Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sankt Kunigundens Feuergang

Als Kaiser Heinrich der andere durch eine Bergeinöde ritt, wo nichts zu hören war als das Singen der Waldwasser und das Klingen der Waldwipfel und hin und wieder die Rufe unsichtbarer Tiere, erhob sich plötzlich ein Hirsch aus dem Dornengrün und warf sich mit schnellen Sprüngen in die Flucht. Von jäher Jagdlust erregt, sprengte der Kaiser ihm nach und hetzte ihn so hitzig, dass sein Gefolge weit zurückblieb. Und dennoch hätte er das schleunig Wild nicht eingeholt, wenn es sich nicht mit dem weitverzackten Geweih in den Ästen eines niedrigen Baumes verhangen hätte, so dass es nimmer von hinnen konnte. Schon zückte Heinrich den Spieß, da sah der Hirsch ihn mit glühenden, höhnischen Augen an, stieß ihm seinen brausenden Atem in den Bart und sagte mit der Stimme eines Mannes: »Reit heim, Jägerlein, deine Frau liegt in den Armen eines anderen!«

Der Kaiser erschrak vor diesem redenden Mund und noch mehr vor dessen Weissagung. Er ließ ab von dem verhangenen Hirsch und lenkte sein Ross eilends bergnieder, auf dass er bald heimkomme in seine Pfalz und sich überzeuge, ob das wunderbare Tier die Wahrheit verkündet habe. Denn dumpfe Eifersucht fraß sich wie ein böser Wurm durch sein Hirn.

Unterwegs traf er im tiefen Holz einen Kohlenbrenner an, einen schmutzigen, plattnasigen, misswachsenen Menschen mit schiefen, verquollenen Augen, und der hielt ihm verwegen die Schürstange quer über den Reitsteig, ihn zu hemmen, und grinste mit den grellen Zähnen und sagte mit grober Stimme, die genau so klang wie vordem die des Hirsches: »Alle Leute im Land wissen es, nur der Kaiser weiß es nicht.«

Heinrich glaubte sogleich zu erkennen, was das Rätsel des schwarzen Weglagerers bedeute, und er wollte mit dem Schwert diese schimpflichen Worte ahnden, doch da war der Köhler verschwunden und vom Wald verschlungen, und nur die halbverkohlte Schürstange lehnte an dem Gebüsch.

Mit leisem Grauen ritt der Kaiser weiter. Und die Eschen säuselten, und die Eichen sausten: »Heinrich, deine Frau liegt in den Armen eines andern!« Und die Elstern meckerten es spöttisch, und drohend trommelte es der Specht: »Deine Frau, ja deine Frau!« Und der Bach zischte es ihm, und ein böser Geist lachte es in seinem Herzen, und aus jedem Laut der Welt und aus den Schreien seiner ergrimmten Seele hörte der Kaiser seine Schande heraus. Alles im Land wusste es, dass Kunigunde in verbotener Lust einem anderen Mann sich hingab.

Darum lächelten also seine Schranzen so falsch, seine Diener so abgefeimt, darum also züngelten sie hinter seinem Rücken und bliesen einander Geheimes in die Ohren. Im ganzen Reich schon mochte es ruchbar sein, dass der Kaiser, der hüftenlahm war und wegen seines verrenkten Fußes heimlich »der Hinker« hieß, von seinem Weib betrogen wurde. Und wie aller Argwohn blind ist, glaubte Heinrich sofort, dass sie einen gerade schreitenden Mann dem lahmenden Gemahl vorzöge, und dachte gar nicht daran, dass in ihrem steten tugendhaften Wandel ihre Unschuld schon längst bewiesen war, sondern er jagte in rasendem Ritt dahin, sie bei untreuer Tat zu betreten und zu strafen.

Er fand die Kaiserin in ihrem Betkämmerlein knien. Seine sonst kühlen, verhaltenen Augen brannten, und er flammte sie an: »Der Unkeuschheit beschuldigen dich die Leute. Sie sagen, indes ich auf rauer Reise gewesen, habest du sündig die Welt umarmt und geschwelgt in Missetaten. Schweig! Leugne nicht! Ich fühle es schon längst, du verachtest mich meiner leiblichen Gebrechen wegen und liebst mich nicht.«

Kunigunde richtete sich im Betschemel auf und sah ihn voll leidvollen Staunens an. Aber sie verwahrte sich nicht gegen die furchtbaren Worte, die sie entehrten, ihre Lippen blieben stumm, als habe König Salomo seinen Siegelring darauf gedrückt.

