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Albertus und der Mörder

Der Mönch Albertus wanderte von Regensburg nach seinem Bergschloss Stauf. Ob er auch zu hohen Ehren gekommen war, lebte er doch so arm wie der geringste Lautpriester seines Bistums, er verschmähte auf seinen Reisen ein Reittier und ging in der rauen Tracht seines Ordens und in groben Bundschuhen.

Große Wolken schwebten über die Ebene, deren Rand die Donau säumte, die Königin der Wasser. Libellen flatterten wie schöne, glitzernde Gedanken des Flusses, der schwermütige Schrei des Wanderschwanes scholl. Und Albertus sah die jungfräulichen Völker der Immen und Ameisen von stetem, rastlosem Trieb beseelt, sah die klugen Spinnen ihr kunstvolles Jagdnetz spannen, die Wespen aus ihrem papierenen Klösterlein schlüpfen, den Wegrich blühen und den Wels, den Donaugrafen wallen mit rüstigem Flosse. Und wie er also das dämmernde Getier, die verschwiegenen Pflanzen und den rätselhaften Stein betrachtete und die Welt sah schwellen und drängen und Formen in unabsehbarer Zahl hervorbringen, dachte er nach, wie er in das wuchernde Gestrüpp der irdischen Dinge Ordnung bringen, wie man die Welt im Wort ordnen und eingrenzen könne, auf dass man Gott umso mehr in seinem trotz aller Vielfalt der Schöpfung einheitlichen und klaren Plan erkenne und verehre. Und er grübelte darüber nach, wie er die Gedankenströme, die aus dem edeln Heidentum hervorgebrochen und herüber geleitet worden waren in die Gegenwart, wie er sie nutzbar machen könne, das hochgebaute Schiff des Christentums zu tragen, und wie er aus der Anschauung der reinen Natur heraus dartun könne, wie wundersam die natürliche Wahrheit und die göttliche Offenbarung einander stützten und durchdrangen. Und eine schmerzende Sehnsucht erfasste ihn, alle Geheimnisse zu durchgründen und alles zu erfahren, was die Männer des Altertums geschrieben und was die Schöpfung in sich barg, und das Erforschte dann zu lehren, auf dass Gott, der ewige und beharrliche Grund aller Erscheinungen, umso offenbarer werde in seiner Herrlichkeit.

Die Bäume geleiteten ihn in das Dämmergeheimnis des Waldes hinein, und er vergaß in seiner Vertiefung so sehr der äußeren Welt, dass er an dem Schloss Stauf vorüberging und in ein wildfremdes Gehölz geriet. Er mochte geregnet haben, denn er merkte auf einmal, dass seine Kutte feucht war, das Gras frischer funkelte und die Bäume trieften. So sehr war er in sich versunken gewesen, dass er des Regens nicht gewahr geworden.

Ihn hungerte. Er hatte in einem Dorf am Weg um Brot bitten wollen, aber darauf vergessen. Nun ließ er sich auf einer Lichtung nieder, legte den Stab neben sich hin und zog die Schuhe aus.

Und als er dann starr über sich in die Wolken blickte, die in ihrem jenseitigen, weltabgekehrten Wandel hingen, da durchschauerte es ihn auf einmal, als ob er Gott bis in seinen wildesten Abgrund, bis in seinen dunkelste Kern hinein begriffe. Hernach aber war es wiederum dumpf und dumm in ihm, alles zerfloss ihm im Nebel des Unbegreiflichen, und er klagte: »Wie kann ich Gott erkennen? Wie kann ich anderes erkennen als mich selbst? Sollte ich Gott verstehen, müsste ich Gott selber sein.« Also sprach er, und also rächten sich die Bücher der Heiden an ihm, die er gelesen und die die jüdischen und arabischen Gelehrten noch gefährlicher gemacht hatten mit ihrer Ausdeutung.

Albertus kämpfte und betete.

