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16.

Ein Weib, das sich zum ersten Mal der Sünde hingiebt, ist süß im Genuß wie die Edelfäule der Rebe; aber sie ist damit gefallen und es fressen sie die Iltisse des Weingartens.

So ward's auch Stella's unausbleibliches Schicksal. Ein Grauen beschlich sie, als sie allein in Richters schönem Hause erwachte, das er erbaut so fest und sicher, wie er den heimischen Herd errichtet zu haben geglaubt.

Aber das war nur das Gefühl plötzlichen Alleinstehens. Sie vermißte ihn, den Gatten nicht; keiner ihrer Gedanken folgte ihm; sie glaubte an einem neuen Anfang zu stehen; doch Alles lag so grau und wüst vor ihrem müden Auge.

Als sie am nächsten Tage wieder an's Fenster trat, in die nebelschwere Herbstluft, auf die welken Blätter schaute, die der Wind durch die Steige des Gartens trug, auf die Astern, die der Nachtfrost geknickt, beschlich es so trostlos einsam ihr Herz.

Aber an Richter dachte sie auch jetzt nicht. Er war fort, für immer. Sie war frei; es gab nichts mehr, was ihren Willen, ihre Launen hemmte; sie konnte thun, was sie aus unwillkürlichem Respekt vor des Gatten Ueberlegenheit sich so lange versagt.

Und so Vieles gab es, wonach ihr Herz sich gesehnt, und all das durfte sie jetzt!

Noch ein Tag verging. Sie überlegte viel.

Vor ihren Augen ging's wieder so licht und glänzend auf wie vor dem Kinde, wenn es am Weihnachtsabend den Christbaum erblickt. Was Alles winkte ihr doch! Ein Leben ohne Sorge, ein Genuß ohne Trübung. Sie konnte, sie durfte Alles, Alles!

Aber als solle auch das ihr seine Schatten zeigen, erschien eben hinter dem Gartengitter, sich zur Pforte bewegend, jenes alte Weib wieder, das sich ihr in Auershof in den Weg gedrängt; dieses betrunkene Scheusal, das sich erfrechte zu behaupten, sie sei die Mutter ihrer Mutter.

Sie hatte gehört, daß diese ihre Mutter, deren sie sich kaum noch erinnerte, von einem Prinzen geliebt worden. Sie selbst hatte also vielleicht fürstliches Blut in ihren Adern; eben dieses Blut, das sich so oft gegen ihre stillen bürgerlichen Verhältnisse empört, und wer konnte für sein Blut? Das Blut hat seine Launen.

Sie sprang vom Fenster, schrie in den Flur der Magd zu, sie solle ihr das alte betrunkene Weib vom Hofe jagen, das soeben in's Thor getreten und begab sich dann an ihre Toilette, um zum ersten Male ohne die lästige Rücksicht für die hofmeisternden Blicke eines Gatten sich anzukleiden.

Und so that sie. Sie sprang von der Toilette wieder auf, setzte sich an's Piano, tobte auf den Tasten herum, sang und lachte, vielleicht um die einfältigen Fragen zu betäuben, die das Gewissen noch auszuwerfen versuchte, legte sich halb angekleidet auf das Sopha, dachte mit boshafter Genugthuung an Hanna, die sie jetzt namenlos unglücklich machen wollte ... Ja, Hanna sollte sie auf ihren Knieen noch um Verzeihung bitten! ...

Wenn nur Helmine sie jetzt in Ruhe ließ! Sie brauchte sie nicht mehr, sie konnte ihr nur noch im Wege sein. Helmine mochte jetzt in Auershof malen und Verse machen.

Als sie sich endlich angekleidet wie zur Promenade, gab sie der Magd Ordre, Alles in Kisten und Kasten zusammenzupacken, denn sie verlasse das Haus, es solle verkauft werden.

Am Abend verließ sie dasselbe, um nicht mehr zurückzukehren. Und den Abend schon widmete sie Erwin, um in ihrer neuen Wohnung beim Champagner Vorwürfe und Beschuldigungen auf Richter zu häufen und sich dadurch vor sich und der Welt zu rechtfertigen.

Am nächsten Mittag führte ihr der Zufall auf der Promenade einen bekannten jungen Maler, Hermann Greif, in den Weg, den sie durch Constanze Neuhaus kennen gelernt. Er war ein hübscher Mann mit einem Christuskopf.

Greif erzählte von Constanze's Unglück, aber sie nehme es hin mit der größten Fassung. Sie sei täglich mit der Baronin von Wolffen zusammen, einer klugen, erfahrenen Frau, die sie zu trösten verstehe.

