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18

Dicks Büro lag neben dem von Bourke und war ebenso wie das andere durch schwere Fenstergitter gegen das Eindringen Unberufener geschützt. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, um einige wichtige Briefe zu erledigen. Plötzlich erinnerte er sich des für Mary Dane in Empfang genommenen Telegramms. Er zögerte, ehe er sich endlich entschloß, das Siegel zu brechen. Er nahm den Umschlag aus der Tasche und blickte auf die Adresse: Wie vom Schlag gerührt, fuhr er zurück. Sie lautete: Mary de Villiers!! Also hatte sich Lordy Brown an jenem Abend doch nicht getäuscht? Das Mädchen, das er belästigt hatte, war Mary de Villiers gewesen? Nun erinnerte er sich auch des Briefteils, den er im Gepäck des toten Brown gefunden hatte. Auch hier war eine de Villiers erwähnt gewesen. Mit zitternden Fingern öffnete der den Umschlag und begann zu lesen.

»Dank für Geldsendung Miss Villiers. Kam sehr gelegen, da vollständig mittellos. Browns Ermordung bedauerlich, aber nichts anderes zu erwarten gewesen. Dank nochmals für Geld, Miss de Villiers.«

Unterschrieben war das Telegramm von Mrs. Lordy Brown.

Mary? War sie es, die nach Kapstadt Geld gesandt hatte? Drei Dinge waren ihm nun klar. Mary Dane war in jener Nacht, da Lordy ermordet worden war, im Haus Derricks gewesen und entweder selbst die Täterin oder Zeugin der Tat gewesen. Wahrscheinlich hatte sie Brown sterbend angetroffen, und er hatte sie wohl ersucht, seiner Frau das Geld zu schicken. Erkannt hatte der Sterbende das Mädchen bestimmt. Woher hätte sie sonst Mrs. Browns Adresse wissen sollen? Mary hatte den Schwerverletzten verbunden und dabei ihr Verbandbesteck liegenlassen. Wer mochte den Südafrikaner ermordet haben? Gab es zwei Banden in dieser Sache, beide hinter dem Vermögen – oder was es sonst war – her?

Das Telefon meldete sich, und er nahm den Hörer auf. »Bist du es, Dick?« es war Marys Stimme, voller Angst und Furcht.

»Ja, ich bin es, Mary. Ich habe deine Depesche geöffnet.«

»Ich wußte es. Eine Depesche von Mrs. Brown, nicht wahr? Man sagte es mir im Postbüro. Dick, willst du mir einen Gefallen tun?«

»Gern, wenn es mir möglich ist.«

»Kein ›Wenn‹, Liebling«, bat sie. »Du mußt!«

»Was willst du denn von mir?«

»Ich bitte dich, mich heute nacht um ein Uhr in dein Haus einzulassen. Du mußt aber vorher Derrick mitteilen, daß du in Tommys Zimmer schlafen wirst. Bleib an der Tür stehen, und sobald du mich daran kratzen hörst, mußt du sofort aufmachen. Laß alles dunkel; kein Licht darf brennen, wenn ich komme. Noch eins, Dick! Du sollst mich behüten wie deinen Augapfel; so, als wenn du mich über alles lieb hättest. Laß mich nicht aus den Augen, Dick. Wirst du das für mich tun? Minns weiß, daß ich kommen werde. Bitte, frage mich jetzt nicht weiter, Liebling. Wirst du alles tun, was ich sagte?«

»Ja.« Sie hängte ab.

Minns wußte, daß sie kommen wollte? Was sollte das heißen? War auch der Diener Tommys an diesen Rätseln beteiligt?

Dick war kaum eine Viertelstunde zu Hause, als Minns bereits erschien.

»Ich habe heute von Mylord Nachricht bekommen«, berichtete er. »Er wird gegen Ende der Woche nach London zurückkehren. Sie wissen ja, daß er bald heiraten ...«

»Ja, das weiß ich«, unterbrach ihn Dick ungeduldig. »Aber andere Dinge gibt es, über die ich nicht so gut unterrichtet bin, Minns. Kennen Sie Miss Mary Dane?«

»Ja«, antwortete der Diener, ohne zu zögern.

»Sie kennen Miss Dane, die Krankenpflegerin?« Dick war starr.

»Ja, ich kenne die Dame. Sie war schon einmal hier. Es ist die Dame, die Sie zum Bahnhof begleiteten, nicht wahr?«

Dick hatte vergessen, daß Minns Mary an jenem Abend gesehen hatte, als sie ihn unter dem Vorgeben, er möchte sie zum Bahnhof begleiten, aus dem Haus gelockt hatte.

»Haben Sie letzthin von ihr gehört?« erkundigte er sich.

»Ja, Sir, verschiedentlich.« Der Mann zuckte mit keiner Wimper.

»Sie sind also, richtig ausgedrückt, ein Komplice von ihr, wie?«

Minns lächelte. Respektvoll und ruhig.

»Ja, in gewisser Beziehung, Sir«, gab er zu. »Ich habe ihr verschiedene Male dabei geholfen, wenn sie das Haus nebenan untersuchte.«

»Mein Gott!« Dick glaubte kaum seinen Ohren trauen zu dürfen. »Sie wußten, daß Miss Dane sich als Einbrecherin im Nebenhaus betätigte?«

»Einbrecherin? Das nicht, Sir. Ich weiß auch keineswegs bestimmt, ob es wirklich Miss Dane war, der ich half. Die Dame soll doch eine Doppelgängerin haben. Jedenfalls nannte sich die Dame, die sich bei mir immer meldete, Miss Dane. Sie war einige Male drüben.«

Dieser ehrliche, respektvolle Diener eines Lords des Königreiches – dreißig Jahre im Dienst der Familie – hatte sich dazu hergegeben, fremden Eindringlingen in Derricks Haus den Weg zu ebnen? Träumte Dick? Er wußte im Augenblick nicht, was er sagen sollte.

