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Die sieben Schwerter

Ein Schuss brüllte auf in der Nacht. aus dem Nebel hervor rannte das Passauer Volk und drängte ungestüm durch das Nordtor, das Verrat aufgezwängt hatte, in die streitliche Feste, alle Gegenwehr niedertrampelnd, die sich in den beschneiten Gässlein hob. Voll heißer Freude scholl der Ruf »Budweis genommen! Budweis unser!« durch die lebendige Nacht.

Rasch nacheinander schoben sich nun auch die Riegel des Krummauer und der Schweinitzer Tores zurück, und mi bellenden Trommeln quoll eine Satanspolternach in die Stadt. Johlend schleuderte die Fähnriche die Feldzeichen in die Luft, die Knechte surmten und fluchten in trunkenem Mut, und die Hufe der Kriegsgäule glitten klingend an dem Pflaster ab.

Durch das Brodeln und Tümmeln in den Gassen aus dem Schlaf geschreckt, wagten sich die Bürger ängstlich ans Fenster, prallten aber zurück, wenn eines Söldners dreiste Hand emporwinkte.

Als der Morgen die Zinnengiebel und Laubengänge freilegte, hielt das Passauer Volk den Ringplatz besetzt. Da wimmelte es von Federhüten und Eisenhauben, da starrte es von tollen, fremden Augen. Die blassen Gesichter umknistert von blassen Mühlsteinkrausen, kamen die Ratsherren der Stadt, mit dem Feldobristen zu verhandeln.

*

Wo der Malschingfluss in die Wuldach fällt, strebt klotzig und verschlossen, Dächerwerk und Ringmauern mürrisch überwachsend, das Spitzhäubel auf. Den braunschuppigen Ziegelhut tief in der Stirn, lauert der Turm mit den kleinen Fenstern wie mit tückisch verkniffenen Augen in die Ebene hinaus.

Zwei Knechte waren aus dem Schanzgässlein, das sich hart an die Stadtbefestigung schmiegte, an den Turm getreten. Sie trugen die kurzen Gewehre über die Schulter.

Der eine, braun von Straßensonne und Luft, rüttelte die Tür. Weil sie aber nicht nachgab, trat er zurück, den Wehrbau prüfend ins Auge zu nehmen.

»Da drin sollen wir nisten!« murrte der Söldner. »Eine Herberge, kurzweilig genug, dass wir auf Ratten birschen und Fledermäuse an den Bratspieß stecken lernen!«

Greinend schlug er den Büchsenschaft ans Tor. »Die Fressglocke schreit mir im Magen. Tu dich auf, Spitzhäubel! Passauer sind da.«

Ein leises Rauschen regte sich über ihm.

Der Knecht spähte zum Wehrgang hinauf, davon das blitzende Eis niederzackte. Über der Brüstung hing ein gelber, langer Zopf.

Hastig jagte der Blick des Gesellen zopfaufwärts und tief in zwei dreiste Augen hinein.

»Türmerin«, stammelte er, »du bist fein!«

»Seid ihr die Passauer Streinz und Dornauer, die der Rat in das Spitzhäubel gewiesen?« fragte sie herab.

»Du könntest einen Heiligen verführen«, erwiderte der unten.

»Narret mich nicht! Die Kälte ist bitter!« lachte sie und zog den Zopf über die Brustwehr zurück, als wolle sie die Zwiesprache enden.

Jetzt meldete sich der andere Passauer. Er war blass wie ein Stubenschreiber und fein von Wuchs.

»Scheuet uns nicht und riegelt auf!« sprach er. »Ihr habt unsere Namen gesagt, wir sind die richtigen Leut.«

Also stieg sie nieder und öffnete, und als die beiden ihr die Holzstaffeln nachklommen, griff der braune Streinz keck den Zopf der Jungfer. Wie ein willig und leitsam Rössel zog sie an.

Ein dunkles Gemach empfing die Knechte. Von dem hellen Winter draußen drang nur ein matter Abschimmer herein. An die Fensterluke war ein Tischlein geschoben, daran nähte ein Mädchen. Sie schien um ein Geringes älter zu sein als die Gelbzöpfige. Ihre Brauen waren dunkel, und unwillig erhob sie sich, als der Streinz sein Gewehr auf ihr Tischlein warf und das Nähgerät verwirrte.

»Die Passauer sind es, Notburg«, sagte die Blonde, »sind artige Leut, sie werden uns nicht bedrängen.«

Dabei ließ sie das blatterngrübige Gesicht des Streinz, der sich reitlings auf einen Stuhl gesetzt hatte, nicht aus den Augen, bis sie plötzlich ihrer Neugier inne ward und errötend den Blick zu den roten Schleifen senkte, die er ums Knie gebunden hatte.

»Fürchtest dich, mein Knecht könnt brennend werden?« scherzte er. »So will ich Bänder tragen, lichtblau wie deine Augen.«

»Meinetwillen tragt froschgrüne!« kicherte sie. Nun schwiegen sie, als rüsteten sie zu einem Geplänkel, und fraßen sich dabei schier mit den Augen.

Der Dornauer säumte derweil noch immer an der Schwelle. Befangen drehte er den Hut, aus dessen Rinne sich der Schnee löste. Er merkte, wie unvollkommen sie dem Mädchen mit den finstern Brauen waren, und fühlte die Armut dieses kalten Raumes.

Sein Blick gewöhnte sich nun an die waltende Dämmerung, er überflog Bett, Bank und Spindel, den armseligen Hausrat. Endlich klärte sich auch der Hintergrund des Raumes, der dem Auge, das auf die scharfe Taghelle gestimmt war, bisher verhüllt geblieben.

Dunkel und übermenschengroß ragte dort das Holzbild einer Muttergottes. Sie beherrschte jetzt, da sie aus der Dämmerung brach, die kahle Stube, für deren geringes Ausmaß sie viel zu groß schien. Sie war die Schmerzensfrau mit den wilden Schwertern im Busen, und mattes Widerlicht glomm auf den Eisen, die in das Faltenwerk ihres Gewandes getrieben waren.

