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Faust im Böhmerwald

Auf dem Weg, so man Salz übers Gebirge säumte ins ungesalzene böhmische Land, fuhr ein Schlitten durch die weitschichtige Wildnis. Vorüber an dem waldverlorenen Hochgericht von Grafenau, wo der Mond durchs Galgenholz lugte, brausten in tollen Sätzen die rußschwarzen Rosse, ihre Augen sprühten grelle Strahlen, ihre Nüstern warfen Funken aus, Glut blühte auf, wohin sie huften, und die Furchen, die das Fahrzeug schnitt, zitterten bläulich im Schnee. Wenn die Gäule an einem geweihten Kreuzbild vorüber sollten, schraken sie schroff zurück und tobten, als wollten sie aus den Strängen springen, die Zäume durchbeiße oder die Deichsel knicken, und der am Bock peitschte mit abgewandtem Gesicht darein in die wahnsinnigen Hengste und trieb sie gewaltsam vorüber an dem drohenden Holz.

Kein Säumer, kein Waldreiter begegnete ihnen. Die turmhohen Tannen, die den Weg rahmte, waren wie und schwer von Schnee und hangendem Eis und leuchteten wie Silbermauern im Geflirr der kalten, zuckenden Sterne und des öden Mondes. Mitunter überfiel ein wilder Windstoß den Wald, oder ein Baum tastete mit gespenstischem Arm über die Straße, die frechen Hahnenfeder am Hut des Fuhrknechtes streifend, und der Fuhrknecht duckte sich und fluchte mörderisch, wenn ihm der Schnee ins Gesicht rieselte oder etwa die Geißelschnur sich verfing im überhangenden Gezweig.

Über Wirrwarr und Zersplitterung eines von Stürmen entwurzelten, hingeschleuderten Waldes herein dämmerte der Berg Lusen, gekrönt von einer ungeheuren, burgartigen und zerzackten Felsmauer, die sich ins Gestirn verstieg.

Die Rosse trabten nun gemächlicher, sie überschritten einen Bach, der in Eis geschmiedet war, und wieherten die Ödenein wach, als witterten sie einen nahen Stall. Der Reisende im Schlitten richtete sich plötzlich auf, wölbte die Hand hinterm Ohr und horchte; ihm schien es, ein Pfiff sei irgendwo erklungen, und nach seiner Waffe fühlend, erwartete er, dass Lauerer den Gäulen in die Zügel fielen.

Der Fuhrknecht ließ es sich nicht bekümmern. Er deutete mit der Geißel auf die zerrissenen, scharfen Schreckenszinnen hinüber, drehte sich nach seinem Herrn um und lachte heiser: »Droben am Lusen hockt der Teufel, sein Schwanz hängt herab ins Tal und reicht weit über Berge und Wurzeln hinein ins Reichensteiner Land. Wir müssen sein achten, dass wir ihn mit darüber fahren, er ist kitzlich.«

»Fahr zu, Umsbraus!« erwiderte der Herr kurz, der Scherz hatte bei ihm keine Gnade gefunden.

Scharf schnalzte die Peitsche und biss, die Rappen griffen aus, und wieder traten die finsteren Tannen hart an den Weg, die Winternacht verschattend und verdüsternd; und als die Fahrt sich um einen Felsriegel krümmte, sprang der Mondschein jäh in die Waldschlucht und blendete die Hengste, und ehe der Knecht Umsbraus sie zurückreißen konnte, rannten sie in einen verknorrten, starken Baum, der quer über die Straße lagerte, und überschlugen sich und wälzten sich aufschreiend in den Strängen.

Hastig stieg der Umsbraus vom Schlitten. Er merkte gleich: der Baum war nicht unter der anspringenden Wucht des Sturmes gefallen, sondern mit Bedacht abgesägt und sein Sturz über die Straße gelenkt worden.

Bevor er noch an die stöhnenden Gäule Hand anlegte, hörte er es knacken im Gestrüpp. Da verzerrten sich seine dünnen, spöttischen Lippen, er höhlte die Hände wie ein Horn und reif darain: »Herzu, herzu! Helft!«

Sogleich löste sich eine Gestalt aus dem Tannenschatten, ein dicker, einhüftiger Mensch watete eilfertig daher durch den Schnee. Trotz des vollen Mondes trug er eine Stocklaterne, und diese leuchtete in ein verschlagenen, feistes Gesicht zurück und schimmerte einen zweiten Kerl an, der baumlang und dürr und dunkel an einem Spieß lehnte.

Der Umsbraus lärmte wie ein Landsknecht und grüßte den Mann unter der Laterne mit Schimpf und Verwünschungen. »Willkommen, du kupferstichige Nase, du Wanst mit dem Gaunerkopf! Hast du die Mausfalle da aufgerichtet?«

Der Dicke tat beleidigt. »Ich trag keinen schlechteren Kopf auf dem Hals als du«, murrte er. »Ein Gauner mag der und jener sein, ich aber bin der ehrlichste Wirt Veit Hundspiss, und wenn du heut Hilfe und ein Dach zu Häupten begehrst und nit umkommen und verderben willst in der Wildnis, so red gebührlicher mit mir!«

Des Fuhrknechtes Grobheit schlug sogleich in zierliche Worte um, und er hub mit gelinder Stimme zu bitten an: »Hilf unsern Gäulen auf die Füße, du Biedermann! Wir müssen in dringlichem Geschäft nach Prag und dürfen die Zeit nit vertrendeln.«

»Ihr müsst entweder zu Fuß weiter reiten oder die Nacht in meiner Herberg verschlafen«, erwiderte unfreundlich der Wirt. »Um Umschweif von vielen Stunden ist keine Einkehr, kein Weiler und kein Wagner, der euch die Deichsel flickt. Und dann schaut zu, ob sich eure Rösser nit die Rippen eingestoßen haben!«

Nun meldete sich der Herr, der schweigend im Schlitten gesessen. »Guter Freund, geleit uns in deinen Nobiskrug, ich vergelt es dir«, sagte er.

Veit Hundspiss leuchtete mit dem Licht den Fremdling an. Dieser sah vornehm und bleich aus, sein voller Bart war ganz silbern vom Reif, und in dem mit schneeweißem Fuchs verbrämten Pelz und dem Marderhut glich er einem fahrenden Waldgrafen.

Hurtig lüpfte der Wirt die Zottelkappe und konnte sich nimmer genug tun in buckelnder Demut. »Meine Herberg steht Euch offen, edler Herr«, redete er. »Es schläft heut zwar Gesindel mit dem Gaukelsack in der Kammer, aber sie müsse sie schleunig räumen, sie mögen nächtigen, wo es sie lüstet, und ihre Zauberei anderweit üben. Ihr sollte bedient werden, Herr, wie es Euch nirgendwo ergangen ist.« Er grinste, und sein Knecht, der wie ein langer Pfahl hinter ihm in den Schnee gerammt schien, grinste mit.

»Räumt den Baum aus dem Weg!« befahl nun der Fremde. Veit Hundspiss war trotz seines schwer schlotternden Bauches flink beim Zeug, und mit seinem knochigen Knecht und dem Umsbraus warfen sie sich an den sperrenden Baum, hoben und rückten ihn und schoben ihn im Husch aus der Bahn.

»Fuchs noch einmal!« wunderte sich der Knecht, »der Baum ist so leicht wie eine Vogelfeder gewichen.«

»Der Wind hat ihn vorwärts gerissen«, meinte der Wirt

Der Umsbraus aber sagte: »Ei, wie lügst du! Mit Säge und Axt hat einer das Bäumlein über den Weg gelegt, dass er sein bitteres Bier und seinen sauern bayerischen Wein an den Mann bringe.«

»Dass dich Gottes Knochen schänd! Du plauderst gar ungereimt daher«, polterte der Wirt.

