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Pütrich

Es war in der schönen Jahreszeit, als der lobsame Herr Jakob Pütrich von Reichertshausen, aus dem Frankenland heimreitend gegen München, sich in einem schnörkeligen Tal nordhalb der Donau verirrte. Auf dem dünnen Grasweg begegnete ihm niemand, den er um Rat und Richtung hätte fragen können.

»Halloh, ist denn kein seliger Mensch in dem Wald?« rief er. Doch nur die Spottvögel in den Wipfeln erwiderten ihm. Herr Pütrich hätte gern den Hunger und noch viel lieber seinen Durst gebüßt. Der dürre Sommerwind hatte ihm den Hals ausgetrocknet. Er summte wehmütig ein Schlemmerliedlein vor sich hin und dachte an die Weine, die an den Hängen der Donau gediehen, an den »Vogelsang«, also geheißen, weil man himmlische Vogelzungen zu hören vermeinte, wenn er in die Kehle hinab rieselte, und an die »Güldenseel«, einem wundersamen Gurgelspülicht, das so stolzbenamst war, weil davon dem Trinker die Seele wie in Gold gefasst schwebte. Und Pütrich wünschte sehnlich, es läge ein sonniger Burgberg, blank und ohne Tann und gastlich, mitten in dem weitschweifigen dunkeln Wald.

Es nächtelte gelind. Der Reiter war heute schon manche wohlgemessene Meile, manch bequeme Straße und manch beschwerlichen Steig geritten, und in seiner Müdheit sank ihm plötzlich das Kinn auf die Brust herab, und er schnarchte. Sein struppiges Rösslein Graumann spitzte die Ohren, hörte den Herrn schlafen und trat sanfter aus.

Pütrich träumte, quer über den fremden Weg sonne ein schatzhütender Drache den riesigen, goldgepanzerten Schuppenbauch. Ehe er aber noch dem Fabeltier das Schwert in die Weiche rennen konnte, wie es sich für einen rechtschaffenen fahrenden Ritter ziemte, schrak er aus dem Schlaf. Er glotzte. Sein Schwert lag quer vor ihm. Der Mond stand feist in einer Fichte. Bläuliche Dunstgeister huschten über eine Wiese. Die pfiffigen Vögel waren verstummt; Fledermäuse, Eulen, Leuchtwürmer und dergleichen Gelichter gaukelten. Aber die Luft genoss sich kühl und feucht.

Pütrich richtete sich hoch im Sattel auf. Lauerte dort an der Waldecke nicht einer?

Der Ritter hätte gern einmal ein Abenteuer erlebt, wie es den reisenden Helden Pazival, Erek und Gawein, von denen er in seinen Büchern gelesen, tausendmal zugestoßen war. Gern wäre er gegen die boshaften Heiden oder den Übermut der Riesen zu Felde gezogen. Käme nur einer daher gestolpert, mit Eberhauern im Maul, mit roten Augen und rußigem Schopf! Pütrich wog sein Schwert, das er einst im Krieg gegen Meister Hussens Heervolk geführt hatte; er schwang es, als wolle er damit dem Eisenkolben eines Riesen begegnen.

Er wäre schließlich auch einem sanfteren Abenteuer nicht abgeneigt gewesen. Ei, ritte vor ihm aus dem Sattel doch eine schöne Waldfrau, in Silberzindel gekleidet! Ach, Herr Pütrich vergaß auf Reisen nur zu häufig seines ehrbaren Heimwesens!

Nun aber erinnerte er sich seufzend daran. Seine Fahrt neigte sich dem Ende zu, und nun konnte er, statt heldisch zu reisen und auf den wunderbaren Zufall zu warten, wieder daheim hocken und seinem Weib den Rücken kraueln und sich von ihr schelten lassen, wenn er dies nicht eifrig genug tat.