Vor der durchschwerteten Maria kauerte eine alte Frau. Sie kümmerte sich nicht um die Fremden und um die Mädchen. Ohne Teilnahme und Sinn für die Welt, schien sie einem endlosen, großen Gebet hingegeben.

Wunderlich ergriffen ward da der blasse Dornauer. Und er sagte zu der dunklen Notburg, die noch immer stumm vor ihrem Tischlein stand: »Wir wollen euch nicht zu Last sein. Hier ist Leides genug.«

Damit ging er hinaus.

Die beiden bezogen zu oberst im Turm die Kammer, die noch in der Nacht von der städtischen Scharwacht verlassen worden war.

Ein Falkonettlein guckte zur Schießluke hinaus, und die Passauer sahen das Eis der Wuldachfurche weithin wie eine Königsstraße blitzen, ferne Berge wölben, fernen Wald schwarzblau aus der winterlichen Ebene stoßen und waren den Steilsätteln uralter Dächer benachbart und den keilscharfen Helmen der Wehrtürme.

*

Von den Eiszapfen des Daches tropfte es einförmig nieder, und schüchterne Nachmittagswärme schmiegte sich an den Turm. Da kehrte der Streinz von seinem Spürgang aus der Stadt zurück, mit blauseidnen Schleifen am Knie, und traf die Schwestern am Söllergang.

Vor der lichten Hilla hielt er an. Die Beine stramm in den Boden grätschend, ließ er die neuen Bänder bewundern und antasten.

»Ihr spreizt euch wie ein Kranich«, meinte Hilla dreist. »In welchem Land seid ihr denn gebürtig?«

»O du heiliger Zickzack!« erwiderte er schelmisch. »Das Land, wo ich her bin? Jetzt ist mir sein Name abgefallen.«

»An Euch ist Taufe und Krisam verloren«, sagte Notburg. »Aber was ist mit dem Dornauer los? Den Hals trägt er steif wie ein Schwertschlucker, er dreht die Augen gar nicht nach einem, und wenn ich seine wassergrünen Augen treffe, so sticht es mich kalt durch Mark und Bein.«

Überrascht sah sie den Streinz an. »Seid ihr ihm auch schon dahinter gekommen?«

Doch schnell schüttelte er den braunen Kopf, als wolle er sich etwas ausreden, und fügte hinzu: »Der Dornauer stammt aus Passau und ist ein gewester Student.«

»Dass der mit euch Schnappvögeln gerannt ist!« sann Notburg. »Er ist gar nicht wie ein Soldat. So zugeschlossen, so bleiblütig steigt er umher, und weiß ist er wie der wächserne Tod.«

»Ja, stille Wasser zehren das Gestad«, brummte der Streinz kurz und packte, wie um diesem Gespräch zu entgehen, Hillas prallen Arm. »Willst mit mir nach Passau reisen, wenn der Krieg gar ist?«

»Müsst eher wissen, wer ihr seid.«

»Was schert es dich, ob ich eines Flickschneiders Knecht oder ein Grafensohn bin?! Jetzt bin ich Soldat«, sagte er hochtragenden Mutes. »Drum geh mit mir, in Passau sind lauter Marmelhäuser.«

Und er fuhr unter das Wams und klimperte mit dem Münzsack.

»Wollt ihr mir die Wuldach kaufen?« spöttelte Hilla.

Da streifte er seinen gelben Ring ab und steckte ihn an ihren Finger. Sie kreischte entzückt auf und rannte davon. »Ihr habe früher nicht ausreden wollen, Streinz, über Euern Spießgesellen«, forschte Notburg vom Neuen. »Jetzt muss ich es wissen!« Sie gebot es schier.

Der Knecht spähte scheu umher und wisperte: »Einer saubern Dirn kann ich nix abschlagen. Also reck dein Ohr her! – Der Dornauer ist gefroren!«

»Gefroren?« lachte sie hellauf.

»Still, dass er es nit hört!« warnte der Passauer hastig. »Das Spötteln kommt dir leicht an. Und dennoch ist er gefroren und fest. Das will heißen: Schuss und Hieb können ihm nit an; die Kugel, die du auf ihn schießest, schmeißt er dir ins Rohr zurück; willst du ihm das Schwert in die Rippen rennen, du bringst es nit aus der Scheide; kein Feuer greift ihn an, er ist wie Salamanderhaar; der Blitz erlischt an ihm; sein Leib kann nit faulen im Grab …«

»Du loser Lügenschmied!« störte sie seine Rede.

Allein er verschwor sich: »Wahr ist es! Den Arm tunk ich dafür in rinnendes Blei! Ich hab es ja selber gesehen, dass die Kugeln ihm ausgewichen sind.«

»Ihr habe es selber gesehen?« stammelte er.

»Bis jetzt haben wir schier nur in den Dörfern neben dem Misthaufen Krieg geführt«, erzählte der Streinz, »aber die Österreicher Bauern sind ein grausam Volk, mit Heugabeln und Sensen und Stangen sind sie daher gerannt, den Bart voll Blut und Faum, wie wenn sie der Höllenhals ausgehustet hätt. Wir haben uns oft ducken müssen und verstecken, der Dornauer aber ist gegen sie gestanden wie ein Berg. Vor ihm sind sie alle gewichen. Sie haben es gleich gemerkt, dass er gefroren ist.«

»Er ist nicht zu bewältigen?« fragte sie stockend.