Er lud Stella ein, sein Atelier zu besuchen, wo sie täglich die eleganteste Gesellschaft finde. Ja noch mehr: es fehle ihm in seinem neuen Bilde, die Königin von Arabien bei Salomo, noch eine weibliche Hauptfigur; er werde glücklich sein, wenn sie sich herablassen wolle, ihm mit ihrer herrlichen Gestalt als Modell zu dienen, natürlich unter der tiefsten Verschwiegenheit.

Stella versprach ihm lachend, sie wolle sich das überlegen; sie sei noch nie in Oel gemalt; aber sein Atelier wolle sie sehen und sich dann entschließen.

Sie fand an dem Tage auch Constanze wieder, die jetzt in ihr eine Schicksalsgenossin sah und ihr von tausend Dingen redete, von denen sie selbst bisher nichts gewußt hatte.

Stella hatte das Bedürfniß nach Anschluß und verfiel dadurch gedankenlos dem gefährlichsten Umgang.

Wenige Tage später trat indeß erklärlich eine Reaction in ihr ein. Ihre Nerven erschlafften, ihr Kopf schwindelte, ein gewaltiges Herzklopfen wollte nicht schweigen. Bilder, die sie verjagt, traten wieder vor ihre Seele. Sie hatte das Gefühl begangenen schweren Unrechts bei all dem trotzigen Rechtsbewußtsein, in das sie sich hüllte.

Der erste Freiheitstaumel war verrauscht, nüchterne Vorstellungen suchten sie heim, die sie vergeblich durch Trugschlüsse verjagen zu können meinte.

Richter, so rechtfertigte sie sich, hatte Helmine ja oft genug versichert, es gebe nichts, was ihn in seiner Liebe zu ihr irre zu machen im Stande; er hatte auch ihr oft ähnliche Versicherungen gemacht. Sie sei die Bedingung seines Lebens! ... Warum hatte er sie durchaus gewollt?

Dieses Kind war ihr verhaßt; sie liebte überhaupt die Kinder nicht. Hatte sie ihn betrogen, wenn sie ihm verschwiegen, was doch kein Hinderniß für seine Liebe gewesen sein würde? Und welche Albernheit, jetzt ihr ein Verbrechen daraus machen zu wollen.

Helmine selbst hatte sie, ehe sie ihm endlich das Jawort gegeben, versichert, sie wolle darüber wachen, daß das Vorhandensein dieses armen Wesens nie seine und ihre Ruhe störe, und jetzt hatte sie, nachdem er es dennoch aufgestöbert, gethan, als habe sie selbst ein Verbrechen gegen ihn begangen, weil sie so besorgt den Schleier über dieses Geheimniß gehalten. Helmine war eine Heuchlerin, nicht besser als Hanna, die sie jedenfalls verrathen.

Von Ihrer Verlobung bis zur Hochzeit hatte sie auf Richter's Versicherungen hin keine Skrupel gefühlt; nur einmal, am Altar, als Constanze Neuhaus dieses Unglück passiren mußte, hatte sie gezittert. Aber das war vorüber gegangen.

Sie hatte Richter in der Ehe glücklich gemacht. Alle Leute sagten es. Warum hatte er selbst sein Glück gestört, indem er sie so viel allein der tödtendsten Langenweile überließ. Hat ein Mann nicht die Pflicht, seine Frau zu unterhalten?

Aber all' das trügerische Raisonnement half ihr nicht über Eins hinfort: Man mußte schnell über die Veranlassung ihrer Trennung von Richter erfahren haben. Ein Advokat, Dr. Ballmann, den dieser mit der Ordnung seiner Verhältnisse und, wenn es begehrt werde, auch der Scheidung von seiner Frau beauftragt, sollte überall davon erzählt haben.

Ihre und Richters Freunde und Bekannten grüßten sie nicht mehr, wenn sie ihr auf der Straße begegneten; Einzelne hatten sie sogar beleidigend oder verächtlich angeschaut. Sie fühlte sich gewaltsam ausgeschlossen von der Gesellschaft. Gerade diejenigen, die sie gern gehabt, hatten ihr den Rücken gewendet, und das bohrte ihr im Herzen.

Sie wollte sie ihrerseits wieder mit Verachtung strafen; aber es kam ihr selber doch vor, als ziehe sie den Kürzeren dabei.

Ihr erster Schachzug gegen Richters Freunde – und er hatte deren so viele – sollte sein, diesem Dr. Ballmann unverweilt zu schreiben, sie begehre die Scheidung. Das mußte ihr einen Schein des Rechtes geben. Sie, hieß es dann, habe die Scheidung verlangt ...

