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8.

Richter hatte schon vor seiner Abreise nach Amerika einem befreundeten Architekten die Zeichnung für ein hübsches Schweizerhaus übergeben, das in seiner Abwesenheit auf dem von ihm erworbenen Grundstück draußen in den Ausläufern der Promenade, in der Nähe des Flusses errichtet ward, an welchem ihn seine großartigen Wasserbauten auf lange hinaus beschäftigten.

Seit einem Jahr bewohnte er dasselbe mit seiner Gattin, das Glück genießend, das sich ein in seinen Grundsätzen kernfester, in seinen Ansprüchen und Bedürfnissen bescheidener, mit ganzer Seele seinem Berufe lebender Mann ohne große Beihülfe Anderer zu bereiten vermag.

Er war den Tag hindurch sechs, auch acht Stunden in seinem Bureau auf den Baustätten, wo er die Arbeiten seiner Unterbeamten leitete. Er kehrte Mittags und Abends heim mit frohem, zufriedenem Herzen, den Kopf voll von seinen Plänen, seinen Arbeiten, Stirn und Wangen frisch von der Luft, in der ihn seine Beschäftigung hielt, freundliche, heitere Worte auf der Zunge und zufrieden, Stella lächeln zu sehen, wenn er sie umarmte.

Richter machte sich keine Illusionen. Was er mit Helmine oft besprochen, war die Basis seiner Ansprüche geblieben; er hatte an Stella nie die Merkmale einer wirklichen Leidenschaft für ihn gesucht. Wenn sie ihn nur gern hatte und ihm Frieden und Wohlbefinden bereitete, oder in richtigeren Worten: ihm den Frieden nicht störte, den er sich selber schuf.

Was sie that, wie sie war während all' der Tagesstunden, wenn er im Bureau oder zuweilen einige Tage hindurch stromaufwärts bei den Schleusenwerken verblieb, darüber machte er sich keine Sorge. Er vertraute auf seine Gattin und die größte Beruhigung war es ihm, wenn er wußte, daß sie inzwischen Helmine erwartete.

Er selbst plauderte immer so gern mit der jungen Frau, deren abgeschlossenes Wesen und ungewöhnliche Bildung und Belesenheit ihm eine Erholung war, und Stella konnte nie besser aufgehoben sein als in ihrer Gesellschaft.

Helmine rieth ihm zuweilen, er solle sich einmal los machen von seinen Arbeiten und mit seiner jungen Frau eine kleine Reise antreten.

»Ja wohl! antwortete er lachend. »Ich bin ja immer dazu bereit; wenn sie will!«

Aber einmal litt die Jahreszeit, ein andermal sein Beruf die Ausführung nicht.

Er forderte Stella auf, mit ihm in der Stadt sich zu zerstreuen, wenn er einige Tage Muße hatte, aber wenn sie eingewilligt, Oper und Schauspiel mit ihm besuchte, fand sie kein Ende darin und schien verstimmt, sobald Richter wieder an seine Geschäfte mußte.

»Eins fehlt uns nur, und das wird der Himmel ja auch geben: ein Kind! ... Es ist nichts, so eine Ehe ohne Kinder!« pflegte er oft zu klagen.

Stella antwortete nicht darauf. Sie beschäftigte sich, wenn er das sprach.

Er führte sie im Winter auf einige Bälle. Stella tanzte und war heiter, aber zerstreut bei solchen Gelegenheiten. Ihr ursprüngliches Temperament brach zwar zuweilen durch, sie ward übermüthig, wie Richter sie nie gekannt, wenn er sich aber näherte, erfreut über ihre Heiterkeit, corrigirte sie sich schnell und ward ernst.

Richter bemerkte nicht, wie sie in solchen Gesellschaften, wenn sie sich in der Unterhaltung mit ihr bekannten jungen Männern hatte gehen lassen, bei seinem Herantreten diesen einen bittenden, einverständnißvollen Blick zuwarf, als dürfe ihr Gatte nicht wissen von dem, was zwischen ihnen gesprochen worden, und Richter bemerkte das nicht; er hatte ja seit Anfang seiner Ehe die so wohlthuende Beobachtung gemacht, daß seine Gattin den richtigen Tact habe, die Männerwelt in passender Entfernung zu halten. Er hörte die letzteren die Schönheit und Anmuth seiner Frau bewundern, und fand das in der Ordnung.