»Nur mit einem Tremel könnt man ihn erschlagen. Stoß und Stich ertötigt ihn nit. Seine Haut ist beinern und steinern, die Passauer Kunst hat sie gefestigt.«

»Die Passauer Kunst?« wiederholt sie. »Aber wie, um unsers lieben Herrgotts willen, ist denn das zugegangen, dass er gefroren ist?«

»Schau, das tät ich selber gern wissen. Wer traut sich aber, den Dornauer zu fragen? Jeder springt ihm aus dem Weg wie einem, der den Aussatz hat. Und wenn ich ihn oft so anschau, dann graust mir, dass sich mit die Haar am Kopf bäumen. – Aber sie munkeln, eine geweihte Hostie soll er in einer Wunde tragen unter der linken Achsel, und ein wild lateinisch Wort steht auf dem Abendmahlsbrötlein, mit Fledermausblut ist es geschrieben. Und der ihm die Kunst verkauft hat, das ist der Kasper Neidhart, der Passauer Henker.«

»Ich glaub es nicht«, stieß sie heraus, »denn wenn der Dornauer so starkmächtig gefeit wär gen den bittern Tod, tät er nicht so mit schwerem Blut gehen und wär fröhlich um die Augen.«

»Drum verrat ich dir noch«, wisperte er, »dass jeder, der in einer gefrorenen Haut haust, dem fleischechten Teufel verfallen ist. Und dass der Teufel dem Dornauer das rote Blut aus den Adern gesoffen hat, das merkt einer leicht an seinem Gesicht.«

Notburg hielt sich an der Mauer. Schlohweiß und erschüttert starrte sie den Mann an, der ihr solch schreckliches Wissen offenbarte. –

Der Dornauer lehnte derweil oben am Auslug neben dem Falkonett.

Draußen lag des Hornungs Blendgefunkel. Die Sonne des blassblauen Himmels verschwisterte sich der harten Grelle, welche die verschneite Ebene von sich stieß.

Von seiner Trosteinsamkeit träumte der Passauer Mann über das gewaltige Feld bis hinaus, wo sich die Glanzrinnen der Flüsse verloren und das Gebirge voll Fernenduft war.

Und stillfroh und dennoch Trauer tragend kehrte sein Auge zu einem winzigen Ringlein zurück, das, aus Haaren geflochten, goldseiden ihm den Finger gürtete.

*

Die Dämmerung vermählte sich dem Lande und brachte ihm als Brautschatz den Abendstern. Da hielt der Streinz die Hilla im Arm, er küsste ihr den hellen Hals.

Sie waren allein, denn die Mutter war mit Notburg ins Kloster der Dominikaner beten gegangen.

Vor der schmerzhaften Himmelsfrau brannte ein Licht und warf wankende Schatten hinter die Marterwaffen.

Der Streinz küsste der Geliebten vollen Mund und schmeichelte: »Rotwein!« und zwang sie wildnärrisch an sich, dass sie sich ihm wehren musste. »Weh, du druckst zu wie ein Henker! Du verrenktst mir dieRippen!«

»Sträub dich nit!« bat er. »Denk daran, dass das Leben nit ewig währt – und dass dich morgen schon der Sargdeckel auf die Nase drucken kann.« Und mit kluger Stimme tat er ihr schön: »Wirst wirst wie eine Gräfin wohnen im Schlössel an der Donau, und ein weißer Pfau soll dich begleiten.«

Aber diesmal lohnte sie dem Schmeichler nicht mit ihrem jungen Lachen.

»Was gelobst du mir? Ich kenn dich ja nicht einmal, ich weiß nicht, was du gewesen bist, eh der Erzherzog Werbgeld gegeben hat.«

»Heiliger Zickzack!« murrte er unwirsch. »Ein Bruder Schneidewind bin ich gewesen. Der Ellbogen hat mir zum Ärmel hinaus geblüht und der Schopf zum Hut hinaus.

Mein Schuh hat das Maul aufgerissen wie ein durstiger Karpf. Der rinnende Bach meine Suppe und lauter Leder im Geldbeutel! Im Schlossenschauer bin ich gestrichen und im Sommerwind; hab oft den Hut in die Nacht gehoben, sie soll mir Sterngulden hineinhageln.«

Sie ward böse.

»Wo du geboren bist, will ich wissen! Und ob deine Mutter noch lebt!«

»Auf dem Tanzboden mitten in der Kirchweiß hat mich meine Mutter verloren, mit einem Juchhe bin ich zur Welt kommen. Willst du noch mehr wissen?«

Die Hilla biss sich in die Lippen, dass sie erblassten.

»Streinz, dir ist nicht zu trauen, du kennst keinen Ernst.«

Da fasste er sie auf einmal wundersanft an den Fingern. Seine Rede ward weich und schwermütig.

»Was soll ich dir mein vergangenes Leben auftun? Es ist vorüber und gilt nit mehr. Sollen wir darüber diese liebe Stund versäumen? Schau, von deinem ganzen feinen Leben hast du nix wie diesen einzigen Augenblick da!«

Sie forschte nicht mehr. Und ihr blanker Nacken ward fast wund unter seinen Küssen.

Indes ward die Nacht draußen mächtig. Dräuend ragte die Schmerzenskönigin hinter dem ruhlosen Flämmeln des Lichtes.

Plötzlich zog die Betörte den Passauer vor dies harte Bildnis.

»Wie Märzenschnee zerrinnt die Liebe. Und voraus bei den Soldaten. Drum schwör mir, Streinz, dass du mir nie und nimmer davonrennst.«

Verwundert betrachtete der Knecht das Bild. Er kannte schon aus manchen Kirchlein die Heilige mit der siebenfach durchschwerteten Brust. Dieser hier aber hatte entgegen dem Landesbrauch nur fünf Klingen in die Fugen des zersprungene Holzleibes gezwängt, und darunter waren nicht Schwerter allein, sondern auch Dolche und breite Messer.

In den Bierhäusern hatte der Streinz schon das Schicksal der drei Frauen erkundet. Von geachteter Herkunft, war diese Familie durch den ungefühgen Jähzorn ihrer Männer rasch verarmt. Nach dem Tode des Gatten hatte die Mutter mit ihren Töchtern die alte Schergenstube im Spitzhäubel beziehen müssen, die ihnen der Rat aus Barmherzigkeit überließ. Sie hätten sonst auf dem rauen Pflaster der Gassen nachten müssen, weil keiner die Hochmütigen und Wildblütigen ins Haus nehmen wollte. Nun waren die Mädchen gezwungen, mit den feinen Fingern für fremde Leute zu flicken und sich unter den spärlichen Wohltaten der Verwandten zu beugen. Die Alte aber hatte mählich jedes Gefühl für das äußere Leben verloren und betrachtete es als ihr einziges Geschäft, vor dem Holzbild die dürren Lippen zu rühren und das Rüstzeug anzustarren, das darin stak. Es waren Waffen, die wild in die Vergangenheit ihrer Sippe hineingespielt hatten, an jeder war ein verwandtes Leben zugrunde gegangen.

