kicherte sie.

»Heb dich davon!« rief er. »Mag dich nit und keine.«

»Was lauerst du dann vor dem Paradeis da? Du Schelm weißt gar wohl, dass die Eva drin wohnt.«

»Die ist noch klein, kaum zwei Ellbogen hoch«, sagte er träumerisch.

»Du schwänkischer Vogel, jetzt kenn ich dich!« schalt die Nannina. »Ist ein Mann wie der andere, Fuchs wie Fuchs. Aber dass du das verwirrte Mägdlein leiden magst?«

»Wie meinst du das?«

»Die Eva ist von Sankt Veitens Tanz besessen. Wenn du ihr zuschreist: ›Tanz, so muss sie tanzen, bis die umfällt.«

»Verleumde frisch die andere! Weiberbrauch!« sagte der Iring verächtlich.

»Wenn du es nit glaubst, so versuch es, Knecht!«

»Bin nit neugierig. Will sie nit kennen lernen.«

»Würdest anders reden, Knecht, wenn du sie schautest.«

Er lachte rau. »Kann ein Weib nit buhlen, so kuppelt sie.« Da keifte die Nannina: »Du hast noch die Grannen überm Maul statt des Bartes, Büblein, und willst aller Weiber kennen.«

»Was klebst du an mir?« zürnte er. »Geh!«

Der Rauhut trottete aus dem Tor heraus. »Das Tanzfräulein hab ich wieder gefunden. Zwei lange Zöpfe trägt sie, die Brust ist wohlberüstet. Doch, Bruder, du bist auch nit verwaist. In dem Städtel da hält der Teufel Weiber feil.«

»Bleibt bei uns, ihr Spießleut!« flötete die Nannina.

»Morgen müssen wir fort«, sagte der alte Landsknecht.

»Über die Alpenklausen, eh der Schnee fällt.«

»Bist du auch so einer, dem das Herz in einem Mühlstein eingenäht ist?« greinte sie. »Ei, so flick dir den Fäustling und fahr zur kalten Höll!«

Der Rauhut hörte sie nicht. »Iring, schau dir die Eva an! Stolz und demütig zugleich ist sie wie die Jungfrau bei der Verkündigung.«

»Bin hundsmüd«, sagte der Iring kurz. »Mag kein Weib. Sind alle falschen Sinnes. Geh auch du von hinnen, Nannina!« drohte er. »Und Gott schenk dir ein fein gut Jahr!« Sie zog sich beleidigt zurück.

»Dass du heut so brauserisch bist!« wunderte sich der Rauhut.

Der Iring deutete auf das Gemälde über dem Tor und redete: »Das ist der schöne Gotteswald. Das ist Adam. Das ist Eva. Das die Otter. Der Apfel ist die Sünde. O Eva, nimm ihn nit! Die Otter wispelt. Hör sie nit an, Weib! Vertreib deine Kinder nit aus dem Garten! Seht, sie reißt den Apfel vom Ast! Sie genießt von der Frucht. Sie beut sie dem Mann zum Biss. Weh über Weh, Mensch! Dorn und Distel ist nun dein Garten. Die Erde ist hart. Der Tod ist dir aufgerissen als ein Schrecken.« Er kehrte sich seinem Rottbruder zu. »Warum ich so brause? Bin traurig. Hat mir just geträumt, ich wandere einsam im Nebel, und da stößt aus dem grausen Dunst ein Spieß wider mich. Ach, vielleicht sucht mich der Tod?«

»Traum ist Trug«, tröstete der Rauhut.

»Möchte nit allzu früh sterben. Möcht recht stark und fröhlich leben.«

»Wein und Weiber wachsen allerorten, Iring.«

»Nit so, nit so, Rauhut. Anders möcht ich leben. Weiß nur nit wie. Hab einst vor dem Streit den Stab hinter mich geworfen, mich vom Leben losgesagt, tapfer und schier ohne Besinnen. Aber jetzt denk ich: ein rechtes Leben wünscht, dass es alleweil und immer dauere.«

»Was kalmäuserst du, Iring? Da iss von dem weißen Brot! Hab es dir aus der Stube gebracht. Das Mägdlein drin traut sich nit heraus, es fürchtet uns.« Und der Rauhut bot ihm das Brot und sein Messer dazu, das war aus Steyrer Eisen geschmiedet und trug das Bild eines Wolfes eingerissen. »Ein gefräßiges Messer!« scherzte er. »Es fährt durch Stein und Bein. Eine Wolfzunge. Ist aber noch jungfräulich. Hat noch kein Blut gesoffen.«

Der Stahl war scharf, fest stak er im Griff.

*

Das Städtlein war seit altersher den Grafen von Gailoh zu eigen, sie waren befugt, hier zu sitzen über Leben und Tod. Doch war dies Recht geknüpft an die seltsame Bedingnis, dass sie jährlich zum Mindesten einen Missetäter mussten köpfen oder hängen lassen, und unterbliebe dies auch nur ein einziges Jahr, so käme den Gailohern das Blutrecht abhanden und fiele dem Herzog des Landes zu.

Indes nun bisweilen mancher Sommer so fruchtbar an Schelmen gewesen, dass der Freimann hier oft drei oder mehr Hälse hatte abhauen können, ging sein Ämtlein jetzt den Krebsgang. Zwar übte das Gesindel noch immer eifrig, was rad- und galgenwürdig war, und ließ sich allerorten hängen und kürzen, nur die Mausfalle in dem entlegenen Alpental mied es, und so bestand, sonderlich unter dem derzeitigen Grafen Eitelhund, die Sorge zurecht, dass der hiesige Rabenstein einmal zwölf Monde lang leer und ledig stünde und die Gerichtsbarketi aus den Händen der Gailoher glitte. Hatte doch Graf Eitelhund im vergangenen Jahr sogar einer nachbarlichen Stadt um schweres Geld einen galgenreifen Dieb abkaufen müssen, um das altehrwürdige Recht nicht zu schädigen und aufzuheben.