Der Mond geleitete Pütrich, bald glühte er satt herab, bald zerschellte sein Licht im Laubwerk zu tausend Splittern. Das Land hatte zur Nacht ein düsteres Wesen angenommen, sonderlich dieses schmale Tal. Es war, hier müsste dem Teufel Macht erlaubt sein, dass er dem Wanderer eine grausig tiefe Schlucht über den Weg zaubere oder ihm eine unübersteigliche Felswand plötzlich vor die Nase setze oder einen Wolkenbruch hexe trotz des sternklaren Himmels droben.

Allein Pütrich fürchtete nicht des Satans gräuliche Abgestalt. Er sollte nur seine Gespenster, Nachthussen und andere unholde Knechte herschicken oder sich selber zeigen! Pütrich wandelte schier das Gelüst an, mit Geistern zu scherzen, sie zu rufen und zu necken.

Wahrhaftig, da schrie es schon aus der Ferne. Ein langer, bänglicher Schrei! Aber kein Unholdenschrei! Eine Frauenstimme! Sie rief um Hilfe.

Abenteuerwitternd schnob das Ross auf. Pütrich schnalzte mit der Zunge und trieb es zur Eile an.

Das Tal verbreiterte sich. Ein Schlösslein lag wohlummauert an einem Weiher. Silbrig leuchtete das Moos auf dem Dach. Aus einem Fenster drohte ein stattliches Weib mit gespannter Armbrust nieder. Drei Kerle, Raubgeschmeiß mit steifen, schwarzen Waldstorchfedern in den Hauben, belagerten das Haus und waren daran, das Burgtor aufzusprengen.

»Hojoh, da will ich einmal bayerisch dreintrumpfen!« schrie Pütrich.

Die Waldräuber kehrten sich sogleich gegen ihn. Er stemmte ihnen das Schwert entgegen, wie man den Spieß gegen das Schwarzwild zückt. »Huss Sau!« lachte er. Als aber einer der Unkerle, eine Wolfshaut über den Schultern und am Hals einen roten Bart, nach dem Zügel des Rosses griff, funkelte der Ritter mit dem Eisen derart hagebuchen darein, dass die drei eilends davonstoben wie Metzgerhunde, die den Kuttelfleck gestohlen.

»Wie soll ich Euch danken?« rief die Frau im Fenster freudig. »Doch darf ich Euch ins Haus lassen? Ist Euch zu trauen? Ich bin mit meiner Magd allein. Den Knecht und den Rossbuben habe ich nach Kelheim zur Schranne geschickt.«

»Mit einem Krug Wein wäre mir gedankt genug«, erwiderte Pütrich. »Doch fürchte ich, das Schloss da ist eine Diebshöhle, darin der fahrende Ritter um sein Herz kommt.«

Dieses höfliche Wort köderte die Frau und machte sie zutraulich, und sie kam mit einem Laternlein herunter, betrachtete eine Weile durch die Torluke den untersetzten Herrn, der in geckischem Kleid mit hohem Straußfedernhut und krummen Schuhen im Mondlicht hielt, und ließ ihn ein.

»Mir klopft noch das Herz«, sagte sie. »Die Räuber, die übeln Drillinge heißt sie das Volk, hätten mir arg mitgespielt, wenn sich in das Schloss eingedrungen wären. Doch wie nenne ich meinen Gast?«

»Nennt mich den Ritter von der zinnobernen Lanze, edle Frau! Und wer seid Ihr, und wo bin ich irrsäliger Mann jetzt?«

»Ihr wollt Euch vor mit verbergen?« lächelte sie. »So will auch ich Euch nur die halbe Wahrheit sagen. ich bin die Wittib Witikuna, und dieses Schloss hier heißt Dreizehnunken.«

Sie führte sein Ross über Brücke und Graben in den Stall und band es an eine tännene Krippe. In dem großen, gewölbten Raum malmte und ruhte viel rotes Melkvieh.