Nun stand der Streinz davor und rüttelte an einem dieser argen Angedenken.

»Es steckt hart darin«, meinte er.

»Die Mutter hat es selber ins Holz getrieben. Lass es los, Passauer, das Messer! Es hat den Vater am Gewissen, er hat es im Genick gehabt, wie er gestorben ist. – Jetzt aber schwör mir!«

Also trommelte denn der Söldner auf die Brust, dass sie ordentlich hohl klang, und schwur: »Meiner Seel, bitter Seel und tausend Todsünden! Die Finger, die ich hebe, soll mir der Wurm fressen, und ein End will ich leiden mit Schrecken, wenn ich dich nit gern haben tu, solang die Luft weht und der Hahn kräht …«

Da sprang die Hilla lachend an seine stämmige Brust.

*

Mit düsteren Stirnen zögerten die Tage über den verratenen Ort.

Das Hauptheer war seine blutversumpfte Straße gen Prag weiter geklirrt. Die Besatzung aber, die in Budweis zurückblieb, suchte such nach der Beschwernis des Wintermarsches in der warmen Stadt zu entschädigen.

Arge Kurzweil trieb die wüste Zunft: sie balgten sich, dass der Schnee auf der Straße oft gerötet lag wie eines Metzgers Werkstätte, sie richteten die Rohre gegen die Bürger und gaukelten mit glimmender Lunte. Zu nachtschlafender Stunde wurden die Fenster eingeworfen und die Haustore verrammelt, friedliche Biederleute bedrängt und verstümmelt. Und wehe der Jungfer, die sich auf die Gasse traute! Zeitweise rannte das verwogene Gelichter gegen die nahen Dörfer, die Bauern zu schatzen und zu schürfen. Wie ein großes Wasser nahmen sie alles mit. Sie raubten die Leinwand von der Bleiche und das Getreide aus dem Schüttboden, sie zerrten den Stier von der Trift, rissen den letzten Schindklepper von der Raufe und äscherten Hof und Stadel. Hernach ward von der besoffenen Bruderschaft in den Schenken der Stadt mit rauem Geschöll bankettiert und sakermentiert, gejohlt und gewürfelt und manch toller Tanz gesprungen.

Aus den Schornsteinen dagegen tauchte die magere Rauchsäule des Feuers, daran sich der Bürger sein Wassersüpplein wärmte. Denn die Stadt verarmte jäh. In des Krebses Zeichen stand das Gewerbe, Handelsleute und Krämer sperrten die Gewölbe, und zum Krummauer Tor ratterte kein Karren mehr herein, der Salz aus dem Kammergut brachte.

An die Türschnalle des Spitzhäubels aber tastete die dürre Hand der Not nicht, denn der Streinz schleuderte in Übermut und Überfluss das lichte Geld auf den Tisch, und der Dornauer zahlte den Mädchen alles, was er an Zehrung erhielt.

Dem Streinz trug das Bauernplagen schweres Geld ein. Er wusste am ersten, wo der Gänsstall lehnte und die Henne hockte, er roch schier das Versteck verscharrter Münztöpfe, er fand die dicksten Groschen und steckte alles ein, was nicht erd- und mauerfest war.

Drum strotzte sein rindslederner Geldgurt, drum sang und jodelte der Knecht tagaus, tagein durch den hallenden Turm. Aus seiner wölbigen Brust stiegen Weisen, wie sie die Bauern zu Tanz und Trutz, die Salzfergen in den Zillen des Inns und die Kriegsrotten auf Marsch und Beiwacht wissen. Auch reimte er sich selber manch loses Gesetzlein und sang von allem, was ihm an Auge und Ohr drang, so von den Wuldachwassern, von den Wolken, die über den Türmen der Feste hingen, von Scheiden und Leiden, Finden und Binden. Am geläufigsten aber war ihm ein Lied von zwei bergblauen Augen.

Im Gegensatz zu ihm hielt sich der Dornauer einsam und ging wie ein Stummer. Den Turm verließ er nur, wenn ihn die Pflicht zwang oder wenn er den Hecht, den schuppigen Schuft, aus der sich enteisenden Wuldach ziehen wollte, um ihn den Mädchen schweigend zum Mittag zu schenken. Doch meistens lehnte er am höchsten Guckaus des Wehrbaues, die Augen der Ferne überlassend.

Es war daher ein seltenes Begebnis, dass er sich eines Morgens mit dem Streinz in eine kurze Rede einließ.

»Heut nach im Traum«, erzählte der Dornauer, »ist der Paradeisbaum über mir gewesen, aber schauerlich finster, und die Schlange hat darin geraschelt. Und auf einmal kringelt sich der Wurm am Ast herunter und hält mir im Maul einen Menschenkopf hin, der hat der Jungfer Notburg ihr Gesicht gehabt.

»Hast du auch recht herzhaft in den Apfel gebissen?« grinste der andere.

Jene aber, deren Antlitz der Traum gewiesen, sah dem blassen Passauer oft sonderbaren Auges nach.

Wie eine Nachtschwalbe den späten Waldgänger unablässig umkreist und begleitet, so ließ sie der Gedanke an den höllengeweihten Leib nicht frei.

Wie mochte die gefrorene Haus sein? War sie ein schwefliger Rasselpanzer und rot stechender Gluten voll? War sie kühlblau wie Eis, oder strahlte sie Blendnis gleich dem Schneegefilde jenhalb der Wuldach?

Ein Grauen schlug über sie zusammen, ein Fieber griff sie, wenn sie ihm begegnete, den sie halseigen der ewigen Verfluchung wusste, und dennoch stockte ihr jähsüß der Atem, wenn sein Blick sie flüchtig streifte.