Ob auch seine Schergen sich redlich mühten, eines Armesünderlings habhaft zu werden, bleib dennoch alles erfolglos: die Böswichter gebärdeten sich dem Grafen zum Trutz wie ehrliche Leute, keiner brach mit zuckendem Schwert den Landfrieden, keiner stahl, kein Metzger verkaufte Hundsaas für Stierfleisch, und keine gefallene Magd presste ihrem Bankert das Gürglein ab, und so war das Blutrecht bedenklich gefährdet, zumal schon das Jahr hochherbstlich abrollte.

Also fragte der Graf bei seinem gelehrten Rat an, dem Doktor der römischen Rechte Tatatantrus, der sich in jungen Jahren noch Mehlbeutel geschrieben, und dieser riet ihm zunächst, kurzerhand einen bresthaften Bettelmann einfangen und als Landschädling henken zu lassen. Doch da entblößte Graf Eitelhund sein schwüles Herz und verbat sich das: er wolle keineswegs seinen guten Galgen mit einem dürren, überjährten Fechtbruder verschänden, sondern er verlange nach einem gesunden, baumfesten Kerl, der sich gegen den Henker wehre und mit dem Tod raufe und unter dessen Gewicht sich das Joch des Hochgerichtes biege.

Und so ergingen sich auch heute der Graf und der Doktor unter solch besorglichen Reden, und der Gailoher bestand wieder auf seinem Geschmack. »Jeder Wurm trägt sein Freudlein, und auch mich macht es fröhlich, wenn ein stattlicher Bengel zum Tode gewiesen wird, es sei trocken oder feucht. Was anderen weh tut, schau ich gern. Sonderlich gleißenden Blut.«

Der Rat Taratantrus beeilte sich mit Salbung zu erwidern: »Ich verstehe Euch wohl, edler Herr. Richten ist höchstes Amt. Und Christi köstlichster Glanz wird sichtbar werden am Jüngsten Tag, wo ihm das Schwert aus dem Mund fährt und er richtet die Lebendigen und die Toten.«

Gern hätte er noch etliches hinzugefügt, auf dass seine Gelehrsamkeit durchgeleuchtet hätte, allein da trat die Hübschlerin Nannina herzu und fasste den Grafen am Wams.

Weil aber diesen just seine gefährdete Gerichtsbarkeit beschäftigte, verdrossen ihn ihre glimmenden Augen und ihr schillerndes Venushaar, und er stieß sie unfreundlich von sich.

»Seid ihr meiner satt?« schmollte sie. »Ihr stoßet mich, und ich könnt doch alles zu Liebe tun.«

Er lachte grimmig. »Willst du mir ein Liebes tun, du lüsterne Geiß, so lass dich hängen. Es wär ergötzlich, wenn ich einmal ein Weib zappeln sähe.«

Da schalt sie: »Lasst mich schmächtig Fräulein in Frieden! Greift liebe nach den Knechten, die vor dem Paradeishaus lärmen!«

Hastig zog darauf der Graf seinen gelehrten Rat durch das Gässel zu dem entlegenen Winkel, und dort sahen sie von fern die zwei fremden Gesellen das weiße Brot brechen.

Und als der Gailoher sie in ihrer Kraft und Männlichkeit sitzen sah, raunte er dem Begleiter zu: »Schau dort den Stierhals! Der könnt meinen Henker schnaufen machen. Das sind Buben, die hauen den Satan in die Pfanne. O könnt ich alle zwei kriegen! Mit allen Ehren tät ich sie richten lassen, mit Pfeifen und Trummeln!«

Eben sprang der Jüngere der Knechte auf und stieß mit dem Fuß gegen die Tür. »Wein!« rief er.

Da trat ein Mädchen über die Schwelle, überaus schön und zart, und sagte ängstlich: »Es nachtet. Ich bitt euch, kommt morgen bei klarem Tag. Dann schenk ich euch frischen Wein.«

Betroffen von ihrer lieblichen Angst und ihrer Schönheit, bat der Iring: »Feinskind, schenk mir deiner hellen Augen Schein!«

»Bin ehrlichen Leuten ihr Kind«, entgegnete sie. »Ihr seid zu fürchten, habe böse Waffen an.«

»Wie heißt du?«

»Wie die droben neben dem Baum. Eva.«

»Eva!« Er griff nach ihrer Hand.

»Rühr mich nit an!« wehrte sie sich. »Ich leid es nit.«

»Dem Wirt sein Fräulein ist sonst nit so zimperlich«, rief er voller Übermut. »Lass mich heut bei dir schlafen!«!

Sie verhüllte das Gesicht und wandte sich, ins Haus zu gehen.

»Bleib, Eva!« rief der Iring. »Bleib! Will nimmer so reden.«

Sie stand gebannt und lächelte. Sie trat ihm einen Schritt näher. »Hast buntes Gewand«, lächelte sie.

Er darauf: »Den Regenbogen hab ich geplündert.«

»Hast einen langen Pilgramstab, Bub.«

»Greif ihn nit an! Er beißt.«

»Was tust du damit?«

»Totstechen!« sagte er. Er lehnte den Spieß an die Mauer.

»Das sollst du nit tun.«

»Warum nit? Schicken uns doch die großen Herren dazu aus.«

»Gott will das nit. Er könnt dich strafen.« Sie spähte ins Gebirge zu dem Gletscher hinauf, darüber letztes versprengtes Abendlicht huschte, indes es im Tal schon dämmrig war.

