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15.

Der Tag ging langsam herauf. Bleiche Wölkchen zogen am Himmel. Der Reif lag auf den erstarrten Blumen des Gartens. Das Geräusch der erwachenden Stadt drang deutlicher herüber.

In Richter's Seele war's ruhiger geworden. Er hatte auch den Eindruck des Letzten, das ihm noch aufbewahrt gewesen, in sich überwunden.

Weniger kostete ihn danach die Ausführung Dessen, was er vorbereitet.

In seinem Arbeitszimmer war's recht leer. Sein Schreiber hatte nach und nach Alles in sein Bureau schaffen müssen. Stella hatte sich nie um das bekümmert, was in diesem Zimmer war oder vorging. Sie hatte nie Sinn oder Interesse für seinen Beruf gehabt.

Auch seine Garderobe und was ihm sonst unentbehrlich, war schon hinausgeschafft. Er war im Reisekostüm, wie er da jetzt ungeduldig mit den Händen auf dem Rücken hin- und herschritt und zuweilen zerstreut einen Blick auf die Stutzuhr warf, die doch längst nicht mehr aufgezogen ward.

Die blasse Herbstsonne ging herauf und schmolz den Reif von den Bäumen und Sträuchern. Auf der Chaussee rollten die Milch- und Marktwagen vorüber zur Stadt. Er sah die Magd durch die hintere Gartenthür in's Haus zurückschleichen, wie sie es vielleicht schon jeden Morgen gethan, seit auch er nicht mehr das Schließen des Hauses überwachte.

Ein Gefühl grauenvoller Nüchternheit erdrückte ihn. Er richtete sich auf; der Abscheu, der Ekel an seiner Existenz erstickte jede Anwandlung von Zweifel. Er war schwach und achtlos gegen dieses Weib gewesen; ihm, der sonst so thatkräftig, im Beruf so energisch, fehlte der Nerv des Ehemannes, der die Schwäche des Herzens unter die Disciplin der Pflicht zu beugen weiß.

Er hatte sie zu viel sich selbst überlassen müssen, nicht Werth genug darauf gelegt, von Herzen geliebt zu werden, nicht Acht gehabt, daß ein junges Weib beschäftigt sein müsse. Er hatte nie gefragt: was thust Du während ich draußen mich mühe? Für was hast Du Sinn, das Deinen Tag ausfüllen könnte?

Er war eben glücklich gewesen in den bescheidenen Ansprüchen, die er an sein Weib und seine Häuslichkeit gestellt, während sie sich nach Anderem sehnte.

Aber jetzt war's zu spät! Er war schon gleich nach Empfang jenes unseligen Briefes bei Helmine gewesen. Aber auch gegen diese hatte er keinen Vorwurf haben dürfen. Sie hatte ihm ihre eigenen Worte, ihre Bedenken, ihre Mahnung, von Stella zu lassen, in's Gedächtniß gerufen; er hatte es so gewollt. Und gestern war er wieder bei ihr gewesen; sie selbst hatte ihm bereitwillig die Hand geliehen, um Alles so zu ordnen, wie er es im Sinne hatte, und heute in aller Frühe sollte das geschehen.

Es war die höchste Zeit! Nicht nur sein Glaube an sie, auch seine Ehre war mit Füßen getreten ...

Helmine kam um neun Uhr, als es noch still im Hause war. Ein Blick durch das Fenster auf den draußen vorfahrenden geschlossenen Wagen überzeugte ihn, daß Alles nach Verabredung geschehen.

Richter empfing sie, einen Dank in dem bleichen, feierlichen Antlitz. Sie war entfernt, Alles zu errathen, was seine Miene ihr sagte.

Helmine erschien in dunklem Gewande, den Schleier über dem Gesicht. Sie sprachen kein Wort, nur durch Blicke. Sie fragte ebenso stumm nach ihr. Richter deutete mit finsterer Stirn in der Richtung des Schlafgemachs. Mit schweigender Aufforderung führte er sie durch den Salon, in das Speisezimmer.

»Damit Sie auch das Letzte erfahren!« sagte er mit dumpfer Stimme auf den Tisch deutend. »Dies fand ich, als ich heute Morgen heimkehrte! Das Haus stand offen, die Magd war draußen, der Hofhund liegt todt an der Kette.«

Helmine schaute, die Hand auf die Brust legend, mit Entrüstung auf den Tisch. Richter deutete auf das offene Nebenzimmer, das in's Schlafgemach führte und kehrte dann heftig erröthend bei dem Gedanken an das Schauspiel, das er ihr zumuthen mußte, in den großen Salon zurück, wo er sie empfangen hatte.

