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Teilnahme des Dichters an der Politik

Keine Frage, es steht heute mit der Teilnahme des Dichters an öffentlichen Dingen anders als vor fünfundzwanzig oder dreißig Jahren. Ich wähle den Ausdruck »öffentliche Dinge«, weil sich eine genaue Umgrenzung des Begriffes Politik bisher noch nicht hat feststellen lassen, ein Übergangszeitalter wie das gegenwärtige ist wesentlich auch eines der Grenzverschiebungen, -verwischungen, -erweiterungen. Noch am Anfang des Jahrhunderts durften sich die Literaten, von den schöpferischen Künstlern ganz zu schweigen, mit guten Gründen weigern, in das verworrene Interessenspiel und Parteigezänke, das damals Politik hieß, tätig oder nur gefühlsmäßig einzugreifen, es galt sozusagen für nicht ganz fair, für nicht standesgemäß, wenn man sich dazu hergab. Heute liegt die Sache anders. Warum aber? Nicht als ob man eingesehen hätte, daß die Folgen dieser etwas hochmütigen Enthaltsamkeit ziemlich üble waren, welcher Mensch oder welche Menschenklasse, erkennt sie schon, was sie unterlassen und verfehlt, zieht aus der Versäumnis die Konsequenz für das Zukünftige? In der Hinsicht sind wir allzumal Sünder vor dem Herrn. Zwingend ist nur die Notwendigkeit, nie die Einsicht, Wandel schafft allein die Not. Und wir haben wahrhaftig die falsche Bescheidenheit (falls es nicht schuldvolle Bequemlichkeit war), die es ermöglichte, daß alle diplomatischen Pakte, parlamentarischen und gesetzgeberischen Entschließungen über unsern Köpfen und hinter unsern Rücken entstanden, teuer genug bezahlt. Ein l'art pour la politique wäre natürlich nur das andere, nicht weniger sterile, nicht weniger pfäffische Extrem des l'art pour l'art, indessen die res politicae haben aufgehört, Fachmannsangelegenheiten zu sein, etwas wie privilegierte Verschwörung unter hochgeborenen Spezialisten und einigen durch den Machtkampf der Parteien vorgeschobenen Abgeordneten. Damit will ich nicht billigem Dilettantismus und jener wesenlosen Opposition das Wort geredet haben, die in verhängnisvoller Weise alle umsturzlüsternen Phantasten bis zu den Halbwüchslingen herab zu ihren Geschäftsträgern macht, allein wie der Staat nicht mehr das starre Gebilde von ehedem ist, sondern, zur Anpassung an neue Ordnungen, neue Bedürfnisse, neue Vergesellschaftungen und internationale Bindungen gedrängt, eine andere, hoffentlich innerlich erneute Kategorie zu werden verspricht, ist auch »Politik« nicht mehr das Konventikel- und Geheimtreiben einer abgetanen Welt und Zeit, sondern der Augenpunkt jedes zu sittlicher Verantwortung bereiten Staatsbürgers. Und dem sollte sich der Dichter entziehen, entziehen dürfen? Das war, bei den entscheidenden Persönlichkeiten, niemals der Fall, es ist auch heute nicht der Fall. Es tritt immer klarer hervor, daß z. B. die Rolle Stefan Georges eine im höchsten Sinne politische war und ist. Dostojewski war neben allem übrigen ein eminent politischer Dichter. Geht man auf das Wesen der Symbolbildung, auf die Natur des Symbols überhaupt ein, so ist ein Werk wie Hofmannsthals »Turm« ein Politikum durch und durch. Der Roman kann seiner ganzen Beschaffenheit nach gar nichts anderes sein, als Spiegelung der Zeitrealität, Sinngebung der Zeit; Distanz und Abbreviatur, die zu den wichtigsten Grundgesetzen der Kunst gehören, lassen dann auch die politischen Elemente als künstlerische erscheinen: man sehe sich nur die Balzacsche Figuren- und Tatsachenwelt daraufhin an, oder die Proustsche, oder den Thomas-Mannschen »Zauberberg«, und wenn ich im »Fall Maurizius« den Zustand der Justiz und das Verhältnis der Gesellschaft zur Gerechtigkeitsidee darstelle, ist es im höheren Sinn auch ein politisches Faktum. Unter der Oberfläche liegt dann freilich manches andere, nicht so leicht Erkennbare. Worauf es ankommt, ist Identifikation mit dem Schicksal der Epoche; persönliches Sicheinsetzen, obschon es zu einer so unvergeßlichen Manifestation führen kann, wie die Zolas im Fall Dreyfuß, oder zu so imposanter Wirksamkeit, wie bei Björnstjerne Björnson, ist bei großen Temperamenten dann nur eine letzte Folgerung.


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