»Wehr dich!« fuhr er sie an. »Steh nicht so tot! Sag mir, dass alles nur eitles Geschwätz ist und nichtwürdiges Gerücht!«

Sie erwiderte mit starrem Mund: »Wie kann ich mich rechtfertigen, wenn Ihr, gnädiger Herr, es schon glaubet?«

»Es es ein Ritter gewesen oder ein elender Knecht? Mit wem hast du dich vergangen?« fragte Heinrich, sich selber zur Qual. »O alle meine Kronkleinode gäb ich darum, wenn es offenbar würde, dass alles nur Lüge ist!«

Sie sagte mit großer Demut: »Herr, was soll ich tun, dass ich mich reinige von dieser Schmach und dass dein Verdacht zuschanden werde?«

Er keuchte: »Nicht dein schwerster Schwur, nicht der Mund von tausend Zeugen kann dieses schmähliche Gerücht aus der Welt tilgen. Der allwissende Gott selber müsste sprechen!«

Sie erblasste: »Herr, ich will alles dulden, was über mich verhängt wird.«

Da stöhnte er: »So reinige dich mit dem feurigen Eisen!«

Sie neigte sich wie eine sturmbetroffene Staude und flüsterte: »Ich will des leidenden Heilands Weg und Steg gehen.«

Sie hörte die Tür ins Schloss fallen, sie hörte den schleifenden Schritt des Kaisers draußen verhallen. In dieser Stunde war sie das einsamste, verlassenste Weib ihres Landes.

Empörung stürmte in ihr auf. Welcher frevle Mann mochte sie der ungeheuerlichen Schuld geziehen haben? Wer trieb sie zu dem feurigen Weg hin? Sie wollte den Ankläger kennenlernen, ihm in den giftigen Rachen schreien, dass er lüge; ihn niederstoßen mit der Gewalt der Wahrheit, die auf ihrer Seite war. Zurücknehmen wollte sie alles, was sie im Überschwang des Leides, überrumpelt von der unerhörten Beleidigung, dem Kaiser versprochen hatte. Wer konnte sie, deren Treue niemand bezweifeln durfte als ein rasender oder ein teuflischer Geist, wer konnte sie zwingen, auf der Glut zu wandeln?

Aber ihr trotziger Wille sank danieder und wich einer hohen, schmerzergebenen Demut. Sie kannte ihren Gemahl: ihre heiligsten Beteuerungen würden die Abgründe seiner wahnbefangenen Seele nicht erhellen, immerdar würde das Misstrauen wie ein giftiger Dorn in ihm haften und gleich einer schmutzigen Wunde schwären. Und würde die hämische Welt ihren Worten glauben? Wahrhaftig, eines nur frommte: der Richterspruch Gottes!

Kunigunde näherte sich dem Kamin. Die Flammen drin flatterten und schienen mit Geisterzungen zu flüstern. Und die Kaiserin redete: »Feuer, an deiner Glut soll ich erprobt werden. Allwissend bist du wie die Sonne, deine Mutter. Du wirst mein Fleisch nicht versengen. Offenbaren wirst du mein lauteres Leben.«

Doch erinnerte sie sich, wie sehr weh es ihr getan, da sie einst, ein spielendes Kind, durch die Brennnesseln gewatet war mit nackten Füßen, und in solcher Erinnerung entblößte sie ihren Fuß und tat ihn ängstlich zu dem Feuer hin und zuckte zurück wie vor dem schmerzlichen Stich einer Natter.

Nieder fiel sie vor dem elfenbeinernen Kreuz. »Wie bin ich kleingläubig und des Himmels gar unwürdig!« klagte sie. »Herr, tröste mich! Die Welt mag sich in mir irren, das Feuer mag mich gefährden und vernichten! Über alles hinweg kennst du mich, du stiller, schauender Gott!«

*

Über Berg und Tal flog die Kunde von der treulosen Kaiserin, und war der Ursprung dieses verruchten Gerüchtes doch nur des Kaisers Herz, das in Eifersucht sich selbst zerfleischte und grausam in seiner Zerfleischung wühlte und dennoch inbrünstig nach Heilung sich sehnte, die aus dem Wunder kommen sollte.

»Tanzen soll die Kaiserin auf der roten Glut!« hieß es in allen Gassen.

Auf dem blumigen Anger vor dem Dom versammelten sich die stolz und steil geinfelten Bischöfe, die gekrönten Äbte und die Edelsten des Reiches. Kaiser Heinrich saß unter einem Atlashimmel, der von vergoldeten Stangen getragen wurde. auf seinem blauen Prunkmantel waren Sonne, Mond und Sterne und die Zeichen altheidnischer Planetengötter in Gold gestickt. Heinrich war bleich, als habe er mit der Hölle gerungen; seine Augen fieberten; an seiner Stirn hing noch ein Rest der Asche, womit er sich berußt hatte. In der Nacht hatte er sich von einem Mönch geißeln lassen: das tat er immer, ehe er die Abzeichen seiner Würde anlegte.

