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Der Knochenbrecher

In die verlassene, halb ausgebrannte Burg Bayreck nistete sich der Ritter Knochenbrecher ein, ein Landschreck ärgster Art, ein kalter Wegelagerer. Die Burg, die dem wenig urbaren und meist wildwüchsigen Land drunten Hut und Schutz hätte bieten sollen, wurde ein räuberisches Bussardnest.

Der Knochenbrecher plagte und schatzte die armen, grauen Dörfer. Bauer, her mit der Kuh! Euterfleisch will ich haben. Bauer, back Brot! Schaff Milch! Bauer, bring einen Kessel Fische!« Sein Türmer beobachtete das Tal, und rührte sich drunten etwas, so ritt der Knochenbrecher mit seinem plündernden Volk den nackten Berg hinunter, lauerte am struppigen Wettertann in den Hohlgasen, packte den fahrenden Kaufherrn und griff ihm nach der Geldkatze und klauste die Gefangenen in einen engen Felsenkeller, darin sie fast erstickten. Das Lösegeld ließ er sich oft in Pfeffer und anderen scharfen Gewürzen entrichten, die er gern genoss, und dann jagte er die Gefangenen mit abgehauenen Daumen davon.

Allösterlich suchte der Knochenbrecher ein bayerisches Klösterlein heim, drin war an breitem Balken eine mächtige Waage aufgehangen. Er stieg in die eine Schale und ließ das Opfer in die andere einen feisten Bären legen, den er selbst erjagt hatte. Und wenn der Ritter dann in seiner Schale hoch stieg, fühlte er sich aller Schuld erledigt und berechtigt, sein altes Treiben mit grünen Kräften wieder anzuheben. Aus jenem Kloster brachte er ein Kartenspiel mit heim: die Asse drin waren des Heilands Boten: Sankt Peter und Sankt Paul, Sankt Jakob und Sankt Hänslein; die Könige waren die Heiligen Drei aus dem Morgenland und der Kinderfresser Herodes; die Ober die himmlischen Streiter und Reiter und Schwertleute Michel, Jürg, Martin und Sebastian; die Unter die vier Evangelienschreiber, lauter feine und gewichtige Bilder. Der Knochenbrecher mischte die Heiligen tüchtig durcheinander, spielte lärmend mit seinen Knechten und nahm dies für Hochamt und Gebet.

Weil seine Gewalt dem Richter die Waagschale aus der Hand schlug und den Landfrieden störte, waren ihm der böhmische König und die nachbarlichen Städte nicht gewogen und drohten, seine Burg zu sengen und zu sprengen. Darum wollte er, sich den Rücken zu stärken, durch eine kluge Heirat starke Freunde und Beisteher gewinnen. Frau Melosine, eine Riesenbergerin und bereits zwiefache Wittib, wagte es mit ihm. sie war ein turmgerades, breites Weib, das Mieder hielt ihr kaum die üppigen Brüste in Schach. Zu Lichtmess, als die Bärinnen im Gebirge brünstig wurden, traten die beiden in den seligen Stand der Ehe. Auf der Riesenburg wurde geheiratet. Da schlemmte und schlampampte der Knochenbrecher mit seinen Schwägern und geriet dabei mit ihnen um des Brautschatzes willen überzwerch. Von solch wilder Hochzeit hatte man noch nie erfahren, die Gäste balgten sich auf den Dielen, und selbst die Braut schlug mit den derben Fäusten darein. Schließlich klirrte der Knochenbrecher mit seinen unschlachtigen Pfundsporen die Stiege hinunter und ritt in großem Unmut mit seiner Frau Melosine von hinnen.

Sie ritten durch die rauen Hallihallowälder, die Fichten standen wie schwarze Schwerter gegen den Mond gerückt. Der Wind wetzte sich am Eichenast, und die Gäule trampelten durch den Schnee.

Droben stand der Turm von Bayreck, verräuchert noch vom alten Brand, doch stolz und steif und noch wehrlich genug. Aber als Freu Melosine darin einkehrte, verschlug es ihr den Atem: die Stuben waren dumpfe Löcher, wacklige Leitern führten von Geschoß zu Geschoß, ein Fass war der Tisch, ein Stein der Stuhl, und Rauch wallte durch das ganze Haus. Frau Melosine hustete sich schier das Herz aus dem Hals. So schlimm hatte sie sich die Wirtschaft nicht gedacht. Und des Ritters Hunde, rotaugige Bärenbeißer, himmelten vor dem Kamin, knaufelten an kahlen Knochen, kratzten sich das Ungeziefer und stanken. Und die Knechte standen überall im Weg, grobe Tölpel mit neugierigen, bretternen Gesichtern.