Helmine schritt festen Fußes auf die Thür zu und öffnete diese mit vor Empörung bebender Hand. Sie blickte eintretend in dem nur noch durch die eindringenden Lichtstreifen des Tages matt erhellten Gemach umher. Sie starrte hin auf das Lager; ihr Auge suchte in dem Halbdunkel zu erfassen, was ihrer keuschen Seele doch kaum faßbar.

Stella lag noch, wie Richter sie verlassen. Die Gluth der Scham, der Entrüstung flammte in Helminens Antlitz auf.

Dieses junge Weib, dem sie eine so opferbereite Freundin gewesen, so mußte sie es zum ersten Male wiedersehen seit jenem Tage, an welchem die Treulosigkeit desselben gegen den Gatten ihr zur Ueberzeugung geworden!

Sich fortwendend hob sie die Decke vom Boden und warf sie über die Schlafende. Entschlossen trat sie zum Fenster, stieß den Laden auf und kehrte zurück.

Ihre Hand legte sich fest auf Stella's nackte Schulter, die so kalt war, während der Schlaf noch nicht den Schweiß auf ihrer Stirn getrocknet. Sie rüttelte die Schlummernde, die zusammenfahrend die noch trunkenen Augen aufschlug.

»Steh auf!« rief Helmine gebietend mit finsterer Stirn.

Stella glotzte sie an. Sie war nicht im Stande, ihre Sinne aus der Wüstheit zu sammeln, in der sie entschlummert. Helminen's zürnender Blick aber schreckte sie auf, als diese abermals ihre Schulter so unfreundlich berührte.

Sie setzte sich auf den Bettrand, das Antlitz halb verdeckt durch das herabhängende Haar, die Arme über die fröstelnde Brust gelegt, störrisch vor sich hin auf den Teppich schauend, als suche sie sich klar zu machen, wie Helmine an diese Stätte komme.

»Kleide Dich an! Man erwartet Dich!« rief Helmine mit rauher Stimme, ohne Mitleid, in steigender Entrüstung auf sie blickend.

»Was willst Du von mir?« Stella's Zähne klapperten auf einander; die Kälte des Zimmers spannte ihre Haut. Noch immer nicht ganz bei sich, zog sie das Hemd über der Brust zusammen, dann strich sie mit unsicherer Hand das Haar von der Stirn und schaute mit großen, beleidigten, aber furchtsamen Augen zu Helmine auf.

»Richter, Dein Gatte, erwartet Dich!«

»Was will er von mir?« Stella war bei diesem Namen erbebt. Ihre Sinne schienen endlich zu erwachen.

»Du wirst es hören! Eile Dich!«

Sie erhob sich willenlos. Ihre nackten Füße schlüpften in die Schuhe; sie streckte den Arm nach dem auf dem Stuhl am Bette liegenden Hausgewand. Ein Frösteln schüttelte sie auf's Neue. Sie blickte vor sich nieder, das Schamgefühl siegte über den Trotz.

Dieser Einbruch Helminens in ihre Häuslichkeit war ihr noch unbegreiflich, verletzend, und doch hatte sie nicht den Muth, zu widersprechen.

Die Erinnerung an den Abend mochte in ihr dämmern; immer wieder durchschauderte es sie. Ihre Arme zitterten, als sie die Nadeln aus dem Bette zusammensuchte, um das Haar aufzustecken.

»Es bedarf der Toilette nicht!« hörte sie Helmine, die noch immer zürnend aufgerichtet dastand und ihr zuschaute.

Ein Gefühl der Unsicherheit beugte Stella unwillkürlich unter Helminen's Willen. Sie schloß den Gürtel ihrer Hausrobe, strich mit den Händen das Haar über den Scheitel.

»Was willst Du also von mir?« fragte sie, sich plötzlich aufbäumend, mit wiederkehrendem Selbstbewußtsein.

»Man erwartet Dich im Salon; es ist keine Zeit zu verlieren!« Helmine wandte sich zur Thür und schritt voran auf das Speisezimmer zu.

Stella folgte ihr unentschlossen. In der Thür zum Speisesaal schrak sie zurück. Der Tisch rief ihr vollends in's Gedächtniß, was gestern geschehen. Sie war verrathen. Indeß sich trotzig abwendend, folgte sie Helmine in den Salon.