Und sie schrieb an Ballmann, der nichts Eiligeres zu thun hatte, als der einsamen jungen Frau seinen Besuch zu machen – Ballmann, derselbe, der schon den Scheidungsprozeß ihrer Mutter so geschickt geleitet. Sie wußte ja nichts und er sprach nichts davon.

Sie empfing ihn und entließ den galanten Sachwalt und Vertheidiger der Unschuld mit dem Bewußtsein, doch Einen zu haben, der sie schützen und stützen werde. Ballmann kannte Richter gar nicht weiter; der Letztere hatte seine Angelegenheit eben nur dem vielbeschäftigten Rechtsanwalt übergeben, und Ballmann hatte jetzt seiner schönen Klientin so viel Artigkeiten gesagt, hatte die Erlaubniß gefordert, zu ihr gelassen zu werden, wenn er sich melde, hatte gebeten, ihn rufen zu lassen, wenn sie seiner bedürfe, auch – seltsame Wiederholung in der Fügung des Schicksals! – versprochen, für den eiligen Verkauf des Hauses und Inventars zu sorgen.

Der viel gesuchte Mann trat also zu der Tochter in ganz dieselbe Beziehung wie damals zur Mutter.

Aber weder Ballmann's Protection, noch ihre Rechtsüberzeugung täuschten sie über das sie anschleichende Bewußtsein, sich auf einen verlorenen Posten gestellt zu haben. Ihr, die keinen Halt in sich selber hatte, war derselbe auch nach außen verloren gegangen.

Sie hatte eine elegante Wohnung gemiethet, sich Hals über Kopf in diese hineingestürzt, der Magd die Ueberführung ihrer Habseligkeiten anheim lassend.

Sie verstand keine Beschäftigung, die sie hätte zerstreuen können. Die Angst, allein zu sein in den schönen Räumen, peinigte sie tags; sie wälzte sich nachts schlaflos im Bette, jammerte über ihre Vereinsamung, rief sogar nach ihrem Kinde, verfluchte Erwin, raufte sich das Haar und wüthete gegen sich selbst.

Richters Namen wagte sie nicht auszusprechen; sie barg sogar das Antlitz in den Kissen, wenn er mit seiner großen schönen Gestalt, seinem treuen, immer lächelnden Auge vor ihr Gedächtniß trat, namentlich in jenem letzten entscheidenden Moment ... Sie erwachte jäh aus kurzem Halbschlummer, wenn sie vermeinte, seine Stimme gehört zu haben und streckte abwehrend, sich schützend, die Arme von sich.

Als sie so eines Morgens mit verweinten Augen in ihrem Negligé saß und Erwin zu ihr trat, dankte sie seinem Gruße nicht. Als er ihre Hand suchte, sprang sie wie eine Furie auf, überhäufte ihn mit Verwünschungen, ließ ihn allein und verschloß sich in ihr Schlafgemach.

Sie hatte einen Brief von Helmine erhalten, der Tage lang nach ihr gesucht. Diese schrieb in den herzlichsten Ausdrücken, sie mahnend an die Pflichten gegen ihr Kind, das zwar in guten Händen, aber dereinst nach der Mutter fragen werde.

Das Uebrige hatte Stella gar nicht mehr gelesen. Sie konnte sich denken, was es sei. Die Freundschaft mit Helmine mußte ein Ende haben, denn nach Auershof konnte sie nicht mehr hinaus ... Die Brücke war hinter ihr zusammengebrochen.

Erwin war es, dem sie all ihr Unglück dankte; sie fühlte sich erniedrigt durch ihn, vor ihm. Wer war sie jetzt in seinen Augen, daß er es wagte, bei ihr unaufgefordert zu erscheinen! War sie weniger als seine Gattin, dieses verhaßte Weib? ...

Sie empfand es, ja! Sie war nicht mehr von Hanna's Gleichen; der Schritt, den sie aus ihrem Hause gethan, hatte sie tief, tief hinab geführt. Hanna hatte jetzt Ursach, sie zu verachten, und sie hatte ihr das gezeigt, als sie gestern mit ihren Livré-Dienern auf der Promenade an ihr vorüber gefahren ... Aber sie hatte den Schritt gethan, um auch Hanna zu strafen, und da im anderen Zimmer stand jetzt deren Gatte, durch den sie gestraft werden sollte.

Sie besänftigte ihren Groll und trat wieder zu ihm mit Thränen in den Augen.