An Sonntagen fing sich Richter oft die Kinder einiger Nachbarn ein, brachte sie in's Haus, gab ihnen Naschwerk, spielte mit ihnen und bat Stella, sich doch auch mit ihnen zu beschäftigen. » Children are blessing«, sagte er immer. »Ich adoptire mir doch noch eins, wenn wir keins bekommen!« Stella lachte, wandte sich aber verlegen erröthend ab. Sie war recht linkisch mit den Kleinen, während Richter, auf dem Boden kriechend, sie auf seinem Rücken reiten ließ.

»O, er ist ein Herz! Wären die Männer nur alle so!« sagte Helmine oft, wenn sie ihn sah. »Und verdienten alsdann die Frauen ihn?« setzte sie wohl mit einem heimlichen unzufriedenen Blick auf Stella hinzu, die ihr in ihrer Gegenwart zwar keine Ursach zu wirklicher Mißbilligung gab, aber wenn Richter nicht zugegen, oft so seltsam nervös, so unstät in ihrer Laune ward und nicht wußte, was sie wollte, wo doch Jeder sie als ein glückliches Weib betrachtete.

Helmine war so uneigennützig, daß sie nicht einmal Dank für die aufopfernde Freundschaft begehrte; was sie erwarte, sagte sie, sei einzig, daß Stella ihren Gatten glücklich mache.

»Was verlangst Du denn noch von mir!« antwortete letztere dann. »Ist er denn nicht glücklich? Und ist meine Existenz denn eine gar so glänzende?«

Ein schwer strafender Blick Helminens rügte diese Frage; aber sie vergab ihr wie immer.

So hatte die Ehe ein Jahr gedauert. Außen war Alles hübsch; das Schweizerhaus, an der Chaussee und den Ausläufern der waldigen Anlagen erbaut, auf eine herrliche weite Matte, auf das Stromufer im Hintergrund der Wiesen schauend, von einem reizenden Garten umgeben, den Richter in den Morgen- und Abendstunden selbst mit kundiger Hand pflegte, mit einem Hühner- und Taubenhof, dessen weiße Schaaren die blauen Lüfte durchzogen – das Schweizerhaus war ein Augenmerk der aus der Stadt vorüberfahrenden Equipagen-Besitzer. Sie bewunderten die Sauberkeit der Stätte, die Romantik des Punktes und vielfach auch die anmuthige Herrin, wenn sie am Fenster saß oder in dem von Jasmin und Spiräen umhegten Garten zwischen den herrlichen Blumenbeeten promenirte.

Wie glücklich mußte die junge Frau sein mit dem großen, kräftigen, vollbärtigen blonden Mann, der an Sonntagen da ihr zur Seite die Rosen aufband und beschnitt, die Ranken des wilden Weins an der Galerie des Hauses stutzte und so gemüthlich waltete, während sie ihm zuschaute und neugierige Blicke auf die Vorüberfahrenden warf.

Und doch war's nur die Schale dieser Häuslichkeit, die man preisen durfte!

Richter freilich war immer derselbe. Er fand nichts darin, daß Stella so gleichgültig zuschaute, wenn er seine Freude an den herrlich blühenden Remontanten hatte; die Liebe für die Blumen war ihr einmal nicht gegeben.

Stella hatte im Frühjahr wochenlang gekränkelt; der Arzt nannte ihren Zustand einen hysterischen.