In der Mitte desselben stand ihr Gatte, hoch aufgerichtet, sie mit eiserner Miene empfangend. Sie sah nicht, was im Hintergrunde des Salons vorging; sie begegnete Richter's Augen mit kaltem Trotz und nur flüchtig, mißachtend.

Das gab auch ihm die Festigkeit zurück, die bei ihrem Anblick einen Moment wohl hatte wanken können. Er ließ weder sich noch ihr Zeit, sich gegenseitig zu messen,

»Ich bat Sie um den letzten Dienst, den Sie sich und mir schuldig sind«, begann er mit lauter, wenn auch zitternder Stimme. »Es geschah nicht, um Sie zu Ihrer Pflicht gegen mich aufzurufen, wie es meine Absicht hätte sein können, denn ich begehre sie nicht mehr seit sie von Ihnen so gewissenlos zertreten. Ich kehre noch heute über den Ocean zurück, wo man mich erwartet, um dort zu vergessen, was für mich der Inhalt qualvoller Wochen gewesen.«

Stella gab sich trotzig die Miene, als sei ihr nichts gleichgültiger.

»Ich zahle mein Unrecht, Sie überredet zu haben, mein Weib zu sein, mit dem Glück meines Lebens, doch soll von diesem hier nicht die Rede sein. Dieses Haus, das ich Ihnen am Hochzeitstage zum Geschenk machte, mit Allem was darin und mit den Feldern umher, die ich später erwarb, es gehört Ihnen. Sie finden den gerichtlichen Act auf meinem Tisch. Ich kann nicht ausgiebiger für Ihre Zukunft sorgen, denn mein Vermögen besteht in meinem persönlichen Erwerb, dessen Ertrag ich Ihnen nicht bieten kann, weil er erst erworben werden soll.«

Stella hörte mit der Unempfindlichkeit einer Statue, regungslos vor sich nieder blickend zu.

»Wage ich es nun in dieser letzten Stunde noch, zu Ihrem Herzen zu reden, so richte ich mich nur an das der Mutter eines unschuldigen Kindes, das anfangs vielleicht oft heimlich geblutet – ich nehme das zu Ihrer Ehre an – und keinen Grund mehr haben soll, sich zu verleugnen, denn ich autorisire Sie, dasselbe vor der Welt für das meinige auszugeben. Ich selber will, wenn ich heimkehre, für seine Wohlfahrt sorgen, wenn es die Mutter versäumt. Sollten Sie eine Scheidung von mir begehren, auf die ich selber des armen Kindes wegen jetzt nicht dringe, so habe ich für diesen Fall bei einem Notar eine Erklärung niedergelegt, daß ich mit derselben einverstanden bin.«

Stella hörte auch das, ohne eine Muskel ihres Gesichts zu regen.

»So sind wir also miteinander fertig und mir bleibt nur das Eine noch ...«

Er trat in den Hintergrund des Salons, hob hier aus dem Arm einer in der Ecke sitzenden Wärterin ein mit großer Sauberkeit gekleidetes Knäbchen in den seinigen und trug es ihr zu.

Mit dem Lächeln eines Engels streckte das Kind die Arme nach der Mutter aus, die es nie gesehen.

Richter, dem Kinderfreund, that das Herz weh, seine Augen feuchteten sich; seine Arme zitterten, während er ihr das Kind entgegen hielt; er wäre im Stande gewesen, ihr zuzurufen; nimm es hin! Du weißt, wie groß meine Sehnsucht nach einem Engel wie diesem war, der vielleicht das Glück in unser Heim gebracht hätte, das uns fehlte! ...

Aber sein Auge senkte sich, sein Arm sank mit dem Knaben. Stella hatte dem Kinde mit Erschrecken nur einen Blick gewährt, dann sich abgewandt, die Hand gegen dasselbe ausstreckend, und störrisch mit fortgekehrtem Antlitz stand sie jetzt da.

Eine Sekunde starren Schweigens. Dann trat Helmine schnell zu Richter heran, hob den Knaben aus seinem Arm und umschlang ihn mit den ihrigen, ihn an die Brust drückend.

»Elendes Weib! Fluchwürdige Mutter!« rief sie Stella zu.

Diese, noch immer abgewandt, legte die Hand an die Stirn und ... schritt schweigend hinaus.

»Es ist geschehen!« ächzte Richter, ohne ihr nachzuschauen.

Helmine, das Kind im Arm, nahm seine Hand und preßte sie heftig zum Abschied, für den sie kein Wort zu finden vermochte. Mit Thränen in den Augen stand sie da.