»In welches Werwolfsnest hab ich mich gesetzt!« klagte die Braut.

Er tat die eisernen Handschuhe ab und lachte: »Es schmeckt dir wohl oder übel, du bleibst bei mir!«

Das Brautbett war eitel Stroh. Doch hing davor ein kostbarer flandrischer Teppich, darein war Gott Amor gewirkt, der mit dem Pfeil auf den Schoß eines Fräuleins zielte.

Die Ritterin kochte, um dem Bräutigam zu beweisen, welch rüstige Hausfrau sie sei, eine Erbsensuppe, schlug einen Eidotter und schnitt gebähte Semmeln und gebratene Äpfel darein. Solches war ihm neu und macht ihn fröhlich. Sein Koch hatte nur eine abscheulich schmeckende Ölsuppe oder zähes, hirschenes Wildbret auf den Tisch gestellt oder einen Wildsaukopf mit scharfem Senf. Hurtig ließ der Knochenbrecher Wein auftragen und pfefferte ihn heftig, auf dass er Durst und Löschung zugleich schaffe.

»Trink!« rief er der Frau zu.

Sie aber wiegte sich in den wuchtigen Hüften. »Meinem ersten Mann hab ich das Bier verboten, meinem zweiten den Wein«, sagte sie tückisch.

Er grolpste sie an: »He, du willst gar das Heft führen im Haus?!

Sie lachte ihm böse in den Bart: »Mein erster ist in einer Woche kirr geworden, mein anderer an einem Tage.«

Da stand er vor ihr, grelläugig, die Lippen dünn und grausam, das Haar brandgelb, das Herz wolfswild. »Kein Weib wird drei Männern zum Teufel«, sagte er. »Kriegt sie zwei unter sich, der dritte zahlt ihr's heim!«

Sie lag wütend und mit weinenden Augen zu Bett und hörte im Stockwerk unter sich die Wüstlinge die Becher stürzen und die trunkene Mette singen. Dabei übten die Eulen grässliche Nachtmusik, und der Wind heulte mit. Fürwahr, solch bitterer und karger Brautnacht hatte sich Frau Melosine nicht versehen!

Als der Lärm unleidlich wurde, erhob sie sich und fuhr wie ein gereizter Foltergeist durch die Stuben. Sie betrat den Knochenbrecher, wie er und einer seiner Knechte, sich bei den Nasen haltend, tanzten. »Was soll die Narretei?« rief sie scharf.

Der Ritter trank ihr zu. Sie schlug ihm den Krug aus der Hand.

Da fiel er über sie her. »Du Frau Nimmerfried, du schlimme Rippe, du Gräuel, du bissige Natter!« fluchte er.

Der unholde Mann ließ sie in einem Käfig droben zum Turm hinaushängen. Sie wünschte ihm die Hölle an den Hals, sie drohte, ihm die Suppe mit Gift zu würzen. Weit in den Tälern drunten hörte man sie brüllen. Der Ritter aber bestellte schleunig einen Fiedler und einen Pfeifer, und sie Mussten zu ihrem Geschrei ihre hübschen Tänze aufspielen.

Hernach brach ein Unwetter ein, Schnee und Sturm. Der morsche Käfig schwankte bedenklich in den Lüften, und das Weib zeterte heiser: »Ich geh wieder. Lass mich fort! Zwei Narren vertragen sich nicht!«

Nach neun Monden, da sie ein geduldiges, zahmes Weib geworden, kam sie in Kindsnöten. Das kleine Männlein wollte just der Quere aus dem Mutterleib, und daran gingen beide zugrunde.

Der Knochenbrecher übte seine Plünderei weiter. Er Stäubte den Krämern die Pfeffersäcke. Er hielt mit seinen Missgesellen im Hinterhalt und beraubte die Bußbrüder, die gen Heiligenblut reisten. Er nahm wallfahrenden Bauern das silberne Kühlein weg, das sie in der Leonhartskirche opfern wollten, die Viehsterbe abzuwenden.

Da sagte ihm die Städte Taus und Klattau ab und schickten ihm einen Boten mit dem Brief, drin sie Fehde anmeldeten.