Nächtens oft, wenn traumschwatzend neben ihr die Schwester alle Torheit des verloschenen Tages verriet, saß Notburg wach im Pfühl, umlagert von Rätseln wie von den Wundertieren nie erschlossener Wälder.

Aus den verworrenen Träumen, die ihr der seichte Schlummer daher schwemmte, erwuchs der Gottverworfene. Gegen die Bauern rannte er los, die Stirne bläulich, phosphorüberhuscht. Die Kugeln, die ihm galten, sandte seine salzweiße Hand in des Feindes Herz zurück, und die Spieße zerknickten an ihm wie sprödes Stroh. Er scheuchte die Gegner aus dem Traum ins Nichts uns stand, die Hände blutig wie Aderlassschüsseln, allein a mit seinem entsetzlichen Geheimnis und füllte ihr Auge.

Den Schlaf verfluchend, erwachte sie und wagte dann nimmer einzuschlafen. Doch nach der Qual der Träume verdichtete sich der irrende Qualm der Gedanken zu tollwitzigen Entschlüssen, die turmschwer ihr über dem Atem lagen.

Spät kam er jetzt immer heim, der kecke Passauer.

Um sich gegen das Übermaß des Geldes zu schirmen, hatte der Streinz begonnen, mit alten Kriegsgurgeln und Eisenschlingen die Nächte saufend und schmausend im Wirtshaus »Zum Roten Hirschen« zu vertun. Sein Leibspruch schreib sich nun: »Wohl gesoffen ist halb geschlafen.« Im »Roten Hirschen« brüllte er die liederlichsten Buhllieder, dort dröhnte unter seiner festen Faust die Grassau auf den Tisch, dort schwenkte er den Kometenwein und trank sich völlerisch den Hals voll.

So war der Dornauer den größten Teil der Schlafenszeit allein in der Turmkammer, denn er mied den Krug und den Wust qualmiger Schenken.

Und Notburg wusste dies.

Eine Nacht aber ward, da konnte sich die Jungfrau vor sich selbst nimmer retten. Immer und immer, wie oft sie auch die heftige Neugier von sich wies, kehrte diese wieder in gesteigerter Kraft zurück und pochte wuchtig an ihren Willen, bis sie endlich verwirrt aus dem Bette stieg. Sie war wie behext. Eine finstere Gewalt wandelte hinter ihr und drängte sie vorwärts.

»Ich muss es wissen«, stöhnte sie.

Mit weit ausholenden Atemzügen schlief die Schwester, die Mutter lag lautlos.

Die Notburg rührte den Riegel.

Wie die Türschnalle ächzte! Wie die Angeln klagten!

Ihr schien es tosender Lärm, der alles im Turm vom Kellergeschoß bis zum Windhahn am First aufstören musste. Ängstlich lauerte sie. Fast barst ihr das Gehör vor angestrengtem Lauschen. Aber das Spitzhäubel schlief weiter.

Ihre Schritte knisterten treppauf. Schweiß stand ihr am Leib, und doch schüttelte des Hornungs Frost die leicht verhüllten Glieder.

Der Mond grinste zu einer Luke herein.

Wenn ihr ein Gespenst begegnete, ein Flammenmann, ein Ohnekopf! Der Turm war verrufen, in alten Zeiten hatte der Henker sein Folterzeug darin verwahrt.

Lange harrte sie vor des Passauers Tür, obschon sie wusste, dass der andere jetzt im »Roten Hirschen« becherte.

Endlich stand sie vor seinem Lager.

Der Dornauer schlief, bis zum Kinn mit der Zuhülle bedeckt, darauf sich das weiße Mondlicht bettete.

Dass der Himmel diesem Frevler noch den Frieden des Schlafes gönnte und den ruhigen Atem!

Notburgs Augen weiteten sich vor Angst, ihr Herz versagte schier, und die Aufregung entfesselte in rasender Folge in ihr grelle Bilder.

Sie ahnte des Schläfers Leib mit wüsten Zeichen geschändet, wirr überätzt von den Runen der Hölle, besät mit undeutbar verschlungenen Kreisen, zerkratzt und schwärend vom Ringen mit den Unholden der Geisterweile. Und wieder dachte sie sich seine Haus bläulich zuckend und glimmend wie Faulholz in der Finsternis, und wieder scheußlich überschuppt wie des Wuldachhechtes feuchten Rumpf.

Notburg konnte sich nicht länger bändigen, sie musste das grasse Wunder schauen. Die Decke riss sie von seiner Brust.

Sie prallte überrascht zurück.

Im Mondlicht wölbte uns senkte sich wechselnd des Jünglings atmende Brust, breit und weiß. Kraft schwellte die Arme, die Hände ruhten traumgeballt. Keusches Ebenmaß war dieser Leib und fleckenlos die Silberblendnis seiner Haut.

Wahrhaftig, verführend hat die Hölle ihr verdammtes Eigentum geformt! Doch brennen muss diese weiße Haut wie Eisen im Hochwinterfrost!

Scheu befühlte sie seinen Arm. Doch der war nicht hart wie Stein, nicht panzerstarr und eisig, wohl aber stark und dennoch lind und warm.

Ob er des Satans Urkunde unter der Achsel trägt?

Sie versuchte seinen linken Arm zu heben, um das Wundmal, das rote Siegel des Bundes mit dem Bösen, zu finden.

Jetzt aber flog ein Schauern über den Schläfer. Er erwachte. Wirr richtete er sich empor, die verschlossenen Augen klafften auf.

Ihr hetzte sich das Blut in den Aderwegen glühend, Himmel und Hölle rangen, ineinander verbissen, in ihrer Brust. Leidenschaftlich neigte sie sich über den Mann.

»Ich bin es, die Notburg! Und deine Haut schreckt mich nicht!«

Doch seine Hände krampften sich zu Hämmern, sie stießen gegen des Mädchens Schultern, dass es zurücktaumelte. –

Zur selben Stunde trottete der Streinz, nachdem er die Zunge weidlich in die Schwemme geritten und manch vierschrötiger Schluck ihm gelungen, aus dem »Roten Hirschen« heim. Beide, weißer wie auch roter Wein, sausten ihm im Hirn.