Witikuna befahl der Magd, die sich in einem Nebengelass hinter einer riesigen Krautkufe versteckt hielt, dem Ross Hafer vorzuschütten und hernach gebeiztes Wildbret aus dem Fass zu holen und es schnell in die Küche zu bringen.

Es war ein blitzsauberes, wohlversehenes Haus, wohin auch immer durch Gänge, Speicher und Gemächer Witikuna den Fremden führte. Im Vorübergehen wies sie in einen Keller hinab, darin steinerne Ganter erfreulich eng aneinander ruhende Eichenfässer trugen. »Alles voll!« rühmte sie. »Wo wächst Euer Leibwein, Ritter Zinnoberrot?«

Sie ließ ihn in die Küche treten, reichte ihm dort hurtig eine Senfmühle, und Pütrich drehte sie gehorsam. Und während sie ein Huhn an den Spieß steckte und mittels eines Blasbalges das zunderrote Feuer aus der Glut empor scheuchte, schielte sie heimlich nach dem Gast hinüber. Fürwahr, er war kein rosiger Gesell mehr, doch trotz seiner felsengrauen Haare noch risch und rasch, und seine zerschrammten Wangen standen ihm gar mannlich schön.

Dann wies ihn die Magd in ein Bad- und Schweißtüblein, und indessen er sich vom Staub der Reise reinigte, kochte Wititkuna Fische aus dem Saiblingsweiher und Krebse und briet Wildbret dazu.

In einer kerzenhellen Stube war die Tafel reich bestellt mit Braten und Brühe, Fisch und Wein und Krebsen, rot wie das höllische Feuer.

»Ein wohlversorgter Wittibsitz!« dachte Pütrich. »An dem Tisch des Königs Artus sitzt man nicht besser. Ich bin wohl in das Land geraten, wo die Gäns' gebraten daher wackeln, tragen das Messer im Schnabel und den Pfeffer im Nabel. Hohoh, ich lass es mit gefallen!«

Die Teppichtür teilte sich, und Witikuna trat herfür in einem feinen, schachbrettartig gerauteten Kleid, und die Schleppe kroch mit drei Zipfeln hinter ihr her. Rötlich dunkel schimmerte ihr Haar. Ihr von der Küche erhitztes Gesicht war gesund und angenehm zu schauen.

»Esst, Herr Nothelfer!« lud sie ihn ein. Er ließ es sich nicht zweimal schaffen. Sie hatte ihm eine Blume neben den Teller gelegt, und er roch schier gewalttätig daran.

»Wollet nur fröhlich den Wein kosten!« sagte sie wieder und schenkte ihm ein. Der Krug hatte eine hübsche Schnauze, zierlich schoss davon der Wein in den Becher.

Pütrich trank. Es war kein feuriger Kometenwein. In des Vaterlandes sauerster Erde war er geborten worden. Landshuter Gewächs! Lacrimae Petri. Sankt Peters Zähren. Behüt Gott jeden Biedermann vor solch saurem Wunder!

»Schmeckt es Euch nicht?« forschte Witikuna.

Er wich der Frage aus. »Wo die Wirtin schön ist, ist der Wein auch schön«, schmeichelte er und brachte ihr ein höfliches Gesundheitstrünklein zu, und sie dankte und tat einen geschmeidigen, bescheidenen Trunk.

Hernach trocknete sie sich die feuchten Lippen mit einem Tüchlein und betrachtete den schmausenden Mann. Wie fest waren seine Rippen gebaut! Wie kühn seine Nase! Seine Augen blitzten jünglingshaft. Ach, seit dem seligen Heimgang ihres Gemahls, zwei endlose Jahre schon, saß Witikuna allein und unbeschützt in diesem Schloss, und es bot sich ihr in der Einöde keine Gelegenheit, den verwünschten Witwenstand zu verrücken.

