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2.

»Geh Du nur nach Italien, mich aber laß hier! Ich bin zu bequem geworden für dergleichen Expeditionen; das habe ich bei unserer Schweizerreise gemerkt!« So sagte der alte Major von Auer, als er im Winter dem Schneetreiben von seinem Sopha aus zusah. »Du bist selbständig genug, um keinen Beschützer zu gebrauchen. Nimm die arme Stella mit, die durch das Unglück ihres Vaters so elend geworden; der wird die Erholung wohl thun ... Uebrigens, wenn Du meine Meinung hören willst, weiß ich nicht, was Du jetzt, nachdem der halbe Winter fast schon vorüber, in den italienischen Gefilden noch suchst. Warte noch ein paar Monate, so scheint die Sonne bei uns wieder ebenso schön!«

Helmine, auf deren Antlitz das Gepräge der Bekümmerniß trotz körperlichem Wohlsein lag, ließ den Blick auf einem vor ihr auf dem Nähtisch liegenden geöffneten Briefe ruhen; der alte Major nahm seine Zeitung wieder zur Hand.

»Ich wußte freilich, daß es Dir nicht lieb, Vater, wenn ich die Weihnachtszeit nicht bei Dir verlebe. In wenigen Tagen sind wir über die Alpen und Du sollst jede Woche einen Brief von mir haben.«

»Mach' es, wie es Dir gefällt, Kind! ... Ich lese hier, daß der Moritzsohn auch wieder da ist. Dergleichen fällt immer wie die Katze auf die Füße. Uebrigens höre ich, daß Lenning sich ein wenig von dem Schlage erholt hat; er soll schon wieder an der Börse sein; Stella hätte also gar nicht so viel Ursach, so unglücklich und schweigsam zu sein. Die Gräfin Mompach, die leichtfertige alte Person, soll bei dem Bankerott am schlimmsten fortgekommen sein; auch die Firma Carl Holstein soll große Verluste durch Moritzsohn erlitten haben; die Zahlungen, die der reiche Russe Nowinkow für gelieferte Maschinen machte, sollen durch Moritzsohn's Hand gegangen sein.«

»Um die Gräfin thut's mir nicht leid! Holsteins sind sehr reich und können wohl einen leichten Stoß vertragen.«

»Wenn sie's nur bleiben! Der Herr Sohn treibt's ein bischen arg ... A propos, ist er denn noch immer so in die Stella verliebt?«

»So scheint's! Eben das treibt ihn zu allerlei Extravaganzen. Stella ist jetzt am allerwenigsten in der Stimmung. Es ist unglaublich, wie ein junger Mann aus so reichem Hause mit solcher Zähigkeit an seiner Neigung hält, während ihm doch so viel Andere zu Gebote stehen.«

»Ich halte das für geistige Beschränktheit oder für Charakter-Schlaffheit. Leute der Art sind zu träg und zu feig, um einen Anlauf nach andrer Richtung zu nehmen ... in dem die jungen Weiber doch so gern entgegen kommen,« setzte Auer lachend hinzu ... Aber sag' mir, was hat denn Richter eigentlich geschrieben?«

»Nun, er ist, wie in jedem Briefe, unglücklich, daß er durch die Wünsche seines Verwaltungsraths so lange drüben verweilen muß. Jetzt, schreibt er, könne es sogar Frühjahr werden, ehe er heim komme. Wenn sein Herz ihn nicht hierher zöge, würde er ganz drüben bleiben, da ihm dort eine glänzende Stellung geboten werde.«

»Ja, was dies Mädchen unter den Männern für ein Unglück anrichtet!«

Helmine seufzte still vor sich hin.

»Es ist mir nur lieb, daß das Unglück ihres Vaters sie endlich nachgiebig gemacht hat, zu uns zu ziehen,« sagte sie. »Eine wirkliche Waise konnt's ja nicht schlimmer haben als sie, und ich hange einmal unwandelbar an demjenigen, dem ich einmal gut bin. Es war unerhört von ihrem Vater, sie mittellos in einem fremden Hause zu lassen, ohne ihr zu sagen, wie es mit ihm stehe. Diese Constanze Neuhaus hat sich allerdings sehr gut gegen sie benommen. Sie hat die Medikamente für sie bezahlt während ihrer Krankheit, hat sie gepflegt wie eine Schwester, obgleich ihr eigener Vater sich auch sehr quälen muß. Nur durch einen Zufall erfuhr ich, daß Stella ohne alle Mittel geblieben.«

»Und deshalb wär's am besten, das Mädchen käme bald unter die Haube! Sie soll meinetwegen den jungen Holstein nehmen, damit der einmal Ruhe bekommt, denn auf den Richter in Amerika kann sie nicht warten.«

»Aber gerade der rechnet, verläßt sich auf sie! Wenn wir zurückkommen, wird's ja auch schon Frühling sein.«

Helmine fuhr sich mit dem Taschentuch über Stirn und Augen, um lästige Gedanken zu verscheuchen.