Der Landsknecht folgte ihrem Blick. »Meinst du, ich werde auch dort hinauf verwunschen wie der Wirt zum Paradeis?«

Sie sagte ernst: »Die Leut flüstern, mein Vater sei in die kalte Höll kommen. Ist nit wahr. Aber meine Mutter, wie sie die falsche Lüge gehört hat, das er droben geistere, sie hat nimmer Ruh gefunden, und einmal ist sie von uns gegangen. Ein Gamsjäger hat sie zuletzt irren sehen durchs Eis. Mir ist leid.«

»Tätest du mir auch folgen ins Eisland hinauf?« fragte der Iring.

Sie sagte nicht nein. Sie sagte nur schüchtern: »Du bist mir fremd.«

»Wär ich aber dein Bruder?«

Der Rauhut hatte dem seltsamen Gespräch zugehört, das fast mehr mit den Augen als mit dem Mund geführt worden. Jetzt hub er an: »Ein altversungenes Lied von Bruder und Schwester fällt mir ein.« Und er sang mit groben Stimme:

»›Ihr Herren, ach liebste Herren mein,
Lasst mich erlösen mein armes Brüderlein!
Ich will euch geben viel Gold und Gut,
Wie mir's mein Vater hinterlassen tut.‹
›Kein Gold und kein Gut, und das nehmen wir nit,
Außer du rennst neunmal nackend um den Ring,
Ja neunmal nackend ums Galgenhaus,
So kannst du lösen deinen Bruder aus!‹«

Das Mädchen legte in großer Scham den Arm über die Augen.

»Du Übeltäter, jetzt hast du sie betrübt!« schalt der Iring seinen Gesellen.

»Das ist geschehen und wahr«, verteidigte sich der Rauhut.

»Das ist allweil den Jungfern ihr Recht, und die Schwester ist nackend gelaufen und hat den Bruder erlöst.«

»Eher sterben!« murmelte die Eva entsetzt.

»Herz und Blut könnt ich für dich dargeben!« sagte der Iring zu ihr. »Und du nit?« Er brauste hoch. »Stell dich nit dumm, Dirn! Bist doch schon in Tanzhäusern gewest.«

»Lass mich, lass mich!« bettelte sie in ahnender Angst.

Er herrschte sie an: »Tanz mit mir!«

»Ich kann nit. Kann nur mit mir selber tanzen. Aber jetzt geh ich. Der Ähnel drin vermisst mich. Sieh, er macht schon in der Stube drin Licht!«

Aber der Iring, sich der Rede Nanninas besinnend, befahl in grausamem Übermut: »Tanz!«

Wahrhaftig, sie gehorchte, so hub an zu tanzen. Zuerst wiegte sie sich leise wie eine unschuldige Blume uns schien einer inneren Musik zu lauschen, dann aber hüpfte sie hoch empor, sprang und sprang, schien manchmal zu schweben und drehte sich immer wilder und heftiger, die Augen mit unsäglicher Angst erfüllt.

Den Iring erbarmte sie. »Lass nun! Es ist genug.«

Sie hörte ihn nicht. immer toller schleuderte sie sich hoch, immer atemloser.

Da traten der Gailoher und sein Rat aus dem Torbogen, wo sie sich lauernd versteckt gehalten.

»Ein geschmeidig Tierlein!« raunte der Graf. »Wie sie die Glieder wirft! Dass ich dies feine Wildbret nie gesehen hab!«

»Selten kommt ihr in den Armutswinkel her, edler Herr«, sagte der Doktor Taratantrus. »Ja, so hat das Kind des Herodes getanzt, als sie den Gottestäufer ums Haupt gebracht hat.«

»Mich bringt sie ums Hirn. Sankt Venus, hilf!« murmelte der Gailoher. »Was wollen die plumpen Knechte mit ihr? Solch feines Reh ist für einen edleren Jäger.«

Mit einem irren Schrei brach die Tanzende zusammen.

Der Iring beugte sich zerknirscht über sie und schrie: »Sei nit tot! Hab nit gewusst, dass du dich von Sinnen tanzest. Verzeih mir!«

Sie hob das blasse, holde Gesicht aus der Betäubung.

»Ich bin dir nit herb.«

»Wüsst ich ein Kraut, das dich mri machte traut!« rief er.

»Es bedarf nit Zaubers«, sagte sie.

»Du Wunderliche, hab dir doch weh tan!« Und verloren ist das fremde und ergreifende Wesen des Mädchens«, wiederholte er leise. »Es bedarf nit Zaubers.«

Aber da stand plötzlich der Gailoher mitten unter ihnen, ein hagerer, abgeschwelgter Lüstling, und er befahl der Eva: »Stell den besten Wein bereit, Kellnerin! Graf Eitelhund kehrt morgen bei dir ein.«

Sie fuhr erschrocken auf. »Ich geh. Der Großvater soll nit greinen. Ach Gott, es ist schon finster worden.«

Der Doktor Taratantrus rührte ihr leise an die Schulter.

»Hüt dich vor den zwei Knechten da, Eva! Sind Gewaltleut, verderben und verheeren das Land. Feuern die Scheuern an. Stoßen Mauern und Türme ein.«

»Verrücken dir das Schürzlein, Jungfer«, grinste der Graf.

Heiß fuhr der Iring ihn an. »Willst du mit mir anbinden? Stell dich vor meine Fuchtel!«

»Nit brausen!« bat die Eva. Sie streichelte flüchtig die Hand, die sich zum Schwertgriff legte.

Dann verschwand sie im Haus.

