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12

Dick Staines faßte einen heldenhaften Entschluß; er wollte alles auf eine einzige Karte setzen, sich Mary Dane offenbaren, ihr die ganze Sachlage darlegen und seinen Verdacht hinsichtlich ihrer unerklärlichen Handlungsweise ihm gegenüber klar und offen beichten. Nicht einen Augenblick lang hätte er glauben mögen, daß sie bei Lordy Browns Ermordung die Hand im Spiel gehabt hatte, denn die ehrlichen blauen Augen des Mädchens konnten nicht lügen. So sehr er die ganze Sachlage auch drehen und wenden mochte, die Gewißheit blieb ihm, daß sie allein ihm die notwendige Aufklärung geben konnte.

Er legte sich mit dem festen Vorsatz schlafen, gleich den ersten Frühzug nach Margate zu benutzen, um ein für allemal mit diesen Unklarheiten aufzuräumen. Er ließ der Absicht die Tat folgen und landete an seinem Ziel, ohne bestimmt sagen zu können, ob er Mary Dane dort noch antreffen würde. Der alte Cornfort reiste wie ein Komet in allen Seebädern umher, und das arme Mädchen mußte ihm folgen. War vielleicht der alte Mann der Schlüssel zu diesem Geheimnis der merkwürdigen Handlungen seiner Pflegerin? Welche Rolle mochte er spielen, der alte Invalide, der dauernd an seinen Rollstuhl gefesselt war? War alles nur ein Schauspiel, das man da vor der Welt aufführte, um sie über die wirklichen Zwecke der Spieler zu täuschen? War es wirklich die Doppelgängerin, die die verdächtige Rolle spielte, die ihn mit so tiefem Mißtrauen gegen Mary Dane – das Mädchen, das ihm seine Liebe erklärt hatte – erfüllte? Lordy Brown hatte vor seinem Tod von einer Miss de Villiers aus Kapstadt gesprochen. Welche Rolle spielte jene in diesem Drama? Dick hatte schon die Absicht, nach Südafrika zu kabeln, um sich über das Mädchen zu erkundigen, fand aber in der Bibliothek des Yard ein Adreßbuch Kapstadts, das nicht weniger als drei volle Seiten »de Villiers« aufführte. Warum hatte er nicht Lordy über die näheren Umstände seiner Bekanntschaft mit dieser Mary de Villiers befragt? Aber, was hatte es jetzt noch für einen Zweck, sich darüber den Kopf zu zerbrechen? Lordy war tot und allen Fragen entrückt.

Vielleicht wußte Tommy, der noch immer im Cliftonville Hotel wohnte, wo Mary Dane zu finden war? Dick ärgerte sich nicht mehr über die Verliebtheit seines Freundes; im Gegenteil, für ihn war der Lord das zweibeinige Alibi der Verdächtigten. Ob auch Mary Dane den Verehrer von diesem Standpunkt aus betrachtet und ihn deshalb ermutigt hatte, sich dauernd in ihrer Nähe aufzuhalten?

In Margate traf Staines seinen Sergeanten Rees, der mit demselben Zug von London gekommen war. Er gab ihm die notwendigen Erklärungen und einige Befehle, deren er sich aber gleich darauf schämte.

Zuerst begab er sich nach dem Hotel und erkundigte sich nach Tommy.

»Ja, Sir, Lord Weald wohnt hier, aber ich glaube, er ist vorhin ausgegangen«, teilte ihm der Portier auf seine Frage mit.

Ein Kellner, der diese Worte gehört hatte, wußte nähere Auskunft über den Verbleib Tommys zu geben.

»Lord Weald ist unten am Strand; er hält sich bei dem Invaliden auf, der immer im gelben Rollstuhl herumgefahren wird.«

Dort traf ihn Dick.

»Hallo, mein Junge«, schreckte ihn die Begrüßung des Lords aus seiner Nachdenklichkeit auf. Als Dick schnell aufsah, begegnete er den Blicken Mary Danes, die prüfend auf seinem Gesicht ruhten.