Stille Einsamkeit wob um ihn. Falter wanderten wie geflügelte Blumen; eine Biene, trunken vom Blute der Pflanzen, hub leise an zu singen. Süßen Duft schwemmte der Wind daher, so süß roch vielleicht der wilde Panther. Den Mönch übermannte plötzlich ein Paradiesgefühl, er hörte auf nachzusinnen und schloss die Augen.

Doch da krächzte warnend ein Rabe, da hob eine Schlange den gelben Hals. Gras raschelte. Kam der teuflische Waldunhold Pan?

Aus verkrallter Dornwildnis rang sich einer, die Augen böse wie ein Hecht, das Kinn stark aufgeworfen, versehen mit einem Sack und einem langen, scharfen Messer.

»Du müßiger Mönch!« rief seine Stimme.

Albertus fasste sich schnell. »Dich schickt Gott zu mir«, erwiderte er. »Was willst du hier im Wald?«

Die Augen des Fremden waren schreiend blau und grimmig.

»Ich steche die Leute nieder«, rief er.

Da erinnerte sich Albertus, dass viele Menschen in den Wäldern an der Donau verschollen waren und dass man die schlohweißen Gebeine hier gefunden hatte.

»Mir tust du nichts«, sagte er, »denn ich habe nichts. Armut ist auch unter Mördern sicher.«

»Ich glaub es nicht, dass du ohne Geld gehst, Mönch.«

»Schon vierzig Jahre trag ich keines bei mir, Freund. Und was willst du mit dem Geld? Es ist unfruchtbar und von Gott verflucht.«

»Nicht nach Geld verlange ich, ob ich es auch dem Wanderer entreiße«, sagte der Mann und ließ in düsterer Andeutung sein Messer leuchten.

»Ich fürchte auch einen Mörder nicht, seit ich weiß, dass Gott im Menschen ist«, redete Albertus. »Auch du bist, weil Gott dich will.«

»Lass dein Geschwätz! Willst du noch etwas Nützes tun, du mäßiger Mönch, so hör' meine Beichte!«

Da tat Albertus, als verstünde er es gar nicht, dass der Bösewicht einen grausamen Scherz mit ihm trieb, er zeichnete das Kreuz gegen ihn, der sich mit hämischem Mund neben ihn ins Moos niederließ.

Mit furchtbarem Blick begann der Mörder: »Vor Wochen hab' ich an diesem Ort einem Mönch begegnet. Ich hab' seinen Kopf in den Bach getaucht und ihn so lange trinken lassen, bis ihn nimmer gedürstet hat.«

Albertus erkannte, dass ihm jetzt der gewisse Tod bevorstand. Aber er wusste den Willen des Allmächtigen über sich, und so hielt er still und sagte nur: »Möchtest du dein böses Werk herzlich bereuen!«

Darauf lachte der Waldkerl: »Ich bereue, dass ich heute noch einen andern Geschorenen umbringe. Sprich mich los von dieser künftigen Schuld!«

»Sind das alle deine Sünden, Mensch?«

»Das Feuer hab' ich singen lassen auf den Dächern der Bauern, in ihre Häuser bin ich gebrochen. Denn ich hasse die Menschen wie der Wolf die Hunde.« Der misstätige Mann drohte mit dem Messer über den Wald. »Hütet euch! Ich will euch ein arges Fressen kochen. Auf einen hundenen Braten gehört eine wölferne Brühe. Treten will ich euch, dass das Blut von euch rinnt!«

»Hass tut unrecht«, sagte Albertus.

»Haben sie gut an mir getan, Mönch? Die Welt hat mich bös besungen. Aus großem Hunger hab' ich gestohlen, sie haben mich dafür henken wollen. Doch bin ich ihnen entronnen und muss in der Wildnis leben wie ein reißend Tier. O, eine Sichel ist nicht so krumm wie das Recht. Aber sie sollen es büßen. Ich will, was ich tu, am Jüngsten Tag verantworten.«

Wie ein Wahnsinniger die Faust in sein Wunde drängt und sie dehnt und vergrößert, so erinnerte sich der Mörder aller Unbill, die er erlitten, und er sprang auf. »Mönch ich geb' dir eine kurze Frist. Bereit dich zum Tod!«

Ein Falter setzte sich auf die Schneide des erhobenen Messers, seine Fühlfäden bebten. Albertus nahm ihn zart hinweg von dem Eisen und warf ihn in die Lüfte.