»Hast Du Hanna je geliebt?« fragte sie eifrig, ihn gleichsam zur Rechenschaft ziehend.

»Thörin, Du weißt es!« lachte er, ihre Hand küssend.

»So verlasse sie!«

»Kann ich mehr thun? Ich sah sie seit acht Tagen kaum!«

»Doch! ... Du sollst sie ganz verlassen! Du sollst mir schwören, sie ein ganzes Jahr hindurch nicht zu sehen!«

Erwin lachte über sie.

»Und wenn ich es verspräche?«

»So verzeihe ich Dir, daß Du mich unglücklich gemacht. Gieb mir Dein Wort als Kavalier!«

Erwin verzog unwillkürlich das Gesicht wieder zu einem Lachen. Er erinnerte sich des Wortes, das er Hanna einst hatte geben müssen. Was Alles diese Weiber von einem Kavalier verlangten!

»Ich gebe Dir dies Wort!«

Stella war das eine diabolische Freude. Sie feierte einen Triumph über Hanna. Sie schloß Erwin in ihre Arme, barg ihr Antlitz an seiner Brust und weinte im Bewußtsein ihres Sieges über die Feindin.

Erwin gehörte noch einmal ihr und Hanna sollte ihn aus ihren Armen nicht wieder empfangen ...

* * *

Acht Tage hindurch kam Erwin täglich. Stella triumphirte. Sie berechnete geizend die Stunden, die sein Dienst am Hofe forderte und empfing ihn mit der in ihren Augen, auf ihren Lippen brennenden Frage:

»Du hast doch sie nicht gesehen?«

Erwin gab ihr lächelnd beruhigende Versicherungen und sie wiederholte alsbald die unerläßliche Notwendigkeit einer Scheidung von Hanna.

Niemand sah sie draußen; sie hütete das Haus um seinetwillen. Die bange, unheimliche Stimmung war von ihr gewichen, ihre Brust athmete wieder frei und glücklich. Sie hatte keine Langeweile mehr, all' ihre Gedanken waren mit Erwin beschäftigt; sie kleidete sich nur noch für ihn.

Diese kurze Ehe mit Richter war nur eine unglückliche Episode ihres Lebens gewesen. Sie fragte sich nicht, ob nicht dieselben Gründe, welche Erwin damals von ihr gerissen, auch jetzt noch obwalteten. Er hatte sein Wort gegeben, Hanna ein Jahr hindurch nicht zu sehen, hatte zugestimmt, sich von ihr zu trennen, er gehörte ihr ja schon ganz, und Jene hatte nur dem Namen nach Theil an ihm ...

Am zehnten Tage, als sie im schönsten Negligé, Erwins wartend und nach ihm ausschauend am Fenster saß, kam ein Billet von ihm.

Sie nahm es und küßte es. Aber das Blättchen entfiel ihren zitternden Händen, ihr Kinn sank auf die Brust, ihre Augen starrten wie verglasend auf das zu ihren Füßen liegende Papier.

Erwin schrieb:

»Theuerste Stella! Zürne dem unerbittlichen Geschick, nicht mir, dem Unglücklichsten aller Menschen, den es wie einen vom Donnerschlag Betäubten aus seinem Himmel reißt. Eine Ordre des Königs befiehlt mir soeben, mich heute Mittag der Suite anzuschließen, welche den jüngsten Prinzen auf seiner Reise begleitet.

»Man gönnt mir auch nicht die Zeit, Dich noch einmal zu umarmen! Gedenke mein! Dein Bild begleitet mich und meine Gedanken werden immer bei Dir sein!«

Erwin hatte seine Designation als Begleiter des jungen Prinzen bereits, als er Stella sein Wort gab, Hanna auf ein ganzes Jahr zu verlassen, denn gerade dieser Zeitraum war für die Reise bestimmt.

Er kostete sein Glück bis zur Neige und trennte sich von Stella ohne großes Vermissen.

Stella vergaß, wie es nur zu oft der Frauen Unglück, daß die Gewährung, die Erfüllung das Grab der Achtung. Sie, die sich zur Maitresse Erwin's herabgewürdigt, kämpfte gegen seine Gattin, der von der Vormundschaft die alleinige Verfügung über ihr Vermögen gewahrt worden, und vor der er zu Kreuze kroch, wenn sein Leichtsinn ihn zwang, für denselben klingende Verzeihung zu suchen.

Die Waffe also, mit der Stella ihre Gegnerin zu vernichten suchte, kehrte sich gegen sie selbst.

* * *


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