»Welch guter Zufall bringt Euch in diese abgelegene Gegend, edler Herr?« fragte sie, und unter ihrem Brusttuch knospete eine blaue Hoffnung. »Nie werde ich es vergessen, dass ihr Leben und Habe und Tugend einer verlassenen Wittib so ritterlich geschrimt habt.«

Solches Lob tat gar wohl, und Pütrich holte weit aus und hub an zu erzählen, wie er sein Lebtag sich gesehnt habe, zu den Gebeinen des hohen Dichters Wolfram zu wallfahren, und wie er nun in der Frauenkirche des possierlichen Städtleins Eschenbach auf dem Grab des größten Dichters aller Zeiten gekniet sei und ihm durch den Gruftstein hindurch gedankt habe für sein Lied vom Parzival. Und Pütrich, von seinem begeisterten Herzen überwältigt, erging sich in dem Lob des ritterlichen Buches und sagte feurig und ohne enden zu können die schönsten Reime daraus auf und merkte nicht, dass Frau Witikuna die feste Hand auf ihren Mund legte, ein herzliches Gähnen zu verhüllen, und dass sie in ihrer Langweile immer wieder dem Weine zusprach, häufiger als er.

Als sich eine zarte Trunkenheit auf ihre Sinne gelegt hatte, unterbrach sie plötzlich den Redefluss des Gastes: »Jetzt schweigt mir endlich mit Eueren gelehrten Sachen! Ich weiß ein hübscheres Lied.« Und sie trällerte: »Wie schön blühn doch die Rosen – unter meinem Fuß!«

Da ward er auf einmal inne, dass er einem feinen, fremden Weib gegenübersaß, stattlich und königlich wie die vornehmsten Frauen, um deren Besitz in den alten Liedern Schwertschläge getauscht wurden, und es wurde ihm heiß um das alte Herz, er brach in seiner Ehrenrede jäh ab, trank den Landshuter und räusperte sich: »Fürchtet Ihr Euch nicht, Frau, dass Ihr so muttersallein mit mir dasitzet?«

Sie konnte ihr trunkenes Zünglein nimmer zurückhalten und erwiderte dreist: »Ei was, siedest du mich, so brat ich dich!«

Er sann eine Weile über dieses rätselhafte Sprichwort nach, drang ihm aber nicht auf den Grund. Und so trank er einmal aus, trank zweimal aus, trank dreimal aus den kühlen, grünen Wein, und die Welt erschien ihm auf einmal voller Rosen. Und der Schalk stach ihn, und er seufzte: »O, dass ich schon in einem schweren Ehestand gebunden bin! Doch Ihr könntet mich zum Doppelweiberer machen, Frau Witikuna. Vorgestern habe ich gesehen, wie die Nürnberger einen solch zwiefach Beweibten in der Pegnitz ertränkt haben und seine Frauen dazu, ob auch eine jede von der andern nichts gewusst hat. Euretwegen würde ich den Henker nicht fürchten, schöne Wittib. Und Ihr?«

Sie senkte traurig die Stirn, darüber der Schatten der Enttäuschung glitt.

Da tat sie ihm leid. Und er verleugnete seine wacker, geduldige Hausehre daheim und seine mannbaren Töchter Herzeloy und Isolt und seinen Sohn Gamuret und log frisch darauf los: »Tröstet Euch, Witikuna, vor elf Monaten ist meine wohlgemute Hausfrau zu Grab getragen worden.«

Befreit hob sich ihre stattliche Brust, sie öffnete leise die Lippen, und ihre Augen raunten: »Schau mich an und sei behext!«

Er aber wog bedenklich den Kopf. »Doch ist es jetzt noch viel zu früh, als dass ich um Eure Hand werben dürfte«, bedauerte er. » Mein wohlseliger Gemahl soll nicht künftighin mit grauem Schleppmantel durch diese Gänge geistern und die ganze Nacht wehrufen: ›Nicht einmal ein Jahr! Nicht einmal ein Jahr!'«

Witikuna richtete sich schaudernd auf und starrte nach der Teppichtür. Diese schien sich zu rühren, wie von Geisterhand bewegt. »Nennt keine Toten mehr, Herr!« bat die Frau.

