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7

Derrick hatte ihnen ihren Ausflug gar nicht übelgenommen. Sie trafen ihn bei ihrer Rückkehr im Garten.

»Ja, ich weiß, es ist ohne Frauen zu langweilig hier«, gab er zu. »Ich wollte schon die Krankenschwester einladen, die sich hier herumgetrieben hat.«

»Eine Krankenschwester?« riefen die Freunde gleichzeitig aus.

»Ja; wer sie ist, weiß ich nicht«, entgegnete der Hausherr. »Sie zigeunerte hier im Garten herum, angeblich meine Blumen bewundernd. Sie war so hübsch, daß ich es nicht übers Herz brachte, sie darauf aufmerksam zu machen, daß das Betreten meines Gartens verboten ist. Sie sah dem Mädchen von Brighton außerordentlich ähnlich. Möglich auch, daß ich mich täusche, denn die Tracht macht ja diese Leute ähnlich wie ein Ei dem andern.«

Tommy starrte Dick entgeistert an.

»Wann war denn das?« wollte Staines wissen.

»Vor einer Stunde.«

»Dann können Sie Ihren Kopf verwetten, daß es nicht die Dame von Brighton war«, versicherte ihm Dick.

»Komisch, ich hätte darauf schwören mögen«, gab Derrick zurück. »Meine Besucherin war übrigens nicht allein; ein Mann wartete außerhalb des Grundstückes auf sie. Ich sah ihn durch die Zaunlücken. Sie stiegen in ein Auto und verschwanden. Der Wagen hatte am anderen Gartenende auf sie gewartet.«

»Fiel Ihnen an dem Mädchen etwas Besonderes auf?« erkundigte sich Staines.

»Sie kam nicht ganz in meine Nähe«, erwiderte Derrick nach kurzem Nachdenken. »Sie trug aber, soviel ich sah, hellgelbe Handschuhe, was mir, da ja meist weiße zur Tracht getragen werden, besonders auffiel.«

Mary Dane hatte, als die beiden Freunde ihr in Bognor begegneten, hellgelbe Handschuhe getragen! Warum trug auch sie nicht die üblichen weißen? Wer war die mysteriöse Doppelgängerin?

Der Inspektor verabschiedete sich von seinem Gastgeber, um nach London zurückzukehren. Derrick, der der frühen Abreise wegen betrübt schien, bot seinem Gast an, ihn im eigenen Wagen nach London zurückbringen zu lassen, was Dick gern annahm, da die Zugverbindung – besonders sonntags – entsetzlich war. Vorher ließ er Tommy mit dessen Diener verbinden, damit er ihm die notwendigen Instruktionen hinsichtlich des erwarteten Gastes geben konnte. Als er gegen Abend in London eintraf, war auch die gesamte Dienerschaft zu Hause. Während der Kammerdiener den Kaffee servierte, wandte er sich an den Inspektor: »Die weibliche Dienerschaft macht um das Nebenhaus einen großen Bogen, Mr. Staines.«

»Warum das?« fragte Dick erstaunt.

»Sie sagen, es gehe dort um. Das ist natürlich Unsinn«, fügte der Diener hinzu, »aber auch der Wächter, der im Nebenhaus wohnt, ist der gleichen Meinung. Er will dem verstorbenen Mr. Derrick begegnet sein. Er kannte ihn vor seinem Tod und zweifelte nicht daran, daß es dessen Geist war. Er war so erschrocken, daß er ganz vergaß, dem Gespenst nachzugehen.«

Das war das erste Mal, daß Dick etwas von dem Gespenst des alten Grundstücksspekulanten erfuhr. Er meldete, sobald Minns das Zimmer verlassen hatte, sofort ein Gespräch nach Keyley an. Derrick war am Apparat.

»Das ist natürlich Unsinn«, gab er zurück, als er den Worten Staines' gelauscht hatte. »Sonst müßte ich ja schon früher etwas davon erfahren haben.«

»Würden Sie mir gestatten, den geistersehenden Larkin dieserhalb einmal vorzunehmen?« wollte Dick wissen.

»Natürlich, gern. Rufen Sie ihn an, oder suchen Sie ihn persönlich auf. Sie können ihn ja auch kommen lassen. Hoffentlich wird man nicht gerade einzubrechen versuchen, während er bei Ihnen ist.« Dick ging ins Nebenhaus, um Larkin zu vernehmen. Er traf den Wächter beim Abendessen.

