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Rede über die deutsch-französische Verständigung

(Gesprochen im Herrenhaus zu Berlin
Februar 1928)

Als ich im April vorigen Jahres im International house in Newyork, wo Studenten aller Nationen eine generöse Gastfreundschaft genießen, mit einer Dringlichkeit, der es wahrhaftig nicht an zureichenden Gründen fehlte, für eine Verständigung der Jugend von Nation zu Nation plädierte, sah und spürte ich, wie schon bei vielen andern Anlässen solcher Art, daß die jungen Leute zu diesem Gedanken in voller Bereitschaft stehen, ein gewisser Enthusiasmus ließ sich gleichfalls nicht verkennen, woran es gebrach und immer noch gebricht, ist die Aktion und die Kontinuität der Aktion. Einzelne haben das Stichwort ausgegeben, und man kann mit Freude feststellen, daß dieser Einzelnen immer mehr werden, aber der Text, der die Stichworte verbindet, ist noch zu fragmentarisch oder existiert in zu vielen und vieldeutigen Varianten. Ein Menschheitsbedürfnis von dieser Wichtigkeit müßte aber keiner Auslegewillkür unterworfen sein, das soll heißen, daß wir gleichsam aus der unverpflichtenden Commedia dell'arte ein folgerichtiges und wirksames Schauspiel zu machen haben, aus dem Wort die Tat. Nicht anders verhält es sich mit der Verständigung der geistigen Schöpfer, der führenden Schriftsteller, deren innerster Beruf sie auf die Humanitas verweist, und was könnte Humanitas sonst bedeuten als Vermittlung und Verstehen, Beseitigung versteinerter Vorurteile und Ausrottung der Barbarei. Ich erblicke darin nicht bloß ein ideales Ziel, wir haben erlebt, daß wir mit allerlei Idealismen, da sie auf weitgedehnte Zeitepochen zielen und damit die Verantwortlichkeiten aufschiebbar und abwälzbar machen, im unfruchtbaren Sand steckengeblieben sind, sondern ein rein praktisches, ein unmittelbar nützliches. Zu nahe rücken einander die Interessen, zu dicht gegeneinandergestellt, zu eng ineinandergewirkt ist alles Leben, die Erde ist zu klein geworden für egoistische Völkerexzesse; wenn wir uns mit einiger Freiheit, mit einiger Herzhaftigkeit auf ihr bewegen wollen, müssen wir Grenzen öffnen und Barrieren zerbrechen, jede Störung eines Teiles bringt das Ganze in Gefahr, die Menschheit selbst am Ende, so wird eine sittliche Pflicht zu notwendigem Dienst, und jeder nationalistisch Ummauerte entzieht sich demnach dem Menschheitsdienst.

Das mag in weiterem Belang Zukunftsmusik sein, was den geistigen Brückenbau zwischen Frankreich und Deutschland angeht, ist er innerhalb der europäischen Situation eine Sache von augenscheinlichster Importanz. Es hat mir immer scheinen wollen, als beruhe der Zwist zwischen den beiden Völkern auf einem historischen Mißverständnis, das allmählich zu einer unheilvollen Konstruktion erstarrt ist, auf jener Unduldsamkeit und Eifersucht, vielleicht Wetteifersucht, wie sie zwischen Brüdern von ungleichem Charakter, aber ebenbürtigem Genie zu herrschen pflegt. Als vor mehr als tausend Jahren das alte Frankenreich zerfiel, war noch eine naturgegebene Einheit vorhanden, der geschichtliche Sinn dieser Einheit, erzeugt von der geographisch-politischen Lage zwischen Südmeer und Nordmeer und der Bedrohung durch den geheimnisvollen Osten, ist eigentlich bis heute unverändert derselbe geblieben, nur hat sich nach elf Jahrhunderten des Irrtums in den besten Köpfen und Herzen beider Völker neben dem Bewußtsein physischer Zusammengehörigkeit auch das der seelischen und geistigen entwickelt, ein Prozeß, dessen Fortschreiten, wie ich fest überzeugt bin, nicht mehr aufzuhalten ist. Statt des Gegensätzlichen tritt infolgedessen immer mehr das Ergänzende hervor, wir können viel voneinander lernen, viel voneinander gewinnen, wir wollen nicht aufhören zu erobern, hüben wie drüben, aber wir wollen Menschen erobern, Geister, Werke, und das wird uns so erfüllen und befriedigen (ich unterlege diesem Wort seinen tiefsten Sinn), daß wir für die roheren und barbarischeren Formen des Begriffs weder Zeit noch Lust mehr haben. Französische Literatur war stets ein verführerisch-heiteres Erlebnis für den gebildeten Deutschen, in vielen Fällen auch ein profundes und umwandelndes, das seine Erfahrung bereicherte, seinen Formensinn erzog und ihn als Weltbürger beglaubigte. Was ich und ein ganzer Kreis von Mitschaffenden ihr verdanken, das auch nur anzudeuten, würde Ihre Geduld erschöpfen und die mir gewährte Zeit weit überschreiten. Vor hundert Jahren war es schon einmal so, daß Goethe in einem optimistischen, vielleicht prophetischen Augenblick von einer fruchtbaren Wechselbeziehung sprechen durfte, ich glaube, heute ist es mehr als ein schwärmerischer Traum, es ist eine Verwirklichung, auch drüben strecken sich uns die Hände entgegen, und was könnte wirklicher sein, als daß ich in dieser Stunde die Ehre haben darf, einen der illustren Repräsentanten des zeitgenössischen französischen Schrifttums in unserer Mitte zu begrüßen.


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