»Bereit dich zum Tod!« wiederholte der Mordmann trotzig. »Doch sag mir erst, wer du bist!«

»Ich bin Albertus, ein Mönch aus dem Orden der Prediger. Und ich bin der Bischof von Regensburg und dein Bruder.«

Der Mörder fuhr auf. »Wahrhaftig, du bist der Bischof! Ich hab dich mit der zerspaltenen Mütze in den Dom schreiten sehen, als ich mich jüngst in Regensburg eingeschlichen. Du bist der Bischof, der im Bundschuh über Land geht!« Er trat scheu einen Schritt zurück. »Du bist der starke Zauberer Albertus!«

»Auch du hast dies sagen hören?« fragte der Bischof.

Der Mann erwiderte: »Auf deinem Schloss Stauf hast du einen Menschen aus Holz gebaut, der kann sprechen. Kundig bist du der Weissagung der Vögel. Einen wundersamen Becher hast du, und wer daraus trinkt, ist geheilt, und wenn er auch auf den Tod daniedergelegen ist. Dem Kaiser hast du mitten im eisigen Winter ein blühend Deutschland vorgezaubert und ihn mit frischen Früchten bewirtet, die aus dem Tisch gewachsen sind. Dem König von Frankreich hast du die Tochter durch die Lüfte weggeholt.«

Albertus lächelte. »Der Teufel ist mein Ross, auf seinem Rücken bin ich durch den Wind nach Rom geritten, mit dem Papst zu reden.«

Der Mörder ermannte sich. »Nein, du bist kein Hexer«, sagte er langsam. »Das müsste ich spüren. Ich spüre nur, wie ohnmächtig du in meiner Gewalt hangest. Doch wenn du dennoch zaubern kannst, Bischof Bundschuh, so mach' die unsichtbar! Oder wirke ein anderes Wunder!«

Der Bischof ergriff seinen Stab und zog damit einen Kreis um sich. Dann sah er mit dunkelm Blick den wölfischen Mann an und rief: »Du kannst nicht in diesen Zirkel treten! Du kannst mir nimmer an!«

Und seltsam, wie sehr auch der Räuber sich mühte, in den Kreis zu dringen, er stand gebannt und wie versteint, sein Bein versagte, die Arme hingen ihm wie erstorben.

Da trat Albertus schnell aus dem Ring. »Jetzt töte mich!«

Der Mörder stammelte: »Bist du ein Gotteszwinger oder ein Teufelszwinger?«

»Ich bin ein machtloser Mensch«, erwiderte der Bischof. »Mich hungert sehr. Gib mir Brot!«

Der Mann kramte in jähem Gehorsam aus seinem Sack ein Stück Brot. Der Bischof segnete es mit schlichter Gebärde, brach es und gab dem Mörder die Hälfte.

Der schlang es hinunter.

»Ich hab' dir Brot gegeben und es mit dir gegessen«, murmelte er. »Wie kann ich dich jetzt töten? Und hast du gar mit deinem Segen Gott hinein beschworen in das Brötlein, und ich hab' ihn verzehrt?«

»Du hast Gott in dir«, sagte Albertus.

»Nein, nein, Mönch! Ich müsste das fühlen und fröhlich sein.«

»So bete! Das Gebet trägt dich zu Gott.«

»Was soll mir Gott? Er hat den Wurm verflucht, dass er auf der Brust muss kriechen. Er hat auch mich verstoßen.«

»Sprich ihn nur an! Sag nur das Wörtlein ›Vater unser!'«

Der grobe, verwilderte Mund zuckte, er widersetzte sich, er wollte das Wort formen, es misslang. Er hub von Neuem an und versagte wieder. Dann aber brach es rau heraus: »Vater unser!« Sein Leib bebte, und eine dunkle Verwandlung füllte sein Auge.

