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3.

Rafael Moritzsohn's Fallissement hatte seiner Zeit für einige Tage eine Panique an der Börse verursacht. Er war in Wien gewesen, als seine Zahlungs-Einstellung geschah. Er selbst hatte große Verluste an der Getreide-Börse erlitten durch ein unvorhergesehnes Sinken der Preise und das Zusammenbrechen eines großen Hauses in London. Sein eigentliches Unglück aber war: er erlag im eifersüchtigen Kampf mit einem mächtigen Geschäftshause.

Während der ersten Tage war große Entrüstung über ihn, weniger an der Börse, wo man Vertrauen auf seine Wiederaufrichtung hatte, als im Publikum, denn es waren mit ihm große Privat-Kapitalien verloren gegangen.

Zu seinen Opfern gehörten auch die Gräfin Mompach, die ihr ganzes Vermögen bei ihm deponirt, und Lenning, der sich von ihm zu gewagten Unternehmungen hatte hinreißen lassen.

Auch Lenning verreiste, um ihn in Wien aufzusuchen. Die Gräfin Mompach erlitt einen leichten Gehirnschlag, von dem sie sich allerdings erholte, der aber ihr Temperament noch excentrischer machte, als es gewesen. Sie athmete auf, als Lenning zurückkehrte und ihr meldete, Moritzsohn habe volles Vertrauen in sich und seine Freunde an der Börse, die alle Ursache hätten, ihm wieder aufzuhelfen.

Und kaum war Moritzsohn zurück, als auch die Drei wieder in dem geheimsten Kabinet der Gräfin beisammensaßen wie an dem Abend, als der Krieg erklärt ward.

Die Gräfin hatte aus Kummer von ihrem Embonpoint verloren; die kostspieligen Toilettenmittel, die sie sonst direkt aus Paris bezogen, waren zu Ende gegangen. Jene wunderbare Emaille, mit der sie die erschlaffte Epidermis im Gesicht, Nacken und Brust zu erfrischen und zu spannen gewohnt, ließ die Reize jetzt im Stich, mit denen sie über ihr Alter zu täuschen gewußt, und vergeblich mühte sie sich, durch die peinliche Sauberkeit Aller derjenigen Frauen, die mit ihrem Körper einen Cultus zu treiben gewohnt, den früheren Effekt zu erzielen.

Auch der elegante Rahmen fehlte, in dem man sie sonst sah. Sie hatte Süß Oppenheim kommen lassen und an diesen verkauft, was irgend entbehrlich an Mobilien und Schmucksachen. Sie empfing Niemanden mehr bei sich, war nicht zu Hause, wenn überhaupt noch Jemand kam.

Moritzsohn war ein Mann von achtunddreißig Jahren; er hörte sich gern den schönen Rafael nennen. Er war auch einer der hübschesten Juden, mit glattem, wenig orientalischem Gesicht und sorgfältig gepflegtem Schnurbart, groß, kräftig gebaut, von liebenswürdigen Manieren. Von Hause aus arm, durch seine Geschäfte vermögend und durch den Krieg zu Millionen gekommen, hatte der Ehrgeiz ihn verleitet, jenem dominirenden Hause Schach zu bieten.

Ein Brief an die Gräfin gewährte ihm wieder Zutritt zu dieser, die in ihrer Noth auf ihn baute. Er kam mit Lenning am Abend zu einem kleinen Souper, das allerdings sehr gegen ihre frühere Opulenz dürftig war.

Die Gräfin empfing ihn mit einer heimlichen Freudenthräne im Auge. Die Zeitungen hatten am Mittag die Nachricht gebracht, daß Moritzsohn allen Gläubigern gerecht zu werden hoffe, wenn man ihn stütze, und sie hatte wohl am meisten Ursach hierzu. Denn Moritzsohn allein hatte sie eine so glänzende Aufbesserung ihrer Verhältnisse zu danken gehabt, als auch ihr Vermögen schon stark auf die Neige gegangen.

»Sie haben mir viel Kummer gemacht, lieber Moritzsohn! empfing sie ihn, in schwarzem, stark decolletirtem Seidenkleide ohne jeden Schmuck, während er abbittend ihre Hand küßte. »Aber ich vertraue Ihnen, wie ich es immer gethan. Erzählen Sie mir, so erzähle auch ich Ihnen.«

Und so saßen sie wieder beim Souper, bei welchem die Gräfin durch einen Korb Champagner und die kostbarsten Früchte – eine Aufmerksamkeit Moritzsohns – überrascht wurde. Und so geriethen alle Drei wieder in dieselbe freudige Stimmung, die sie sonst vereint hatte.

