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4.

Seit des rastlos schaffenden Fabrikherrn Tode war eigentlich nie mehr die Heiterkeit im Holsteinschen Hause eingekehrt, aber so traurig wie jetzt war's doch nicht gewesen.

Die alte Dame – alt durch ihr körperliches Leiden – saß im Rollstuhl und ersehnte das Ende des harten Winters. Frettchen war jetzt stets um ihre Person; sie saß neben ihr auf einem niederen Schemel und die Stricknadeln flogen in ihrer Hand. Frau Holstein las sehr viel, um zu vergessen was ihr das Herz bedrückte.

Von all ihren Söhnen war ihr der eine, jüngste geblieben und so gut er als Knabe gewesen, man hatte nicht Acht darauf gehabt, daß eigentlich gar nichts in ihm steckte. Er war ein guter Junge gewesen, der that, was man ihn geheißen, hatte gelernt, was man ihm abverlangte, hatte aber keinen Trieb zu irgend etwas Bestimmtem. Er war ein weicher Teig, den Jeder kneten konnte, weichherzig, hülfsbereit und nie froher, als wenn er sein Taschengeld verschenken konnte.

Die Mutter vermochte nicht, ihm jetzt den Vater zu ersetzen und Herr Blume war ein Philosoph, der Uebles immer durch noch Schlimmeres zu kuriren suchte.

Wenn Carl Holstein neben ihm am Pulte saß und unter seiner Anleitung ohne jede Lust und Aufmerksamkeit arbeitete, legte Blume die Feder hin, stützte, zu ihm gewendet, die Schläfe in die Hand, und begann, ihm einen Vortrag zu halten.

Blume wußte seit jenen dreitausend Thalern, woran er mit Carl war. Er als alter Junggeselle hörte auch Abends am Stammtisch so Manches über seinen Zögling. Er erzählte ihm, warum er selbst nicht geheirathet; er sei unter lauter Weibern aufgewachsen, denn seine Mutter hatte ein Lehr-Institut für junge Mädchen gehabt, und da sei es ihm schon in ganz jungen Jahren eine psychologische Beschäftigung gewesen, die Frauen-Charaktere zu studiren.

»Aber glaubst Du, lieber Carl« – er dutzte ihn immer noch – »daß ich eine einzige edle, uneigennützige Seele unter all den jungen Frauensleuten, vom Backfisch bis zur aufgewachsenen Jungfrau gefunden? Alles was wir mit Sucht bezeichnen, liegt in ihnen, Habsucht, Genußsucht, Putzsucht, Eifersucht, Scheelsucht, Klatschsucht, und wir Männer kriegen davon die Gelbsucht oder gar die Trunksucht, die übrigens auch den Weibern in England eigen, und wenn es ihnen dabei schlecht ergeht, sie selber wollen nicht daran Schuld sein; immer nur sind wir es. Und nun gar die jungen Mädchen! Woher sollen die Grundsätze, Charakter, Erfahrung, Selbständigkeit haben! Aus der Schule kommen sie auf den Tanzboden, und das ist gerade dasselbe, wie wenn man die Weiber im Orient auf den Bazar führt, um sie an den Meistbietenden zu verkaufen. Jeder kann sie da in den Arm nehmen und sich mit ihnen nach Herzenslust herumschwenken. Sie berühren ja nur unser Corset! sagte mir einmal ein junges Ding. Ja, das ist eine schöne Brustwehr, hinter der sie sich abtoben, daß ihnen der Athem vergeht! Die Mutter sitzt inzwischen an die Wand genagelt und freut sich, wenn ihre Tochter da herumspringt; wenn aber ihre Dienstmagd zur Tanzmusik gehen will, sagt sie: die liderliche Person, sie muß alle acht Tage auf den Tanzboden, kein Wunder, wenn die Mägde so verdorben sind! ... Als wenn ihre Tochter was Anderes thäte; es sieht nur anders aus.«