Er war betrübt in sich selber versunken, und nun murmelte er: »Wohl habe ich mich der Liebe genug gesättigt, da ich ein toller Junggesell gewesen und meine Federn noch keine Kiele gehabt haben. Aber das Feuer ist lau geworden. Ich bin zu alt für Euch.«

Sie überhörte geflissentlich diese bekümmerte Rede. Sie löste ihr dicken Zöpfe, ließ sie an ihren Leib hinab schlängeln und glühte zu dem Manne hinüber: »Glaubt ihr nicht, dass die Minne alles überwindet, wie sie denn die höchste Gewalt führt auf Erden?«

Diese Frage war gefährlich wie ein Funke in der Scheuer. Und Pütrich brannte schon lichterloh, und er saß ihr gegenüber, Knie an Knie und redete auf einmal wie das Minnebuch Salomonis, des verliebten Königs der Juden.

Sie lachte ihn an mit blanken Zähnen, ihr Nacken war stolz, ihre Hüften waren strack. Sie sagte: »Eure Weisheit währt lange, Herr Ritter. Ich weiß ein behänderes Sprüchlein. ›Verliebt und nicht beherzt hat manches Glück verscherzt!'« Und sie trank ihm zu: »Auf jähes Glück!«

Da keuchte er auf und tappte nach ihr.

Sie flüchtete sich. Er polterte ihr über winkelige Stiegen nach, tastete sich durch Finsternis ins Mondlicht, erhaschte sie, und sie entrang sich ihm wieder. Doch floh sie so ausgeklügelt langsam, dass er ihr immer auf den Fersen bleiben konnte.

In einem erleuchteten Gemach, das von einem Himmelbett zu einem guten Drittel ausgefüllt war, holte er sie ein und umprankte sie.

Sie schmollte: »Seid Ihr grob! Ihr kommt wohl aus er Plumardei?« Sie wehrte sich nicht und hielt lauernd still, als er ihren Kopf packte, sie zu küssen.

Doch wurden auf einmal seine Augen gläsern, seine pressende Kraft ließ nach, die verliebten Arme sanken ihm wie gelähmt. In einer offenen Truhe lagen Bücher.

Wenn Pütrich in die Schatzkammer eines neidischen Lindwurmes eingedrungen wäre, sein Staunen wäre nicht größer gewesen. Er wankte auf die Truhe zu und sank davor nieder.

Bücher! Bücher! Wohlbeleibte Bücher mit blassen, schweinsledernen Rücken und hölzernen Deckeln, schwer und fest, mit Spangen verschlossen, dass sie sich nicht krumm bögen, gesperrte Festungen, Metall an den Ecken, mit Knöpfen und Buckeln mächtig geziert, drohenden Kriegsschilden ähnlich, manche in Kettenhemden versponnen. Pütrich verschlang die Titel, die säuberlich auf den oberen Schnitt der Ungetüme geschrieben waren. Bücher! Bücher!

»Plunder!« sagte Witikuna verächtlich und verärgert. »Mein Mann hat sie zusammengeschleppt. Er ist schier so ein Bücher- und Allermannsnarr gewesen wie der Pütrich aus München.«

Der Ritter kratzte sich die Nase. »Ei, habt ihr auch schon von dem gehört?« Er wühlte in den Büchern.

Sie kniete zu ihm hin, drückte den prangenden Wittibsleib an ihn, tippte ihm an die Stirn: »Euch fehlt es wohl im Dachstuhl! Warum seid Ihr mir bis daher nachgerannt? Erinnert Euch! Gewiss nicht um diese staubigen Krames willen.«

Er öffnete ein Buch und las: »Uns ward in alten Mären Wunders viel gesagt …« Das Weib bestand nimmer für ihn. Er blätterte, las, blätterte wieder. »Ein altes Buch, darin der Riese Sigfried und sein gräuliches Ende beschrieben!« rief er entzückt. »Gebt mir es, Frau Witikuna! Verkauft mir es!«

Sie erhob sich. »Die Bücher verschenke ich nur mit mir selber«, sagte sie bestimmt.