»Guten Morgen!« begrüßte er die Gesellschaft.

»Was willst du denn hier in Margate?« wollte Tommy wissen.

Unstreitig begrüßte der Lord den unverhofften Besucher nicht mit der Freundlichkeit, mit der er ihn noch vor wenigen Tagen empfangen hätte. Dick konnte ihm das auch nachfühlen. Cornfort schlief, und unter den fragenden Blicken Mary Danes fühlte Dick, wie ihn der Mut verlassen wollte.

»Ich kam, um etwas mit Miss Dane zu besprechen.«

Tommy schien von dieser Antwort nicht befriedigt zu sein.

»Was kannst du mit ihr zu besprechen haben?« fragte er mißmutig. »Warum hast du uns denn deine Ankunft nicht vorher mitgeteilt? Ich meine natürlich ›mir‹ mitgeteilt; für Miss Dane kann ich natürlich nicht sprechen«, setzte er hinzu, als er den verwunderten Blicken des Mädchens begegnete. »Du hast den alten Herrn zu Tode erschreckt; er leidet sowieso an Herzbeschwerden.«

»Nun, bitte«, meinte Mary Dane lächelnd, fahren Sie fort, Tommy!«

»Fortfahren?« fragte dieser verwundert. »Wie meinen Sie das?«

»Mit dem Rollstuhl!« gab sie zurück. »Sie sollen mit dem Rollstuhl fortfahren.«

Tommy blickte beleidigt von einem zum andern; dann zuckte er ergeben die Achseln und machte sich mit dem Rollstuhl davon.

»Ich kann Sie erst nach dem Mittagessen treffen, Mr. Staines«, erklärte Miss Dane dem Inspektor. »Mein Pflegebefohlener schläft nach Tisch, und wenn Sie mich dann in Westgate erwarten wollen, werde ich Sie dort vor dem Hotel treffen. Punkt drei, bitte. Oder ist Ihnen das zu spät? Vielleicht schon um zwei?«

»Das würde mir besser passen, denn ich könnte dann mit dem Drei-Uhr-Zug nach London zurück.«

»Wollen Sie mich dienstlich sprechen?«

»Ja«, nickte er »aber auch in persönlicher Sache.«

Er befürchtete immer noch, daß sie die Worte bereute, die sie ihm bei ihrer Abfahrt von London zugeflüstert hatte. Aber eine innere Stimme beruhigte ihn darüber. Er war sicher, daß sie von jener Szene auch nicht ein Wort mehr erwähnen würde. Mit förmlichem Gruß verabschiedete sie sich von ihm und eilte Tommy und dem sich immer mehr entfernenden Rollstuhl nach, den sie bald erreichte. Dick sah sie mit Tommy einige Worte sprechen, der sich daraufhin widerwillig zu dem wartenden Freund zurückbegab.

»Es tut mir wirklich leid, mein Junge, wenn ich vielleicht etwas ungeduldig gewesen bin, als du so unvermutet hereinschneitest, aber du weißt doch, ich bin wie verschossen in das Mädel! Treffe ich abends mit ihr zusammen, dann ist sie eitel Sonnenschein für mich und früh – der reine Nordpol. Zwei Seelen wohnen, ach, in ihrer Brust! Ich reibe mich dabei auf, kann nachts nicht einmal mehr schlafen, Dicky. Pfui Deibel!« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Schlimm, schlimm«, bedauerte Dick heuchlerisch.