»Willst du allein anspinnen mit der Paradeisdirn, Knecht?« näselte der Gailhofer hochfährtig. »Das Weib ist für allermann geschaffen.«

Der Iring sprang hart an ihn hin. »Red' anders!« schrie er.

Rauflustig gesellte sich der Rauhut dem Freund. »Her! Her!« brüllte er

»Graf, lasst ab!« warnte der Doktor. »Die zwei haben nichts zu verlieren als ihre verwogene Haut.«

Mit einer stumm drohenden Gebärde ging der Gailoher.

Der Iring aber packte seinen Spieß und stellte sich im Mondlicht vor die Schwelle des Paradeises.

Er wachte die ganze Nacht. Den Tierstern sah er steigen, hinfahren und niedergleiten. Hoch droben warnten die silbernen Felsen.

Der Morgenstern entbrannte.

Der Spieß in der Hand des Knechtes war bleich vor Reif.

*

In der Frühe kam der Iring in die Stube.

Die Eva stellte ihm die Suppe auf den Tisch. »Dass du draußen gestanden bist in der eisigen Nacht!« flüsterte sie.

Er nahm sie freudig bei der Hand. »Glück her zu mir!«

Sie entriss sich ihm.

Da sagte er traurig: »Dein Herz ist steil wie ein Turm. Nit zu nehmen.«

»Hab dich doch aus allem Herzen gern«, lächelte sie. »Aber was bist du vor meinem Haus gestanden die ganze kalte Nacht?«

Er seufzte: »Eva, ich fürcht um dich.«

Sie erschrak. Sie flüsterte: »Ja, mir graust vor dem Grafen!«

»Warum? Du kennst ihn?«

»Vor Jahren ist er einmal zu uns ins Haus kommen. Meiner schönen Schwester wegen. Der Vater ist tot gewesen, die Mutter tot, der Ähnel alt und müd. Dem Grafen kann keiner wehren, er ist der Herr in dieser Stadt. Die Schwester hat sich müssen von ihm küssen lassen. Der Kuss ist ihr widerwärtig gewesen. Sie ist bald danach aus Ekel gestorben.«

»Gottes Flamm!« zürnte der Knecht auf. »Ich schlag ihn tot. – O, wer schützt dich? Ich muss weit fort in den Krieg.«

»Kehr bald wieder!« bat sie. »O, dass du in den harten Krieg musst! Mir tun sie leid, die da mit dem Mund auf die Erde fallen. Ihre Blutstropfen tun mir leid. Was treibt dich hin, wo Schwert gegen Schwert haut, wo sie schreien und einander anspringen wie reißend Getier, Männer, die einander nie gekannt?!«

»Eva, die Schlacht ist ehrliche Gewalt, der Starke stellt sich offen gegen den Starken. Da schlag her! Da stich her! Da schieß her! Die Schlacht ist schön. Aber es gibt noch schnöde Gewalt. Mir bangt um dich, Eva. Du tanzest, und der Teufel steht im Dunkel dabei und lauert. Tanz nimmer, Eva! Tanz nimmer! Schwör mir, dass du nimmer tanzest vor fremden Augen!«

»Was hilft mir das? Wenn mich einer anschreit, muss ich tanzen«, sagte sie traurig.

»Ein Schwur macht stark. Du wirst alles gegen den aufbieten, der dich zum Tanz zwingen will. Drum schwör mir! Schwör bei dem schwersten, bei dem letzten Ding, bei deinem, bei meinem Tod! Dann scheid ich leichter von dir.«

Da erhob sie feuchten Auges und ihn fromm anblickend die Finger: »Bei meiner letzten Hinfahrt schwör ich …«

Der Rauhut stand in der Tür. »Schwörst ewige Treue, Jungfer?« lachte er. »Tu es nit! Die Ewigkeit ist länger, als du glaubst. Und du, Iring? Bist du nit erfroren? Derweil ich im warmen Heu geschnarcht hab, hast du bei lebendigem Leib die kalte Höll erlitten vor einer Jungfer Kammertür. He, Eva, füll uns den Krug, eh wir weiter reisen über die wilden Klausen!«

Als die Eva gehorsam ging, Wein zu holen, sagte der Iring: »Jetzt wird mir die Reise schwer.«

»Hat dich die Liebe gefangen, Bruder? Weißt du, was lieben heißt? Narr dort, Narr da!«

»Sie ist nit so wie die anderen.«

»So nimm sie mit in den Krieg!«

»In den Krieg? Unter Tross und Huren? Nimmer!«

»Ein lauteres Feuer kann nit schmutzig werden.«

»Nimmer!«

»Du bist eifersüchtig. Du zerkrallst dir jetzt schon das Herz.«

»Wer nit eifert, der liebt nit«, sagte der Iring.

»Du eiferst gegen den Grafen. Der hat gestern feurige Augen gemacht wie eine Kircheule. Lass das Weib! Ist eines wie das andere. Glaub mir!«

»Für sie leg ich die Hand in rinnendes Erz!«

»Kann man in eines Menschen Herz schauen wie durch ein Glas? Das Weib hat den Mann ums Paradeis gebracht. Geh vors Haus, sezt dir die Augen auf und schau die Mauer an! Dort steht es geschildert. Aller Übel übelstes ist das Weib. Iring, kannst du bleiben? Wenn wir deutschen Knechte vor dem Kampf hinknien, den Staub von uns schütteln und zu Gott schreien, er soll uns fröhlich fechten lassen, wenn wir die Spieße senken gen den Feind, – willst du da hocken unter den dürren Gevattern und Pfennigwetzern? Indes wir mit herrlicher Gewalt übers Land fahren und die Welt nehmen, willst du da liegen bei deinem Weib?«

Der Iring seufzte: »Ich will gehen, ich will bleiben.«

»Willst du deinen Rottgesellen allein ziehen lassen? Wir haben einander allweil beigestanden vor Stich und Hieb. Bist du krank? Bis du wirr?«

Der Iring schlug auf den Tisch. »Ich lauf mit dir!«

*

Der Gailoher kam mit seinen Knechten, den Iring zu fangen. Der Iring hat zwar die Waffe nicht gehoben und den Stadtfrieden nicht gebrochen, aber der Doktor Taratantrus, der pfiffige Federfuchs, wird schon wissen, wie man ihm den Strick dreht.