Er nickte bekümmert und überlegte. Dann schlug er ein faustdickes Buch auf, es war voll zierlich geschnitzter Minnereime und wuchtig geschmiedeter Heldenlieder. Pütrich vergaß die Welt.

»Hier ist meine Schlafkammer. Verlasst mich!« sagte die Witwe böse. Sie spielte in ihrem Unmut mit den Lippen.

Der Ritter blätterte mit zitternder Hand. »Morgen sag ich Euch Bescheid«, murmelte er. Er gab ihr diesen Trost, wie ein Seefahrer der singenden Sirene ein hohles Fässlein hinwirft, dass sie ihr Spiel daran finde und das Schiff ungefährdet vorüberlasse.

Witikuna aber steckte die Finger in den Mund und pfiff gellend. Da kam die Magd.

»Bring den Ritter in seine Stube!« befahl die Herrin. »Und Ihr, Ritter, merket: Es blüht eine Blume, die heißt Narrenheil. Wenn Euch heute davon träumt, so riecht daran! Gute Nacht!«

Pütrich sperrte schwermütig das Buch mit dem Gepräng, und die Magd wies ihn hinunter ins Erdgeschoß zu seinem Lager. Lange tat er kein Auge zu. O, wenn diese Bücher ihm gehörten, in welchen Ehren wollte er sie halten! Kein Preis dünkte ihn zu hoch, um in den Besitz dieses Schatzes zu gelangen. Und doch: sollte er die Sünde eines Vielweiberers auf sich laden? Sollte er sich hier in der Einöde faul verliegen, wo er doch noch manche ruhmvolle Tat vorhatte in Nachahmung der erlauchten Helden der Vorzeit? Sollte er das unwürdige Los des Herkules teilen, des griechischen Sigfrid, der um Frau Omphalens willen Strümpfe gestrickt und Schleier und Kittel getragen wie ein Weib? Nein, so weit wollte Pütrich sich nimmer vergessen! Aber eines der Bücher musste er haben, und wenn auch der dreischnauzige Wachthund der Hölle darauf säße!

Er gaukelte mit allerlei Gedanken und sann auf einen Ausweg. Mit Lust dachte er daran, wie er zu seiner beträchtlichen Bücherei gekommen war, die er in vierzig Jahren zusammengetragen hatte, und er versuchte, in Reime zu setzen, wie er gesammelt hatte.

»In Ungarn und Brabant und zwischen beiden Landen
mit Nachfrag hab' ich sie gesucht,
bis ich die Bücher bracht zu meinen Handen.
Zusammen sind gerafft sie ganz verrucht
mit Nachfrag hab' ich sie gesucht,
geschenkt, geschrieben, gekauft und auch gefunden…«

Ehe er zu diesen beiden letzten Zeilen einen tauglichen Reim fand, war er eingeschlafen.

Von dem Blümlein Narrenheil trämte ihm nicht, doch von einem alten, grünspanfeierlichen Buch, dessen Gespänge er nicht zu öffnen vermochte, wie sehr auch er darum sich mühte. Und als er fühlte, wie sein Traum sich lockerte und zu zerrinnen drohte, drückte er das Buch hart an seine Brust, um es mit in das Wachen hinüber zu retten. Doch war dieses Unterfangen vergeblich.

Er drohte dem Mond, der im Fenster stand: »Du hast mir den schönen Traum zerstört, du Diebsgesicht, du Helfershelfer und Handreicher allen unredlichen Leuten!« Und unverweilt kleidete er sich an, nahm den Handleuchter mit der Kerze und zündete sie an der Nachtlampe an und schlich sich auf den Zehen hinauf in den Büchergaden.

