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12.

Die Soirée schien früh zu Ende gehen zu wollen. Die Hitze des Lokals war erstickend, und die älteren Gäste waren gewohnt, nach ärztlicher Vorschrift, früh die Ruhe zu suchen.

Stella trat eben mit Richter wieder hinaus, als über den zu der Veranda heraufführenden Stufen eine hohe weibliche Gestalt im Reisekostüm erschien, deren schlichter, vom dunklen Schleier bedeckter Strohhut und über dem Arm hängender Shawl nicht zu den Ballkostümen der Damen paßte.

»Stella, ach, wie glücklich, daß ich Dich finde!« rief dieser eine tiefe Frauenstimme entgegen. »Ich kam vor einer halben Stunde hier an und suchte Dich im Hôtel. Man sagte mir, Du seiest zur Soirée in's Kurhaus gegangen, und da eilte ich hierher!«

Die Dame breitete die Arme aus, küßte Stella auf die Stirn, wandte sich dann lebhaft zu Richter, bot ihm die Hand und schien sehr erfreut, auch ihn zu sehen.

»Helmine!« Stella erschrak, die Freundin hier zu sehen. Was führte sie hierher?

Helmine sah ihre Unruhe.

»Mir war ein Ausflug so nothwendig. Der Vater war wieder krank; ich komme nicht von seinem Lager. Eine Erholung thut mir noth! ... Aber Du könntest besser aussehen! Bekommt Dir die herrliche Luft hier nicht? Es ist ja, als wehe hier in diesem Thal der unverfälschte Himmelsathem! Wie muß man hier sich glücklich fühlen!«

Helmine hatte, während sie so lebhaft sprach und Richter ihr den Shawl vom Arme nahm, einen furchtsamen Blick in die geöffnete Thür des Ballsaales gethan.

»Ihr bleibt doch noch einige Zeit hier, damit ich nicht umsonst gekommen bin?« fuhr sie fort, den Stuhl nehmend, den Richter ihr bot.

Richter ging, um die Bedienung zu suchen. Die beiden Frauen blieben am Tische.

Stella that einen hastigen, fragenden Blick in das Antlitz ihrer Freundin.

»Hanna schrieb mir zu meiner Bestürzung, daß auch sie hier sei. Ich erhielt ihren Brief bald nach dem Deinigen!« sprach Helmine halblaut.

Stella blickte scheu vor sich hin.

»Sie hat noch immer einen unversöhnlichen Haß gegen Dich! Die Besorgniß, daß sie sich zu einer Unbesonnenheit verleiten lassen könne, zog mich hierher.«

»Ich that ihr nichts zu Leide; sie aber hat mir unsagbar viel Weh zugefügt! Du weißt es!«

»Du sahst auch ihn schon?«

»Richter hat bereits seine Bekanntschaft gemacht.«

»Es wäre besser, Ihr wäret hundert Meilen weit von einander. Hat er Dir den Takt gezeigt ...?«

»Wir sahen uns nicht.«

»Aber Hanna?«

»Ich weiche ihr aus. Nur auf Richter's Bitten folgte ich ihm heute hierher.«

»Könnt' ich mit all' meinen Gründen der Vernunft nur Einfluß über dieses Geschöpf erreichen!« sprach Helmine vor sich hin. »Ich hab's nicht an solchen fehlen lassen, als sie wieder zu mir kam und häufiger kam. Ich hege den Verdacht, daß sie nur bei mir erschien, um zu horchen. Sie sucht noch immer eine geheime Beziehung zwischen Dir und Fürth! Es ist ihr nicht einleuchtend zu machen, daß schon vor seiner Vermählung alles zwischen Euch abgebrochen.«

»Sie weiß,« fuhr sie fort, »daß er ihr nur durch die Form der Vermählung gehört, daß sie sich ihm immer unerträglicher macht durch ihre Eifersucht gegen Alle; dieser eine Wurm aber frißt ihr im Herzen und ist nicht zu entfernen ...«

Helmine unterbrach sich plötzlich. Sie, die mit dem Gesicht zu den Fenstern des Ballsaales Stella gegenübersaß, wollte hinter dem Vorhange des nächsten einen schmalen beweglichen Schatten bemerken.

Die Augen bis zur Stirn von dem überhängenden Schleier bedeckt, schielte sie hinüber. Sie sah einen kleinen weißen Handschuh, der vorsichtig die Gardine zurückbog, erkannte das aschgraue Haar, das wie ein helles Wölkchen sich zwischen den Lustreglanz des Salons und das Halbdunkel der Veranda legte.

Und jetzt blitzten auch zwei glänzende Augen hinter dem Gardinenrande hervor.

Sie verschwanden wieder. Helmine konnte sich nicht getäuscht haben. Die Gardine bewegte sich noch.