»Lassen Sie das nicht einreißen«, hatte er Richter unter vier Augen gerathen ... »Die Hysterie ist ein Uebel, dessen Bedeutung und verhängnißvoller Einfluß von unseren Aerzten, sogar von unseren Juristen lange nicht genug berücksichtigt und erkannt wird. Ich sage Ihnen das nur sans comparaison; diese Ernährungsstörung des Nervensystems ist die Quelle unzähliger Collisionen mit unseren Gesetzen, sogar von Verbrechen namentlich seitens des weiblichen Geschlechtes. Unsere Criminalisten haben keine Idee von dieser unseligen geheimen Triebfeder zu denselben, sie sprechen ihr Urtheil nach dem Buchstaben und fragen nicht danach, was etwa aus krankhaften Dispositionen hervorgegangen; sie erkennen nur wirkliche, constatirte geistige Unzurechnungsfähigkeit als Entschuldigung, hier aber liegt ein unermeßliches Feld der Beobachtung für den Psychologen, den Arzt, den Criminalisten; hier sollten sich die Philantropen in's Mittel legen und in geheimen Störungen des Körpers die Ursachen oft gewaltiger Tragödien suchen. Die Hysterie wird durch die Lebensweise unserer Frauen mit jedem Jahre mehr eine Glück und Frieden, Haus und Familie zerstörende Krankheit des weiblichen Geschlechtes, ein immer drohenderer Feind für die Wohlfahrt des Mannes. Jeder sollte daraufhin seine Frau beobachten, wenn sie Symptome innerer Unzufriedenheit bei äußerem Wohlergehen zeigt, jeder Vater seine Tochter auf eine für Nerven und Muskeln gesunde Thätigkeit hinweisen, um die Grundlagen dieses Uebels zu verhüten. Dieses Stricken, Nähen und Sticken, dieses Versitzen bei den Büchern der Leihbibliotheken, dieses stundenlange Toilettenmachen, bei dem diese Schleife und jene Locke nicht recht sitzen will, dieses Einzwängen in die modernen Panzer-Corsets, in denen die Nerven verschnürt werden, daß der Körper, wenn der Panzer abgelegt wird, aussieht, als sei er mit Ruthen gepeitscht, diese Kleider, die den Gliedern keine gesunde Bewegung gestatten und endlich diese Ernährungsweise, in der sie aus purer Grazie thun, als gebrauchten sie nur Engelsspeise, nicht ein Stück Fleisch und Kartoffeln wie jeder andere Sterbliche – all das, lieber Freund, macht die Weiber hysterisch. Man sollte alle Modejournale nur mit hohen Steuerstempeln erscheinen lassen oder noch besser: sie in's Feuer werfen, sollte alle Seidenwürmer vernichten wie die Rebläuse, alle falschen Haare bei Strafe verbieten und den Tanzmeistern die Beine entzwei schlagen, eher werden wir keine gesunde Generationen wieder haben ... Sie aber thun, wie ich Ihnen gerathen habe; besuchen Sie mit Ihrer Frau zunächst ein Bad, das ich Ihnen andeuten werde, um ihre Nerven zu kräftigen. Wir sprechen noch weiter darüber!«

Richter schaute dem Eiferer lachend und den Kopf schüttelnd nach. So schlimm sei's nicht, dachte er, aber in's Bad gehen wollte er mit Stella, sobald der Sommer in's Land kam. Er hatte seit einiger Zeit den Kopf sehr voll, hatte in seinen Bauten elementare und technische Schwierigkeiten, auf die er nicht gefaßt gewesen, auch ein neues großes Project entworfen, das noch auf gouvernementale Hindernisse stieß. Er rechnete und zeichnete den ganzen Tag, wenn er nicht selbst auf der Arbeitsstätte war. Stella sah ja ganz wohl aus. Der Arzt übertrieb offenbar, man mußte ihre Weise kennen.

In der That hatte sie ihm noch keine Ursach zur Unzufriedenheit gegeben. Sie war wie sie gewesen in seiner Gegenwart. Aber er sah nicht, was sie trieb, wenn sie allein war. Sie war wohl zu Anfang des Tages, wenn ihr Gatte sich entfernte, still zufrieden, dann aber überfiel sie oft die Unruhe. Sie suchte sich zu beschäftigen, war aber unfähig, irgend etwas zu vollenden und warf mit Ueberdruß fort, was sie zur Hand genommen.

Sie las und hatte keine Gedanken für die Lectüre; sie setzte sich an's Piano, spielte und sang wild und stürmisch; dann ließ sie melancholisch, selbstvergessen die Hände auf den Tasten liegen, schlug plötzlich das Notenheft zu, sprang auf und eilte an's Fenster. Sie setzte sich in ihren Schmollwinkel und hatte Träume in wachem Zustande. Sie zernagte die Taschentücher, zerknitterte und zerbrach, was ihr in die Hände kam, begann zu weinen, ohne zu wissen, was sie wollte.

Lange saß sie oft an der Toilette, ebenso lange stand sie angekleidet vor dem großen Spiegel, drehte sich um sich selber und ihre Schleppe herum, setzte den Hut auf und warf ihn wieder von sich, lief in den Garten und wieder in's Haus zurück.