Der Doktor schmeichelte: »Wie Ihr schreitet, o Jupiter dieser Stadt! Wie ein brennender Löwe! Wie die erzürnte Gerechtigkeit selber!«

»Heut noch muss der Stab gebrochen werden über den dreisten Buben!« sagte der Gailoher. »Meiner Väter Freibrief muss gültig bleiben, mein Recht über Galgen und Rad bleibe gewahrt!«

»Wir wollen den fremden Knecht stellen, edler Herr. Vielleicht, ich hoffe es, sticht er einen von unseren Leuten über den Haufen.«

»Nun rasch ins Paradeishaus!« befahl der Graf.

Der Doktor girrte: »Hat der Flügelgott mit Bolz und Bogen sich an Euer kühnes Herz gewagt, Herr? O, es ist wie in den Zeiten der alten Völker. Die Götter steigen nieder zu den Töchtern der Menschen und führen ihr heiteres Spiel. Ja, die Jungfer gestern hat trefflich getanzt. Wie eine jener Raserinnen mit dem Weinlaubstab.«

»Betasten will ich ihre Flanke, die im Tanz gezuckt!« glühte Graf Eitelhund. »O, wenn einmal die Scham von ihr abfällt! Es ist seltsam, Doktor, dass mich zweierlei mit gleich hoher Lust erfüllt: das Weib und der Tod der Männer. Zwar werden die Leute in der Stadt finster scheuen, wenn sich heute beides erfüllt. Doch was tut das mir?!«

»Jupiter nahm die flankenstarken Töchter der Griechen und verlor doch nicht die Ehrfurcht des Volkes, die Opfer rauchten ihm nach wie vor, und seine Pfaffen wurden feist. Herr, in dieser Stadt seid Ihr das Gesetz. Dem Mächtigen ist alles erlaubt. Die Welt wird Eure Taten und Wünsche ehren.«

Der Graf trat allein in die Stube des Paradeishauses.

Ungestüm starrte er das erblassende Mädchen an. »Ich kenn dich, es ist manches Jahr her, da ich dich gesehen. Und doch kannst du es nicht sein.«

»Bin meiner Schwester ähnlich. Soll ich Euch Wein bringen? Unser Wein ist viel zu schlecht für einen hohen Herrn.«

»Deine Schwester? Lass den Wein! Bring mir die Schwester!«

»Sie ist gestorben – damals – nach Eurem Kuss.«

»Ja, jetzt erinnere ich mich. Seither hab ich das Haus da nimmer besucht. An meinem Kuss ist sie gestorben? Vor Lust?«

»Nein. Aus Abscheu.«

Der Gailoher loderte sie an. »Graut dir auch vor mir? Du schweigst? So will ich dich küssen mit dem Mund, davor dir ekelt. Du wirst stärker sein als deine Schwester. Du stirbst nicht daran.«

»Herr, redet nit so! Oder ich renn aus dem Haus!«

»Bist du in der Nacht auch so keusche gewesen?« höhnte er. »Und soll mir verschlossen sein, was dem Spießbuben erlaubt ist? Wer bin ich, und wer ist er? Den Bauern ist er entronnen, die Säue hat er in die Eicheln getrieben. Und du willst seine Metze werden? Kennst du der Landsknechte verruchtes Volk? Sie hausen türkisch, brändeln, morden!«

»Der Iring aber nit«, sagte sie gläubig.

»Ihr Feldschrei ist: ›Weiber her!‹ Ihre kurze Treue stellen sie heute auf die einen und morgen auf die andere.«

»Der Iring aber nit.«

»Der Iring aber nit und allweil nit!« schrie der Graf wütend. »Soll er mir immer im Weg stehen? Ich schaff ihn weg. Kennst du den Mann mit der Blutfeder auf dem Hut? Mit dem roten Wams? Dem breiten Schwert an der Hüfte? Der Henker soll deinen Buben schlafen legen!«

Sie stöhnte auf, ihre Knie wankten. »Das – könnt Ihr nit tun!«

»Das tu ich. Er hat mich bedroht. Sterben soll er. Doch du, – du könntest ihn retten.«

»Wie könnt ich das?«

»Hört,Dirn! Meiner Finger glühen nach dir Sei mein, du Paradeistürlein! Hernach mag er laufen, wohin er will!« Und er ergriff die in Grauen Gebannte. »Wenn du schreist, stirbt er!«

Willenlos wie eine Ohnmächtige hing sie in seinem Arm. Da hob sich eine Falltür in der Stube. Der Iring sprang aus dem Versteck herauf.

»Ha, Besuch aus der Unterwelt!« stammelte der Graf überrumpelt. »Versinke wieder!«

Der Landsknecht ließ die Tür krachend hinter sich zurückstürzen. »Lass sie frei, Gailoher!«

Der Graf ermannte sich wieder. »Braus mich nicht an mit deinem bäuerlichen Geschrei! Ich hab eine scharfen Knecht bei mir!« Er deutete auf sein Schwert. »Hüt dich! Es geht dir an den Hals!«

Der Iring zog vom Leder. »Das Leben gilt mir nichts!«

»Zeigst du den Bleckzahn, Knechtlein? Hau zu! Doch wisse: die Dirn da hat sich mir von selber ergeben! Eine Jungfer ist keine Felsenburg.«

»Eva!« rief der Iring. »Das lügt er. Sag es ihm in die Zähne, dass er lügt!«

Aber sie schwieg.