Der Umsbraus funkelte mit seinem gelben, höhnischen Gesicht ihn sonderbar überlegen an. »Tritt zurück, Hundspiss! Dein Atem stinkt, dir fault der Schlund. Von dir hat mir jüngst geträumt, du bist mit deinem hainbüchenen Knecht selbzweit auf einem Galgenast geritten.«

Der Knecht spuckte sich in die Hände und rieb sie, als wolle er anpacken. »He, du mit der Feder am Hut, ich nehm sie dir herunter. Wer bist denn du? Halt dein Maul, sonst wachsen wir grob zusammen!«

»Lass ihn lästern, Ül!« beschwichtigte Veit Hundspiss seinen Gesellen. »Wenn er das Geld klingen und die Goldfüchse springen lässt, mag er pfeifen nach Willkür.«

Der ritterliche Herr ward ungeduldig. »Macht ein End, sonst erfrier ich bei lebendigem Leib! Schalt er.

Da sahen sie nach den Tieren.

Das Sattelross war nimmer zu retten, es war zu hart gestürzt und hatte sich überdies noch einen starken, spitzen Ast in die Brust gestoßen, es röchelte und zuckte nur noch schwach an den Flanken.

Der andere Hengst hatte sich bloß einen Vorderfuß gebrochen, und der Umsbraus schnitt ihn mit seinem Schwert aus dem Gestänge, riss ihn vom Boden auf und führte ihn am Zügel. Die Augen des schwarzen Viehes gleißten, sein Hauch rauche im Mondlicht, abenteuerlich hüpfte es auf den drei unversehrten Beinen dahin.

Der stockdürre Ül wand sich einen Strick um den Leib, schirrte sich an die geborstene Deichsel und zog mit weit ausgreifenden Schritten und schrägem Leib, indes der Wirt schnaubend hinten anschob. Steil und dunkel saß der Fremde im Schlitten.

Bald hatten sie die Schenke erreicht. Sie sah hinter dem verfaulten, verwahrlosten Zaun und mit den dicken Mauern und den engen, vergitterten Fenstern feindselig und wenig wirtlich darein. Auf dem windschiefen, schroffen Dach raunzte ein Kater.

»Ein sauberer Tümpel!« rief der Umsbraus.

Veit Hundspiss verwahrte sich. »Mein Keller ist wohlbestellt«, prahlte er, »drin saust der Most, drin lagert schillernder Wein und rotes Bier. Meine Scheuer ist voll rauem Futter für die Rösslein der treibenden Säumer.«

Die niedere Tür, darüber der Kopf eine Wildsau genagelt hing, ward völlig ausgefüllt von der Wirtin, einem vierschrötigen Weib mit weitem, grellem Mund. Sie wischte sich die Hände in ihr rotes Schoßtuch und reckte neugierig den Hals.

Ihr Mann herrschte sie an: »Gib dem Herrn vom besten Würzschnaps, dass er sich erwärme!«

»Für dich Rossbuben ist leicht etwas gut«, krächzte der Wirt. »Der Teufel spicke dich!«

»Mal den Teufel nit über die Tür!« warnte der mit der Hahnenfeder.

»Ich fürcht ihn nit.«

Derweil der Ül dem frechen Fuhrknecht den Stall wies, dass er das kranke Tier drin einstelle, trat der Fremde hoch und stolz in die Schenkstube.

Drin brannte ein übles Inseltlicht und verpestete die Luft. Der Raum war öd und ohne Behagen. Hinter dem wackligen, mit Pfützen verunsauberten Tisch lehnte eine zerbrochene Bank an der Wand, der Herd schien Kälte auszustrahlen, an den Mauern zog die Feuchte sichtbar in die Höhe, und die rostigen Stangen der Fenstergitter erweckten das Gefühl, als stünde man in einem Schuldturm gefangen. Ein zersprungener Topf, drin eine dürre, krumme Staude umkam, machte die öde Stube nicht heimlicher.

Drüben im Dachgeschoss stritten Stimmen gen einander.

»Was geschieht über uns?« fragte der Fremde die Wirtin, die eben ein Stämplein Branntwein auf den Tisch setzte. Sie rieb sich die Hände an den Hüften trocken. Mit den kalten, stechenden Augen, der flachen Nase und dem weiten Mund ähnelte sie einer Schlange.

»Ein Possentreiber liegt droben mit seinem Weib in der Herberge, ein kärglicher Gumpel- und Gaukelsmann. Er muss aus dem Bett«, sagte sie. »Solches Gelichter hat in keiner Hand nix, man sollt ihnen schier was schenken.«

Der morsche Tisch wackelte, dass der Branntwein in dem klebrigen Glas überschwappte. Der Fremde rührte es nicht an.

Im Dachgeschoss hörte man den Wirt alle Teufel fluchen. Und bald tat sich die Tür auf, und der verscheuchte Gaukler drückte sich herein, die Lippen blau vor Kälte, erbittert über die Erniedrigung, und hinter ihm wankte sein Weib, halb trunken noch vom Schlaf, daraus sie unbarmherzig gerissen, scheu und mit fallenden Tränen, und drückte ein Säugkindlein an ihren Leib, der wieder gesegnet war.

»Edler Herr, die Kammer droben ist für Euch frei«, lud der Wirt ein. »Euern Mantelsack hab ich schon hinauf geschafft.

Der Fremde klomm die steile, bresthafte Stiege empor und stieß eine niedere, vor Feuchtigkeit verschwollene Tür auf.

Er leuchtete die schimmlig riechende Dachstube ab. Das schmutzige, anwidernde Bett schien noch zu rauchen von dem Leib der Schwangeren. Die Tür hatte nicht Schloss noch Riegel, das Fenster war gewaltig vergittert.

Am Fußboden war ein schwarzer Fleck.

Blut!

*

Stolz rauschte der Fremde wieder in die Schenkstube, Straußfedern und Perlenschnur im Barett, um die Schultern einen dunkelsamtenen Mantel, Gurt und Schwert mit Silber beschlagen.

Die Wirtin, die gerade eine kleine Pfeffermühle drehte, vergab sich und schielte lüstern nach den Perlen, und ihr Mann watschelte, als er der fürstlichen Kleider gewahr wurde, auf den einwärts gebogenen Füßen heran, fröhlich und treuherzig grüßte er mit dem einen Auge, über das andere hatte er ein Häutlein gespannt. Der Strumpf war ihm in keiner Eile von den Waden gerutscht, und er scharwenzelte und seufzte: »Euer Gestrengen, ich bin euer dienstbeflissener Knecht Veit Hundspiss.«

Der Gaukler kauerte mit seiner Sippe in einem Winkel auf dem Estrich und blinkte feindlich den Mann an, der ihn verdrängt hatte und ihn mit dem Prunk seines Gewandes die Armut doppelt bitter empfinden ließ.

Es war eingeheizt worden, die brennenden Scheite krachten und Knatterten im Herd, doch war das feuchte, ungastliche Gemach darum nicht erfreulicher.

Der Fremde ging mit schönen, adeligen Schritten mehrmals auf und ab, dann verweilte er vor der Freu des Gauklers. »Du magst mit Recht verdrießlich sein, weil ich dich um das warme Lager gebracht habe, Weib«, sagte er. »Geh hinauf und schlaf! Ich bleibe diese Nacht wach.«

Sie schaute ihn mit unbewegter Miene an und erwiderte nicht.

Der Gaukler nahm für sie das Wort. »Sie ist taub, seit sie das Kind geboren, und versteht nur mich allein und nur dann, wenn sie mir die Rede mit den Augen vom Mund liest.«

Ahnend, dass die Männer von ihrem Gebrechen sprachen, sagte sie leidmütig mit stiller, müder Stimme: »Alle Nacht schütt ich meine Zähren vor Gott aus, weil ich das Kindel nit hören kann.«

»So ein kleines Wesen heischt einen Heuwagen voller Müh«, sprach der Gaukler unwirsch. »Und jetzt will schon wieder ein zweites zur Welt. Der winzigen Ware wird allweil mehr.«

Wieder verstand sie seinen unmutigen Mund, und mit blassem Lächeln suchte sie ihn zu begütigen und schmeichelte: »Ein kleines Kindel, ein liebes Stundel!«

»Das Elend haftet an uns, seitdem wir beinander sind«, murmelte er, »am Montag haben wir geheiratet, um Dienstag sind wir betteln gangen.«

»Warum treibst du statt deines jämmerlichen Possenwerkes nicht ein ergiebiges Gewerb, das dir die Schüssel füllt und vier Wände um dich baut?« tadelte ihn der Fremde.

