Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Heilige Saat

Tief im Nordwald hatte der Eibenstöcker einen kleinen versteckten Fleck Erde umgebrochen, dort wollte er heuer sein Korn bauen. Jahr für Jahr hatten ihm die Kriegsleute die Ernte verdorben. Diesmal sollten sie seinen Acker nimmer aufspüren.

Er wischte sich den beißenden Schweiß aus der Stirn und half der müden Kuh, die ihm den Pflug duch die unwegsame Gegend heim zog. »Halt dich still, Schelhorn«, warnte er sein Tier, »die Bauernschinder dürfen uns nit hören.«

Wo vormals das Dorf gewesen, lag nur mehr Asche und verkohltes Gebälk. Im vergangenen Herbst hatten durch ziehende Kroaten das, was nach langer Kriegszeit noch geblieben war, ausgebrannt und ausgemordet bis auf Wurz und Stängel. Die letzten Leute waren aus dem unglücklichen Ort geflohen.

Nur der alte Eibenstöcker hielt sich. Von aller Habe besserer Tage hatte er nur die dürre Kuh gerettet, die ihm am Acker half und ihn tröstete mit ihren stillen, geduldigen Augen.

Auf verwildertem Steig zogen Mensch und Tier den Pflug durch ein Dickicht in eine windschiefe, geborstene Scheuer. Dort drin hatten die Bauern während der übeln Jahre ihr Korn verborgen. Jetzt war die Scheuer leer.

Der Alte band die Kuh an einen Pfosten und legte ihr ein Bündel Heu vor. Hernach kroch er auf den Boden hinauf unters Bretterdach. Droben lag ein Sack mit Saatgetreide, den öffnete er und wühlte mit dem Arm tief hinein und ließ die Körnlein durch die Finger rieseln und freute sich des Spieles.

Schließlich schnürte er den Sack wieder sorglich zu, ließ sich damit auf die Tenne hinab und lud ihn auf die Schulter.

»Heunt schlaf ich bei euch, meine lieben Körnlein«, redete er. »Ich trau nimmer. Ein Schuft könnt euch mir stehlen.«

Auf krummem Rücken schleppte er den Schatz zu seinem Schlupf, einer elenden Holzhütte, sie war den Soldaten zum Anzünden zu schlecht gewesen.

Davor stand ein Kreuz. Der Eibenstöcker hatte es aus dem öden Dorf her verpflanzt: der Herrgott hat gern Leute um sich, und auch der Alte war froh, dass er jemand bei der Hand hatte, mit dem er dann und wann reden konnte.

Dem Gekreuzigten war der Arm abgeschlagen; nicht einmal die bittere Rast am Kreuz hatten sie ihrem Herrgott vergönnt, und so hing er mit wilder Gebärde vom Holz nieder, als wollte er sich davon lösen.

Der Bauer rückte den Hut. »Einen neuen Acker hab ich aufgerissen, Herrgott. Eine heimliche Stelle ist es, du selber tätest sie nit finden. Und morgen bau ich das Korn. Die Zeit ist da: der Wiedehopf ist schon kommen, und der Saft steigt aus den Wurzen ins Holz.«

Der am Kreuz droben klappert traurig im Wind.

»Was greinst du, Herrgott? Sei nit verzagt! Ich bleib bei dir im Notwald, ich lass mich nit auswurzeln. Ich nit! Siebzig Jahr schon hause ich da. Und wo in aller Gotteswelt find ich ein so mildes Wasser und eine so linde Luft wie daheim? Nein, nein, wenn du glaubst, Herrgott, ich renn davon, da irrst du dich. Ein Bauer, wenn er schon zum Abdürren ist, er schlagt wieder aus wie eine Felberstaude. Das merk dir, Herrgott!«

In der finstern Stube legte er ächzend den Sack ab. Dann stellte er Wasser auf den verfallenen Ofen und brockte in den Topf ein erdschwarzes, steinhartes Brot. Das Feuer lebte auf, und Rauch erfüllte den Raum.