Die Gräfin überließ sich wieder ihrem alten burschikosen Ton, ihrer Gewohnheit, selbst Das in den Bereich ihrer Unterhaltung zu ziehen, was nicht in Frauenmund gehört. Sie sprach das mit einer Ungenirtheit, die ihre Freunde nicht mehr überraschte, denn sie liebte das » genre canaille« in Gewohnheiten und Reden.

»Sie haben auch viel Elend unter den Damen angerichtet, aber es ist einmal so! Die Juden verführen unsere armen Christenmädchen durch ihr Geld und die Christen heirathen die reichen Judenmädchen um ihr Geld«, sagte sie lächelnd. »Aber ich spreche nicht von Denen, welchen Ihre Börse offen stand und die Ihnen dafür bereitwillig die Arme offen hielten, sondern von Denen am Hofe, die gewohnt waren, von Ihnen mit einem hübschen Douceur an der Börse betheiligt zu werden. Es war eine Consternation unter ihnen ausgebrochen, denn es standen große Rechnungen bei den Hoflieferanten, die von dieser Verlegenheit nichts ahnten. Auch Ihr Decret als Hofbankier sollte bereits zur Ausfertigung bereit liegen; die Baronin Eichberg, die reizende Frau, hatte durch den Hofmarschall die Sache eifrig betrieben.«

Moritzsohn lächelte discret. Lenning schälte zuhörend eine Birne. Er spielte in Moritzsohn's Gegenwart immer den Vasallen.

»Mir ist's wohl am allerschlechtesten ergangen,« fuhr die Gräfin fort, eine Cigarette anzündend, den runden Arm aufstützend, und jene zwischen ihren rosigen Fingern haltend. »Ich hatte mich in den Bädern vollständig ausgegeben, ich war au sec, und als ich zu Ihnen sandte, stand mein Diener – übrigens ein reizendes Kerlchen, das ich leider fortschicken mußte – vor einem Gerichtssiegel. Aber never mind, das Schlimmste war, daß ich, als ich Equipagen und Geschmeide verkauft, um die Apparencen zu retten, den alten Esel, meine Excellenz, auf dem Halse hatte, den diese Marion so ausgeplündert, daß er seine Pension bis an's Lebensende verpfänden mußte. Der alte Narr hätte nicht das tägliche Brot mehr gehabt, wenn ich ihn nicht aus meiner Küche gespeist hätte, und dazu ward er plötzlich so krank, daß ich ihn in's Hospital schaffen ließ. Und wer mußte dafür zahlen, um die Ehre des Namens zu retten? Ich, der nur die traurige Aussicht blieb, ihn endlich in ein Siechenhaus zu schicken, wo er an die schlaue Marion denken kann. Diese kleine Canaille hat mir übrigens, wie ich erst beim Zusammenraffen meiner Habseligkeiten entdeckte, mehr von meinen Schmucksachen gestohlen, als ich fürchtete. Es fehlt mir namentlich ein Türkisen-Collier, ein Andenken an einen reizenden kleinen Ungarn, mit dem ich in Mehadia herrliche Tage verlebte. Ich werde den Süß wieder kommen lassen und ihn fragen, ob sie's vielleicht bei ihm versetzt, denn sie kennt ihn, das weiß ich.«

»Aber wie ist es denn,« unterbrach sie sich, »Lenning sagte mir, es werde Ihr erstes neues Unternehmen sein, die Holstein'sche Eisenfabrik zu gründen? Sie werden doch Ihre alte Freundin nicht dabei vergessen?«