Der Gaukler schnellte empor, straffte die Knie und warf die Schultern hoffärtig zurück, Stolz flog seine Stirn an, die schwarzen Brauen rückten zusammen. »Ich bin der Zauberer Basilides de Silva Bohemica«, brüstete er sich. Dann aber schrumpfte er, als habe er sich in diesem beträchtlichen Aufwand von Hoffahrt vergeudet, in seinem Kleinmut zurück, senkte kraftlos die übergraute Stirn und bettelte: »Wenn ihr es verstattet, reicher Herr, trag ich um geringen Liedlohn Euch zu Lust und Kurzweil meine Kunst vor.«

»Kannst du auf dem Kopf einer Stecknadel tanzen?« fragte der Fremde mit gelindem Spott. »Kannst du des Teufels Schwanz wie ein Seil werfen vom Lusen bis zum Rachelfels und darüber schreiten? Schüttelst du Gold aus deinem zerflickten Ärmel und trägst es dann von hinnen, reicher als die Augsburger Kaufleute?«

Der Gaukler Basilides tat, als dringe der Spott nicht an ihn. Er kramte aus seinem Schnappsack einen kleinen Becher und hielt ihn nach mancherlei bedeutenden Gebärden unter seine Nase, da spritzte lichter Wein heraus und füllte das Glas.

Hernach griff er in die Luft, als wolle er eine Fliege haschen, und hielt augenblicks einen gesalzenen Hering in Händen. »Der Fisch ist von der Tafel Seiner Würden des hochmächtigen Kaisers Maximilian, von Nürnberg schickt er ihn mir zu, dass ich mich dran erquicke«, prahlte er, riss den Hering enzwei und fraß ihn samt Gräten und Schwanz.

»Der Fisch sei dir gesegnet, Meister Basilides!« rief der Fremde. »Wirtin, schmor ihm ein Hühnlein rösch! Ihn mag hungern, er hat Luft gefressen.«

Schon machte sich der Schwarzkünstler am Herz zu schaffen, mit dem Leib verdeckend, mit schnellen Gebärden verhüllend, was er vorbereitete, bis er sich jäh mit einem Teller voll auffahrendem Feuer umwandte. »Des Kaisers Fisch macht mich dürsten«, sprach er und trank die Flamme. Es war zu merken, wie sie in seinem Mund hineinschlug und die Kehle hinab glitt, als er daran würgte. Der Teller war leer.

»Nun hast du wacker gesoffen, du armer Specht!« nickte der vornehme Herr.

Basilides war mit seinen Künsten noch nicht zu Ende. Er schnallte sich einen dünnen Degen um, und sogleich erhob sich sein Weib in der Mühsal ihres schweren Leibes und stellte sich vor ihn hin.

Das Kind, das den Schoß der Mutter mit dem rauen Estrich hatte vertauschen müssen, hub erbärmlich an zu weinen. Sie hörte es nicht.

Als Basilides den Degen am Heft fasste und ihn aus der Scheide reißen wollte, brachte er ihn nicht heraus, wie heftig er daran auch zerrte.

»Der Schwertleinfeger Rost hat dir wohl die damastene Klinge verhaftet«, spöttelte der Fremde.

Betreten starrte der Schwarzkünstler ihn an. »Herr, ein höheres Wissen hemmt mich«, flüsterte er.

Doch als er noch einmal anriss, blitzte die Klinge heraus, und er bohrte sie in sein Weib, dass ihr die Spitze am Rücken wieder herfür sah. In stummer Geduld, hilflos, mit hängenden Armen, ungeschickt in ihrer Verunstaltung, stand das arme Frauenbild. Hinter ihr schrie das Kind immer kläglicher, und sie vernahm es nicht.

Die Wirtsleute waren des Geschreies bald überdrüssig und hätten ihm gern den Garaus gemacht, wenn sie nicht gesehen hätten, wie sehr der reiche Mann an dem Schnickschnack des armen Schwartenhansen Gefallen fand, und so stopfte sich Veit Hundspiss die Finger in die Ohren, und sein Weib zischte nach dem Kinde hin, es zu beruhigen. Als Basilides den Degen wieder aus der Brust der Frau zog, drohte ihn der Fremde an: »Das hast du Tausendkünstler jetzt mit böser Hilfe verbracht. Gib acht, dass dich der Henker nicht so hart dehnt, bis dein Bündnis offenbar wird! Gib acht, dass dich der Hexenhammer nicht zermalmt!«

»Der Teufel hilft mir nit«, beteuerte der Schwarzkünstler. »Ich bin so hurtig, dass meinen Griffen dass flinkste Aug nit folgen kann. Es ist ja alles nur blauer Dunst, und das sag ich Euch, Herr, weil ich merke, dass Ihr meiner Kraft auf den Grund schauet.«

Der Herr zog einen goldenen Siegelring vom Finger und bot ihn dem Gaukler. »Du kannst nun noch zwei Künste, du schluckst den Degen und zauberst im Hut einen Rossknollen um in einen Apfel. Ich erlass dir jenen und dies. Nimm den Ring, Joss Säufuß!«

Der Mann erschrak tief. »Wer seid ihr, dass ihr da im fremden Gebirge meinen rechten Namen wisst und mein Treiben?« Er starrte den Ring an, darein ein Name geschnitten stand, las und ward blass und erkannte den rätselhaften Fremden.

»Meister«, stammelte er und wich in Ehrfurcht vor ihm zurück, »o dass ich Euch begegnet bin! Euer Ruf fliegt über alle Welt. Und da ich Euch gefunden und Ihr Euch, ob auch mit höhnischem Mund, ergötzt hat an des fahrenden Mannes Blendspiel, so bitt ich Euch tausend Mal, weiset mit ein Endlein Eurer hoch beschrienen Kunst!«

Der Meister nickte in wunderlicher Laune Gewähr.

Im selben Augenblick krachte es schrecklich, als sei eine Pulvermühle in die Luft gegangen, und hernach rollte es polternd droben im Dachgeschoss. Alle rissen entsetzt die Augen empor, ob nicht der Hut des Teufels durch die Decke stoße.

»Scheibt einer Kegel droben?« stotterte der Wirt.

Der Fremde erwiderte: »Ach nein, mein Leibknecht zieht sich nur die Stiefel aus, er mag dabei einen Hosenjauchzer getan haben.«

»Ich will schauen, ob ihm nix zugestoßen ist«, rief die Wirtin eifrig. »Das Getös ist gar arg gewesen.«

Die taube Gauklersfrau wusste nichts von dem Lärm. Über ihr Kind geneigt, sah sie an dessen verzogenem, bitterem Mündlein, dass es weinte. Da ordnete sie ihm die Windeln, fatschte es frisch und wiegte es: »Klag nit, kriegst bald ein liebes Schwesterlein!«

*

Der Umbraus stand droben auf der Stiege, als die Wirtin kam. Er hatte seinen breiten Hut abgelegt, und sie merkte, dass er Schläfen und Scheitel kahl trug, doch hatte er ein spitziges Zierbärtlein am Kinn und eine kühne Widdernase, seine Augen glänzten wie Tollkirschen, und so gefiel er sich wohl.