Sie vermochte es nicht, sich so von ihm zu trennen, denn sie fühlte, es geschah für immer. Noch hatte sie seine Hand in der ihrigen. Sie reichte schweigend, mit einem Wink, sich zu entfernen, das Kind der Wärterin.

In Richter kämpfte der schwer verletzte Stolz des Mannes mit dem Bedürfniß nach Genugthuung für seine Ehre. Nur der einzige Gedanke: das Geheimniß des Hauses werde vor der Welt gewahrt werden, gab ihm einen armseligen Trost. Die Ehre verbot ihm, ihr nachzueilen.

Helmine empfand, was in ihm vorging; ihre Hand hielt ihn fest an der Stätte.

»Richter«, sagte sie, sich Macht über das blutende Herz erkämpfend, »ja es ist geschehen! Ich vermochte nichts zu hindern und dennoch hätt' ich's vielleicht gekonnt, wenn ich Ihnen die ganze Wahrheit sprach, die ich aus Mitleid für ein Weib verschwieg, das ich es im Herzen für gut gehalten und weil jeder Fehltritt vergeben werden soll, wenn die Reue ihn dessen würdig macht. Ich sagte Ihnen gestern schon Alles, was zu meiner Rechtfertigung dienen konnte und doch bitte ich Sie jetzt in dieser letzten Stunde noch einmal um Verzeihung!«

»Wir Frauen sind Egoisten«, fuhr sie fort, »denn wir sind stets auf unsere Verteidigung angewiesen; ich kenne unser Geschlecht! Aber nach dem, was ich erfahren mußte, hielt ich auch die Männer für Tyrannen, die uns schmeichelnd das Kreuz wie ein Spielzeug auf die Schulter legen, das auf uns zur Riesenlast wächst, um uns herzlos unter demselben zusammensinken zu lassen. Ich kannte ja bis jetzt den Mann noch nicht, der uns sammt dem, was uns so schwer erscheint, auf seinen kräftigen Arm hebt und uns freudig damit durch's Leben trägt, uns beschämend in unserem Kleinmuth.«

»Ist auch von meiner Seite Schuld gegen Sie begangen, Sie nahmen sie gestern ganz auf sich; aber ich bedarf der Theilung; ich will mit diesem Bewußtsein Ihrer gedenken. Sie haben wenig verloren, Richter, den Glauben an uns, und ich will da nichts retten; ich weiß, wie wenig wir ihn oft verdienen. Sie, ein Mann, bezahlten Ihren Irrthum mit einer kurzen Spanne Ihres thatkräftigen Lebens; in Ihnen machte er vielleicht nur eine Faser Ihrer Seele erschlaffen, aber sie wird gesunden zu neuer Spannung durch den würdigeren Manneskampf der Arbeit, des Strebens, dem Sie, entlastet von sündiger Bürde, jetzt entgegen gehen. Sie sind gewohnt, für Jahrtausende zu bauen, was kann es Sie schmerzen, wenn Ihnen in dem Bau Ihres Lebens ein unnützer Stein vor die Füße gerollt! Ihnen kann dadurch die Axe nicht verloren gehen, auf der Sie rüstig wieder aufbauen ... Erinnern Sie sich meiner, wenn Sie fern sind, als einer Freundin, die gleich Ihnen mit Undank belohnt worden, und ... Leben Sie wohl!«

Sie preßte noch einmal seine Hand und schwebte hinaus.

Richter schaute ihr trauernd nach. Er preßte die Hände vor die Stirn, dann streckte er sie ringend über das Haupt.

»Gott im Himmel«, rief er verzweifelt, »ist denn das Alles wahr, was über mich gekommen! Ihr Kind selbst kann eine Mutter verleugnen! ... Ist denn die Natur aus ihren Fugen!« ...

Er hörte draußen den Wagen davon rollen. Helmine saß in demselben, der Wärterin und dem Kinde gegenüber, das Auge voll Thränen. Die Hände im Schooß gefaltet, flüsterte sie eben vor sich hin:

»Ich glaubte, in dem Gatten die schnödeste Erfahrung an den Männern gemacht zu haben, und das muß ich an uns selber erleben!«

Durch den Garten trat einige Minuten später eine hohe kräftige Männergestalt, in den Paletot gehüllt, den Hut tief über die Stirn gedrückt. Keinen Blick that Richter zurück auf sein verlorenes Heim, als er die Chaussee hinabschritt.

Stella hatte ihr Schlafzimmer wieder erreicht und sich auf das Lager zurückgeworfen. Zähneklappernd zog sie die Bettdecke über das Antlitz.

* * *


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