Auf sein Schlachtschwert gestützt, inmitten seiner Wildschweinbeller, und der Rotte der Knechte, befahl der Knochenbrecher dem Boten: »Lies mir den Zettel vor! Ich kann nicht lesen!«

Der Sendling entfaltete die Rolle und hub an, wie die von Klattau und die von Taus ihn als einen Feind des Kreuzes Christi und der Menschheit betrachteten – da tat der Ritter einen Rülps – und wie sie seine falschen Griffe und schnöden Schwänke ahnden und ihn zuschanden stoßen und ihn auf den Tisch legen und vierteilen wollten wie eine Sau.

Langsam richtete sich der Knochenbrecher auf, seine Gelenke krachten, alle Sehnen an ihm spannten sich, bis er zitterte. Seine Augen waren blaues Wetterlicht. Er entriss dem Boten den Entsagebrief und schlug ihn ihm ums Maul. »Der Speier soll sein eigenen Gewöll fressen!« schrie er. »Ja, friss den Fetzen, friss ihn in aller Teufel Namen!« Und er zwang den Mann mit dem Schwert, die Schrift zu schlucken, stückweise hinabzuwürgen.

Binnen einer Woche lagerten die Städter um die Burg, den Stoßfalken wollten sie ausheben. Der Berg Osser trug einen fahlen Nebelhut, im sumpfigen Tal von Freihöls gellten die Frösche.

Der Knochenbrecher setzte sich rücklings ins Fenster, dem Feind zum Spott. »Sie werden uns nicht aushungern«, sagte er. »Fleisch ist genug vorhanden. Erst essen wir die Katzen, hernach die Ratzen.«

Mit einem Pfeil schoss er denen drunten eine pergamentene Urkunde hinunter, drin setzte er sie feierlich zu seinen Erben ein und vermachte ihnen seinen letzten Kot.

Der Hauptmann drunten schwur bei den Rippen der Erzengels Michael, den Schimpf zu strafen.

Schon der erste Stückschuss traf, und Bayreck brannte.

Der Knochenbrecher fluchte, er wolle die Burg wieder aufbauen und das Blut der Städter dazu in den Kalk mischen. Lange hielt er sich in dem feurigen Turm, und als er endlich heraussprang, war er voller Brandblasen, als wäre er in des Teufels Bratröhre gesteckt. Er wehrte sich grimmig. Fechten konnte er nicht, nur wüst darein schlagen. Wie ein hauender Eber stand er.

Die Städter überwältigten ihn, banden ihn reitlings auf einen Ochsen, ketteten ihm die Füße unter den Bauch des Tieres zusammen und schafften ihn fort. Es war ein schmerzhafter Ritt.

Zu Prag türmte man ihn in den Dalenturm ein. Um seinen brandgelben Kopf, um sein hartes Genick sollte er kommen. Der Beichtvater vermahnte ihn zur Reue.

»Pfui Teufel, kotz Harung!« lachte der Ritter.

Nun hielt ihm der Mönch vor, wie unerträglich heiß die Hölle sei. Er deutete auf eine Kerze, die in dem düsteren Keller flackerte. »Da haltet Eure Hand drein und kostet. Die Hölle ist aber noch tausendmal heißer.«

Da reckte der verstockte Mann die Linke in das Licht. Wohl zuckte er anfangs auf, dann aber hielt er mit teuflischer Beharrlichkeit, die Lippe zum Spott gekräuselt, die Hand ins Feuer, lange, lange, bis ihm das Fleisch bis zum Bein hin schmolz und der entsetzte Mönch ihm die Kerze entriss. »Es ist zu ertragen«, lachte der Ritter.

Auf einem schwarzen Tuch zwischen Kreuz und Licht kniend, sollte der Knochenbrecher enthauptet werden. Höhnisch grinste er den Richter und das schaugierige Volk an. Als ihm aber der Henker mit feuchtkalter Hand über den Nacken in den Schopf huschte, schoss ihm der Schrecken ins Blut. Er sprang auf, raufte mit dem Hinrichter, schlug ihm das Schwert aus den Händen und hätte ihm bald ein Leides getan. Die Knechte hatten zu schaffen, ehe sie ihn niederzwangen.

Und da der Henker den enthalsten Schädel hob und der Menge zeigte, öffnete sich noch einmal der schmale Mund des Gerichteten und spie auf das Volk hinunter.


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