So rannte ihm Notburg in den verwogenen Arm. Mit entzündeten Sinnen, in Trotz und Groll ward sie des Söldners Beute.

*

Es märzte.

Unter der Gewalt der Brütmutter Sonne lösten sich ferne Kräfte von den schillernden Schneehängen des Plöckensteins, des Hochfichtes, der Fuchswiesenberge und tausend anderer Höhen, satte Hochmoore entsandten ihren Überschwall, jeder Hohlweg ward zum Bach, jede Furche rühmte sich einer rieselnden Ader, und so kamen die Wasser in zwei eiligen Heersäulen aus Südböhmen geschossen und stießen bei Budweis aneinander. Wie eine geifernde Waldkatz warf sich die Malsching auf die hastige Wuldach, in Zwirbeln und Wirteln feierten die beiden ihre Vereinung. Wehe den Brücken! Wehe den Ufern!

Aber noch ein dritter Fluss kam von Süden, ein leiser schleichender.

Tag um Tag drückten sich zerlumpt und elend die Weiber und Dirnen der Passauer zum Tor herein. Ein herrenlos, unehrlich Volk, hatten sie die Spur des rascheren Heeres aufgenommen. Luftgebräunt, wankend, müd, die Fersen trostwund, suchten sie den Gatten, den wankeltreuen Buhlen. Viele kamen mit Kindern, andere bloß mit gierigen Augen. In Budweis rasteten sie und schienen die Rückkunft des Heeres abzuwarten.

Sie trieben Handel mit geplündertem Gerät, sie plagten Städter und Kriegsvolk gleich arg mit schimpfender Rede, und ihre abgezehrten Leiber fraßen wie wandernde Haberschrecken den Ort vollends aus. –

Draußen schuf indessen der Lenz die Erde neu.

Während aber die Lerche, die liebliche Lenzloberin, ihre Trillertreppen emporstieg, begannen die Lieder des Streinz verschüchtert zu verstummen, und er selber starrte über die Bollwerke hin, den Wolken nach und sah der Wuldach schaumbegehrte Wellen wechseln und lauschte dem Willkomm der Waller in den Winden und des sinkenden Regens holdweher Weise.

»Die Luft! Die Luft!« seufzte er.

»Sie kommt von der Donau her«, erwiderte es leise neben ihm. Es war der Dornauer. Er hatte heute einmal einen redenden Tag.

Wie weich die neue Luft war! Wie süßer Mädchenatem! Und ein Düften war darin gemischt, ein göttliches.

Plötzlich fragte der Streinz: »Kennst du den Irrstein? Ich muss darauf getreten sein.«

»Den Irrstein?« Der andere verstand ihn nicht.

Da erzählte der Streinz: »Auf dem Marktplatz, wo ehender dem Henker seine Werkstatt, das Köpfhäusel, gewesen ist, liegt der Irrstein. Wer darauf tritt, der mag nimmer heim, der muss reisen und reisen und sich verschlagen in die offene Welt.« Und kläglich fügte er hinzu: »Ich bin auf den Irrstein getreten.«

»Wohin willst du, Streinz?«

»Wohin es mich schiebt. Nur fort aus dem Pferch da, nur recht bald fort! Die Knochen lungere ich mir krank.«

»Und du willst dem Erzherzog schwurbrüchig werden?«

»Den Eid beutle ich ab wie der Hund das Badwasser. Und bringt ich die Sünd ins Fegfeuer«, lachte der Knecht trotzig, »ich find dort schon auf der Schattenseite einen kühlen Fleck. Das Glück hat mich noch nie verlassen.«

Gleich schweren Masttieren zogen die Wolken, die tieferen an den hohen vorbei, den Himmel auf und verwanderten. Wolken, die kein Ziel hatten. Und hinter ihnen wölbte selige Bläue.

Von Wind und Welle gekirrt, flogen Streinzens Wünsche mit gesprenkelten Flüglein über Strom und Ebene, über Straßen, die tief in die Wälder gesenkt waren, über Säumersteige neuem, fremdem Schicksal in den Schoß.

Über die Dächer herüber aber sahen ihn die Türme mit argwöhnischen Augen an. Und er hasste sie. Wie graue Schergen umlauerten sie die enge Stadt. Aber jenseits – draußen…!

Eine Hand riss ihn hart aus seiner Versunkenheit. Sich wendend, sah er Hillas Augen wie zwei Flintenmündungen feindlich auf sich gerichtet.

»Was schaust du jetzt allweil nach den Bergen?« greinte sie. »Wo ist dein Frohmut hin? Hat dich der Dornauer irrig gemacht? Willst du davon?«

Der Passauer wollte den Wirbel von Fragen totschmeicheln. Er drückte und halste sie: »Zirp nit, du feinster Rotbeermund! Du Trautgesellin mein, du Tausendfreud! Soll ich dir die bergblauen Augen ausgreifen?«

Aber wie er auch das Pfauenrad seiner Künste entfaltete, sie traute ihm nicht, sie sah durch die lieben Worte wie durch Glas. Schnell und bestimmt forderte sie: »Heirat mich!«

Der Landfahrer lächelte, als stäken seine Zähne in einem grünen Holzapfel.

»Heiraten? Geht das so jählings? Und ich – taug ich denn dazu?«

»Du darfst nicht fort!« stieß sie hervor, und ihr Blick war Liebe und Angst und Drohung zugleich. Sie presste ihn stark an sich, so wie ein Kind des Traumes Spielzeug an sich drängt, um es vor dem Zerfließen zu hüten; sie schluchzte: »Nimm mich mit dir!«

Er dachte der Tage, die mit himmelblauen Fähnlein, seligmachend, an ihnen beiden vorübergestürmt waren. allein er schwieg.

Abends vor dem Einschlafen faltete er nach Jahren wieder einmal die Hände.

»Heiliger Sankt Veit,
weck mich auf zur rechten Zeit,
eh der Wächter viermal schreit!«

*

Morgenrot.

Lau pfiff der Wind von Österreich her.