»Die Chancen sind allerdings gut!« Moritzsohn wiegte sich in seinem Stuhl. »Ich hatte eine gelegentliche Besprechung mit Herrn Blume, dem ersten Procuristen der Fabrik, deren Geldgeschäfte durch meine Hand gingen. Der junge Holstein stand bei mir mit einer ganz bedeutenden Summe angekreidet; Blume, sein Vormund, war erschrocken darüber, als der Kurator der Konkursmasse diese unter meinen Activen fand. Er klagte mir sein und der Mutter Leid, daß kaum Hoffnung, den jungen Herrn zu einem ordentlichen Geschäftsmann zu machen. Blume erklärte sich deshalb bereit, die Mutter zu bestimmen, das Geschäft einer Actien-Gesellschaft zu verkaufen, unter der Bedingung, daß ihm seine Stellung verbleibe. Der reiche Nowinkow, mit dem ich unter der Hand Rücksprache nahm, will einen großen Theil der Actien übernehmen, da er sich anheischig macht, mit seinen Bestellungen das ganze Jahr hindurch die Fabrik zu beschäftigen, und so handelt es sich nur noch darum, die Mutter zu einem Entschluß zu bringen, der übrigens leicht herbeizuführen ist.«

Lenning, der schweigend zugehört, schaute auf.

»So viel ich als ihr früherer Nachbar weiß, hängt die Dame mit ganzer Seele an der Schöpfung ihres verstorbenen Gatten.«

Moritzsohn lächelte selbstbewußt.

»Sie hat die Schwäche aller Mütter, und in dieser hat sie einen großen Mißgriff gethan, als sie den Sohn mündig erklären ließ. Um ihr das zukünftige Schicksal der Fabrik vor Augen zu führen, braucht man nur dem Sohn wieder eine beträchtliche Summe zu borgen. Es giebt keine so hoch, daß er sie nicht an sich oder seine Freunde verschwendete. Nowinkow ist, unter uns gesagt, bereit, die Summe herzugeben; er hat Sicherheit, denn sie wird bei dem Ankauf der Fabrik verrechnet.«

Die Gräfin schnalzte vergnügt mit der Zunge.

»Und was kommt für uns da heraus?«

»Ich taxire das Etablissement mit seinen Vorräthen auf drei Millionen Thaler, für vier oder fünf Millionen übergeben wir es.«

Die Gräfin und Lenning horchten auf. Hoffnungsfreudig, wieder eine goldene Zeit vor sich sehend, hob sich die erstere vom Stuhl und umarmte Moritzsohn.

»Wär' ich noch zwanzig Jahr alt, wie wollt' ich Sie belohnen!« rief sie emphatisch, ihre noch schönen runden Arme um seinen Hals schlingend.

»Sie sollen übrigens auch helfen, Gräfin!« Moritzsohn, der nichts nach ihrer Liebkosung fragte, machte sich los. »Zur Vergrößerung der Fabrik bedürfen wir nämlich unbedingt des sogenannten Prinzenhauses mit seinem bedeutenden Areal. Prinz Leopold« – er blinzelte heimlich die Gräfin an, während Lenning sich in seinen Sessel zurückgelehnt und den Cigarren-Rauch in die Luft blies – »wird's kaum noch lange machen; sein Rückenmark hat ihn total gelähmt; Sie, Gräfin, sollen also durch Ihre Bekannten am Hofe, namentlich durch die Gräfin Leuchtenthal, die für klingendes Geld sehr empfänglich, auf ihren Gatten, den Hofmarschall, und durch diesen auf den Prinzen wirken lassen. Das Haus steht gänzlich unbenutzt.«

Die Gräfin überlegte.

»Dazu müßte ich selbst erst neu montirt werden«, sagte sie kopfschüttelnd. »Meine finanzielle Decadence hat mich am Hofe sehr in's Hintertreffen gebracht. Der Name Mompach hat dort keinen Klang mehr!«

»Man wird ihn klingen machen. Wie viel brauchen Sie, Gräfin?«

»Alles, denn ich habe nichts mehr! Sie sehen, ich trage schon meine alten Kleider auf und stehe im Begriff, sogar die Livréen meiner entlassenen Diener an den Trödler zu verkaufen.«

»Thun Sie das um Gotteswillen nicht, Gräfin! Sie müssen morgen schon in eigener Equipage Ihren Bekannten am Hofe Ihre Visiten machen. Unser Lenning bemüht sich gewiß, in meinem Auftrage für Wagen, Pferde und Diener eiligst zu sorgen. Vor Allem aber bitte ich Sie, Gräfin, nichts gegen diese Marion zu unternehmen. Der junge Holstein ist ein unverbesserliches Kind; er soll sich in unbegreiflicher Sehnsucht nach irgend einem Mädchen verzehren, das nichts von ihm wissen will. Er kommt seit Kurzem oft zu Marion; beide kennen sich noch aus ihrer Kinderzeit. Sie und ihre Schwester, eine untergeordnete Schauspielerin oder Choristin, suchen ihn zu trösten und in ihren Händen ist er gut aufgehoben.«

»Ja, das sehe ich an meinem alten Esel!« murmelte die Gräfin vor sich hin, übrigens in gehobenster Stimmung durch den Gedanken, der Welt und namentlich dem Hofe zeigen zu können, daß sie noch da sei. »Also auf unsere Geschäfte!« lachte sie, die Herren zum Trinken auffordernd.

