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Einige Bemerkungen über den »Fall Maurizius«

Als ich im Sommer 1925 den »Laudin-Roman« beendet hatte, war der »Fall Maurizius« geistig schon konzipiert. In dem Gespräch zwischen Laudin und dem Notenfälscher Lanz stecken schon die Elemente des Maurizius-Romans. Wer sich für die Entstehungsgeschichte dichterischer Werke interessiert, möge dieses Kapitel nachlesen. Die beiden Produkte verhalten sich zueinander wie Vorhalle und Haus. Es ist die Idee der Gerechtigkeit, die den Herzpunkt im »Fall Maurizius« bildet; man kann sie ja in meinen Büchern bis zu den ersten Anfängen zurückverfolgen, wer sich der Mühe des Nachweises unterziehen will, kann sie in manchen Novellen, z. B. in der »Schaffnerin«, in »Clarissa Mirabell«, im »Caspar-Hauser-Roman« oder in der »Ursanner Episode«, im »Mann von vierzig Jahren« und viel früher noch in der Klostergeschichte im »Moloch« finden. Aber ich werde mich hüten, den Literaturhistorikern ins Handwerk zu pfuschen und mich selbst zum Gegenstand kritischer Analyse zu machen. Oberflächliche Beurteiler werden sich die Tatsache einer oberflächlichen Motivenverwandtschaft nicht entgehen lassen, um auf die Ähnlichkeit zwischen dem »Fall Maurizius« und dem Fall Hau hinzuweisen. Eine solche Ähnlichkeit ist ja unleugbar vorhanden, allerdings mehr in der psychischen Konstellation als im äußeren Verlauf; denn das Verbrechen ist nicht dasselbe, die Lebenssphäre, in der es sich abspielt, ist nicht dieselbe, Charaktere und Personen sind nicht dieselben; es ist eine Ähnlichkeit, die aus der Zeitverfassung hervorgeht, auch aus der allgemeinen Rechtsverfassung; die Motive, die speziell und individuell gewesen sind, werden dann durch einen Prozeß, der im Spiel der sozialen Gegensätze begründet ist, ja im Schicksal der ganzen Epoche, typisch und generell. Ich leugne auch nicht, daß der Fall Hau einen gewissen Anteil an der Kreation des Buches hat. Der ungeheure Vorgang beschäftigte mich schon vor zwanzig Jahren, er blieb mir inneres Bild und reifte langsam zum Symbol. Wer aber hier Anklänge, Analogien oder gar Schlüssel sucht, gleicht einem Menschen, der im Atelier des Bildhauers nach den vertrockneten Tonmodellen stöbert, ohne einen Blick auf die ausgeführte Statue zu werfen. Der Schlüssel sperrt kein Schloß mehr, und die Tür ist erst recht nicht mehr da. Es handelt sich um viel Größeres, und dieses »Größere« durchdrang mich während der zweijährigen Arbeit an dem Buch fast bis zum Selbstverlust. Es zu definieren ist überflüssig, darauf hinzudeuten ist fast schon zuviel. Es teilt sich dem Leser wohl ohne weiteres mit. Um noch eine handwerkliche Bemerkung anzufügen, so habe ich in dem Buch etwas ganz Neues versucht: kein Nebeneinander, Auf- oder Hintereinander der Fabel, sondern ein Untereinander in die Tiefenrichtung. In Gesprächen mit Freunden habe ich es bisweilen mit einem in die Erde gebauten Trichter verglichen, dessen schmalste Öffnung oben, dessen weiteste unten liegt. Das von Seite zu Seite beschleunigte Tempo des Buches bedingt, als rhythmisches Gesetz, eine Aneinanderkettung der Dialoge, kein zeilenmäßiges Abbrechen, wie es sonst im Roman üblich ist. Es erfordert dies auch eine andere Art des Lesens.

Über das Lesen im allgemeinen will ich nun etwas sagen.


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