»Ich glaub nit, dass Untreu der Welt Königin ist. Sag, Eva, dass er gelogen hat!«

Aber sie schwieg.

Da fiel er aus und schlug dem Gailoher das Schwert aus der Hand.

Kreischend verschanzte sich der Graf hinter dem Tisch. »Ich bin wund!«

Die Stube war auf einmal von Bewaffneten gefüllt.

Der Iring schlug wie ein Tobsüchtiger um sich.

»Schmeißt mir den Stier!« befahl der Graf.

Einer umfasste den jungen Knecht von hinten. Die Waffe wurde ihm entwunden, er wurde gebunden.

Der Doktor Taratantrus drängte sich herzu. »In den Turm mit dem Buben! Hundert Staffeln tief! Herr Graf, Ihr blutet?«

»Die Wunde ist nur leicht«, sagte der Gailoher.

»Das genügt. Rünstige Wund, der Täter darf nicht bleiben gesund. Seinen Schädel hat er verspielt. Eines Hauptes zu lang ist er. Man soll ihn stutzen!«

»Sei bedankt für den Hieb, Landsknecht!« spottete Graf Eitelhund. »Du wahrst mit damit mein Gericht. Ihr Männer, geht mir sanft mit ihm um! Zerrt ihn nicht! Er hat mir ein wohlgefällig Werk getan. Und gebt ihm ein reichlich Mahl, eh er enthalst wird. Landsknechte fressen gern.«

»Stecht mich gleich nieder, Ihr Helpartierer!« rief der Iring, gegen seine Fessel ringend. »Bin ein gefangener Mann. Der Teufel trilliert. Ich will seinen Spott nit hören.«

»Reicht ihm gebackenen Fisch! Und ein jungfröhlich Weib dazu! Die Nannina! Sie soll ihm Zeit und Sorge scheuchen! Er soll nicht ungeduldig sein. Morgen ist alles vorbei. Morgen ist in meinem Haus ein Festtag. Der Henker soll das Hochgerüst mit Fichtenreisig zieren! Noch eins: das Volk ist nicht zuzulassen! Ich henke für mich, nicht für andere. Das Richten ist ein Schauspiel der Herren. Meine Freuden teil ich nicht gern. Führt den Kerl ab!«

Dann winkte Graf Eitelhund der Eva, die wie versteint stand. »Auf baldigen Trost, Jungfer!« Und er rauschte davon.

Der Doktor trippelte hinter ihm her. »Homo homini lupus!« murmelte er gelehrt. »Der Mensch dem Menschen ein Wolf!

*

Das eiserne Sünderglöckel läutete hart und nüchtern, da führten sie ihn zum Tor hinaus. Es war ein kühler, überklarer Morgen, der Gletscher droben hing drohend nahe.

Der Freimann mit seinen Knechten trieb den Iring wie ein Stück Vieh daher.

Der Gailoher hatte seine Freude an dem Armensünder. Wie stark und gelenkig dieser nun auf dem Gerüst sich reckte, ein Bursch wie ein Rammklotz, ein ehernes, stolzes Genick, eiserne Rippen, die Adern voller Blut. Er wird lange zucken! Der Gailoher war fröhlichen Gewissens. Der Spruch war nach allen Rechten gefällt, ein Fürsprech bestellt worden, allen Formen war entsprochen. Nun konnte das süße Schauspiel anheben!

Niemand war zugegen, als der Graf mit seinem gelehrten Rat, seinen Hellepartnern, dem Henker und dessen Gesinde.

Da weilte nun der Iring vor dem Block, und er wäre doch lieber gestorben im Gras und Grein der Kampfflur und auf ehrlichen Spießen zu Grab getragen worden. Doch was frommen die Wünsche der Menschen? So setzte er trotzig die Zähne in die Lippe und wartete des Schlages.

Aber als er die stolzen Berge und die hohen, beschneiten Klüfte starren und den Gletscher funkeln sah, da raunte er in tiefster Lebenssehnsucht: »Ei, ich soll jetzt sterben? Ich kann ja nit. Ich begreif das nit.« Und er suchte die gefesselten Hände freizuringen.

»Halt still!« mahnte der Henker. »Ergib dich! Es dauert nit lang, Brüderlein! Bist bald auf dem Anger Warteinweil vor der Himmelstür, wo dich die seligen Landsknechte erwarten.«

Im selben Augenblick drängten sich durch das Gebüsch zwei Menschen heran, der Rauhut und die Eva. Ehe die Wächter sie hinderten, standen sie vor dem Rabenstein.

Die Eva sank vor dem Grafen nieder. Weiß und schön war sie wie eine Salige Frau, die von den Gemshöhen niedersteigt.

»Herr, sterbensleid ist mir um den Buben. Um meinetwillen soll er sterben!« weinte sie.

»Das Schelmenhaupt muss fallen!« sagte er kalt.

»Vom Schwert will ich ihn lösen nach altem Recht und Brauch. Gebt mir ihn heraus!«

»Wie willst du ihn lösen?«

»Neunmal lauf ich um den Rabenstein«, stammelte sie.

»Du willst mit kleiner Münze kaufen«, spottete der Graf.

»Edler Herr«, erklärte der Doktor Taratantrus, »sie will nackend laufen. Nuda!«

Sie kniete vor dem Gailoher, sie brannte vor Scham wie eine Fackel. Sie verging vor der Gier seiner Blicke.

