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Sprachgeist

Viele, denen unsere Sprache mehr und anderes bedeutet als ein Mittel zu geschäftlichen Verständigungen, Lieferungsbestellungen, Versammlungsberichten und Parteikundgebungen, sind sich gleich mir der Gefahr bewußt, die durch die jetzt beabsichtigte Maßregel, Maßregelung einer grandiosen Welt-, Geistes-, Volks- und Zeitenschöpfung droht Es handelte sich damals (1922) um einen Gesetzentwurf zur sogenannten Vereinfachung und Vereinheitlichung der Orthographie.. Webt und schafft einer in diesem Stoff, so ist es ihm Gewissensnotwendigkeit, die Gewissen aufzurütteln, die zu träg, zu stumpf, zu phantasielos sind, zu verstrickt in den Tag, um die Tragweite solchen Eingriffs zu erfassen oder gar sich dagegen aufzulehnen. Warum auch sollten sie? Es geht ja nur um geistiges Gut. Die Niederung, die wir im sausenden Herabsturz erreicht haben, wird auch noch diese Schande und Schändlichkeit mit ihrem Sumpfdunst umschleiern.

Schriftbild, Schreibung ist das Element, worin die Sprache scheinbar erstarrt, um Dauer zu gewinnen, Plastizität, Form. In Wirklichkeit fließt diese Form wieder nach bestimmtem Gesetz; die Wandlungen, die sie erleidet, sind logisch-organische, erstrecken sich auf lange Zeitläufte, und eine plötzliche und willkürliche Störung des Prozesses hätte eine ähnliche Wirkung, wie auf einen gesunden Körper die Amputation gesunder Gliedmaßen. Und auf Amputation ist es ja in diesem Fall abgesehen; Messerattentat am blühenden Leibe.

Der arme Leib hat sich ja schon Quacksalber und Pfuscher die Menge gefallen lassen müssen. Ich gehöre nicht zu den Lobrednern des Alten, nur weil es alt ist; erst recht nicht zu den Verteidigern eines von Latinismen und Gallizismen gedunsenen Stils. Aber man muß unterscheiden zwischen überflüssigem, verunstaltendem Fremdstoff und natürlicher Bereicherung. Die vorgreifende Wut der Puristen um jeden Preis schießt mit Kanonen nach Spatzen und verletzt oft eine Blutader, wo sie einen Auswuchs zu beschneiden glaubt. Ist doch die Sprache einem nachgiebig weichen Gewand vergleichbar, das sich willig der Gestalt des Trägers anschmiegt, also der Zeit, ihrer Bewegung, ihrem Schritt und ihrem Maß. Die unauffällige Weiterentwicklung, sinnliche Erneuerung geschieht durch die großen Schriftsteller einer Nation, aus deren Hirn und Herzen die frischen Zuflüsse in das Sammelbecken strömen und es ebensowohl füllen, wenn der Pegel Tiefstand meldet, als es reinigen, wenn die Fläche sich getrübt hat.

Bedenklicher als das Treiben der völkischen Eiferer finde ich die Besonderheitssucht gewisser jüngerer Literaten, die sich nicht damit begnügen, den Periodenbau, ja das einfachste Satzgefüge bis zur Unkenntlichkeit zu verschränken und zu verkrüppeln, sondern mit berufmäßiger Gründlichkeit auf den Artikelmord ausgehen. Offenbar aus tiefen philosophischen Erwägungen heraus. Wo sie einen Artikel erblicken, wird er erbarmungslos geköpft. Daß dann so ein Satz zumeist wie böhmisches Küchendeutsch klingt, beirrt sie nicht groß; daß das Ausgedrückte im wahren Sinn die Artikulation verliert und possierlicherweise das Gegenteil von dem erreicht wird, was sie als höchstes Ziel zu schätzen vorgeben, nämlich Knappheit und Bestimmtheit, läßt sie kalt. In dieses Kapitel gehört auch der um sich greifende Unfug, das Genitiv-s bei Zusammensetzungen auszumerzen, gedankenlos und wo immer es um seine Rechte bittet. Es ist z. B. zweierlei, ob ich sage: berufmäßig oder berufsmäßig; herzenskundig oder herzenkundig; abgesehen von der Verbindungsbrücke, die damit der Zunge gebaut wird, ist jenes um einen minimalen Grad allgemeiner als dieses. Wer fühlt das nicht? Wer hört es nicht? Hat denn der Sprachgeist solche Feinheiten aus Laune und Bosheit erfunden, daß man sie in Laune und Bosheit vernichten darf? Aber wenn nur Silben und Wörter und Buchstaben »erspart« werden, mag die Kraft, die Bedeutung, die Schönheit, die Biegsamkeit zum Teufel gehen. Bei keinem andern Volk wäre dergleichen möglich. Der Deutsche revolutioniert immer in der Richtung auf Selbstzerfleischung.