»Was begehrst du von mir?« raunte er ihr zu. »Sind dir dein Mann und der Knecht nimmer genug? Suchst du noch dritten, der dir das Bett wärme?«

»Ei, warum nit?« erwiderte sie dreist, und als er sie um die stämmigen Hüften packte, legte sie sich schwer in seinen Arm und seufzte: »Mir ist die Zeit lang in der öden Gegend, wo nix als Schnee und Sturm und Saus ist, so dass man nit lachen und nit weinen kann. Ich bin es satt.« »Ja, Ehe und Langweil schlafen im selben Bett«, sagte der Umsbraus nachdenklich.

Schmeichelnd wühlte sie sich in den kecken Gesellen hinein und zischelte: »Dein Herr trabt doch daher, ein Schwert trägt er wie ein Feldmarschall. Er führt wohl eine ganze Saublatter voll Wildemannsgulden bei sich?«

Der Spitzbärtige nickte feierlich. »Mein Herr ist der Silberkämmerer des deutschen Königs. In seinem Keller liegen Fässer voll Edelstein. Die Mauern seines Schlosses sind hohl und mit Batzen gefüllt, die in Silber geschlagen sind, und wunderklar klirrt es, wenn man durch seine Zimmer geht. Wenn ich dir einen solchen Batzen schenk, was gibst du mir dafür?«

»Du bist aller Schelmen voll«, kicherte sie und kletterte flugs die Treppe hinab.

Sie trat vor die Haustür und lauschte in den Schnee hinaus. Der lange Ül rannte den Säumerweg daher, die Augen voll verglasten Grausens, hart den Atem von sich stoßend, wankend.

»Hast du das verreckte Ross abgehäutet?« fragte das Weib.

»Wenn es bis morgen liegt, zerfetzen es die Wölfe.«

»Es ist schon halb verfault gewesen und hat abscheulich gestunken«, erzählte keuchend der Knecht. »Ich denk mir: ›Stink du zu!‹ und knie mich mit dem Messer auf das Vieh und will ihm die Haut abstreifen. Da hebt sich der Rosskopf, tut die verwesten Augen auf und redet: ›Ül, du kitzelst mich. Steh ab!‹ Und wie ich vor lauter Grausen zustech, als müsst ich den Tod erstechen, schreit es: ›Mordjo, du Lump! O weh, ich hab dir nix getan!› Da bin ich auf und davon.«

»Du rappelst, Ül, oder du bist besoffen.«

»Um tausendhundertgotteswillen, nüchtern bin ich wie der Fisch im Bach! Aber das Luder mag ein anderer schinden, ich trau mich nimmer hin.«

Von dem halblauten Wortwechsel gelockt, schlurfte Veit Hundspiss zur Tür heraus, und nachdem er gewiss war, dass kein unberufenes Ohr da war, begann er mit den beiden heimlich und hämisch zu tuscheln, und er und sein Weib wisperten dringlich auf den Knecht ein, der immer wieder bedenklich den birnförmigen Kopf schüttelte und ablehnte, was die beiden ihm antrugen für diese Nacht, bis die Wirtin ihn herrisch anzischte: »Du gibst ihm einen Schlag!« und dann kehrte sie sich zu ihrem Mann: »Und du gibst ihm einen Stich!«

»Sie sollen die Herberg mit ihrer Haut zahlen«, sagte der Wirt. »Nur der Leibknecht ist zu scheuen, von dem geht es heiß und kalt zugleich weg.«

»Du Schlapphals du!« schimpfte sie. »Den Umsbraus nehm ich auf mich, den neunhäutigen Gauch.«

Damit ging sie ins Haus.

Eifersüchtig glotzte der Knecht ihr nach und ließ die Lippen hängen. »Wenn ein Kerl aus Stahl und Eisen ist, ein Weib mach ihn mürb«, brummte er.

Der Wirt schlich eben durch den engen Flur, da kollerte der Umsbraus holterpolter die Stiege herab.

»Weh, da fall ich mit den Hals entzwei auf dieser Hühnersteige!« heulte er, und sich aufraffend, erwischte er den Wirt bei der Hand. Darin blinkte ein scharfes Stichmesser.

»Ein Kalb will ich töten gehen«, stotterte Veit Hundspiss.

Der Umsbraus tätschelte ihn auf den feisten Rücken. »Tu es! Morgen schlemmen wir. Stell uns Nierenbraten hin und Aal und gefüllte Krapfen! Doch vor allem schaff mir einen Trunk, mein Gaum ist ausgebrannt von der langen Fahrt.« Trällernd trat er in die Schenkstube.

Der Gaukler teilte sich eben mit seinem Weib in ein Stück grünenKäse und einen kargen Brotrest; der Hunger fiel sie nächtens an, weil sie am Abendimbiss gespart hatten. Der Fremde war in die Kammer hinauf gestiegen.

Nun setzte der Umsbraus die Ellbogen in den Tisch, dass es krachte, und reckte die Beine von sich und gähnte.

»Wohlan, ein frischer Trunk macht die Leber gesund!« rief Veit Hundspiss und rückte ihm einen Krug hin.

Der Umsbraus kostete. »Pfui!« schalt er, »das Bier hat ein rindsgallenbitteres Geschmäcklein. Den Plansch mag die Wildsau draußen über der Tür saufen.«

Im Husch sprang er zu dem Schiebfensterlein und riss es auf. Da grunzte und schnaubte es draußen, ein scheußlich borstiger, bewehrter Schweinskopf mit teuflischen Augen reckte den Rüssel herein und schlampte das Bier, das ihm der unheimliche Gast hinhielt, und verschwand wieder.

»Verfluchtes Blendwerk!« tobte der Wirt. »Wer verhext mir das Haus?«

Der Umsbraus beschwichtigte ihn, indem er einen breiten Taler wie einen Kreisel über den Tisch tanzen ließ. »Still, du Zeterwanst, sonst leg ich dir Fünffingerleinkraut auf die Wangen. Da hol dir den Taler und trag Wein auf! Der Durst verwildert mich.«

Veit Hundspiss rief in den Flur hinaus, und der Knecht trottete mit einem Becher Wein daher.

»Bringst du Vernetscher oder Albaner oder Zyperwein?« fragte der heikle Gast.

»Du scheinst mit deinem Fuhrwesen weitum gereist zu sein, da du nach solch milden Dingen begehrst«, schmeichelte der Wirt. »Der Wein vor dir ist ein rasses Gesöff, an der Donau gewachsen. Und nun sauf, über hundert Jahr ist deiner weder Haut noch Haar.«

Der Umsbraus senkte die Nase bedachtsam an das Glas und schnüffelte, hernach schwenkte er es und trank der Wirtin zu: »Dem schönsten Frauenzimmer gebührt die Ehr!« Sie öffnete die blutroten Lippen und regte sie, als tränke sie mit.

Der Ül sah den beiden zu und schnitt ein langes, böses Gesicht, und der fremde Kerl schüttete ihm jäh den Wein darein und wetterte den Triefenden an: »Du Erzbub willst mich vergiften, es ist ja eitel Schwefel in der Suppe drin!«

Veit Hundspiss zügelte den lange bezwungenen Grimm nimmer. »Fahr hin, wenn es dir nit behagt die mir!« zeterte er. »Es sind schon feinere Herren als du eingekehrt bei mit und haben sich begnügt und waren allen Lobes voll über Keller und Köchin. Du Schleckerer, du Kläffer, du Kräkler, du Lästerer, was begehrst du da im frostigen Gebirg? Sollen die Datteln und die Feigen aus dem Schnee dir in den Darm wachsen, du Bruder Wind? Fällt so ein Zapfenbub mir ins Haus, der in Sankt Überall Tag und Nacht im Luder gelegen, und will meiner spotten. Wer bist denn du, dass du so gewaltige Sprüche tust?«

»Ich bin der Knecht meines Herrn, und mein Herr hat in Spanien bei einem Sarazenen die Hexerei studiert.«

»Nun, so trag der Teufel dich samt deinem Herrn durch den Rauchfang davon!«

»Sag des Teufels Namen nit eitel, Vetter Veit! Du wirst einmal in der Höll sitzen und Äpfel braten.«

»Höll hin und Höll her! Ich red, wie ich will, und tu, was mich freut«, brüllte Veit Hundspiss. »Und die Pfaffen mögen auf der Kanzel predigen und plärren; mir macht keiner weis, dass nach dem Leben da ein anderes kommt.«

*

Der Himmel lag aufgeschlagen wie das Buch eines Zauberers, darin Höllen- und Geisterzwang und kräftige Schatzheberformeln vermerkt sind: Dreiecke und Stäbe und andere geheimnisträchtige Silberzeichen flimmerten verwirrend nieder, stiegen über den eisigen Wald oder versanken darein. Starr ragte ein Schattenwipfel in das Bild des Bären, und hin und wieder flammte der Nord in gespenstisch zuckendem Licht.