»Ja, ich wußte, du würdest mit mir fühlen. Manchmal ist sie schrecklich, hart wie Schmiedeeisen. Als ich ihr mitteilte, daß ich heute nacht nur sieben Stunden geschlafen hätte, lachte sie mich einfach aus.«

»Aber, Mensch, wie lange schläfst du denn sonst?«

»Zehn! Der Arzt sagte mir, ich hätte ein Gehirn, das so langen Schlaf benötige!«

»Da kann ich ihm nur beistimmen!« erwiderte sein Freund anzüglich. »Ich würde das aber meinen Bekannten nicht so offen sagen, denn sie könnten einen falschen Begriff von dir bekommen. Also, du liebst Mary Dane?«

»Bis zur Verzweiflung«, lautete die bestimmte Antwort des Edelmannes. »Wenigstens abends! Frühmorgens möchte ich sie beinahe hassen! Sie ärgert mich, belästigt mich auf alle mögliche Art und Weise, wird grob, verliert ihre weibliche Sanftmut, und wenn ich frühmorgens wagte, ihre Hand zu erfassen, würde es mir wohl kaum gut ergehen. Sie sieht dann aus, als verlangte ich von einem Werkmeister in einer Sprengstoffabrik ein Streichholz, um mir eine Zigarette anzuzünden. Ich habe das nämlich schon einmal versucht, und der Mann teilte mir recht unhöflich seine Meinung über mein Verlangen mit.«

»Du versuchst es wohl öfter, ihre Hand zu erfassen?« Dick stellte die Frage in einem sorglosen Ton, als läge ihm an deren Beantwortung nicht viel. Aber Tommy faßte sie anders auf.

»Deshalb brauchst du nicht eifersüchtig zu werden, mein Junge. Natürlich fasse ich oft nach ihrer Hand. Das macht doch jeder normale junge Mann, der in ein Mädchen verliebt ist.«

»Und ließ sie dich nicht wegen Belästigung festnehmen?«

»Nein, sie dachte gar nicht an so etwas. Von dir war überhaupt nicht die Rede«, setzte er, auf den Polizistenberuf des Freundes anspielend, anzüglich hinzu.

»Ja, manche Frauen haben einen etwas komischen Geschmack!« gab Staines den Hieb zurück.

Es wollte ihm gar nicht in den Sinn, daß eine Dame wie Mary Dane damit zufrieden sein könnte, die feuchte Tatze eines aristokratischen Freundes stundenlang in ihrer Hand zu halten. Hatte sie nicht erst vor wenigen Tagen geäußert, daß sie Tommy nur als eine Art Blitzableiter betrachte, der gut genug sei, ihr verschiedene Dinge, die sie zu tun hatte, verbergen zu helfen?

»Wetten, Tommy, daß du niemals ihre Hand zu fassen bekamst?« wandte er sich herausfordernd an den Lord.

»Diese Wette würdest du verlieren, alter Junge«, gab Tommy in aller Seelenruhe dem Freund zur Antwort. Dick sah ihm an, daß er die Wahrheit sprach. »Ich habe sogar um ihre Hand angehalten.« Das Geständnis beruhte sicherlich auf Tatsachen.

»Und sie fiel dir natürlich gleich in die Arme?« Die Ironie Dicks war bei Tommy verloren.

»Nicht gerade das«, erwiderte er, »aber sie sagte mir, sie wünsche sich nichts Besseres als mich zum Gatten. Unter gewissen Vorbehalten nahm sie meinen Antrag an.«

Offenen Mundes starrte Dick den Freund an.

»Mit einigen Vorbehalten sagte ich«, fuhr der andere fort. »Sobald der alte Krüppel abfährt, will sie ihren Pflegerinnenberuf an den Nagel hängen, und dann ... na, dann wird es eben eine neue Gräfin Weald im ›Gotha‹ geben. Stell sie dir mal mit einer Grafenkrone vor, Dicky! Ich habe da vor einigen Tagen in einer Londoner Auslage ein herrliches Diadem gesehen.« Er sprach unbedingt die Wahrheit, davon war der erstaunte Inspektor überzeugt.

»Aber ... aber«, stotterte Dick.