Dann fiel es ihr plötzlich ein, zum nächsten Fiakerplatz zu eilen; sie fuhr in die Stadt, bestellte bei ihrer Schneiderin Kleider, die sie am Abend brieflich wieder abbestellte. Sie fuhr selbst mit der Köchin auf den Wochenmarkt; Helmine hatte ihr gerathen, sich um die Küche zu bekümmern. Sie machte ganz übermäßige und zwecklose Einkäufe und ließ dann Alles in der Küche verfaulen.

Ein andermal, wenn der Abend kam, kleidete sie sich wie zum Ball an, betrachtete sich, riß Alles wieder von sich, hüllte sich fröstelnd in ihre Hausrobe und wartete nervös auf Richter's Kommen.

Und kam der, so sprang sie ihm zweiten stürmisch leidenschaftlich entgegen, umarmte und küßte ihn und wandte sich danach scheu, wie über sich selbst zürnend, wieder von ihm ab. Er war ja nicht der Mann, den sie lieben konnte; es war nur eine Wallung gewesen, über die sie selbst erstaunte.

Helmine, wenn sie kam, schüttelte oft schon heimlich den Kopf über sie und ward immer unzufriedener mit ihr. Sie beobachtete sie unbemerkt, kühler und gleichgültiger; um so mehr Freundschaft aber legte sie in ihren Verkehr mit Richter. Sie erröthete zuweilen, wenn sie mit ihm sprach, doch war daran immer nur das Thema Schuld, über das sie sprachen.

Als der Sommer kam, brachte Richter die Rede wieder auf die Badereise. Stella nahm das mit Eifer auf. Der Gedanke an diese Reise wirkte stundenlang auf ihre Laune. Seit Wochen schon war ihr die eigene Wohnung unerträglich. Sie vermied sogar die auf die Chaussee hinaus gehenden Fenster.

Hanna fuhr nämlich mehrmals in der Woche in ihrem von prachtvollen Rappen gezogenen Landauer, mit Kutscher und Diener in Livrée, vorüber; zuweilen kutschirte sie auch selbst einen muthigen Lievländer. Sie versäumte nie, einen Blick auf die Fenster zu werfen.

Stella haßte dieses aschblonde Weib; aber einen Trost hatte sie: Hanna fuhr stets allein. Bei ihrer Schneiderin hatte sie einmal sagen gehört, Hanna lebe sehr unglücklich mit ihrem Gatten, den sie mit unerträglicher Eifersucht verfolge. Es war ihr dort auch gesagt worden, sie, Stella sei eine sehr glückliche Frau. Das schmeichelte ihr, weil man von Hanna das Gegentheil sprach; sie lächelte aber heimlich spöttisch darüber. Was diese Leute doch Glück nannten!

Auch von ihm hatte sie gelesen bei Gelegenheit der Hofjagden und Wettrennen. Erwin war sogar beleidigend genug gewesen, an ihrem Hause vorüber zu reiten.

Sie war darüber empört, in tiefster Seele verletzt, und dennoch schaute sie auf ihn, im Fond des Zimmers stehend. Dann mußte er aber gesehen haben, wie sie sich vom Fenster wendend, ihm den Rücken zukehrte. Er kam nicht mehr und sie – begann ihn zu erwarten, zu vermissen.

Ihre Stimmung ward unerträglich; sie langweilte sich. Diese Einsamkeit hier draußen! Das Gezwitscher und Singen der Vögel um sie her, die langweiligen Blumen rings um das Haus, mit denen Richter sich so viel beschäftigte! Kaum daß ein Hase einmal durch den Gemüsegarten huschte oder ein Eichhörnchen durch das Gezweige der Anlagen drüben sprang.

Welcher Mann konnte sein junges Weib hier hinaus verbannen! Und wenn noch einmal ein Winter so tödtend langweilig wie der überstandene kam! ... Ihr graute vor sich selber.

Aber wenn gegen Abend Richter in's Haus trat, war ihr Antlitz glatt und freundlich. Er sprach täglich von der Badereise, hatte seine Geschäfte für dieselbe schon geordnet. Das sollte eine interessante Episode in ihrem Leben werden.

* * *


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