Um Mitternacht gingen sie hin, wo die Saumstraße von einem abgekommenen, schon längst verwucherten Steig geschnitten wurde, der sich in ein Moor verlor und den nur mehr die Irrlichter beschritten. Dieser Ort schien dem fremden Meister vor jeglicher Störung geschützt und tauglich, dem Gaukler seine Kunst zu zeigen, die er unter bloßem Himmel üben wollte, denn sie war so gewaltig, dass sie das Haus zersprengt hätte.

Das taube Weib ging mit. In dumpfer Angst um das Heil ihres Gefährten hatte sie das Kind in der Schenke schlafend zurückgelassen und klammerte sich nun bang an den Arm des Mannes.

Hintenher schlichen der Wirt Hundspiss und der Ül, sie hielten den Fremden für einen ausgefeimten Schatzsucher und wollten ihm sein Tun und seine Beschwörungen abluchsen, um selber in den Besitz der glitzernden Güter zu gelangen, die noch unreif unter der Erde warteten. Wie sich die beiden unbemerkt wähnten und heimlich in die Fußstapfen der anderen traten, war handkehrum der Umsbraus neben ihnen, so dass sie wie erwischte Diebe erschraken.

»Kommt nur mit und schaut euch die anmutigen Wunder des Meisters an!« lud der Schalk die beiden ein. »Ich flöt euch dazu ein Liedlein.«

Seine Nase wuchs und ward immer länger, sie bekam kleine Löcher und war auf einmal eine angewachsene Schalmei, darauf fingerte er, ein Löchlein zudrückend und wieder ein zweites freigebend, und blies mit verwegenen, grellen Pfiffen ein tolles Stück, dass dem zweiten ein Grausen über die Haut flog.

Und wie er so spukhaft auf der eigenen Nase schalmeite, rollte ein Rad aus dem Gestrüpp quer über den Weg, darauf war ein blutiger Mann geflochten.

»Das bis du gewesen, Ül«, wispelte der Wirt.

Der Knecht stammelte: »Nein, du bist drauf gehangen, Veit Hundspiss, ich hab dich an dem fetten Bauch erkannt.«

Während sie offenen Maules wie verstörte Träumer stierten, deutete der Umsbraus mit der schalmeienden Nase empor in die Wipfel. Sie folgten seinem Wink mit angstweiten Augen.

In einer uralten Eiche droben öffnete sich ein Fenster, ein rothaariger Schädel mit krummem Bart reckte sich an einem ellenlangen, dürren Hals aus dem Baum, lachte grässlich herab und warf seinen Auslug wieder hastig zu, und der Baum war verschollen, und es war ihm nichts Sonderliches anzumerken.

»Der Henker von Grafenau!« stöhnte der Knecht.

»Hört denn das Mummenspiel heut nimmer auf?« verwahrte sich der Wirt, er bebte, und die Kiefer klapperten ihm. »Du treibst allzu viel Gespenstes, Umsbraus. Lass deine Flausen und Schnacken! Wir sind ehrbare Leut.«

Der Schalmeier aber warnte: »Sei still, Holzessigwirt, und sieh zu, dass du nit stolperst!«

Da lag ein Mensch zwerch über den Weg und fahl im Mond, ein Messer in der Brust. Ihm zu Häupten hockte eine Eule und klagte.

Veit Hundspiss und der Ül forschten in das verzerrte Gesicht, fuhren zurück und schritten schließlich mit hoch gezogenen Beinen über den Leichnam.

»Da liegt er und ist doch schon lange verscharrt im Moor«, lallte der Ül.

Den Wirt schüttelte es. »Es friert mich. Ich hab das kalte Fieber, mir schlottert das Hirn.

»Lirum, larum, lasst euch nit äffen!« tröstete der Umsbraus. »Die Nacht spinnt jedem sein Gespenst. Es ist alles Plunder.«

Inzwischen waren der Meister und die Gaukelsleute an dem Platz angelangt, wo die Wege kreuzweis über einander lagen. Der Lusen leuchtete wie eine verschneite Götzenburg durch eine schmale Waldlücke herein.

»Ihr seid glücklich, weil ihr wissend seid, Meister«, seufzte der Gaukler.

Der Meister entgegnete: »Du bist glücklich, weil du noch sehnsüchtigen Herzens bist.«

»Ihr fahret auf fremden Meeren, landet an seltenen Inseln, Herr; Ihr schauet gegenwärtig, was geschehen ist in ältester Zeit; Ihr könnet leben in Vergangenem und Künftigem. Ich Joss Säufuß fahr mit dem armseligsten Gefährt, dem Hundsfuhrwerk, über Land, nächtige in Winkelschenken und muss tölpischen Bauern die Welle kürzen mit manch kläglichem Kniff.«

»Ein sanftes Weib lieb dich, Basilides, ein zartes Kind hast du zu schützen«, erwiderte der Fremde.

Der Gaukler sah schmerzlich die taube Genossin an.

Der Meister ergab sich nun dem Anblick des ungeheuerlich funkelnden, reichen Himmels, sein Leben schien für eine Weile auszusetzen, und er stand erstorben wie einer der winterlichen Bäume rings.

Erst als der Umsbraus die zwei verwirrten Gäuche herbeigeschafft hatte, regte er sich wieder und begann, seine Zauber zu wirken.

Mit dem silbernen Schwert, darein allerhand geheimnisinnige Zeichen gegraben waren, riss er einen Kreis um die geringe Gemeinde und sprach dämmerhafte, fremdländische Wörter halblaut vor sich hin, bis er endlich wild und klingend aufschrie, als zerreiße ihn ein furchtbarer Schmerz: »Es sei!«

Die starren Bäume rings belebten sich, sie rauschten mit den schweren Kronen und wichen in weitem Ring zurück, und als sie wieder standen, umschlangen sie sich mit den Stämmen, verflochten sich mit dem Geäst und bildeten eine undurchdringliche, eissilberne Mauer, und nur ein enges Tor ließ den Weg offen, der zu der Waldschenke führte.

Mitten in dem Zauberkreis sprang ein klares Wasser auf, immer höher spielte der schlanke Wunderbrunnen, bis er den Mond am Himmel erfasst und damit gaukelte, ihn bald in unermessliche Höhen treibend, um ihn dann wiederum beängstigend tief sinken zu lassen, bis er dem Wasser entglitt und zerscherbend auf die Erde fiel. Die Splitter drangen in den Boden ein wie köstliche Samen, und daraus wuchs mitten in Schnee und knirschendem Frost des rauen Gebirges ein himmlischer Wald, ein Eiland der Wonne, das nichts vom Winter wusste.