»Ja, Sir«, bestätigte er auf die Frage des Inspektors, »ich war wirklich zu Tode erschrocken, als ich auf einmal den alten Derrick so vor mir stehen sah. Ich bin kein altes Weib und war Soldat. Ich glaube nicht alles, was man mir sagt, aber was mir meine eigenen Augen zeigen, das muß ich doch wohl glauben. Ich sah den Alten wirklich.«

»Erkannten Sie ihn denn?«

»Gewiß; ich habe ihn vor seinem Tode viele Male gesehen. Er kam ja beinahe alle Tage in unser Büro – ich arbeitete früher für einen seiner Makler, der mich dann auch an Mr. Walter empfohlen hat, als er einen Wächter für dieses Haus suchte.«

»Beschreiben Sie, bitte, das Äußere des Verstorbenen.«

»Er war hager, aber ziemlich klein. Ihnen hätte er kaum bis an die Achselhöhlen gereicht. Außerdem hinkte er. Sie würden ihn von weitem erkennen können.«

Niemand hatte bisher erwähnt, daß der alte Derrick gehinkt hatte.

»Schildern Sie mir, was geschah, als Sie den Alten zu erblicken glaubten«, forderte Dick Larkin auf.

»Ich saß gerade beim Abendessen, als ich oben auf der Diele leise Schritte zu hören glaubte. Ich nahm meinen Revolver und schlich mich langsam ins Obergeschoß. Da ich nichts sah, knipste ich das Licht an. Speisezimmer und Salon waren verschlossen, und ich wollte schon wieder hinunter, da ich dachte, ich hätte mich getäuscht. Da wiederholte sich das Geräusch. Diesmal kam es vom zweiten Stock, und ich kann Ihnen versichern, daß ich mich mit dem Hinaufsteigen nicht allzusehr beeilte; endlich langte ich doch oben an. Dort, gegen das Geländer gelehnt, erblickte ich den alten Herrn, wie er leibte und lebte. Das Mondlicht beleuchtete voll sein Gesicht, und ich erkannte ihn sofort.«

»Und was taten Sie dann?«

»Erst stand ich wie versteinert und blickte ihm nach, während er sich, hinkend wie zu Lebzeiten, entfernte.«

»Haben Sie denn das Stockwerk näher untersucht?«

»Ja, ausnahmslos sämtliche Räume. Alles war in bester Ordnung. Ich wollte Ihnen die Wahrheit sagen, weiß aber, daß mich Mr. Derrick entlassen wird, wenn er erfährt, wie feige ich mich benommen habe. Ich sauste so schnell wie möglich in die Küche zurück. Der Appetit auf das unterbrochene Abendessen war mir vergangen.«

Dick lachte, bis ihm die Augen tränten.

»Sie armer Kerl«, bedauerte er den Wächter, immer noch lachend.

Verlegen blickte dieser zu Boden.

»Ja, Sir, Sie haben leicht lachen. Wer weiß, wie sich ein anderer an meiner Stelle benommen hätte? Hier im erleuchteten Zimmer klingt natürlich alles ganz harmlos; aber dort auf dem mondbeschienenen Korridor konnte einem doch das Gruseln ankommen. Ich war ja allein im Haus und einem Geist gegenüber wehrlos. Es ist ja auch nicht das erste Mal gewesen, daß der Alte hier geisterte. Mein Kollege, der eine Zeitlang mit mir Wache geschoben hat, bestätigte mir, daß er schon öfter den alten Herrn vor dem Hause auf und ab hinken gesehen hat. Natürlich kannte er ihn nicht, denn er war neu auf seinem Posten und hatte mit dem Alten nie etwas zu tun gehabt. Aus seiner Beschreibung ging aber unzweifelhaft hervor, daß es der Alte gewesen sein muß.«

»Wie sollte denn der Geist oder, besser gesagt, der Mann, der Derricks Geist spielt, ins Haus gekommen sein?« wollte Dick wissen.

»Bestimmt nicht durch die Haustür«, erwiderte Larkin, »denn sie ist dauernd verschlossen.«

»Auch verriegelt?«

»Nein. Riegel und Kette sind zwar wirksam, jemand vom Eindringen ins Haus abzuhalten, hindern einen aber auch beim Verlassen des Hauses.«

»Das heißt, Sie könnten bei verriegelter Haustür und vorgelegter Kette nicht so schnell ausreißen, wie es notwendig werden könnte, wie? Wo schlafen Sie übrigens?«

»In der Küche des Kellergeschosses, Sir.«

»Ich möchte, daß Sie von jetzt ab oben im ehemaligen Büro Mr. Derricks schlafen«, meinte Staines.

Der andere schien von dem vorgeschlagenen Zimmerwechsel keineswegs sehr entzückt.