Von einer Schar weißverschleierter Nonnen geleitet, kam Kunigunde. Sie war vor Leid und Fastenschmal und geisterhaft: der Tod schien schon in ihr zu leben. Nächtelang war sie im Dom vor dem Altar gelegen, mit rosenkranzgefesselten Händen betend, wachend und mit sich selber ringend. Ihre fürstlichen Kleider hatte sie abgetan und dazu gesagt: »Schaum der Welt!« Nun trat sie daher mit bloßen Füßen und in grober Kutte, im schmählichen Gewand einer Büßerin. So hatte sie es verlangt.

Ein goldener Tragaltar war mitten in das hohe Gras gestellt, und davor lagen sieben Pflugscharen, und der Bischof von Regensburg besprengte sie mit geweihtem Wasser, segnet und besprach sie: »Heilige, allmächtiger Gott, dieses Eisen und erfülle es mit deiner Kraft, auf dass jeglicher Trug der falschen Geister fernbleibe und die Wahrheit deines Gerichtes, allwissender, allgerechter Gott, deinen Gläubigen offenbar werde!«

Sieben Priesterjünglinge trugen dann feierlich die Eisen zu einer Esse, die auf dem Domanger errichtet worden war, und sangen dabei das Lied, das die drei Männer im Feuerofen gesungen, davon der Seher Daniel in seinem Buch erzählt. Und nun wurde das Feuer geweiht, das die Pflugscharen in seinen wabernden Schoß aufgenommen hatte, und wurde beschworen, auf dass die Kunst des Teufels daran versiege. Und während das Eisen die Gewalt der Flammen an sich erfuhr und langsam daran erglühte in düsterem Prunk, feierte der Bischof die Messe.

Wie ein steinernes Bild kniete die Kaiserin vor dem Altar. Und als die Gottheit unter dem heiligen Zauber des Priesters eingekehrt war in Brot und Wein, bot der Bischof Kunigunden die Hostie und sagte: »Bei dem dreifaltigen Gott ermahne ich dich, dass du nicht wagest, das Abendmahl zu nehmen, wenn du getan hast, wes du bezichtigt wirst!«

Sie öffnete den wundenroten, wundenschmalen Mund, empfing das Himmelsbrot, und man sah ihren schmalen Hals schlingen. Und sie winkte einem der dienenden Priester, und als er mit dem Evangelienbuch zu ihr hintrat, legte sie die weißen, wie mit Mondschein gewaschenen Finger in das elfenbeinerne Buch und hub an, wie aus einem Bann heraus zu reden: »Erstarren und erschmerzen sollen die Finger, die ich hier zum Eide strecke, stürzen soll mein absterblicher Leib in gähen Tod, wenn ich jetzt lüge! Gott, dich nehme ich zum Zeigen, dass mich weder mein Gemahl Heinrich, der hier zugegen ist, noch ein anderer Mann je in irdischer Liebe berührt hat!«

In der Schmach dieses Augenblicks brauste der Kaiser auf; seiner Würde vergessend, sprang er hin, sein Geheimnis zu verdecken, mit den Händen packte er Kunigundens Haupt und presste ihr den Mund so grausam zu, dass er sie verletzte und ihr das Blut von den Lippen schoss.

Dann aber erschrak er vor seiner Gewalttat, er hinkte zurück zu seinem Thronstuhl und verhüllte sein Gesicht. Und er sah nicht den Bischof die Kaiserin wie zum Tode salben, mit Öl salben die schmalen Füße, die den glühenden Teppich beschreiten sollten.

Aus einem Versteck hinter der Esse löste sich die schnöde Gestalt des Henkers, der sich dort verborgen gehalten, und mit einer langen Zange holte er die glühenden Platten aus dem Feuer und legte sie wie eine Brücke nebeneinander auf den Rasen hin. Dabei kehrte er sein Gesicht von der entsetzlichen Hitze ab, darunter sich seine wirren Haare und wilden Brauen krümmten.

Zwei Äbte wollten die Kaiserin zur Marterstätte führen, sie wies sie mit leiser Gebärde zurück.

Im Blau droben schwebten zartsilberne Wolken, unschuldige Vögel sangen, Blumen lächelten, Bäume ragten und Türme der Stadt. In Schmerz, der aus den Lebens innerster Tiefe brach, in unendlich wehmutvoller Freude sah Kunigunde die Welt um sich, die sie nur wie ein einem Traum genossen hatte, und ihre Seele, die nie voll erwacht war, entfaltete sich zu einem letzten, ungewissen Wunsch.