Ein Lichtlein brannte dort unsicher und zaghaft in seinem Gehäuse. Witikuna lag verführerisch schön in der gehimmelten Bettstatt und schlief. Pütrich glaubte sich in den Frauhollenberg verwunschen, sein Herz zuckte schmerzlich auf unter dem Liebespfeil des arglistigen Gottes. Schon hob er die Hand nach der süßen Schläferin.

Ein Hahn meldete sich. Es ging gegen die Frühe.

»Leb wohl, schönste Wittib!« seufzte da der Ritter. »Ein anderer wird dich trösten. Jedes Ding findet seinen Reim.«

Und wahllos schöpfte er eines der Bücher aus der Truhe und begab sich damit eilends von hinnen.

*

Pütrich ritt über die verwurzelten Waldwege. Die Nacht war eben verschieden. Ein Einsiedel läutete den Tag an. Ein früher Ackerer ließ sein Gespann rasten, kniete auf dem Feld hin und betete. Frühvogelsang hub an. Es regnete leise. Vor einer einschichtigen Pestkapelle stieg der Reiter ab, rammte das Schwert in den Rasen, setzte ihm seinen Hut auf und band das Ross daran.

Die Kapelle war verwahrlost. Ruchlose Hände hatten den Opferstock aufgesprengt, der wurmstichige Heilige am Altärlein hatte ihnen nicht gewehrt. In der blechernen Ampel brannte Seife, und es roch nicht wohl. dennoch ließ sich Pütrich auf einer Bank nieder und öffnete das Buch. Ein Spitzfensterlein gab ihm Licht.

Das Buch war pergamenten und kunstvoll geschrieben und bemalt. Das Leben vieler wackeren Heiligen, die ihr Haupt um das Himmelreich hergegeben, war darin erbaulich zu erfahren, sonderlich das des heiligen Wilhelm mit der kurzen Nase, der, von Schnapphähnen überfallen, sich geduldig ausplündern ließ, und der erst, als sie ihm die Hosen nehmen wollten, aus Scham über seine Blöße sich wehrte und die Räuber niederschlug. Ein Bildlein dabei schilderte die Beraubung des Heiligen und eine Landschaft mit warnendem Galgen und den Spitzen ferner Schneeberge, Felskuppen und Schlössern, dazu gewundene Steige empor führten, und Flüsslein und Fischen, artig in die Wellen eingezeichnet, und blauer Ferne.

Während Herr Jakob Pütrich, verloren in Buch und Bild, in dem Fieberkirchlein verweilte, schlichen sich draußen die übeln Drillinge an, bemächtigten sich des Schwertes und traten in das Tor.

»Tu das Geld aus dem Sack, es erstickt dir drin!« drohten sie den Ritter an.

Der Überrumpelte ließ das Buch fallen und fuhr in die Höhe. Er sah die Unkerle von gestern vor sich, die grobschlächtigen Buben, sein Schwert in den Händen.

»Bleib fein still, sonst stech ich dich, dass dir das Schmalz herausspritzt!« warnte der eine, ein Fuchskopf voller Räude um den hämischen Mund. Er ließ sein Metzgermesser blinken.

Pütrich erkannte, dass ihn, den Waffenlosen, ein Wehren nur verderben konnte, also verlegte er sich auf das Predigen. »Lasst mich, Freunde! Hütet euch vor dem Anfang! Zuerst stehlet ihr eine Rübe, dann ein Schaf, dann ein Ross. Und wisst ihr, was auf den Rossdieb wartet?«

Zur Antwort zogen sie ihm das Wams aus, und einer hielt das Schwert erhoben, den Ritter niederzuschlagen, falls er sich ungeduldig oder widerspenstig zeige.

»Lasst ab!« predigte Pütrich. »Unrecht Gut zerrinnt. Was über gewonnen wird, kommt nicht auf den dritten Erben.« Sie nahmen ihm sein dickes Geld, zogen ihm den Siegelring vom Finger und steckten alles in eine wieten Sack.