»Das ist aber doch das Zimmer, wo das Gespenst immer zu verschwinden pflegte, Mr. Staines.«

»Reden Sie keinen Unsinn«, wies ihn der Inspektor ungeduldig zurecht. »Ich halte es für wichtiger, erst einmal festzustellen, was wir für Ihre persönliche Sicherheit tun können.«

Larkin begleitete ihn ins dritte Stockwerk und in das Zimmer, das Dick in jener Gewitternacht beim Überklettern des Balkons seiner Wohnung zuerst erreicht hatte.

»Wenn Sie hier schlafen, Larkin, können Sie sich mit mir – ich wohne auf der gleichen Höhe im Nachbarhaus – leichter in Verbindung setzen als von der Küche aus, wo Sie bisher schliefen. Sie brauchen, wenn Sie hier oben etwas Ungewohntes zu bemerken glauben, nur an die Zwischenwand zu klopfen, und ich werde Sie hören. Außerdem steht Ihnen ja der Fluchtweg über den Balkon zur Verfügung.«

»Ich glaube nicht, Sir«, entgegnete Larkin, »daß Sie mein Klopfen hören würden; die Wand ist meterstark.«

Dick begab sich in seine eigene Wohnung, nachdem er den Wächter gebeten hatte, einen Klopfversuch zu machen. Kurz darauf hörte er die leisen Klopfzeichen und begab sich wieder zu ihm.

»Hörten Sie meine Klopfzeichen?« fragte ihn Larkin. »Ich habe mit dem Absatz gegen die Wand geschlagen.«

»Ich hörte sie zwar«, gab Dick zu, »glaube aber nicht, daß sie stark genug gewesen wären, mich aus tiefem Schlaf zu wecken. Warten Sie hier, Larkin.«

Er suchte Tommys Kammerdiener auf und fragte ihn, ob sich im Hause etwas wie eine transportable Klingelanlage befände, was Minns mit dem Bemerken, Lord Weald benutze eine solche vom Badezimmer aus, bejahte. Er brachte auch kurz darauf die komplette Anlage an, mit der sich Dick wieder zu Larkin zurückbegab.

»Es ist jetzt warm genug, um bei offenem Fenster zu schlafen«, meinte er. »Die Klingel selbst wird in mein Schlafzimmer führen, während Sie den Klingelzug in Griffweite behalten können. Sie können mich, ohne erst aus dem Bett steigen zu müssen, jederzeit benachrichtigen, wenn sich etwas Ungewöhnliches ereignet.«

Nun war der Wächter über seine Sicherheit beruhigt und erklärte, den Umzug so bald als möglich bewerkstelligen zu wollen.

»Tagsüber können Sie ja unten in der Küche bleiben«, meinte Dick. »Sie brauchen erst heraufzukommen, wenn Sie schlafen gehen wollen.«

Die erste Nacht verging ohne Störung. Als sich Dick bei Tagesanbruch erhob und auf den Balkon hinaustrat, stand Larkin schon vor dem Fenster des Büroraumes vom Nebenhaus, wo er die Nacht verbracht hatte.

»Nichts hat sich gerührt, Sir«, beantwortete er die Fragen des Inspektors. »Hier ist ein Oberlichtfenster, das mir nicht ganz geheuer vorkommt; es ist, soweit ich feststellen konnte, nicht zu verschließen.«

Wieder schwang sich Staines über das Geländer seines Balkons, um die gefährliche Kletterpartie ins Nachbarhaus anzutreten. Vom Oberlichtfenster, das der Wächter als unsicher erwähnt hatte, führte eine Feuerleiter ins Innere des Hauses, wohl als Notausgang bei Feuersgefahr gedacht. Dick zog an dem herabhängenden Seil, das Oberlichtfenster öffnete sich automatisch und gab gleichzeitig die Leiter frei. Er kletterte hinauf, um das Fenster zu verschließen, mußte aber Larkin recht geben, daß ein Eindringling wohl kaum große Schwierigkeiten haben würde, auf diesem Wege unbeobachtet ins Haus zu gelangen. In kurzer Entfernung war auch an Tommys Haus ein gleiches Oberlichtfenster zu sehen. Dick kehrte nach seinen Untersuchungen zu Larkin zurück, der ihn erwartete.

»Ich glaube kaum«, erklärte er, »daß unsere Freunde auf dem Weg durch das Oberlichtfenster ins Haus gelangen, Larkin.«

Nachdem er ihn noch gebeten hatte, ihm sofort beim Erscheinen Browns Bescheid zu geben, verließ er das Haus.

