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Brief an einen jungen Autor

(Aus dem Jahr 1924)

Sehr geehrter Herr, überflüssig, Ihnen zu sagen, daß ich Zuschriften ähnlichen Inhalts wie die Ihrige fast täglich erhalte; nur sind sie freilich nicht so vortrefflich geschrieben und selten so tiefgreifend und gehaltvoll. Aber da liegt schon die erste Schwierigkeit; mit dem Mehr an Gehalt und Persönlichkeit verringert sich auch die Aussicht auf eine nur einigermaßen zufriedenstellende, Sie und mich befriedigende Antwort. Rechnen Sie noch dazu die geradezu beklemmende Fülle meiner täglichen Korrespondenz, die unendlichen Anforderungen, die in jeder nur erdenklichen Hinsicht an mich gestellt werden, so bin ich gewiß weitläufiger Entschuldigungen für die Unzulänglichkeit dieses Briefes Ihnen gegenüber enthoben.

Als ich Ihre Epistel, die mich stark und nachhaltig bewegt hat, durchgelesen hatte, fragte ich mich: bedarf es da überhaupt einer Antwort? Kann es eine Antwort darauf geben? Überlegen Sie nur eines: seit beinahe dreißig Jahren bin ich am Werk und habe ein Gebäude aufgerichtet in dieser Zeit, das für alle Welt genügend sichtbar ist. Die Totalität dieses Geschaffenen ist von einem und demselben Geist bewegt und erfüllt. Die darin ausgedrückte Lebensidee, Gottesidee, Schicksalsidee spricht nicht unmittelbar zu den Menschen, sondern durch das Medium der Gestalt und Gestaltung. Und je mehr ich fortschreiten durfte auf dem Weg des Schöpferischen, je mehr ich seine Gesetze und Gebote erkannte, je mittelbarer mußte der Ausdruck werden, so daß, wie im »Faber«, zuletzt nur noch die Figur dasteht und ihr kreatürliches Wollen und Leiden. Dieses Wollen und Leiden dem Worte nach, etwa formelhaft, zu kommentieren, ist mir nicht bloß versagt, sondern es würde auch den Sinn und das Wesen des Werks zerstören. Es ist mir einfach nicht gegeben, das Gemachte, Geschaffene, Geschaute selber zu erklären; da es, wie sich immer mehr herausstellt, ein wirklich Lebendiges ist, so hat es auch das ganze Geheimnis, aber auch die weite und freie Deutbarkeit des Lebens. Damit muß ich mich unter allen Umständen begnügen.

Ob auch andere es tun? Es scheint nicht. Ich mache allzuoft die Erfahrung, daß sie sich nicht damit begnügen. Was bleibt mir da übrig? Es ist eine schlimme Situation, in die ich den Fordernden gegenüber gerate. Man soll Rätsel lösen und geistige Bedrängnisse mildern und kann nur sagen: schaut! empfindet! vertraut der inneren Stimme! Wenn ich Ihre Worte genau erwäge, will es mir vorkommen, als stecke, ohne Ihr Wissen, die Antwort schon in dem Geschriebenen. Die Tatsache Ihres Ernstes, die Tatsache Ihrer Frage, die redliche, aufrichtige Bemühung, das furchtlose Aug-in-Aug-Stehen dem Ungewissen, Schwankenden, Fließenden gegenüber, das ist schon ungeheuer viel, eine sittliche Haltung, die, in einem übertragenen Sinne natürlich, durch meine gestaltete Welt vielleicht schon bewirkt wurde. Ich glaube nicht daran, daß es ein Arkanum als Lebensform im allgemeinen gibt. Ich glaube, eine solche Form ist stets nur ein historisches Faktum, und wenn wir sie von einer Gegenwart fordern, befinden wir uns in einer durch die vorgreifende Idee erzeugten Täuschung. Ich glaube an die Möglichkeit der sittlichen Entwicklung des Individuums und bis zu einem gewissen Grad auch an die Möglichkeit der seelischen Verwandlung, im Sinne der Form sowohl wie im Sinne der Freiheit, um bei Ihrer Terminologie zu bleiben. Aber immer nur, was den Einzelnen betrifft, im Kreis seines Willens, seines Schicksals, seiner Erkenntnisfähigkeit, seines metaphysischen Vermögens und seiner Harmonisierbarkeit, wenn Sie den Ausdruck recht verstehen. Wird nun eine Anzahl solcher Individuen durch einen geistigen, religiösen oder sonst irgendwie seelenbindenden Anlaß in gleicher oder ähnlicher Weise befruchtet und der Emporzüchtung der Rasse dienstbar gemacht, so entsteht das, was man im banalen und rationalistischen Sinn Fortschritt nennt. Später, historisch betrachtet, zeigt sich dies als der Ausweg, der Höherweg, die Befreiung, unter Umständen sogar, wenn die treibende Kraft, wie etwa bei den großen Religionsstiftern, groß genug war, die Erlösung. Das ist auch der Sinn und Zweck der großen Kunstwerke und großen Künstler.

Mehr zu sagen bin ich nicht imstande.


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