Pütrich krümmte die Lefzen, als habe er in eine Ampferstaude gebissen. Er grollte: »Wisst ihr von den vier Dingen, die an den Tod gehen, wenn sie vor Gericht gebracht werden? Totschlag, Notnunft, Dieberei und Straßenraub!« Die zwei letzten Wörter brüllte er.

»Für uns ist kein Strick gewachsen«, grinste der Fuchskopf. »Tu her deinen spitzigen Schuh!«

»Du Schachmann, durch die Wangen lass ich dir den Namen ›Hieb‹ brennen!«

»Tu her den andern Schuh!«

»Euer Mutwille soll euch reuen, das Malefizglöckel soll euch geleiten!«

»Tu her die Hosen!« Mit Püffen halfen sie ihm daraus, als er sich sträubte.

Er tobte: »An den schändlichen Galgen mit euch, ihr unsanften Leute! Die Schädel lass ich euch abhauen und aufs Rad setzen!«

»Tu her das Hemd!« grölzten sie ihn an.

Zornbrünstig schnob er: »Ihr wollt mir tun wie dem heiligen Wilhelm? Wie soll ich wieder unter die Leute gehen ohne Hemd und Hosen? O wie unminniglich handelt ihr an mir! Herrgott, hilf, und ich stifte ein Öllicht für diese Kapelle und lasse einen zinnernen Turmkopf darauf setzen!«

Trübselig stand er da in seiner leiblichen Blöße. Doch war sein Leidensweg noch nicht voll: denn jetzt bückten sie die Räuber auch nach dem Buch.

Pütrich taumelte, als wäre seine Stirn von einem Stoßbalken getroffen worden. »Das aus noch?« ächzte er. »Was fangt ihr unbelesenen Schelme mit dem Buch an? Begnügt euch des Raubes! Ihr habt vollauf genug. Und wenn euch der glitzernde Stein auf dem Deckel lockt, so brecht ihn euch heraus! Das Buch aber lasset! Wollt ihr mir denn alles nehmen?!« Dicke Tränen stürzten ihm über die Wangen herab.

»Die Haut lassen wir dir, und das ist genug«, erwiderten sie und steckten rippsrapps das Buch in den Sack.

Herrgott, da liefen die drei aber übel an! Wie ein angeschweißter Bär erhob sich Pütrich und riss dem einen das Schwert aus der Hand. Löwenwild schlug er darein. Den Fuchsköpfigen traf er auf die Pratze, dass ihm der Sack entfiel und das Blut von ihm sprang. »Stracks zum Teufel!« wetterte der Ritter.

Heulend rannten die drei. Der splitternackte Pütrich wie ein Zornengel hinter ihnen her. In den Wald trieb er sie hinein, einen Schwall von Schmähwörtern ihnen nach schießend. »Ihr Diebshälse! Ihr Hagelschelme! Der Henker stümpfe euch die Ohren, wie ihr es verdient!«

Dann kehrte er in das Pestkirchlein zurück und kleidete sich gemächlich wieder an.

Er bückte sich nach der Storchenfeder, die einer der Räuber verloren hatte, schnitt den Kiel zurecht, tauchte sie in eine Blutlache und setzte sich dann auf eine Bank. Das Buch auf den Knien, schrieb er mit seiner mannhaften Schrift auf die Innenseite des Deckels:

»Das Buch da ist mir lieb.
Stiehst du mir's, pfui, schäm dich, Dieb!
Seiest Ritter oder Knecht,
bist doch für den Galgen recht!«

Hernach prellte er einen fröhlichen Wind in die Hosen, wie er es allmorgendlich zu tun pflog, wenn er angenehmer Laune war. Und er ritt hindann, das Buch wie eine geliebte Frau vor sich auf dem Sattel und rief lachend: »Hojoh, Gott verlässt keinen Bayer! Hungert ihn nicht, so dürstet ihn.«


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