Am Nachmittag war er, da er von Bourke gebeten worden war, im Yard vorzusprechen, bereits auf dem Weg dorthin, als er auf dem Piccadilly durch einen Autounfall aufgehalten wurde. Da die mit Bourke verabredete Stunde schon vorüber war, rief er im Yard an, um sein baldiges Erscheinen in Aussicht zu stellen. Bourke hatte das Büro bereits verlassen und Nachricht hinterlassen, Dick solle ihn erst später am Abend aufsuchen. Staines war nicht böse darüber, denn er gewann dadurch einige Stunden, um die herrliche Luft zu genießen. Er schlenderte langsam die Straßen entlang und blieb dann einen Augenblick an der Berkeley Street stehen, um das so gewohnte, aber ihn immer wieder entzückende Verkehrsbild zu bewundern. Plötzlich schreckte ihn eine Stimme aus seiner Versunkenheit auf.

»Guten Tag, Herr Inspektor!« Es war Lordy Brown, aber welche Veränderung war mit dem Mann vorgegangen? Ein sicherlich nicht billiger, hochmoderner Anzug aus weichem Kammgarn unterstrich vorteilhaft die hagere Gestalt; von der Weste hing eine Kette aus getriebenem Gold, am Ringfinger blitzte ein hochkarätiger Diamant. »Immer wieder das alte Bild bewundern, Sir?« fuhr das zweibeinige Modejournal fort. »Ja, schön ist es hier, aber ich bin doch lieber in einer Kleinstadt, wo ich eine Rolle spielen kann. Hier zählt ja das einzelne Individuum überhaupt nichts.« Mit den neuen Kleidern schien er sich auch eine gebildete Sprechweise zugelegt zu haben. »Als ich damals in Geelong ...«

»Sie sehen aus wie ein Don Juan, Brown«, unterbrach Dick die Tirade. »Sie haben wohl einen reichen Juden totgeschlagen?«

Brown schien die Frage als einen ausgezeichneten Witz zu betrachten; er kicherte.

»Ich? Nein, wie kommen Sie nur auf eine solche Idee? Ich hatte mir ein paar Pfund gespart. Außerdem habe ich heute morgen von Kapstadt die Überweisung der Dividende auf einige meiner Wertpapiere erhalten.«

Er zog ein elegantes Zigarrenetui, ebenso neu wie alles an ihm, aus der Tasche. Freigebig forderte er Dick auf, sich aus dem goldenen Etui zu bedienen.

»Rauchen Sie, Mr. Staines?«

»Nein, wenigstens nicht Ihre Sorte«, gab Dick mit beleidigender Offenheit einen Korb. Der andere schien nicht beleidigt zu sein, sondern brannte sich kaltblütig selbst einen der verschmähten Glimmstengel an.

»Kommen Sie, Inspektor, wir wollen einen hinter die Binde gießen.«

»Eine Tasse Tee will ich Ihnen nicht abschlagen, Lordy«, nahm Staines an.

»Man soll um diese Zeit keinen Alkohol trinken, darin haben Sie recht«, meinte Lordy. »Ich fange auch erst nach dem Abendessen an; allerdings vertrage ich dann so viel, daß ich mit Leichtigkeit zwei kräftige Männer unter den Tisch saufen könnte.«

Ein großes Kaffeehaus auf dem Coventry Street Place nahm die beiden auf. Lordy Brown war in rosigster Stimmung.

»Ich bin ein anständiger Kerl, Mr. Staines«, teilte er dem nur wenig interessierten Inspektor mit. »Ich glaube immer noch an eine göttliche Vorsehung, die einen Mann wie mich nicht im Stich läßt.«

»Haben Sie schon Mr. Derrick gesprochen?« unterbrach Dick die Selbstbeweihräucherung seines Begleiters.

»Ich versuchte es; er ließ mich jedoch abweisen. Er sei auf dem Land, sagte der Diener. In Keyley, oder wie das Kaff heißt. Daß ich nicht lache! Landaufenthalt? Er?!«

»Dort haben Sie wohl dann nochmals Ihr Heil versucht, wie?«

»Ja, gestern war ich dort; ich sah Sie gerade wegfahren. Ich ließ mich anmelden, er ließ mir aber sagen, daß er mich nicht sofort empfangen könne; ich solle ihn in der Stadt aufsuchen. Das ist nun der Dank, daß ich ihm das Leben rettete! Was halten Sie von solch einer Handlungsweise, Mr. Staines?« fragte er beleidigt.