Ein stetes, reines und freundliches Licht drang aus unbekanntem Ursprung. Aus den Angern der auf einmal weit gewordenen Landschaft quollen berückende Blumen und strebten in frischer Knospenlust auf, hoch loderten Rosenbäume, und die freudigen Rosen daran flüsterten mit dem lauen Wind. Brünnlein pulsten zu Füßen schöner, denkwürdiger Bäume, die sich bräutlich in weißes Duftgewölk verhüllten oder hoffend und erfüllt zugleich selige Blüte und köstliche, saftschwere Frucht am selben Zweige trugen. Goldäpfel glühten, Wein rankte um schlanken Lorbeer, und in smaragdenen und purpurnen Perlen schillerte Traube an Traube. Seltsame Bäume trugen als Haupt eine einzige schöne Blume. Wundervolle Farben verknüpfen sich mit wundervollen Klängen; himmelblau gefiederte Vögel hüpften und schlüpften durch die Äste und redeten mit milden, lieblichen Menschenstimme herab, und selbst die nordisch herben, zäunenden Tannen durchdrang der Zauber, und sie leuchteten, mit fremdem, edelm Obst befrachtet.

Der Gaukler führte staunend sein staunendes Weib durch den üppigen Garten. »Wir sind im Paradies«, frohlockte er, »lass uns allzeit da bleiben!«

Veit Hundspiess und sein Knecht lugten unruhig umher, sie hätten gern die verführerisch tief hangenden Äste geplündert, allein der Kerl mit der langnasig vertrackten Fastnachtslarve hängte sich an sie und schalmeite ihnen die Ohren voll, und sie scheuten seine schlimme Blendkunst, umso mehr als sich dem Wirt ein großer Vogel mit Scharlachkehle und gelben Augen auf die Achsel setzte, gellend auf ihn einschrie und mit dem Schnabel an seine Stirn klopfte, als wolle er Würmer daraus ziehen, und sich lange nicht verscheuchen ließ.

Durch die holden, immer reicher aufbrechenden Blüten drängte sich ein Regenbogen, und der Meister fasste das Perlengeleucht mit der Hand, rollte es zu einem Schneckenreif zusammen und ließ es wieder zurückschnellen an den Himmel, wo es sanft in sich verglühte.

Aus einer hellen, weich geformten Wolke hingen grüne, mit strahlenden Blüten gesegnete Ranken, wuchsen nieder ins funkelnde Gras, fassten Wurzel und trugen nun die mütterliche Wolke wie Säulen ihr Krondächlein.

Bunte Lustvögel schwebten an seidenen Fäden aus dem Himmel heraus, von unsichtbaren Händen geschaukelt, und einer davon schlug holder und wehsamer denn eine traurige Nachtigall.

Immer schöner und schöner wurde es, und als die Menschen wie im Rausch durch Rosen und Wein und Lorbeer wandelten, da verlor auf einmal das Auge der tauben Freu den himmlischen Garten, und sie sagte: »Ich will zu meinem lieben Kindel, es könnt weinen.«

Der Gaukler fasste sie rau beim Arm und zwang sie, au f seine Lippen zu sehen, auf dass sie ihn nur recht gut verstehe. »Lass den Buben, er schläft, und bleib! Wir sind im Paradies!« beschwor er sie. »Wir haben es verdient nach hartem Weg. Bleib und freu dich!«

Sie schüttelte das sanfte Haupt. »Mein Kindel könnt weinen, ich muss es wiegen.«

Er erboste, rüttelte sie wie eine, die aus törichtem Traum geweckt werden soll, und schrie: »Geh nur aus dem Kreis, die Geister werden dich zerreißen!«

Doch sie sprach mit entwanderter Seele: »Mein Kindel könnt weinen.«

Furchtlos überschritt sie den Kreis, der die lauernden Mächte der Hölle zurückbannte, und ging zu dem Tor. Es geschah ihr kein Leides.

»Mit einem sicheren Ring ist sie gegürtet«, flüsterte der Meister.

Das klare Bernsteinlicht ward immer heller und heller, bis alles in lauterem Golde floss. Es war, Gottes Herz habe sich geöffnet. Die stolzen Bäume neigten sich vor der Mutter, die zu ihrem Kinde ging, die Rosen fielen zu ihren Füßen hin und füllten ihr Gewand mit wonnigsten Duft, Lilien wuchsen unter ihrer Ferse, und durch die Tannen wehte ein heiliger Klang. Und als die Frau in der Ferne wallte, verblich das hohe Licht, als wäre es von ihr ausgegangen und ginge wieder mit ihr dahin, und nur dort, wo sie nun verschwand, leuchtete die Luft noch von ihr wie eine fromme Silberspur.

Mit vergessenem Blick, die Hände übers Herz gekreuzt, sah ihr der fremde Gewaltige nach.

Der Umsbraus brach die Stille und grinste seinen zwei Gesellen zu: »Jetzt ist euch das Paradies aus dem Mond gefallen. Nur die Natter fehlt darin, ich hol sie euch.« Und im Hui war der Schelm entwischt.

Der Zauberer aber reckte die Arme waagrecht, er stand starr wie ein aufgerichtetes Kreuz und murrte einen scharfen, gefährlichen Zwang.

Darob versank der selige Wonnegarten in den Grund, und die vereisten Tannen umzingelten die Ödstatt.

Nun begannen droben die Gestirne nach einem geheimnisvoll gedämpften Saienspiel zu tanzen. Entlegene Sterne fanden und umkreisten und vereinten sich, Zwillingsgestirne schieden sich und flogen anderen zu, immer umgeistert von den halblauten Harfen, und mitten durch all diese Bewegung schwang im Gleichmaß, ein mächtiges Pendel, der Mond feierlich hin und her. Und die Sterne ordneten sich zu Kränzen und seltsam verschlungenen Bändern, bis sie schließlich allesamt einen ungeheuren, die ganze Himmelsgewölbe überspannenden Drudenfuß bildeten.

Wieder stand der Meister im Brodem seiner Bannsprüche und hob die Arme steil wie in Dräuung über das Haupt.

Im Flug ballten sich die Lichter droben um den Nordstern zu einem goldenen Klumpen, der verließ mählich den Himmel. Da lastete ein furchtbares Dunkel.

Ungewitter kochten, Sturm brach herein, elmsfeurige Wipfel beugten sich krachend bis zur Erde. Wolken rissen sich auf, Donnerstrahlen stießen wie feurige Schwerter wider einander.

Ein wahnsinnig sich verästelnder, grüner Blitz lag am Himmel und erstarrt. Nun grellten droben sein Runsen, als wäre die Himmelsfeste zersprungen, und in dem gespenstischen Schimmer des gefrorenen Blitzes bewegten sich die plumpen Berge, wälzten sich oder krochen wie finstere Lurche dahin. Das steile, krönende Gefels am Lusen, das burgartig hernieder gedüstert, zerfiel mit gewaltiger Gebärde trümmernd in sich und sandte ein brausendes Getöse aus, als stürzten Himmel und Erde in einander.

»Herrgott, halt mich unter deinem Schild!« betete der Gaukler. »Es naht gen den Jüngsten Tag.«

Den drei Männern war, der maßlose Lärm drehe ihnen das Hirn zu den Ohren heraus, und voll Angst, nun könnten die empörten Geister den Kreis des verwegenen Beschwörers durch reißen, warfen sie sich zu Boden und gruben die Gesichter in die Erde.

Der Meister ließ die Arme sinken und rief: »Genug!«

Bleich war er wie der Schnee zu seinen Füßen und müd und traurig.

Da fanden sich die Männer liegen im unwirtlichen Tann, der Sturm hatte sich gesetzt, und die Sterne leuchteten in ihrer ewigen Unberührbarkeit, in ihren alten Bildern, als wäre nichts geschehen.

Aufgewühlt bis ins Innerste, schritt der fahrende Mann neben dem Zauberer dahin.