Dann senkte sie den Nacken und flüsterte: »Schein! Alles Schein! Welt, du glühst herrlicher als die Kohle im Brand und wirst doch wie sie trübe Asche. Vorüber, du geschwinde, böse Welt!«

Als sie aber die sieben Eisen in schroffer Glut vor sich sah, dir rings den Rasen sengte und davon es ihr verderblich entgegen wallte, als die roten Platten vor ihr lagen wie eine Treppe, darüber der Weg aus dem Leben hinausführt, da regte sich in ihr die Angst des irdischen Geschöpfes.

Sie schaute auf ihre Füße nieder. Wie eine Braut zögerte sie, danach der Tod die Arme ausstreckt, sie heimzuholen. Sie starrte die Eisen an: einst hatten sie in frommem Geschäft die Erde des Pfluglandes gehoben. Wie schrecklich funkelte jetzt dieses Gerät!

Und an der Glut kauerte der Mann, der das Amt des Scharfrichters verweste. Die Kaiserin sah sein stumpfes Gesicht mit der runden, niedrigen Stirn, die verquollenen Augen, deren eines schief stand, die aufgestülpte, platte Nase, die in ihrer verschwindenden Geringheit sehr hässlich war.

Ihr graute vor diesem Mann. Ihr schwindelte, und ihr war, sie stünde mitten in fließendem Glas. Sie hielt sich die dünnen, nonnenweißen Hände vor die Augen. Ihr Geist verlor sich ins Leere.

Kunigunde säumte noch immer. Durch ihre durchscheinenden, mageren, vom Beten verzehrten, schier übersinnlichen Hände grellte die Glut hindurch. Sie ließ die Arme sinken.

»Sie fürchtet sich!« murmelte der Kaiser.

Aber da wurden ihre Augen demantsteinern, eine Leidenskraft ohne Grenzen bemächtigte sich ihrer, sie beugte die Knie, faltete die Hände und sagte: »Gott!«

Schaudernd und von einem unsäglichen Wohlgefühl durchdrungen stand sie auf dem ersten Eisen. »O, wie kühl!« sagte sie.

Die zweite Platte sprühte Funken, doch die Ferse der Unschuldigen entwaffnete die knisternde Glut. »Kühl wie Rasen ist das Eisen!« sprachsie.

Als sie die dritte Pflugschar betrat, lächelte sie und fragte: »Wandere ich auf roten Rosen?«

Mit Gebärden, als wäre sie in einen lieblichen Traum verwunschen, schritt die Jungfrau von Schar zu Schar wie auf samtkühlen, weichen Pfühlen. Auf jeder hielt sie eine Weile still. Unbeschreibliches schien sie zu erleben auf ihrer Reise.

Das sechste Eisen glomm in Weißglut unter ihrer Ferse, und es war, als müsse es bersten. »Nun steh ich auf einem Lilienblatt«, sagte die Kaiserin sanft.

Eine steile, weißflammende Wolkenwand hatte sich über den Bergen erhoben und weilte ohne Regung wie für alle Zeiten auferbaut, wie eine Burgmauer, dahinter entrückte Heilige schlummern.

Kunigunde stieg auf das letzte Eisen. Sie kniete darauf hin, und ihre Stirn trug den Schimmer der Verzückung. »Ich knie auf einer hohen Wolke«, stammelte sie und bewegte die Arme, als schwebe sie aufwärts.

Dann betrat sie taumelnd wieder das Gras. Wie aus einem seligen Schwebetraum war sie erwacht in die nüchterne Welt, und die Erde tat ihrer Ferse weh. Sie sank einer weißen Nonne in den Arm

Ihre Füße waren heil und unversehrt.

Doch tief war ihre Spur den glühenden Eisen eingeprägt.

Der Henker schnellte mit krächzendem Schrei empor, seine Seele riss sich als Sperber von dem Leibe los und flog in die flackernde Esse hinein.

Jetzt löste sich das schaudernde Schweigen der Zeugen, und alle, Priester, Nonnen und Laien, von der Kraft des Wunders bewegt, huben brausend an zu singen: »Dich Gott loben wir!«

Zerknirscht näherte sich Heinrich seiner Gemahlin, er legte ihr seinen Sternenmantel um die Schultern.

Sie schritten gegen den orgelbrandenden Dom. Und als der Schatten der Kaiserin auf einen eiterflüssigen, aussätzigen Bettler fiel, der vor der Pforte kniete, erhob sich dieser gereinigt und gesund und pries die Kraft Gottes in seiner Heiligen.


 << zurück weiter >>