»Sprechen wir nicht mehr davon!« sagte sie, den Brief zu sich steckend und sich erhebend.

»Hast Du nicht gehört, ob Hanna mit ihrem Gatten von der Hochzeitsreise endlich zurück ist? Sie bleiben lange fort.«

»Nein, ich hörte nichts!« Sie trat hinaus in's andere Zimmer, wo sie sich tief verstimmt an's Fenster stellte und wie vorhin der Vater in den Schneesturm hinaus blickte.

Stella trat zufällig ein. Sie war im Hausgewand, ihr Antlitz bleich; ihr Auge blickte verdeckt und scheu. Sie vermied es, dem Helminens zu begegnen.

»Richter hat geschrieben! Interessirt es Dich zu lesen? Es ist wie immer von Dir die Rede in seinem Briefe.«

Stella verbarg ihre Betroffenheit und setzte sich, das Kinn in die Hand stützend, an das andere Fenster.

»Er kommt doch nicht schon?« fragte sie mit leicht zitternder Stimme.

»Nein! Beruhige Dich! Er ist unglücklich, daß der Winter darüber vergehen werde.«

Stella zeigte keine Erregung mehr; in tiefem Mißmuth seufzte sie vor sich hin.

Helmine war die winterliche Einsamkeit ihres ländlichen Aufenthalts gewohnt, ihr war's aber, als sei ihr dieselbe nie so fühlbar gewesen wie jetzt, wo sie eine so schwer verstimmte Seele um sich hatte.

»Ich habe mit dem Vater Alles geordnet. Wir können morgen reisen!« sagte sie, sich zu Stella wendend. »Hast Du die Absicht, Deinem Vater Adieu zu sagen oder ihn wenigstens zu benachrichtigen?«

Stella schüttelte fast mit Unwillen den Kopf.

»Ich wüßte nicht, zu welchem Zweck«, sagte sie mit Bitterkeit. »Ich wünschte, wir wären schon fort.«

»Geduld!« Helmine, an ihr vorüber gehend, preßte ihr die Hand und trat hinaus.

Stella lehnte sich zurück und schaute in's Schneetreiben hinaus. Sie hatte jeden Lebensmuth verloren. Bitterkeit beherrschte ihr Gemüth; die Welt, die Menschheit waren ihr ein Abscheu geworden. Ihr war's, als sei sie jede Stunde zu einer schlimmen That bereit, sei's gegen sich oder Andere.

Auch von hier draußen, wo sie so abseits von der Welt, da niemand im Winter nach Auershof kam, trieb sie eine innere, angstvolle Unruhe fort; um ihretwillen hatte Helmine sich zur Reise entschlossen, aber ihr bedrücktes Herz wußte ihr kaum Dank dafür.

Seit einigen Wochen ward sie auch hier draußen belästigt. Ein altes Weib in vernachlässigten, ärmlichen Kleidern, ein schmutziges Flortuch über dem Kopf, störte sie in ihren einsamen Spaziergängen. Sie hatte sich ihr einmal in den Weg gestellt und die Frechheit gehabt, sie umarmen zu wollen. Sie sei Mrs. Blount, ihre Großmutter, die so lange vergebens nach ihrem Enkelchen gesucht. Sie wohne drüben bei Mr. Atkinson und warte immer vergebens auf die Rückkehr ihrer Tochter.

Stella hatte sie mit Ekel von sich gewiesen, denn die Alte roch nach Branntwein; sie wisse nichts von ihrer Mutter, die nie von ihr habe wissen wollen. Aber Mrs. Blount hatte nicht nachgelassen; sie hatte endlich um Geld gebeten, da sie ganz verarmt sei und kein Obdach haben werde, sobald Mr. Atkinson sie fortschicke.

Stella hatte ihr einmal Geld gegeben und seitdem lauerte sie ihr auf, um sie von Neuem anzubetteln. Vor einigen Tagen hatte sie die Alte sogar betrunken am Wege liegend gefunden; die Kinder hatten ihren Spott mit ihr getrieben.

Das Unglück hatte Stella die Einsicht in sich selbst, aber auch in die Welt gegeben. Ihr graute, wenn sie an ihre Familienverhältnisse dachte, und diese Einsicht ward eine bedenklich pessimistische. Nur die Umstände verboten ihr, der Welt zurückzuzahlen, was sie ihr gethan ... auch ihm namentlich, an den sie fortwährend denken mußte mit einem brennenden Gefühl, in welchem der Haß gegen das eine, sie so oft zur Verzweiflung treibende Gedenken an Den kämpfte, den sie doch hassen mußte und wollte.

Es war das Blut der Mutter in ihr, die ihr Kind in der Wiege schon verrathen. Aber es mußten ja andere Tage kommen; sie war jung! Und sie sollten kommen!

Stella reiste am nächsten Tage mit Helmine. Der alte Major hatte bereitwillig Ja zu dieser Reise gesagt, aber es that ihm doch weh, so allein bleiben zu sollen.

* * *


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