»Meister, Ihr könnt alles, der Zorn der Hölle ist Eurer Macht überlassen wie die Gnade des Himmels«, stammelte er. »O, was sind meine unwürdigen Schwänke gegen Eure Kraft! Ich saufe brennenden Weingeist, ich drücke den Schwamm verstohlen an die Nase, dass der Wein rinne. Ihr zerbrecht Gebirge, Ihr zieht das Gestirn herab.«

»Du sollst zufrieden sein, Basilides. Ich will dir einen Beutel schenken, drin das Gold wächst.«

»Nicht Gold der Steine möchte ich kennen und der atmenden Geschöpfe, ausgründen möchte ich, wie Sonne und Mond und das Sterngewölb laufen, im Gestirn erforschen das Schicksal der Menschen und Himmel und Hölle in einem Tag durchfliegen wie du.«

»Glaubst du, Basilides, du würdest stille, wenn du alles wüsstest?«

»Mag kommen, was will! Meister, ich ruf Euch an: lehrt mich Euer Wissen!«

Der Fremde sagte: »Auch ich habe überschauen wollen das unüberschauliche All und hindurch blicken wollen durch die Dunkelheit alles Stoffes ins verborgene, stille, klare Antlitz des Geistes, der formend dahinter steht. Ich habe alle Siegel brechen wollen von den Geheimnisses und den Punkt gesucht, wo ich die Welt aus ihren Angeln drehen kann, die Fabelstelle, wo ich das Unhebbare aufhebe. Hohe Macht ist mir worden. Doch des Menschen Seele stillt sich nie. Wär ihm die Fülle des Erdkreises gegeben, er hätte nicht genug, er zitterten nach der Krone Gottes, und krönte diese ihm die gierige Stirn und hätte er das Sternenall unter seinem Willen bis hinaus in die letzten Dämmer der Unendlichkeit, seinem flackernden Wusch wäre nicht genug getan. Lass ab, o Mensch! Lass ab, Joss Säufuß!«

Der Gaukler presste sich die kalte Hand auf die brennende Stirn, heiser flehte er: »Herr, nimm mich zu deinem Schüler, zu deinem Knecht! Ich könnt dir dienen und danken wie keiner, ich könnt für dich mich schleudern in des Teufels glühendes Bett.«

»Willst du werden, was ich bin, Mensch? Sieh, zwei Jahre noch währt mein Leben. Gott hat mich verstoßen, der Hölle bin ich verpflichtet. Für mich gibt es nur noch Verzweiflung. Die Erde erquickt mich nimmer, der Tod ist mir kein Labsal, er wartet auf mich mit äußerstem Schrecken.«

Der Gaukler schauderte. »Meister, noch hast du Zeit. Tu Buße! Schrei auf zum barmherzigen Gott!«

»Ich kann nimmer, gebunden bin ich mit eisernem Schwur. Ich darf nimmer beten zu dem, der mich ob der Übermaßes meiner Sünden verschmäht. Und nimmer darf ich ein gutes Werk tun, sonst muss ich ein Jahr der teuern Frist hingeben, die mich noch von der ewigen Verdammung scheidet. Ich kann nichts als verzweifeln.«

Aber der Gaukler schleuderte sich, besessen von seinem Wunsch, vor die Knie des Meisters, krallte sich in dessen Mantel und schrie leidenschaftlich: »Und dennoch! Herr, betracht mein hartseliges Leben! Ich hab keine Heimat, ich bin nit ehrlich, mein Leben ist verstoßen, mein Weg läuft ins Elend. Hilf mir! Ich verlang nit Glück. Nur lehr mich dein Wissen.«

»Dies ist mein Wissen«, flüsterte der Meister und entblößte die Brust. Sie war grauenhaft zerfleischt und schwärte, und giftige Würmer fraßen daran. »Betrachte mein heilverlorenes Leben, Mensch, und merke an meinem Leid, wie glücklich du bist!«

Vor diesem Anblick verstummte der Gaugkler.

*

Auf der untersten Treppe kauerte das taube Weib, eine vergessene Laterne brannte trüb, aber das Kind, das die Mutter an der Brust wärmte, war vom Strahlenschein der Liebe umflossen. Sie schaukelte es zart und schmeichelte ihm mit weicher Stimme: »Ei, du mein Büblein, was sollst du mir werden? Ein König sollst du werden, das Krönlein überm nussbraunen Haar, und sitzen auf goldenem Schemel, und die Magd soll dir auftragen süße Mandelkerne und warme Milch, und der Schneider näht dir ein samtenes Mäntlein, und der Schuster misst dir zwei Schuhe an, einen goldenen und einen silbernen, und weiße Federn sollen dir wehen vom Hut, Herzallerschönster.«

Sie nahm nicht wahr, dass ihr Gefährte und der Zauberer zurückgekommen waren und lauschten, was sie halb redete, halb sang.

»Schön ist das Wildtäublein, du bist viel schöner. Ach, du hast keine Wiege! Doch die Knie deiner Mutter sind deine Wiege. Ach, du hast keine Stube! Doch der Mantel deiner Mutter ist deine Stube. O ihr zwei weißen Füßlein, ihr milchweißen, schneeweißen Füßlein, wohin wollt ihr einstmals laufen? Sagt es mir! Lauft nit zu weit von mir, ich bitt euch! Ich will euch weisen auf grünen, weichen Rasen, will dir dort die glitzernden Schneckhäuser suchen. Zeig mir deine Zähnlein! Hast du schon drei feine Elfenbeinlein. Ihr zarten Zähnlein, ihr sollt gute Dinge beißen, tanzen sollt ihr in weichem Brot! Und du süßes Mündlein, heller sollst du singen als alle Schnäbel im Tann! O weh, das Mütterlein ist taub, darf nit hören, wenn das Mündlein singt, hört nit, wie es lacht und weint!«

Der Zauberer griff an die Brust, als fräßen die Qualen wilder und unbarmherziger daran, kämpfend flog sein Atem, sein Leib zuckte. Ein eisiger Flügel peitschte sein Hirn, böse Geisterstimmen warnten und drohten. Zurück!

Himmel und Hölle rangen.

Stöhnend trat er vor, begegnete dem schuldlosen Auge des Kindes, dem schmerzlichen Antlitz der tauben Frau. Sie fuhr auf und wehrte ihn ab von ihrem Kleinen. Das Kind erschrak vor dem fremden Mann und weinte.

Mit tiefem Blick sah er das Weib an, er berührte ihr Ohr und sagte: »Heilige Frau!«

Da wich sie zurück und lehnte entsetzt, entgeistert vor ihm an der Wand, und brach auf einmal in strahlendes Glück aus, und schluchzend drückte sie das Büblein an sich: »Kindel, o ich hör wieder, ich hör dich!«

Ihre Verklärung floss auf den fremden Mann über, er fühlte es, und als dürfe dies nicht sein, ging er scheu hinaus in die Dunkelheit.

*

Indessen war der Umsbraus mit der vor Neugier tollen Wirtin am Kreuzweg angelangt, und als sie statt des wollüstigen Gartens die nackte Öde sah, wo Veit Hundspiss und sein Knecht wie angefroren warteten, da greinte sie: »O du Lügenbub, wie hast du mir mit süßen Sprüchen das Herz gekitzelt, und da ich dir gefolgt bin, steh ich genarrt vor dem kahlen Mond in dem verdammten Waldloch!«

Der Umsbraus ringelte sich verlegen den Spitzbart um den Finger. »Wir haben uns verspätet«, meinte er. »Doch sollst du nit leer heimgehen, schönstes Frauenzimmer, ich will dir weilen, was dir den Mut erfreut.«

Im Mondlicht zückte er sein blaues, breites Schwert und reckte es hoch über sich. Da drehte sich der Schatten, der an seine Füße gebunden war, in rastend schneller Flucht um ihn.

»Das heißt artig gespielt, du Wetterskerl!« lobte ihn der Wirt. »Erlustig uns noch ein wenig, doch nit mit abscheulichem Donner und Strahl, wie es dein Herr getan hat!«

»Freudig dien ich dir«, rief der Umsbraus. Sein Eisen pfiff, der Wirtin Kopf sprang vom Hals und rollte ins Gebüsch. Hurtig bückte sich der Unheimliche danach, raffte ihn auf und fügte ihn, ohne dass ein Tropfen Blut geronnen wäre, hexendi, pexendi wieder an den Leib.