»Willst du das tun, Dirn?« rief er heiser.

Sie schlug die Augen nieder und nickte.

»Wohlan, nackend sollst du tanzen um den Stein! Mir zur Lust. Dann mag der Galgenbruder frei sein. Lass deine weißen Arme leuchten! Zieh dir das Hemdlein übern Hals! Lass die Brüstlein heraus rollen!«

»Erst löset dem Landsknecht die Stricke!« sagte sie.

Der Graf winkte. Da knotete der Peinmann dem Iring die Fessel auf.

Hoch atmete der Knecht. »Gailoher«, rief er, »ich will nit durch Unflat gerettet sein! Ich will deine Gnade nit. Ich begehr den Tod.«

»Du nimmst, was ich dir gebe«, entgegnete herrisch der Graf. »Die Dirn soll nackend springen.«

»Gailoher, ich bin verurteilt worden, ich hab ein Recht an dem Tod. Und du, Eva, ich will nit, dass du dich entblößest vor aller Welt!«

Schweigend löste sie das Band ihrer Schürze. Das Schürzlein fiel ins Gras.

Er erhob lauter die Stimme. »Eva, willst du tanzen und Eid und Treue brechen?«

Sie ließ den Kittel fallen. Sie winkte schmerzlich mit der Hand.

Da rief er: »Jetzt erkenn ich dich, Eva! Du hast treu und untreu mit mir gespielt. Du schnödes Herz, hast mich mit List umsponnen. Aber deine falsche Kunst zerrinnt. Ich sag mich los von dir, schamlose Hure du! Dir fällt es leicht, dich auszuziehen!«

Sie stöhnte auf und griff nach ihrem weißen Hemd.

Jetzt sprang der Rauhut mit wilden Sätzen hinauf aufs Gerüst. Das Wolfsmesser schwang er, er trug keine andere Waffe bei sich. »Ich helf dir, Bruder. Wir zwei stehen hinter demselben Schild!«

Der Iring riss ihm das Messer aus der Faust, starrte zu der wilden Felshöhe hinauf, und dann stieß er es sich mit einem gellen Trotzjauchzer mitten ins Herz.

Der Graf Eitelhund erblasste. Er wandte sein Ross und sprengte davon.

Hingekauert nahm die Eva das sterbende Haupt in den Schoß.

»Du hast mir den Tod aufgetan«, schnob der Iring sie an.

»Du hast mich mit um mein irdisch Heil gebracht – und ums Himmelreich!«

Ihre Tränen stürzten über sein Gesicht.

»Wahn über Wahn!« stöhnte er. »Es ist keine Treu auf Erden. Gott, lass mich – nimmer – wiederkehren!«

Sie legte ihren Mund auf seine veratmenden Lippen und atmete seinen Fluch in sich und seine fliehende Seele.

Fluch verweht im Wind. Die Liebe bleibt.

*

Fahles, unirdisches Dämmer. Höchste Öde, den Irdischen unzugänglich. Eishölle. Der Gletscher schimmert schwach. Die Stille knirscht.

Eine furchtbare Kälte. Glühender Frost. Urweltfrost. Es gibt kein Maß dafür.

Zuweilen fliegt Nebel wild von Fels zu Fels, verdeckt die Schrofen, verhüllt das Gestirn, das keinen Trost weiß, und zerfließt wieder. Dann zuckt der Himmel von Schecklichtern, von Blutsternen, von Geisterschein, aus äußerstem Norden quellend, oder er wölbt sich ungeheuerlich erstarrt. Eine Gestalt wandelt abgrundnahe um eine Eissäule. Ein Mensch und doch nicht Fleisch und Blut. Ein Verdammter. In seiner Brust steckt ein Messer.

Wie lange schon kreist er um die Säule? Seit gestern? Seit tausend Jahren? Seit je und immer? Die Zeit verwest hier nicht. Hier waltet die grausame, eintönige Ewigkeit.

Fröstelnde Gespenster wehen vorbei, verschwinden in den Klammen. Schemen klettern felsan, stürzen, schreien. Einer kriecht auf den Knien dahin, heult vor Frost, sucht irgendwo Zuflucht davor. Schon heult er fern aus der Tiefe. »Immer, immer, immer!« heult er. Der Gailoher. Und die Flüche der Gepeinigten erwachen und erwidern die Qualschreie aus verlorenen Schluchten und Höhlen.

Der Büßer aber geht schweigend im Ring um die Säule.

Es wird wieder still. Nur manchmal kracht das mächtige Eis auf. Und die Nebel erheben sich wieder.

Jetzt steigt ein düsterer Zug den Jochweg herauf. Pfeifen und dumpfe Sturmtrommeln tönen. Eine Wallfahrt mit langen Spießen und sausenden, geschlitzten Gewändern. Ein borstiger Eisenwurm. Eiszapfen in den blutigen Bärten. Hohl klingt es, mit Geistermund gesungen, das Lied von Friaul uns Siebentod.

Voran einer, zerschnitten und zerschunden, den Leib voll harten Wunden. Er stößt den Spieß ins Eis. Ein Mann, einst verbrüdert dem an der Säule. Der Rauhut.

Der Rauhut hält bei dem Säulengänger an. »Ich kenn dich, gleißender Geist, erinnert er sich.

»Du kennst das Messer in mir«, erwidert es wie aus weiter, dunkler Ferne.

»Iring! Auch du in der kalten Höll?!«

Tiefes Grauen belebt die Stimme des Büßers. »Leiden muss ich, bis es Gott genug ist.«

»Siebentausend Jahr?« fragt der Rauhut.

»Tausendmal länger«, murmelt das Berggespenst.