»Nichts zu ›abern‹, es ist die Wahrheit. Sie ist wirklich ein Engel und klug, sag ich dir! So etwas gibt es gar nicht mehr. Als ich ihr einen herrlichen Diamantring brachte, sagte sie, sie wolle ihn nicht tragen, weil er zu raffkisch aussehe. Natürlich hat sie nicht ›raffkisch‹ gesagt – eine wirkliche Dame gebraucht solche Ausdrücke nicht –, aber du weißt, was ich meine. Ich kaufte ihr also einen einfacheren, den du doch sicherlich an ihrer Hand bemerkt hast, nicht wahr?«

Vor Dicks Augen schien sich alles zu drehen. War das, was Tommy hier zum besten gab, ein Traum oder nur ein schlechter Witz? Er suchte sich durch eine Frage zu vergewissern.

»Nein, es ist kein Witz«, erklärte Tommy. »Warum soll denn ein Mann wie ich nicht heiraten? Findest du das so komisch? Meine Eltern haben doch auch geheiratet, sonst würdest du nicht das Vergnügen haben, mich hier neben dir zu sehen. Na?«

Dick erwiderte nichts; die Mitteilungen Lord Wealds hatten ihn zu sehr überrascht. Mary Dane verlobt? War sie nur eine Kokotte?

Er riß sich zusammen:

»Meinen herzlichsten Glückwunsch, mein lieber Tommy!«

»Danke.« Die Selbstverständlichkeit, mit der Tommy die Beglückwünschung entgegennahm, brachte Dick beinahe zur Verzweiflung. »Jane und ich ...«

»Jane?«

»Ja, sie heißt Jane Mary, ich nenne sie aber stets Jane; auch ihre Leute rufen sie nur so. Wie kommt es eigentlich, daß zu Hause jeder einen andern Namen hat als draußen? Mein Vater nannte mich immer ›Dackelauge‹! Er schien den Spitznamen als Liebkosung zu betrachten. – Sie bat mich jedenfalls, sie in der Öffentlichkeit nur Jane zu nennen; das heißt, sie hat mich darum nicht gerade gebeten, sondern gestattete mir, nur ihren Vornamen zu gebrauchen. Ich weiß, welcher Ehre ich dadurch teilhaftig geworden bin, mein Junge. Nur ihre allerbesten Freunde dürfen sie mit Vornamen nennen. Du bist doch ein guter Freund von ihr ...«

»Und ich werde sie trotzdem nicht Jane nennen«, schnitt ihm Dick die Rede ab.

Sollte er lachen oder heulen? Was hatte es noch für einen Zweck, mit ihr zusammenzutreffen? Er wäre sofort wieder nach London zurückgefahren, hätte er ihr nicht versprochen, sie um zwei Uhr in Westgate zu treffen. Ach was, er mußte die Unterredung, die er nun einmal herbeigeführt hatte, auf sich nehmen. Eine Kokotte? War sie das? Er warf einen abschätzenden Blick auf seinen Freund. Der Schönheit und Männlichkeit halber hatte sie bestimmt nicht dessen Werbung angenommen. War es der Titel? Das Geld? Im Geist sah er vorwurfsvolle Augen auf sich gerichtet, und die Augen gehörten Miss Dane.

»Es will mir nicht in den Kopf«, sprach er laut seine Gedanken aus. Tommy öffnete erschrocken die Augen.

»Ja, die Sonne ermüdet mich immer, und noch dazu diese Luft!«

»Wann wollt ihr denn heiraten?« erkundigte sich sein Freund.

»Das weiß ich noch nicht. Natürlich muß es eine Hochzeit erster Klasse werden, mit Kathedrale, Orgel, Ehrenjungfrauen, Blumen. Meine Tanten werden schön erschrecken, ganz besonders die mit den drei unverheirateten Töchtern. Nein, ich bin nie ein Freund von Verwandtenehen gewesen. Es ist eugenisch widersinnig, und ich bin ein Mann, der auf Eugenik schwört.«

Er sprach schon wieder halb im Schlaf. Sein Kinn sank herunter, und die Hände hatte er über sein gut entwickeltes Bäuchlein gefaltet. Es war wirklich kein Apoll, der da im Glanz der Morgensonne vor sich hindöste.