Verzückt öffnete sie die Augen und seufzte: »Wie gut ist das gewesen! Tu es mir noch einmal!«

»Erst will ich die zwei Mannsleut auf eine kleine Weil entkopfen, sie sollen erfahren, wie die Seligkeit schmeckt. Her mit dir, Ül!«

Der Knecht stierte blöd darein und hielt willenlos den dünnen Hals hin, der Umsbraus bog sich zurück, holte aus und schlug zu. Grinsend, mit gebleckter Zunge, lag der Kopf am Boden.

»Jetzt du, Veit Hundspiss!«

»Ich nit, ich um kein Wunder nit. Ich bin ein Wehleider. Üb die Henkerskunst an dir selbst! Trau, schau, wem!«

»Es schmerzt nit, versuch es!« lockte sein Weib.

Ein feiges Lächeln spielte an seinen Lippen. »Ich verlang nit danach. Ich bin nit wunderwitzig.«

Da sah sie ihn an mit grausam kaltem Blick. »Du Hundskragen«, zischte sie, »du willst ein Mann sein und meinen Leib genießen!«

Wie der Hase im Griff des Geiers wand er sich, das Hirn wirbelte ihm, kraftlos schnappte er in die Knie und kroch zu dem Hexer hin und winselte, sich in die verschneite Erde krallend, ein lästerlich feiges Gebär. Mit schwerem Schwung fuhr das Schwert in den Wulstnacken.

Die abgehackten Schädel lagen neben ihren Leibern und schnitten Fratzen, als ob sie lachten.

»Wir schicken die Köpfe dem Eisenvater nach Grafenau, er soll sie hübsch sauber balbieren«, riet der Umsbraus. »Hernach setzen wir sie ihnen wieder auf.«

Ein böser Stern schoss sein Gift hernieder, tückisch rispelte und wispelte der Wind, und die Finsternis glotzte aus dem Tann.

Des Weibes pechschwarze Augen irrlichterten. »Wir lassen die zwei liegen«, raunte sie, »du erdrosselst deinen Herrn, und wir säckeln sein Geld ein und leben in Kurzweil dahin.«

Der Umsbraus funkelte vor Lust, doch wehrte er ab: »O du Höllriegel, das dürfen wir nit tun.«

Sie legte den Finger an die grellen Lippen und besann sich. »Ei, so will ich den zweien die Köpfe zurecht setzen«, begehrte sie.

Die Unholdin kniete hin, packte den Schopf der Ül und tat den birnförmigen Schädel mit den weiten Ohren auf den Hals ihres Mannes, hernach fügte sie dessen rundes Glatzköpflein an des Knechtes dürren Hals.

Die Männer taumelten empor und tappten betäubt nach einem Halt.

*

In dem Waldwirtshaus hub ein wüster Rummel an.

Der lange Leib des Ül, der nun als Knauf des Wirtes Kugelkopf trug, rannte aus dem Stall, und als er den Fremden im Schlitten sitzen und den Umsbraus mit den Mantelsäcken daher kommen sah, gröhlte er : »Fahrt nur hin, ihr Teufelsbanner, und nehmt euer verhextes Ross mit. Ein Fuder Heu hat es schon verschluckt und fünf Malter Hafer, jetzt frisst es die hölzerne Raufe. Es frisst mir noch das Haus zusamm. Das höllische Feuer frisst auf ihm.«

Der Feiste mit dem hohlwangigen Schädel des Ül humpelte aus der Tür. »Zahlen müsst ihr! Wollt ihr mit der Zeche dahin reisen und mich notdürftigen Herbergsvater prellen?«

»Wir schenken dir dafür das Ross«, erwiderte der Umsbraus und stieg auf den Bock, »wir lassen es dir als Segen im Haus.«

»Wie kann euer Fuhrwesen reisen ohne Deichsel, ohne Ross?« staunte der Lange, und er gebot dem Dicken: »Ül, zieh den höllischen Postklepper aus dem Stall. Ein Spittel stift ich, wenn mir der aus dem Haus ist.«

»Du bis der Knecht«, rief der andere, »dein Amt ist es, dass du den Fremden aufwartest. Und das Ross bleibt im Stall.«

»Ich bin der Veit Hundspiss«, kreischte der Lange. »Wer will mir auf meinem Grund und Boden eine Arbeit heißen?«

Während die zwei Tod und Teufel und Gottes Wunden bunt durcheinander fluchten und die Wirtin mit aufgestemmten Armen behaglich die Rauferei erwartete, wuchs aus dem Schlitten eine Deichsel, und deren Ende schwoll zu einer gläsernen Kugel, darin ein glühendrotes Riesenauge schwamm. Die Deichsel selber war mit einer fahlen Haut überspannt, darunter blutgeschwellte Adern sich regten, und schickte sechs dürre, missgestaltete Beine tastend zum Boden hinab, und als diese mit den kralligen Klauen die Erde erreicht hatten, johlte der Umsbraus auf, sein Gesicht erschwarzte, Fuhrwerk und Fuhrmann verschmolzen zu einem höhnischen, schwefelgrell umzackten Scheusal, und mit flammenden Kufen hob sich der Schlitten aus dem Schnee und brauste über die Wipfel davon.

Indes der Gaukler mit Weib und Kind und Karren eilends floh und im Stall er rasende Hengst tobte, als wolle er seinem Herrn in die Lüfte nach, warfen sich die vertauschten Köpfe schreiend ihre Frevel vor.

»Du Erzmörder, du Raubvogel, sei du in meinem Haus bist, ist eitel Mordjo im Brauch. Gewürgt und gestochen hast du, du kannst es nit leugnen.«

»Du Neidbart, du vergönnst mir das Weib nit, drum verleumdest du mich. Und hast doch du die Toten verscharrt im Keller. Die Schergen hetz ich dir auf den Hals.«

Der Wildsaukopf über der Tür grunzte und bleckte die Hauer, die Wirtin lachte wie toll, und die ergrimmten Männer stürzten mit Messer und Knüttel auf einander los.

*

Fern zwischen den Silbermauern des Waldes reiste der Gaukler mit seiner Sippe gen Grafenau. Der mürrische Mond blickte kalt herab, wie Stahl schnitt die Luft, und die Schritte ächzten im Schnee, als beklagten sie ihre Wanderschaft. Es fror bis ins Mark der Berge.

Durch eine Waldlücke lauerte der niedergetrümmerte Lusen, ein Wahrzeichen dieser unheimlichen Nacht.

»Der Wind ist uns gram«, seufzte der fahrende Mann. »Ein hungriger Hund zieht uns den Karren, und unser Weg währt lang. O das wir Menschen sind ohne Heim und Heimat!«

Die Frau aber, über ihr Kind geneigt, flüsterte fröhlich: »Ich hör es schnäufeln.«

»Ja, du hörst wieder«, sagte ihr Gefährte bedenklich, »weißt du aber, ob dir nit zum Fluch wächst, was dir der Zauberer geschenkt hat? Ob dir nit Höllenkunst das Ohr aufgetan hat?«

Sie erwiderte gläubig: »Nit Höllenkunst hat mir geholfen. Ein heiliges Mitleid ist aus dem Himmelreich gefallen wie reinster Tau.«

Auf einer Höhe rasteten sie, denn der Mann war erschöpft, und der Zughund lechzte unter seiner Plage.

Plötzlich raunte der Gaukler: »Weib, kehr dich um, doch erschrick nit!«

Sie schaute in die Schlucht zurück. An jener Stelle, wo sie das Wirtshaus wussten, stieg es rot und wild und flackernd empor.

»Schau nit zu lang ins Feuer!« riet der fahrende Mann und fasste nach der Deichsel, dem Hund zu helfen.

Sie folgte mühsam dem Gespann. Und als sie zu einem Hochkreuz kamen, daran die ewige Barmherzigkeit genagelt hing, sagte sie: »Ich will beten für die arme Seele des Doktors Faust.«


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