All das ist verwirrend und verstimmend, aber es sind individuell begrenzte Vorgänge. Wenn aber auch der Staat das Sanktuar zu plündern sich anschickt, wenn er unter dem Hinweis auf Vereinfachung, leichtere Mitteilbarkeit und Lehrbarkeit oder aus sonstwelchen Gründen Zerstörung gesetzlich macht, so wird das Übel zum Unheil, und er gleicht einem Mann, der ein Meisterwerk der Malerei mit grauer Tünche überstreichen läßt, mit dem Argument, die starken Farben und Farbengegensätze würden von schwachen Beschaueraugen als störend empfunden, und das Grau sei verständlicher und überblickbarer als die bunte Mannigfaltigkeit.

Soviel mir bekannt ist, wendet sich der Angriff oder das Komplott vornehmlich gegen die Dehnungen, die Zwielaute, die Hauchlaute, die Stummlaute und weiterhin gegen die Substantivinitialen. Die letzteren kann man vielleicht entbehrlich finden, obwohl dieses gotische Prinzip dem deutschen Schriftbild eine bedeutende Prägung verleiht, blickfällige Abstufung und bei der der Grammatik eingeräumten Freiheit der Substantivierung mancher mißverständlichen Auffassung schon äußerlich vorbeugt. Doch ist hier der Brauch vielleicht mächtiger als die Notwendigkeit. Die Reform ist ja im Bereich abseitiger gelehrter Übung wie in dem der Poesie nicht eben neu; die »Blätter für die Kunst« haben sie vor fast dreißig Jahren bereits durchgeführt; seither bedient sich der Stefan Georgesche Vers dieser Vereinfachung sowie der Weglassung der Inneninterpunktion als eines Mittels, um auf das lesende Auge einen beständigen Zwang zur Rhythmisierung auszuüben. Es entsteht dadurch ein lapidares Gefüge; der Satz ist derart gebaut, daß die für den Blick fehlende Teilung sich aus der Atmung ergibt. Das darf sich leisten, wer Lapidares zu sagen hat, wer den geistigen, den beseelten Bogen zu spannen vermag.

Nachzuweisen, wie sehr die Anschauung an das Zeichen, das Erinnerungsbild an seine durch Übereinkunft und Gewöhnung erzeugte Abbreviatur gebunden ist, wie das Sinnliche mit dem Lautlichen und dieses wieder mit dem Hieroglyphischen zusammenhängt, wäre eine philologische und sprachwissenschaftliche Aufgabe. Ich bin kein Philologe, ich kann mich nur auf die Erfahrung stützen und das Gefühl zu Rate ziehen. Es scheint mir z. B., daß das Wort Höhle, so wie wir es bisher geschrieben haben, einen außerordentlich faßlichen Lauteindruck von der Beschaffenheit des vermittelten Begriffs gibt. Entfernt das euch überflüssig dünkende Dehnungs-h, und ihr habt ein ärmeres Ding, ärmer in der Masse, im Klang, im Bild und unausbleiblich dann ärmer in der dauernden Vorstellung. Es scheint mir, wenn ich aus dem Wort liegen den Stummlaut eliminiere, daß ich damit die Nachdrücklichkeit, die Stetigkeit des Zustandes sinnlich schwäche; ich bin überzeugt, daß trokken nicht das nämliche ist wie trocken; das doppelte k ist Verschärfung, Verhärtung, Härte, Zackigkeit. Ich finde die Phantasie reicher, malerischer, ahnungsvoller und ahnenhafter als die Fantasie (von der ja vermutlich auch das gesanglich wichtige Stumm-e abgeschnitten werden soll). Alle diese Hemm- und Akzentvorrichtungen der Wörter haben ihre Bedeutung; bisweilen merkbar, bisweilen verborgen. Sie sind aufs innigste mit Farbe, Bewegung, Zeitbestimmung, Raumabgrenzung eines Vorgangs verknüpft, und sie in ihrer sichtbaren Wesenheit beschädigen heißt nichts anderes, als sie in ihrer Funktion und Dynamik beeinträchtigen.