Der Bauer zog eine breite, plumpe Wiege herfür und trat sie, dass sie langsam schaukelte. »Darfst deinen Gang nit vergessen, Wiege«, mahnte er. »Die Zeit kommt, da liegen wieder kleine Bauern drin. Da wachsen die Kinder wieder wie das Grummet. Das Land wird nit leer.«

Er ließ die Wiege gehen und dachte seiner Brut, die einst drin gelegen und nun verdorben war vor lauter Krieg und lauter Krieg und verschollen, und er summte, und um den verwitterten Mund spielte ein halb verlerntes Lächeln. »Ei ja, Flachs will ich auch bauen, den Kindern sollen wieder Hemdlein wachsen«, nickte er.

Da lärmte es draußen. Ein Reiter klirrte vom Gaul herab und stieß das Haus auf. Ungestüme Augen brannten in einem zerfetzten, argen Gesicht.

»Was siedet auf deinem Ofen?« rief der Fremde. »Rupf mir auch eine Henne, du Spitzbub!«

Der Alte nahm demütig die Haube ab. »Vergelt dir Gott den Genuss, Herr Schwed!«

»Her mit dem Geld, oder ich hau dich, dass du elftausend schreist!«

»Bin ich der Talerschmied, Herr Reiter? Kann ich das Geld speiben? Ich hab nix mehr. Fünfmal schon haben mich die Blutschinder ausgeraubt.«

Der Schwede bog sich den Bart. »He, schiltst du meinesgleichen? Verleugne dein Geld nit! Sonst soll dir das Mark aus dem Schädel rinnen, du Hundsquint!«

Dem Alten flog eine schier schwarze Röte übers Gesicht, und er hob den Hut wie zum Schlag.

Doch der Reiter stand prahlerisch in seiner üppigen Kraft und lachte: »Du machst mich nit blutrünstig, sieben wie dich steck ich mir um den Hut. Jetzt, Kerl, tritt her und greif mir mein Fleisch und mein Blut an!« Sein Eisen fauchte durch die Luft. Und er hielt dem Alten den Schwertknauf unter die Nase. »Da schmeck! Da hinein sollt ihr Bauern noch beißen, bis euch die Zähne brechen!«

Der Ebenstöcker setzte sich schweigend zur Wiege hin.

Der Soldat aber riss den Topf vom Feuer und roch daran.

»Bauernfraß!« sagte er und spie darein.

Hernach warf er sich in die Wiege, das sie krachte.

»Wieg mich, Alter! Säum dich nit, runzel nit das Hirn! Wieg mich und sing!«

Da trat der Alte die Wiege. Sie bewegte sich knarrend unter der ungewohnte Last, und er sang eintönig dazu:

»Ist allweil wie g'wesen,
wird wieder wie sein,
ist alles vergangen,
wird das auch vergehn.«

Der Reiter in der Wiege lachte so unbändig, dass er fast um den Atem kam. »Du Narrentanz«, schrie er, »ist das ein seltsam Wiegenlied! Aber die Bauernzeit kommt nimmer, der Soldat ist ein ewiges Ding. Und nit ein Zaunstecken darf stehen bleiben in Deutschland.«

»Deutschland?« fragte der Alte. »Was für eine Gegend ist das?«

»Haha, du dummer Schelm, Deutschland, das ist das Land, das jetzt unter dir verbrennt.«

Mitten im Wiegen fuhr der Bauer auf und lauschte starr wie in etwas Furchtbares. Dann rannte er davon.

Draußen lockten und plärrten und muhten raue Soldatenkehlen in den hallenden Wald hinein, und des Eibestöckers Kuh erwiderte in Heimweh nach Geschöpfen ihrer Art und verriet ihr Versteck.

Der Bauer kam gerade recht, zu schauen, wie die Schweden das Tier mit sich trieben. »Ihr Kriegsleut, ihr guten Kriegsleut«, bettelte er, »die Kuh lasst mir! Wie kann ich sonst leben?!«

»Friss Erde, wenn dich hungert!«

»Eggen muss ich mit ihr, Korn eineggen! Bitt euch, lasst mir das Viehlein!«

»Spannt Wölfe vor die Egge!« entgegnete einer, legte auf den Alten an und schoss.

Aufheulend vor Leid und Wut, entrann der Bauer. Die Nährerin war ihm genommen, die Helferin, an deren warmem Leib er sich oft trostsuchend gelehnt hatte im schweren Winter!

Der Abend sank, Raben durchstöberten den Wald, darüber der Mond wie ein goldenes Kuhhörnlein leuchtete.