Hanna, ihre Gegnerin im Salon vermissend, hatte diese hier draußen erspäht, hatte auch ihre Cousine wahrscheinlich erkannt und war, fürchtend, von dieser bemerkt zu werden, in den Salon zurückgetreten.

Helmine konnte nicht hierher gekommen sein, um von Hanna nicht gesehen zu werden, und doch war's ihr unangenehm, so im intimsten Zwiegespräch mit Stella entdeckt zu sein.

Helmine hatte allerdings eine zeitweise Autorität über dieses wilde Naturell gewonnen. Sie hatte, als Hanna noch ein Kind, diese Autorität zu gewinnen sich bemüht und erreichte sie, aber immer nur für den Moment. Jetzt, seit sie sich in Helminens Abwesenheit verheiratet, und sie erst nach Verlauf geraumer Zeit ihre ältere Cousine wieder aufgesucht, machte Hanna ihre Selbständigkeit geltend, und in einer Weise, die Helminen Grund zur Besorgniß gab.

Dieses heimliche Belauschen entrüstete sie. Indeß eben kehrte Richter zurück, hinter ihm der Kellner.

»Ich danke Ihnen, lieber Freund,« rief Helmine ihm entgegen. »Ein Glas Limonade genügt mir! Ich habe im Grunde keinen Appetit.«

Richter gab durch einen Wink dem Kellner Ordre. Er setzte sich zu den Damen und plauderte heiter. Helminens Anwesenheit war ihm stets willkommen; er kannte den wohlthätigen Einfluß dieser Dame auf seine Gattin.

Die Veranda füllte sich in der nächsten Pause. Helmine erhob sich, ihr nach Stella.

»Ich habe vergeblich in Ihrem Hotel ein Winkelchen gesucht,« sagte sie lächelnd zu Richter. »Ich mußte mich mit einem Stübchen in einem anderen, ein paar Häuser weiter unten begnügen. Stella tanzt nicht, wie sie mir sagte; sie fühlt sich auch ermüdet. Interessirt es Sie, lieber Richter, noch hier zu verweilen, so begleitet mich Stella in meine Wohnung. Sie finden sie zuhause. Ich bin ein wenig erschlafft von der Sonnengluth des Tages.

Richter sah, daß die Damen zu plaudern hatten; er bemerkte einen ihm bekannt gewordenen Herrn, der allein an einem der Tische saß, und als die Damen die Veranda verlassen, setzte er sich zu ihm.

* * *

Helmine hatte Stella's Arm genommen und schritt mit ihr an der Fontaine vorüber zur Promenade hinab. Sie bog mit ihr in das Wiesengrün ein, das Ufer des so lustig über die Felssteine dahinsprudelnden Baches suchend.

»Stella,« hob sie hier, wo sie Niemand belauschen konnte, mit einer gewissen Feierlichkeit an, »selbst um den Preis, Dich zu beunruhigen, muß ich Dir gestehen, daß ich hierher geeilt, um Dich zu warnen.«

Beide hielten inne. Sie standen einander gegenüber.

»Erschrick nicht!« Sie drückte Stella's Arm. »Sei nur vorsichtig! In dem Herzen Deiner Gegnerin ist der Haß durch einen mir unangenehmen Zwischenfall auf's Neue angefacht. Ich konnte es nicht hindern, kann nur eine Unvorsichtigkeit meinerseits bedauern.«

Stella horchte mit verhaltenem Athem.

»Ich habe in Hanna leider Schlimmeres entdeckt, als ich in ihr zu suchen gewagt. War sie früher kindisch boshaft, so ist sie jetzt wirklich schlecht und ränkevoll geworden. Ich war einigermaßen erfreut, als sie sich wieder bei mir einfand, denn sie ist immerhin meine Cousine. Sie bat mich auch, als sie wieder nach Auershof kam, um Verzeihung für Manches, schmeichelte mir, und ich meinerseits glaubte, ein gutes Werk thun zu können, wenn ich einen günstigen Einfluß auf ihr Naturell gewinne.

»Ich nahm sie gern wieder auf. Sie gab sich heiter, unbefangen, sprach von ihrer Ehe, als bleibe ihr nichts übrig, sie müsse sich fügen in die Verhältnisse, wie sie einmal seien. Sie wisse ja, daß Fürth sie nur um ihres Vermögens willen geheiratet, daß ihm damals nichts übrig geblieben sei, als sie, die doch in ihn vernarrt gewesen, zu heiraten, oder sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen ...

»Setzen wir uns hier auf diese Bank,« unterbrach Helmine sich. »Es plaudert sich besser.«

Stella folgte ihr. Mit bange klopfendem Herzen setzte sie sich neben die Freundin.