Moritzsohn war mäßig wie alle speculativen Köpfe. Er entfernte sich vor Mitternacht. Lenning blieb noch, als die Gräfin ihm gähnend gute Nacht gesagt. Ihm war's schwer im Kopf. Er war überhaupt nicht bei Laune. Er hatte den alten Pfeiffer, den er in besserer Zeit aufgesucht, heute auf der Straße gesehen, Auge in Auge, wie derselbe, an einer Ecke stehend, den Vorübergehenden, auch ihm, die Reclame eines Geschäftes in die Hände steckte.

Pfeiffer hatte ihn erkannt, obgleich er sich hastig von ihm gewandt und weiter geeilt war. Lenning war es auch, als habe er ihm etwas nachgerufen, als hätten sich die Leute um ihn gesammelt, die er haranguirte.

Er wollte ihm auch jetzt das Geld geben, das er ihm damals zugedacht, aber er mußte auf Moritzsohn warten.

Lenning erhob sich schwerfällig. Er sah sich so allein. Die Kerzen der Leuchter auf dem Tische (die silbernen Kandelaber waren dem Uebrigen gefolgt) brannten tief herab. Er schüttelte sich fröstelnd, griff nach dem noch vor ihm stehenden Glase und goß den Inhalt hinunter.

»Ich bin nicht mehr der ich war!« Ihn fröstelte noch immer. Er begegnete eben seinem Gesicht im Spiegel; das Flackerlicht verzerrte es; er erschrak vor seiner Blässe. »Ich bin alt geworden in der kurzen Zeit, und der Pfeiffer hat mir auch noch gefehlt ... Bah, wenn nur Moritzsohn ...! Aber ich muß auf der Huth sein; der Jude ist im Stande, mich mit einem Trinkgeld abzufinden, sobald er auf meinem Rücken hinaufgeklettert.«

Er ging. Draußen im Corridor lag die Magd auf dem Stuhl und schnarchte. Die Thüren blieben hinter ihm auf.

In der Straße schaute er furchtsam rechts und links. Es begegnete ihm Niemand. Sonst wartete seine Equipage an der Ecke auf ihn. Fröstelnd schritt er in der Nacht dahin – nicht mehr nach seinem Palais, denn das hatten seine Gläubiger verkauft ...

Am anderen Mittag stand vor der Wohnung der Gräfin ein Landauer mit dem noch frischen, in aller Eile gemalten Mompachschen Wappen. Der Kutscher trug ihre Livree. Er mußte lange warten vor der Thür, damit die Nachbarn die Equipage sahen.

Mit großer Ostentation erschien endlich die Gräfin in der Hausthür und schritt gravitätisch die Stufen hinab.

»Ist der alte Esel auch wieder da? ... Von mir bekommt er nichts!« rief sie verächtlich, sich in den Wagen werfend, als eben ein Miethskutscher den alten General aus dem Lazareth zurückgebracht. Mit geschwollenem Portefeuille fuhr sie vor die Magazine und dann zu ihren Freundinnen. Vor Abend schon, ehe sie ins Theater fuhr, konnte sie sich hinsetzen und an Moritzsohn schreiben:

»Für das Haus ist gesorgt, sorgen Sie für die Fabrik.«

Lenning hatte an demselben Abend eine Unterredung mit Marion, mit der er seit länger auf gespanntem Fuße gestanden.

Sie empfing ihn in der Hausrobe einer Prinzessin, aber mit Nasenrümpfen wie einen bankerotten Speculanten. Sie entließ ihn indeß wie einen vertrauten Bekannten und Lenning konnte Moritzsohn die Versicherung bringen, daß die Fabrik in guten Händen sei.

* * *


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