Nicht sogleich. Eine Weile noch wird das Gedächtnis das Kolorit bewahren, die überlieferte Fülle, den ererbten Eindruck, den innen beweglichen, außen festumschlossenen Blutkreislauf der Begrifflichkeit. Nach und nach, es ist nicht zu verhindern, tritt dann Verdünnung ein, Verflachung, Entfärbung. Wo die Form armseliger wird, muß unabänderlich auch der Gehalt armseliger werden. Wird es der Gehalt, so verringert sich der allgemeine Vorrat an Werten. Man nehme an, eine Qualität, eine Handfertigkeit, irgendeine wohltätige Einrichtung, Ergebnis des Nachdenkens und der freien Entwicklung gerate eines Tages völlig in Verlust und Vergessenheit. Die Künftigen werden sich behelfen, im Notfall Ersatz finden; das Verlorene wird ihnen um so weniger fehlen, je mehr es ihrem Bewußtsein entglitten ist: aber sind sie deswegen minder beraubt? In einen Krug mit abgebrochenem Henkel kannst du noch immer Wein gießen; doch es ist ein Krug ohne Henkel. Er hat nicht bloß von seiner Schönheit, sondern auch von seiner Nützlichkeit einen Teil eingebüßt. Hat ein Unfall oder die Mangelhaftigkeit des Materials den Schaden verursacht, so muß man sich darein schicken; wenn aber der Besitzer, um sich die Handhabung zu erleichtern oder um für die Unterbringung Raum zu gewinnen, selber die Henkel abgeschlagen hat, so darf man billig an der Vernunft dieses Mannes zweifeln, vom Geschmack nicht zu reden.

Es handelt sich weniger um den Tatbestand als um den Dolus. Ich muß beim Anruf bleiben, bei Warnung und Beschwörung. Oder hätte ich mich gegen den Verdacht der Pedanterie zu schützen, des Götzendienstes, der Überschätzung des Herkommens, der ästhetischen Betrachtung? Gäbe es unter empfindenden und gebildeten Deutschen, und an die nur wende ich mich, solche, die nicht spürten, daß es hier ans Herz und Mark ihrer Welt geht? Verringerung, Beschneidung, Niederwalzung, Grau-in-Graufärbung, Bequemermachen, Entkernung, Entblätterung, das ist der Vorsatz. Was für einen Sinn hätte sonst die wilde Razzia auf Silben und Buchstaben? Arbeitsersparnis? Platzersparnis? Die Sprache ist ja nicht nur ein Nutzgegenstand und Zweckbetrieb. Gewiß, man kann sie schließlich, wenn aller Geist vertan, verspielt, versteint ist, so zum Gebrauchsdienst erniedrigen und vergewaltigen, daß sie zur Bedeutung eines Maschinenbestandteils herabsinkt. Wir können zusammenrücken, von Lebensangst gepeinigt, und uns unsere leiblichen Bedürfnisse ins Ohr, unsere jammervollen Seufzer zum Himmel stammeln: ein Vokabularium von sechshundert Worten genügt dazu. Die Neger existieren auch; niemand hat sie noch nach einem Dante, Goethe oder Hölderlin schreien hören. Wenn man bloß zu existieren begehrt, kann man auf innere Gestalt verzichten. Man spricht heute viel vom Untergang unserer Kultur; vielleicht gehört dies zu den Symptomen. Wer aber das Verhängnis erkennt, soll wenigstens seine Kraft dafür einsetzen, es hintanzuhalten. Bedenkt: ein Wort ist eine Kostbarkeit. Resultat tausendjähriger Bildung wie ein Diamant. Was es vermittelt, aufrührt, erschließt, woraus es quillt, worauf es zielt: Resultat tausendjähriger Verständigung und Anschauung. An einer Lockerung, einer Verklammerung, einer Schwingung hängen unabsehbare, unzählbare Kristallisationen des Gefühls, der Metapher, der Erkenntnis; da sind unwägbare Veränderungen der Schwere und des spezifischen Gewichts, Variationen kleiner und kleinster Seelenereignisse. Im einzelnen unscheinbar; die Summe ist das Ganze eines geistigen Daseins und geistigen Verlaufs; ist Besitz, Volksbesitz, Ewiges. Man muß nur im Teil das Ganze sehen können. Der natürliche Abbröckelungsprozeß ist unerbittlich genug, warum ihn beschleunigen? Überlaßt es der grausamen Zeit, Ruinen zu schaffen, gebt nicht eure Hände dazu her.


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