Das hochgiebelige Krummauer Tor sperrte gähnend sein Maul auf und sandte dann und wann einen Wächter auf die Fallbrücke hinaus, der, noch ganz schlafblöd und zu schnüffeln nicht gewillt, in den hochgehenden Fluss stierte und sodann wieder verschwand.

Eine Dohle flog unter der Brücke durch. Glut brannte an der Himmelsfeste. In der Tiefe eilten die Wasser.

Auf einmal aber spuckte das Tor schleunigst einen zerlumpten Landstreicher aus, der den Weg nach Süden unter die hurtigen Sohlen nahm.

Lenzherb schlug ihm der Ruch der Erde entgegen. Starengeschwader, lerchendurchtrillerte Frühe: der Frühling, der sonnige Generalissimus, belagerte die Stadt.

Am Nikolaiturm rührte sich das Frühmessengeläut, das Erz der schweren Pummerin dröhnte.

Der Heerflüchtige aber riss die Ferse vom Boden und trabte hin, frei wie der Has im Acker.

Unerreichbar dem Eisenmeister seines Fähnleins, rotverwachten Augen uneinholbar, sah der Streinz, rückgekehrt schreitend, die gewappnete Feste im Fernen versinken.

Ade, ihr Ringmauern! Ade, du öder Dohlenturm!

Und er warf sich an den Straßenrand und schlug sich dankbar auf die sehnigen Knie, auf die felsenen Schienbeinknochen und reimte ein frisches Lied.

Es führt ein freie Straßen
wohl über Wald und Tal,
ich muss dich trauern lassen,
ade nun tausendmal!

Die Flügel tu ich rüsten
weit übers braune Feld
und fahr mit hohen Lüsten
in die vielschöne Welt.

Des Lenzes Wasser schwellen,
schon rührt sich Laub und Klee,
ihr feinen brunnenhellen
Klaräuglein, ade!

Und der getrübt die Brunnen,
ist ein Passauer Soldat,
er ist dir schnell entrunnen,
Budweis, du feste Stadt.

*

Die Sonne schien dem Dornauer heute zu lahmen, er hätte sie am liebsten spornen mögen.

Seine Augen glänzten, als wäre in seiner Seele ein Fest. Ja, morgen ging es wieder zurück ins Donaugäu. In aller Frühe war der Befehl zum Aufbruch gekommen.

Fröhlich stieg er zum Wehrgang nieder und redete zum ersten Mal die Hilla an, die trüb ins Schanzgässel hinab starrte.

»Morgen früh geht es gegen Passau, unser Volk hat Prag schon verlassen. Sagt es Eurer Mutter, dass sie sich freue.«

Betroffen fragte das Mädchen: »Ihr habt frohe Augen? Ihr könnt auch lachen?«

»Morgen geht es heim!« wiederholte er und sah glückselig das Zöpflein an, das seinen Ringfinger umschmiegte.

»Und Streinz?« schrie sie plötzlich auf.

Der Dornauer zuckte die Achseln und ging.

Ihr Auge verdämmerte sich, und ein bitteres Fältlein machte ihren Mund alt. –

Mittags kam der Eisenvogt mit seinen Knechten und durchstöberte vergeblich den Turm nach dem Streinz. Und schier alle Dohlen der Stadt sammelten sich erregt auf dem Dachgrat des Spitzhäubels und lärmten, als ergössen sie sich in Schmähungen über den Flüchtling.

Jetzt, da die Hilla die böse Gewissheit hatte, sank sie weinend nieder zu der Greisin, die vor ihrer Heiligen kauerte.

»Er ist davon, Mutter, o er ist davon gegangen!«

»Ich bin alt«, murmelte die Beterin, »ich bin bald Erde. Lass mich in meiner Stille!«

»O, er ist davon!«

Immer klagte die Tochter dies vor sich hin, eh sie ihr Schluchzen erneute.

»Lass ihn ruhen und tot sein!« tröstete die Greisin eintönig.

»Ich kann ohne den Streinz nicht sein! Ich mag nimmer essen und atmen«, stöhnte Hilla, »ich mag nicht mehr leben.«

»Du wirst nicht sterben! Schau, ich lebe mit fünf Schwertern in der Brust!«

Da stand die Notburg von ihrem Tischlein auf. Grau wie Staub, der sommerüber die Heerstraßen deckt, war ihr die Stirn.

»Wein ihm nicht nach, Hilla! Er ist es nicht wert.«

»Was redest du?« brauste die Jüngere ungestüm auf.

Doch die Notburg achtete ihrer nicht. Sie beugte sich zu der Mutter Ohr herab, und ihre Stimme ward rau.

»Ich muss dir beichten, – ich bin nimmer so wie früher. – Versündet hab ich mich – heimlich versündet und schwer, – ich erwarte ein Kind.«

Die Hilla vergaß ihr Leid, sie riss die Augen wild erstaunt auf.

»Ha – der gefrorne Mann?«

»Nein, der Streinz!« sagte die Notburg kurz und legte die Hand vor die Augen.

Langsam erhob sich die Alte vom Schemel und griff ans Herz. »Das sechste Schwert!« flüsterte sie.

Die Hilla aber sprang kreischend auf die Ältere los und klammerte ihren Hals. »Ihm kann ich nimmer an. Dich aber, Erzschelmin, dich würg ich, dich beiß ich …«

Auf einmal schwieg sie und ließ die Schwester los. Schwer und dumpf schlug es unten ans Tor. So hatte es vor Wochen gepocht, als der Geliebte erschienen war.

»Ach, er kehrt wieder!« jubelte sie und flog der Notburg voraus zur Brüstung des Wehrganges.

Unten aber wartete ein Weib, eine erbärmliche Landstürzerin. Sie trug ein blasses Kind am Arm. Ihren Stecken hatte sie an die Mauer gestellt, mit einem Stein hatte sie ans Tor geschlagen. Dürr hing ihr der Bettelsack am Rücken.

Ein verhärmtes Gesicht mit großen, hungrigen Augen hob sich zu den Mädchen.