»Wir werden uns über diese Dinge noch unterhalten, Minns«, erwiderte er endlich, nur um etwas zu sagen. »Wer weiß, ob Sie sich nicht strafbar gemacht haben.«

Wieder lächelte der Diener.

»Einmal wenigstens ist es mir gelungen, Sir, Sie vor einem Unfall zu bewahren.«

Dick verlangte zu wissen, was Minns meinte, aber der weigerte sich, ein weiteres Wort in der Angelegenheit zu verlieren.

Während Dick nachdenklich beim Essen saß, trat Derrick bei ihm ein, um ihn zu fragen, ob er ihm drüben für die Nacht Gesellschaft leisten werde. Hätte Dick nicht Mary versprochen, auf sie zu warten, er hätte der Aufforderung Walter Derricks sicherlich Folge geleistet.

»Na, es schadet nichts«, meinte der joviale Mann leichthin. »Morgen kommen Sie ja doch, und dann werde ich Sie viel bequemer unterbringen können als heute. Vielleicht sind Sie so liebenswürdig, Ihren Alarm heute nacht einzustellen und die Verbindungsbrücke zwischen den Balkonen bestehen zu lassen, damit ich, wenn sich etwas ereignen sollte, gleich zu Ihnen hinüber kann.«

Auch jetzt zögerte Staines, dem Vorschlag des andern zuzustimmen. Derrick bemerkte es und lachte.

»Sie wollen nicht gestört werden, Staines? Auch gut, lassen wir also die Brücke weg. Na, vielleicht gelingt es mir, dem Gespenst das Handwerk zu legen, damit man wieder unbesorgt drüben schlafen kann.« Er lehnte Dicks Einladung zum Essen ab. »Ich werde im Klub erwartet«, sagte er. »Ich komme aber auf meinem Rückweg wieder herein. Ich möchte am liebsten das ganze Haus niederreißen lassen, damit endlich einmal Ruhe wird.« Er verhielt auf dem Weg nach draußen noch einen Augenblick den Schritt: »Sie waren also auch bei der Bombenwerfergeschichte von Eastbourne dabei, Staines? Was halten Sie denn davon? Wer war denn der Täter? Ein Nihilist?«

»Ich kenne die politischen Anschauungen des Herrn Lavinsky nicht«, gab Dick ruhig zurück. »Aber sicherlich sind sie derartig, daß sie ihn nicht hindern, Bomben zu verfertigen und auch zu verwenden.«

Walter Derrick pfiff leise vor sich hin.

»Lavinsky? Heißt er so? Klingt wie ein russischer Name.« Er lachte, und Dicks Nerven zitterten von diesem Lachen noch nach, als Derrick schon lange gegangen war.

Dann nahm er sich Minns wieder vor.

»Haben Sie jemals in Südafrika gelebt?« fragte er ihn.

»Jawohl, Sir.«

»Wie lange ist das her?«

»Kurz nach dem Tod des Vaters von Lord Thomas. Ich nahm in Südafrika eine Stellung an, da der junge Lord noch zu klein war, um meiner zu bedürfen.«

»Minns!« Dick hatte das leise Zögern bemerkt, ehe der andere die Auskunft gab. »Haben Sie dort jemals etwas ausgefressen?«

»Jawohl, Sir.« Der Diener feuchtete sich seine trocken gewordenen Lippen an. »Man hat mich beschuldigt.«

»Des Diebstahls?«

»Ja. Ich war jedoch unschuldig.«

»Wurden Sie verurteilt?«

»Nein. Ich bin einer der seltenen Fälle, wo man wirklich einen Unschuldigen griff. Ich wurde freigesprochen, doch es war eine ziemlich knappe Sache für mich. Glücklicherweise fand man den wirklichen Dieb, ohne ihn aber ergreifen zu können.«

»Lordy Brown?« fragte Dick. Aber Minns schüttelte den Kopf.

»Der Name tut nichts zur Sache. Sir.« Es stellte sich heraus, daß man ihn, den Diener eines reichen Südafrikaners, beschuldigt hatte, Silberzeug aus dem Haus seines Herrn gestohlen zu haben. »Wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen die ganzen auf den Fall bezüglichen Zeitungsartikel geben. Meine Schwester hat sie sich aufgehoben. Sie werden aus ihnen ersehen können, daß ich wirklich unschuldig war.«

»Hm. Warum sagten Sie mir nicht, daß Sie Brown kannten?« Und als Minns nichts erwiderte, fuhr er fort: »Kannten Sie Miss Dane in Südafrika?«

»Nein, sie nicht, aber ihren Vater kannte ich dort.«

»Sie hieß damals Miss de Villiers, nicht wahr?«

»Ich glaube, ja. Wünschen Sie noch etwas, Sir?« Als Dick den Kopf schüttelte, verbeugte er sich und verließ das Zimmer.

Minns kannte jene geheimnisvolle Familie? Plötzlich erinnerte sich Staines, daß Tommy ja auch eine Bibliothek besaß, in der er vielleicht das »Who is Who?« von Südafrika finden konnte. Er war erfolgreich in seinem Suchen, denn kurz darauf hatte er das Gewünschte gefunden.

»Ferrers, W. G. (Digger Bill Ferrers), Federgewichtler, Meister von Australien sowie von Südafrika. Wurde später in Kapstadt von H. de Villiers in der dreizehnten Runde besiegt.«

Henry hatte die Wahrheit gesagt! De Villiers! Er hatte selbst seinen wirklichen Namen verraten. Er war der Vater Marys.


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