Aus den Schlünden erhebt sich der Jammer. Ach! Ach! Ach! Er zerschellt am Eis, er zersplittert an dem Frost.

»Woher?« fragt der Büßer.

Der Landsknecht haucht in die Hände. »Verdammt, der Frost beißt durch Mark und Bein! Möchte lieber in der lohen Höll knotzen! Woher ich komm? Aus Rom. Der Frundsberg hat die Feste beschädigt mit Feuer und Schwefel. Dem Papst hat er den heiligen Stuhl umgestoßen. Juchhui!«

Der Totenzug trommelt vorüber.

»Kalt! Kalt!« klagt der Rauhut. »Was steigst du nit zur Almhütte nieder und wärmst dich, Iring?«

»Kann nit. Darf nit.«

»Geifernd Feuer ist holder. Teufel, bind mich an deine Flamme.«

»Wohin, Rauhut?«

»Mit dem Spieß will ich dem Satan sein Tor sprengen und hernach den Höllenbrei wacker umrühren.«

»Rottgesell, ich bitt dich, reiß mir das Messer aus der Brust!« flüstert der Büßer. »Es schmerzt mehr als der Frost, ist Eis und Glut zugleich. Ich selber bring es nit heraus.«

Der alte Landsknecht zerrt an dem Griff. Er zerrt ungestüm. Er zerrt vergebens. »Es steckt zu fest, Iring. Meine Kraft versagt. Zu wild hast du dir es ins Herz gestoßen.«

Eine Lawine donnert getal.

Der Rauhut lauscht selig. »Hörst du es? Die Trummel wirbt. Landsknecht singen. Ich muss hin. Juchhui!«

Er rennt den andern nach.

»Barmherziger Gott!« klagt der Büßer auf. »Schick mir Feuer! Umhüll mich damit! Durchbohr mich damit! Glüh mich weiß! O mich friert!«

Verzweifelt schlägt er die Stirn an die Säule. »Gott, lass meine unsterbliche Seele sterben! O Qual, ohne Aufhör zu sein! Gott, antworte mir! Oder bist du hier erfroren?«

Wie ein Geier schreit er nach Gott. An dem Eis erstirbt Schrei und Frage.

Müde umarmt er die Säule. Ist es nicht wie heimliches Leben drin? Wirken drin nicht Säfte der Erde? Trug! Eis, Eis, alles Eis!

Er schläft ein.

Er schreckt schnell wieder auf.

Hat das Eis gerufen? Oder ein Stein gestöhnt? Schreit die Nacht nicht selber auf vor Not?

Er horcht in das leere Gebirg.

Ein süßer Ton erklingt. Seinen Namen hört er rufen:

»Iring! Iring! I – ring!«

Vom schneidenden Grat weht ein Leuchten nieder. Kommt ein Strahlenbote Gottes?

»Iring! Ich such dich.«

Eine schwebt daher in langem, weißem Gewand. Sie leuchtet ihn an. »Find ich dich da?« spricht sie zu ihm.

Seine Augen, die starr gewesen wie wilde, trübe Steine, beleben sich. »Salige Fraue!« bebt er.

»Ich komm aus Gott«, sagt sie.

»Wie ist dein Weg?«

»Über die ganze Erde bin ich gangen, rot ist sie vom Blut meiner Fersen. Die Sterne hab ich besucht, hab sie gefragt, wo du bist. Die Sterne sitzen auf güldenem Schemel. Den Steig bin ich gangen von der Sonne zum Mond. Die Sonne spinnt wildes Gold, der Mond mildes Silber. Keines hat gewusst, wo du weilst. Über den Regenbogen bin ich gangen, sind mir noch davon die Füße bunt. Bin kommen vors Nobishaus, da schlagen die heißen Flammen heraus. Du bist nit drin gewest. Keiner hat mir gesagt, wo du bist. Mein Herz hat mich zu dir gewiesen. Iring, weißt du, dass ich ohne Schuld bin?«

Er nickt leise. »Den Toten ist alles klar«, raunt er.

»Iring, warum büßest du? Dein Herz ist rein gewest, hat nichts verschuldet.«

»Leiden muss ich, Eva, weil ich dir nit hab vertraut. Vergib mir, dass ich dir weh tan hab! Und geh wieder! Du sollst nit frieren in deinem zarten Himmelshemdlein.«

Sie aber lehnt sich lächelnd an seine Brust, sie greift nach dem Messer und zieht es sanft und schmerzlos heraus. Sie schleudert es in den Abgrund.

Da war alle Qual vorüber. Da zersprang das Eis des Gletschers mit der Stätte und berührte allen Grund, weiches, hohes Gras grünte, Vögel flogen, und Falter funkelten.

Die Säule wurde zum weit ausgreifenden heiligen Apfelbaum, und an seinen Zweigen schimmerte die unschuldige Frucht. Für eine Weile verklärte sich die Eishölle.

Fern sang ein verflogener Engel ein Heimwehlied.

Alles Leben will ewig sein.

Und die Seelen des Büßers und des liebenden Weibes begegneten einander auf der Brücke des gleichen Gebetes. »Gott erneue uns! Lass uns wieder hinunter zur schönen, sternumkränzten Erde! Fülle uns wieder die Augen mit irdischem Licht! Lass uns noch einmal leben und durch Glück und Leid wandern und wieder zueinander finden!«

Das Weib griff in das Laub über sich und reichte dem Mann den Apfel. Sie aßen davon und aßen sich daran das neue Leben. Sie wussten sich vermählt und wieder zusammengegeben in künftiger Zeit.

Und so lösten sie sich zu Glanz auf und kehrten heim.

Zur selben Stunde wurden tief im Menschental drunten ein Knabe und ein Mädchen geboren.


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