Und Albertus fühlte, dass am Rande dieser nächtlichen Seele Gott wetterleuchtete, und er drang in ihn: »Sag, lebt dir ein Weib? Hast du ein Kind?«

»Niemand, niemand!«

»Und wenn dir auch kein Mensch nahe ist, eine Mutter hast du doch. Sie hat dich wohl das Schlimme gelehrt, das du verübst?«

»Nein, Mönch! Sie ist ein frommes Weib gewesen. Sie ist nicht schuld, dass ich ein Wolf worden bin. Sie allein in der Welt hat mich geliebt. Mit erfrorenen Händen hat sie das Holz gebrochen im Wald, auf müdem Rücken hat sie das Holz gebrochen im Wald, auf müdem Rücken hat sie es heimgeschleppt, dass mich sein Feuer wärme im bitteren Winter. Ihr Leib ist verdorrt vor Hunger, damit ich mich habe satt essen können. Sie hat geweint, wenn ich geflucht habe. Weh mir, dass sie nimmer ist!«

»Sie ist noch«, sagte Albertus ernst. »Denn wie könnte der Tod die Liebe töten?! Ja, deine Mutter sieht vom Himmelsberg hernieder, sie sieht nur dich und deinen Wandel und das Messer in deiner Faust. Und wenn sie auch bei Gott ist, wie kann sie selig sein, wenn sie ihr Kind in der Hölle weiß? Denn du stehst in der Not der Flamme, Mann, und wenn du dich auch tausendmal auf Erden wähnst und im kühlen Wald!«

Der Mörder schaute verloren auf ein Wölklein, das braun und trächtig über die Wipfel glitt. Ein hastiger Regen besprengte das Gras und endete gleich wieder. Auf der Hand des Mörders blieb ein schwerer, warmer Tropfen haften.

»Die Mutter weint«, flüsterte er. »Sie sieht mich und muss immer betrübt sein mitten in der Seligkeit.«

»Bereust du?« sagte der getreue Mönch. »Das ist der Anbeginn aller Sühne.«

»Die Mutter in ewiger Betrübnis! Bischof, das darf nicht sein! Aber kann es je anders werden? Meine Schuld wiegt zu schwer.«

»Wer groß ist in der Sünde, kann noch größer sein in der Sühne.«

»Bischof, ich will mit dem Kreuz fahren übers hohe Meer!«

»Zuerst vergib denen, die dir Böses getan! Das ist dir nützer, als wenn du über das Meer zögest und dich legtest in das Heilige Grab.«

»So will ich gehen und hinknien unter das Schwert des Henkers!«

»Sühnen soll man im Leben, Mensch! Sucht die Liebe! Geh aus und suche ein Haus, daraus Vater und Mutter an der Seuche gestorben sind! Nimm dich der verlassenen Waisen an! Schaff ihnen Brot mit deinen riesigen Armen! Sorg dich um einen andern Menschen! Dann wird die Frau in der dunkeln Wolke droben lächeln, und die Welt wird daran lichter werden.«

Da neigte der Mörder das Haupt und ging.

Das Messer hatte er im Moos liegen lassen.

*

Auf den einschlafenden Wipfeln verstummten die Vögel. Es nachtete, und Albertus blieb im Walde liegen.

Der Himmel drehte sich über der Erde wie ein Rad, die sieben Flammen des Wagens brannten. Die Waldnachtigall hub an, im Mond zu singen.

Die Gestalt des Mörders wurde dem Bischof zum Sinn.

Wie wenig kann unser Verstand erfassen! Und wie viel der tiefe Urabgrund des fühlenden Herzens!

*

Der Morgen dampfte. Albertus schritt durch den flammenden Tau. Eine Schwanenschar stürmte ihm zu Häupten.

Er verließ den Wald. Droben auf dem Berg lag das Schloss Stauf. Zwischen den Gebüschen schimmerte die Donau friedlich und blau wie ein See Genezareth. Die Sonne brannte, ein mächtiges, vergeuderisches Liebesherz, im All. Und Albertus erkannte in der Welt den über die Gestade seines feines geistigen Wesens tretenden Gott.


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