Durch die Wildnis glomm ein roter, wilder Schein, Rauch wehte durch das Dämmer. Den Mann ergriff eine namenlos schreckliche Ahnung. Er keuchte heimzu.

Er hörte es prasseln und knallen. Seine Hütte brannte lichterloh.

Er sprang hinein. Die brennende Wiege riss er heraus.

Hinter ihm brach das Dach sprühend ein, die Wände neigten sich. Das Haus sank in Glut.

Mit verwirrtem Blick folgte der Mann den Gebärden des Feuers. Die Hände hingen ihm müd. »Jetzt hab ich kein Dach mehr, muss schlafen auf unserm Herrgott seinem Laub und Gras.«

Eine jähe Erkenntnis überrannte ihn. »Ach weh und überweh, mein Getreid verbrennt, meine gelben Saatkörnlein!«

Verzweifelnd drang er gegen das Haus vor. Glut und zuckendes Licht wiesen ihn zurück.

»Das letzte Brot haben sie mir vom Maul gerissen«, winselte er. »O meine guten Saatkörnlein! Jetzt ist es aus mit mir.«

An das hohe Kreuz trat er, den einarmigen Heiland riss er herunter, reckte ihn gen das Feuer. »Da schau her, Herrgott, das ist deine Ordnung!«

Aber er erschrak vor seinem Wort, er legte den Gekreuzigten auf den Rasen, warf sich hin und betete wirr und heftig. Die zerschrundenen, geplagten Hände, die Hände mit den wilden Aderstriemen hob er gefaltet empor, als hielte er sein Gebet weit von sich.

»Herr, verzeih mir die Sünd! Aber ich trag viel. Sechsmal im Feuer! Das letzte Korn hin! Ich trag es nimmer.«

Der Wind hob ihm das graue Haar. Die Flammen trieben ihr grausames Spiel.

»Hätt ich die Saat in den Schnee gestreut, der harte Winter hätt sich erbarmt und hätt sie aufgehen lassen! O weh um die liebe Saat!«

Er legte den grauen Kopf auf das Heilandsholz und schluchzte.

»Irgendwann hat es Korn geregnet. Aber das geschieht nimmer, die Welt hat die Wunder verscheucht mit ihren blutigen Waffen. Waldauf, waldab ist das Land öd, und keinen Nachbarn hab ich mehr. Wer soll mir denn helfen?!« Er richtete sich auf. Die Sterne begannen den hellen, stillen Wandel.

Er murmelte: »Es ist allweil etwas, was den Himmel hält. Vorzeiten, wie der Tod im roten Mantel sich hat über die Moldau fahren lassen und die Pestilenz mitgebracht hat in den Wald, da hat mancher gemeint, die Welt hört auf. Sie steht heut noch. Aber mir hilft nichts mehr. Ich muss davonrennen aus dem Notwald.«

Sterne kreisten, Wald sauste, und der Bauer saß die lange Nacht vor dem schwelenden Haus.

Doch als der Morgen im Gewölk glühte, sprang er von der Erde auf, wie eine gebogene Rute aufschnellt. Die alte Scheuer suchte er heim.

Drin kniete er hin und tastete und spähte. Da lag ein Körnlein auf der Tenne, dort ein zweites, ein drittes. Er legte sie in seinen Hut. Dort barg sich eins in jener Fuge, unter einem grauen Brett fand er ein vergessenes Häuflein.

Auf allen Vieren kroch er herum und sammelte. Er kletterte auf den Boden und holte aus allen Ritzen die kärglich verstreuten Reste alter Ernten, und als es Abend wurde, war der Hut fast voll.

Und dann kniete er im Notwald auf dem aufgetanen Feld, er stach mit dem Finger kleine Löcher in den Grund, legte in jedes zärtlich ein Korn und deckte es sanft und sorgsam mit Erde. Der Frost sollte keines davon töten, kein Vogel eines finden, kein Wind eines verwehen.

Zwei raue Tage kniete er gebückt über das mühselige Werk, und da er es vollbracht hatte, sagte er: »Herrgott, ich dank dir, dass du mir langsamem Mann die Geduld gibst. Und so soll es nit unter mir verderben, mein Flecklein Deutschland.«

Aus dem Gewölk fuhr ein lichter, starker Sonnenstrahl und berührte den Bauern, und ihm war, Gott senke ein starkes Samenkorn in seine Seele, und ihn schauderte.


 << zurück weiter >>