»Mein Gott!« wunderte sich sein Freund und verließ den Schlafenden.

Pünktlich zur festgesetzten Stunde entstieg das Mädchen dem Taxi, das es zum Stelldichein gebracht hatte. Mary trug diesmal nicht die Pflegerinnentracht, sondern ein graues Kostüm, das sie ausgezeichnet kleidete.

»Wir wollen den Weg nach Margate einschlagen«, bat sie.

Er schritt neben ihr einher, und sie sprachen lange Zeit kein Wort. Endlich brach sie das Schweigen.

»Kommen Sie, wir wollen uns hier auf den Rasen setzen. Die Leute werden denken, wir seien ein Brautpaar, aber Sie werden hoffentlich auch darüber hinwegkommen.«

Es schien ihm, als brächte sie das Thema ganz bewußt aufs Tapet. Er lehnte es ab, ihr hier zu folgen.

»Warum wollen Sie mich sprechen, Mr. Staines?« fragte sie, als er ihre Bemerkung unbeantwortet ließ.

»Warum baten Sie mich vor einigen Tagen, Sie zum Bahnhof zu begleiten?«

Sie zupfte nachdenklich, ohne aufzublicken, einige Halme ab.

»War meine Bitte so ungewöhnlich, daß Sie mich nach dem Grund fragen? Warum sollte ich Sie nicht um Ihre Begleitung bitten?«

»Weil während meiner Abwesenheit vom Haus jemand bei Derrick eingebrochen ist und dort allerlei Verwüstungen angerichtet hat. Wahrscheinlich suchte man nach verborgenen Schätzen. Die Einbrecher müssen, mit einer einzigen Ausnahme, dieselben Leute gewesen sein, die schon vorher dasselbe versucht hatten. Die Dame, die das Parfüm ›Sans Atout‹ benutzt, war jedenfalls nicht dabei.«

»Sie meinen wohl mich?« fragte sie. »Wollen Sie ernstlich behaupten, ich hätte Sie mit meiner Bitte um Ihre Begleitung absichtlich vom Hause weggelockt, um den Einbrechern – meinen Freunden wohl, nicht wahr? – Gelegenheit zu geben, ungestört ihre Arbeit verrichten zu können.«

Er schwieg.

»Ist das Ihre Vermutung?« beharrte sie.

»Ich vermute gar nichts«, gab er endlich zurück. »Ich fragte Sie nur, ob ...«

»Ja, ich weiß, Sie fragten mich, warum ich Sie gebeten hatte, mich zum Bahnhof zu begleiten. Ist die Erklärung nicht klar genug?«

»Nein, ich will mehr wissen, Miss Dane.«

Er geriet nachgerade in eine Stimmung, die der Verzweiflung ziemlich nahe war. Er wunderte sich, warum er diesem Mädchen gegenüber, der Braut eines anderen, noch Rücksichten walten ließ.

»Immer und überall treffe ich in London, ja in ganz England auf Sie oder Ihre Doppelgängerin. Ich hege den Verdacht – ja, es ist ein Verdacht, Miss Dane –, daß Sie irgendwie mit der Einbrecherkolonne in Verbindung stehen. Warum und zu welchem Zweck, das vermag ich natürlich nicht zu sagen. Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein, Mary« – er legte seine Hand auf die ihre, und sie ließ es geschehen –, »nicht als Kriminalbeamter, sondern als – Freund. Wenn Sie sich wirklich aus Abenteuerlust oder aus andern Gründen auf dieses heiße Pflaster begeben haben sollten ...«

»Ich oder meine Doppelgängerin?« unterbrach sie ihn.