»Sie sind also unverrichteterdinge wieder abgezogen, wie?«

»Ja. Ich sah ihn zwar, bekam ihn aber nicht zu sprechen. Er hat sich nicht verändert, sieht noch genauso aus wie früher.«

»Sie halten also Mr. Derrick nicht mehr für den ›guten‹ Kerl wie vorher?« wollte Dick wissen.

»Nein, das will ich nun nicht gerade behauptet haben. Er hatte vielleicht schlechte Laune; oder erinnerte sich meiner nicht mehr. Er ist Geschäftsmann und will wohl sonntags auf dem Land seine Ruhe haben; das kann ich ihm eigentlich gar nicht verübeln. Ich will ihm seine Abweisung nicht nachtragen, denn ich bin ein versöhnliches Gemüt und weiß, daß er eigentlich ein herzensguter Mensch ist.«

Er zog ein Taschentuch heraus und mit ihm eine ziemlich dicke Banknotenrolle. Verlegen versuchte er sie unbemerkt wieder zurückzuschieben. Aber Staines hatte seine Augen offengehalten.

»Sie scheinen ja gut bei Kasse zu sein, Brown«, sagte er. »Ihre Dividenden scheinen sich recht gut herausgemacht zu haben.«

»Ja, die Papiere, die ich habe, sind wirklich gut. Ich habe zu leben und brauche nicht von anderen Leuten Wohltaten zu verlangen. Es würde wohl Derrick gar nicht auf ein paar hundert Pfund ankommen, aber ich würde sie, böte er mir Geld an, glatt ablehnen. Mich für seine Rettung mit Geld bezahlen lassen? Nein, niemals. So ein Mann bin ich, Inspektor, ob Sie mir nun glauben oder nicht!«

»... oder nicht!« bestätigte Dick lachend. Er wurde sofort wieder ernst: »Erinnern Sie sich der von Ihnen belästigten Dame? Die, die Sie mit Miss de Villiers ansprachen?«

»Ja, ich weiß, wen Sie meinen. Sie ist in Bognor und pflegt einen alten Herrn.«

Dem Inspektor blieb vor Staunen der Mund offenstehen.

»Woher wissen Sie denn das schon wieder?« fragte er.

»Weil ich sie dort sah. Sie sieht dem Kapstädter Mädchen wirklich sehr ähnlich; genauso hübsch wie jene. Man würde sie für Zwillinge halten. Ich werde mich in Bognor niederlassen; ich habe mir schon ein Häuschen dort ausgesucht. Aber ein Auto will ich mir zulegen.«

»Sie müssen aber wirklich eine feine Sache ›gedreht‹ haben, wenn Sie sich mit so hochfliegenden Plänen tragen, Brown!« meinte der Inspektor ironisch.

Vorwurfsvoll quittierte Lordy die Anzüglichkeit.

»Sie täuschen sich wirklich; ich führe ein Leben hier wie ein Sonntagsschullehrer, Mr. Staines«, verwahrte er sich. »Ich habe genug, um ehrlich leben zu können.«

»Obwohl Sie vor einigen Tagen noch die Hoffnung aussprachen, Mr. Derrick würde sich Ihnen für die Lebensrettung dankbar erweisen?« rief ihm der andere ins Gedächtnis zurück.

»Der?« Brown lächelte mitleidig. »Der würde mir nicht einmal einen Hundekuchen schenken. Er gehört zu der Sorte, die einen alten Freund ebenso schnell vergessen, wie sie ihn aus den Augen verlieren.«

»Wie lange kennen Sie Mr. Derrick eigentlich schon?«

»Vier Tage!« erwiderte überraschenderweise der Gefragte. »Das genügt mir jedoch. Nein, Inspektor, wenn ich wirklich einmal auf Mr. Derrick finanzielle Hoffnungen gehegt hatte, dann sind sie jetzt in alle Winde zerstoben. Sein Vater war ein Geizhals, wie man mir erzählte. Nun, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Vielleicht verdiene ich aber etwas durch ihn; die Welt ist ja voller Chancen, und wer weiß, wie alles noch kommt.«

Der Hohn in seiner Stimme war unmißverständlich, und auch Dick faßte die Worte Lordys als solchen auf. Er rief den Kellner und bezahlte für beide. Als sie aus dem Kaffeehaus auf die Straße traten, wandte sich Staines an seinen Begleiter: »Der Mann, der glaubt, die Welt sei für ihn voller Chancen«, machte er ihn aufmerksam, »landet in England meist hinter schwedischen Gardinen, Brown. Vielleicht erinnern Sie sich dessen in Ihrer englischen Laufbahn.«

»Ich werde versuchen, es zu tun«, erwiderte der Gewarnte trocken.


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