»Der Streinz soll da droben hausen, ein Passauer Mann.«

»Was willst du von ihm?«

»Heut in der Nacht bin ich nach Budweis kommen. Ich bin sein Weib. Und das ist sein Bub.«

»Du abgefaumtes Buhlweib!« keifte die Hilla. »Mit dem Ochsenziemer soll der Henker dich und deinen Bankert aus der Stadt sprengen!«

Die Notburg aber sagte hinunter: »In der Nacht ist der Streinz davon, ist flüchtig geworden.«

Das müde Weib ließ den Stein fallen, den sie in ihren Fingern vergessen hatte. »Wieder zu spät …«

»Sie suchen ihn, den Galgenspeck«, höhnte die Hilla, »se werden ihm den Kopf zwischen die Beine legen.«

»Der Herrgott wird es verhüten«, sagte die unten und beschwichtigte ihr Kind, das kläglich zu weinen begonnen hatte. »Sei still, Streinzel! Sei still!«

Hernach sah sie wieder empor. »Es kommt mir schwer an, aber – dem dreifaltigen Herrgott zulieb – sagt mir, wo ist er hin?«

»Wüsst ich es, Schergen und Schinder tät ich ihm an die Fersen hetzten!« rief die Hilla wieder und spie auf das flehende Gesicht der Bettlerin hinab.

»Ich geh ihm nach, Streinzel, ich find den Vater wieder!«

So tröstete die Besudelte ihr Büblein, so zog sie klaglos in Demut und tiefer Geduld davon.

Derweil draußen die Worte schollen, hatte in der Stube die Greisin das Schwert gefunden, das der Streinz zurückgelassen hatte. Mit ihren kraftarmen Händen zwängte sie es in das Holz der Schmerzensmutter. Es war schier zu groß für die Heilige.

Dann ließ sich die Alte auf den Schemel hin. Ihre Lippen bewegten sich ohne Aufhör, sie raunte immer nur dasselbe: »Ich erleb es noch, das siebente Eisen!«

*

Wilder schlugen des Märzes Föhnflügel, der Sturm posaunte in die Schornsteine. Die Wuldach stieg, ihre Waser gurgelten und brausten und schleuderten gischtenden Hass gegen die Stadtmauer.

Die Nacht verschloss gleich einer schwarzen Truhe die Welt. Schweres Gewölk schüttete den Regen rauschend in die finster Tief, auf die aufgerührte Erde.

Wohl denen, die heut nicht wandern müssen!

Wieder war des Dornauers Bild aus den Abendgedanken Notburgs hinübergeglitten in ihre grell zerstückten Träume. Seine Augen standen grausenschön vor ihr wie ein versteinertes Flammenpaar, sein gefrorener Leib durchgrellte ihre geschlossenen Lider. Und er stieß sie zurück, da sie seine Liebe wollte. Er sah nicht ihre scharlachenen Lippen klaffen, er roch nicht die Süße ihres Nackens, ihres Haares. Ach!

Der Schlaf sank vor ihr, in Feuer und Frost lag sie.

Wind und Windin vermählten sich heulend im Rauchfang. Wie es draußen gärte und stöhnte und schwoll! Die Wuldach warf sich gegen den Turm. Und wie der Strom jetzt unten an der Mauer lecken mochte, so lechzte an ihr der Gedanke an den Gefrorene empor.

»Zerrinne!« gebot sie dem Gedanken.

Aber er zerrann nicht. Finstere, verhüllte Triebe schürten an ihm. Und sie selbst war nur ein Trieb, kein Wesen mehr, nur ein nackter Drang so wie die Wuldach draußen. –

Wieder stand sie vor dem schlafenden Passauer.

Trunkene Stimmen gröhlten unten im Gässchen. Windworte, erst raunend gedroht, vergrößerten sich grollend zum eisernen Sturm.

Die Notburg hob den Wachsstock: der Dornauer atmete fast nicht.

»Seine Seele ist nicht in ihm. Wohin hat er sie entboten? Oder ist sie erfroren im verzauberten Leib?«

Des Valandmannes unverhüllte Brust gleißte in höllischer Schöne. Das Mädchen legte die Hand darauf und fühlte, wie es darunter pochte.

»Wie stark und gewaltig es schlägt! Es ist ein festes Herz. Niemals wird es mich lieben, denn es geht kein Weg zu ihm durch den gefrorenen Leib. Es lässt sich nicht erlösen aus dem Eis, nicht entsteinern aus dem Stein.«

Sie stellte das Licht auf eine Truhe. Ein Messer lag dort. Bös und blank nahm es den Gruß der Leuchte auf.

»Wenn er ein Mensch wär wie andere!« erwachte es in ihr. »Aber diese Haut, die verflucht ist und undurchdringlich …!«

Eine Natter hob wild das Haupt. Aus welchen Tiefen war sie gekrochen?

Notburgs Herz stürmte wie eine Glocke, die ein irrsinniger Türmer läutet. Jählings fühlte sie das Messer in der Hand.

»Nur ritzen will ich diese Haut, nur wissen, ob sie Schmerz fühlen kann.«

Die Notburg war wie ein Strom, der seinem Sturze zujagen muss. Sie hob die nackte Klinge und freute sich des stechenden Gleißens und freute sich des Kampfes, der sich zwischen dem Eisen und der festen Haut entspinnen sollte.

Im Sturme stöhnte die Hochmitternacht. Eine Wächterstimme, sturmgetragen, sturmzerfetzt, lobte Gott.

Da versenkte die Notburg das Messer tief und stark und nimmer ablassend in des Schläfers zauberumstadtedetes Herz.

Es antwortet mit quellendem Blut, und der Passauer tat die Augen auf – weit –, sein Blick ging an dem Mädchen vorüber wie ins Fernste; seine Lippen seufzten in tiefstem Leid den Namen, den heiligen, nie verratenen Namen einer geliebten Frau.

»Margret!«

In diesem Wort verhauchte sich sein Atem. Die Augen sanken, der Dornauer war vergangen.

Die Wuldach tobte unten voll zerstörender Frühlingsbrunst, und um Notburgs Haupt brauste es, als versänke sie in den Wirbeln des leidenschaftlichen Stromes.


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