»Ich wiederhole Dir, beunruhige Dich nicht zu sehr! Es ist ja eigentlich so schlimm nicht! Also ... Du weißt, daß mein Vater seit einigen Jahren häufig kränkelt. Er will von keiner anderen Pflegerin wissen. Um seinetwillen habe ich mit dem Leben abgeschlossen. Du kennst meine wohlbegründete Ansicht von den Männern; dieser Entschluß kostet mich also nicht viel, im Gegentheil, des Vaters Zustand schützt mich vor zudringlichen Werbungen.

»Eines Morgens also ... Hanna war am Abend vorher bei uns eingetroffen, um einige Tage bei uns zu bleiben, da ihr Mann zur Jagd verreist war; sie war außerordentlich umgänglich, sprach so vernünftig, zeigte so viel Theilnahme für den Vater und war in der anspruchslosesten Toilette gekommen ... Eines Tages also, als ich in meinem Zimmer saß und Hanna sich im Garten unten beschäftigte, ward ich plötzlich erschreckt durch das athemlose Erscheinen des Dieners, der mir meldete, mein Vater habe wieder einen seiner beängstigenden Anfälle bekommen.

»Ich sprang auf, ließ sorglos Alles liegen, das Pult geöffnet, an dem ich schreibend saß und eilte hinab. Als ich endlich wieder beruhigt in mein Zimmer trat, sah ich die Schiebladen meines Pultes geöffnet, selbst die geheimsten, von denen Niemand wissen konnte. Alles war hastig durchwühlt; die darin befindlichen Briefe waren gelesen, einige verschwunden ... leider gerade von den Deinigen! ... Verzeihe mir, Stella, diese gewiß unter anderen Umständen nicht verzeihliche Unvorsichtigkeit!«

Sie ergriff Stella's Hand. Diese war kalt und regungslos.

»Das Schlimmste ist, daß ich den begründeten Verdacht hege, Hanna habe sich in mein Zimmer geschlichen. Ja, es unterliegt keinem Zweifel, daß sie die Briefe entwendet ... Ich rief sie, ich sagte ihr, sie habe die Kühnheit gehabt, mein Pult zu durchsuchen. Sie leugnete ... O, sie ist schlecht! Dieser Vorfall hat mir einen Blick in ihre Seele geöffnet! Aber eben diese erschreckende Ueberzeugung zwang mich, ihr scheinbar zu glauben. Ich bat sie also um Verzeihung und that, als sei Alles vergessen.

»Ich unterschätzte leider ihre Schlauheit. Sie blieb noch mehrere Tage bei uns und war von gleichmäßiger Laune, suchte sich uns angenehm zu machen, bemühte sich um den sich wieder erholenden Vater und ließ ihren kleinen Reisekoffer absichtlich geöffnet; absichtlich um mich zu überzeugen, daß ich sie in falschem Verdacht habe.

»Die Briefe sind ohne Zweifel in ihrem Besitz, und so finde ich denn keinen andern Rath als den, der mich hierhergeführt: eine Versöhnung zwischen Euch anzubahnen. Ich will dies morgen versuchen.«

Stella schwieg; sie war in einer Verfassung, die ihr kein Wort gestattete. Helmine legte den Arm um ihren Nacken und suchte sie fortzuziehen.

»Nimm es Dir nicht allzu sehr zu Herzen,« tröstete sie. »Hanna wird sich meiner Vorstellung endlich nicht verschließen, daß es eine Thorheit von ihr sei, sich selbst das Leben zu verbittern und sich ihren Gatten dadurch immer mehr zu entfremden. Ihre Reizbarkeit, ihre Heftigkeit wird mir allerdings einen schweren Stand bereiten! Ist sie indeß in ihrem Eigensinn nicht zu bewegen, so reise ab. Entziehe ihr Deinen Anblick und überlaß mir das Weitere.«

Stella hatte sich mit ihr erhoben; schweigsam geleitete sie ihre Freundin in ihre Wohnung und eilte danach in die ihrige.

Richter fand sie bereits im Bette, als er eine Stunde später sehr heiter eintrat. Da er sie noch wach sah, plauderte er über die Gesellschaft, namentlich von der aschblonden Frau von Fürth, die wie rasend getanzt, während ihr Gemahl mit einigen Herren draußen beim Champagner gesessen.

Stella antwortete nicht. Sie lehnte das Haupt müde in das Kissen zurück und schloß ihre Augen, als er, ihr eine gute Nacht wünschend, einen Kuß auf ihre Stirn drückte.

Kalter Schweiß bedeckte dieselbe, als auch er sein Lager suchte.

»Zu was kämpfe ich!« Sie drückte das Antlitz in das Kissen. »Jetzt ist ja Alles umsonst!« ...

* * *


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