»... oder Ihre Doppelgängerin«, gab er zu, »und würden verhaftet werden, dann wäre es für mich zu spät, einzugreifen. Jetzt aber sind mir die Hände noch nicht gebunden; ich kann alle Gefahren immer noch von Ihnen abwenden. Schenken Sie mir doch ein klein wenig Vertrauen.«

Sie blickte auf die sich vor ihr ausdehnende Wasserfläche und schüttelte mutlos den Kopf. Plötzlich blickte sie ihm tief in die Augen.

»Sie haben das Recht, von mir Vertrauen zu verlangen«, sagte sie. »Ich aber darf es Ihnen nicht schenken.«

Er war starr. Plötzlich fiel sein Blick auf den kleinen Reif, den sie am Ringfinger trug. Er hatte das Schmuckstück an ihr noch nicht gesehen; nun erinnerte er sich plötzlich an Tommys Worte.

»Tommy hat mir sein Glück gebeichtet«, sagte er zögernd, »er ist ein lieber, netter Mensch.«

»Reich?« Die Frage kam so kaltblütig und unvermutet, daß er einen Augenblick sprachlos war.

»Ja, das ist er«, war er endlich imstande zu erwidern. »Er wird, wenn einige seiner Erbtanten sterben, noch viel reicher werden.«

»Sie schämten sich wohl für mich wegen meiner Frage?« meinte das junge Mädchen. »Finden Sie nicht, daß – wäre er reich und ich wirklich seine Braut – ich die größte Idiotin wäre, wenn ich mich in verbrecherische Abenteuer einließe?«

»Und einen Mord beginge«, vollendete er ihre Frage.

Sie erschrak.

»Schreiben Sie mir auch einen Mord zu? Wie unsagbar dumm von Ihnen.« Sie blickte auf ihren Verlobungsring. »Sie halten mich wohl für eine ganz ausgemachte Kokotte, nicht wahr? Na, Sie wissen ja aus Erfahrung, wie selbstbeherrscht ich bin.«

»Ja, die Erfahrung machte ich verschiedentlich«, sagte er unbestimmt und erhob sich.

»Aber der beste Beweis, daß ich Selbstbeherrschung besitze, ist die Tatsache, daß ich diesen Ring noch nicht dorthin ins Wasser geschleudert habe. Diesen einen Punkt müssen Sie mir zugute halten.« Sie klopfte ihm auf den Arm.

Alles, was sie bisher getan hatte, war ebenso unerwartet gewesen wie ihre Worte. Sie brachte es jedenfalls fertig, ihn immer von neuem an der Nase herumzuführen.

»Nun gehen Sie los, Mr. Staines. Sie haben gerade noch Zeit, im Westgate Ihren Zug zu erreichen. Ich fahre mit dem Taxi zurück. Tommy bekommt in mir eine richtige Verschwenderin zur Frau.« Plötzlich klang ihre Stimme halb erstickt vor mühsam zurückgehaltenen Tränen: »Einmal, Dick Staines, habe ich Sie belogen; nun aber will ich Ihnen endlich doch die Wahrheit gestehen: Ich habe nicht geheuchelt, als ich Ihnen jene Mitteilung auf dem Londoner Bahnhof machte. Ich bin noch immer nicht über mein damaliges Geständnis hinweggekommen und werde es auch nicht so schnell sein. Diese Tatsache und ihre Wahrheit, mein Geliebter, mußt du immer und immer vor dir haben!«

Ehe er noch etwas erwidern konnte, hatte sie schon das wartende Taxi erreicht und war eingestiegen. Noch einmal drückte sie ihm die Hand, und als sich der Wagen schon in Bewegung setzte, sagte sie traurig:

»Ach, Dick, mein Liebling, ich befinde mich in einer schrecklichen Lage!«

Noch bevor er sie aus den Augen verloren hatte, erinnert er sich, daß er Rees beauftragt hatte, sie zu beobachten, und schämte sich seines Verhaltens.


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