»Sieh, Carl«, fuhr er fort, wenn dieser stumpf vor sich hinblickte und mit der Feder malte, »mit unseren jungen Mädchen und Weibern ist es so: eine Festung ist eine Herausforderung für den Feind; sie muß täglich bereit sein, ihn vor den Thoren zu sehen. Fällt sie ohne anständige Kapitulation, so ist das nicht Schuld des Feindes, sondern der schlechten Verteidigung; ein schönes Weib aber hat tausend Feinde. Nun aber ist es sicher wahr, daß die Tugend wohl immer in den Romanen siegt, im gewöhnlichen Leben aber tausendmal unterliegt, ohne daß wir es erfahren, wie ihre Siege in den Romanen. Und wie oft hat sie's selber so gewollt? Ich habe auch dafür ein Beispiel. Neben uns wohnte ein Künstler, ein hübscher Junge. Da hättest Du sehen sollen, wie die Mädchen dem nachliefen! Liebesbriefe schrieben sie ihm, Rendezvous gaben sie ihm, ja sogar ihre Photographien schickten sie ihm. Kein Wunder also, wenn er sich die schönsten heraussuchte. Hat dergleichen schlimme Folgen, wer flucht ihm, wer ist in ihren Augen Schuld daran? Sie selbst gewiß nicht, nur er, der doch nur gethan, was sie gewollt hat! Der Beispiele giebt es Tausende! Selbst in ihre Lehrer verliebten sich die Backfische schon! Und dann höre doch nur, wie die Weiber für einen hübschen Schauspieler schwärmen, den sie für einen Thaler Entrée alle Abend sich ansehen. Kann so ein Mann noch Achtung für die Weiber haben, wenn sie sich ihm hinwerfen. Du solltest nur den elenden Stümper, der an unserem Vorstadttheater die Liebhaber spielt, mit anhören, wenn er am Wirthshaustisch von seinen Eroberungen spricht, von seinen Liebesbriefen, von dem Stelldichein bei vornehmen Damen. Kann dabei ein rechtschaffener Ehemann wissen, woran er ist? Kann ein Vater, der den ganzen Tag in seinem Geschäft, eine Mutter, die ihre Wirthschaft versehen und mit Sorgen kämpfen muß, noch wissen, was sie ihrer so sittsam thuenden Tochter zutrauen dürfen, wenn sie mit dem Notenheft ausgeht oder eine Freundin zu besuchen vorgiebt? Irgend ein Lump mit einem hübschen Gesicht empfängt sie in seinem Zimmer, wo sie Beide am ungestörtesten sind! Irgend ein achtbarer Mann mit den ernstlichsten Absichten reicht ihr dann später vielleicht die Hand und der mag dann froh sein, wenn sie ihm keine Geschichten macht.«

»Noch ein Beispiel, lieber Carl! Du hast doch die ältere Dame gesehen, die täglich hier an der Fabrik auf ihre kleine Besitzung draußen hinaus fährt! Weißt Du, wodurch die ihr Vermögen erworben? Da hast Du die Aufklärung!«

Er griff nach der auf dem Pulte liegenden Zeitung und legte den Finger auf die unterste Ecke der Annoncen.

»Gott sei Dank, es giebt auch gute Frauen, und die sollen dafür auch zehnfach gelobt sein, aber die guten sind immer stolz und unnahbar für grüne Jungen wie Du! Höre also meine Mahnung: schlag' Dir die Weiber aus dem Kopf; Du bist noch viel zu jung und namentlich zu unerfahren für diejenigen von ihnen, die Dir ein Interesse zeigen. Ich habe längst in Dein Herz geschaut, Carl; Du verdirbst Dir Deine Jugend, indem Du fortwährend an Einer hängst, an die zu denken Du Dich gewöhnt hast – aus Trägheit, glaub's mir, denn wärest Du lebhafteren Geistes, Dir hätten schon hundert Andere besser gefallen, und hundert sind nicht so gefährlich wie Eine; ja es wäre viel besser, wenn Dein Portemonnaie, als wenn Deine Seele Schaden nähme, denn es thut nichts, wenn ein junger Mann sich die Hörner abläuft, er muß nur den Kopf nicht mit opfern.«

»Höre also meinen Rath: ist Dir so, als bedürftest Du der Zerstreuung mit Weibern, genieße sie mit Vorsicht, wie man jedes Gift genießen kann, denn selbst die Aerzte geben es als Medizin. Aber laß Dein Herz nie in's Spiel kommen! Nur keine Leidenschaft! Leichtsinnigen Weibern darfst Du gern einmal Deine Börse hinwerfen, aber mit dem Rausch des Abends müssen auch sie in Deinen Gedanken verflogen sein, denn morgen apportiren sie schon die Börse eines Anderen. Vergiß dabei jedoch nicht, sie richtig zu taxiren, denn Du brauchst schon viel mehr als Du solltest; davon aber spreche ich jetzt nicht. Weiber bleiben dem jungen Mann immer die beste Schule: an den Schlechten studirt er die Gefahren, an den Guten die Weihe des Lebens. Leider werden es der letzteren immer weniger und die es giebt, erkennen den Mann in seinem Werth, sind, wie gesagt, unnahbar für den Unwerth. Wer das Zeug zu einem wahren Mann hat, der wird Ritter bei Beiden bleiben. Auch die erhabenste, edelste Beschäftigung, die Poesie, verursacht Dintenflecke, aber es giebt überall Seife und Wasser. Zieh Dir Handschuhe an, wenn Du nicht mit der Tugend zusammen bist.«

Blume ging noch weiter, als er seinen Zögling immer noch so zerstreut fand. Er besaß viel hausbackene Philosophie, aber doch zu wenig Seelenkenntniß. Wieder und wieder sprach er ihm seine Lehren, Carl aber blieb sinnend, erschrak, wenn er plötzlich angeredet ward ... Wenn er nur erst ein paar Jahre älter wäre! dachte Blume oft. Sein Herz ist noch zu dumm!

»Sieh, Carl,« sagte er eines Tages, »ich komme immer darauf zurück: ein junger Mensch wie Du soll gar kein Duckmäuser sein; er soll das Leben kosten, meinetwegen mit einiger Unvernunft, wenn er nur immer wieder zur Besinnung kommt. Diese Stella Lenning ist jetzt wieder einmal arm wie ein Kirchenmäuschen. Wie gewonnen, so zerronnen. Ihr Vater hat durch Moritzsohn Alles wieder verloren und sie soll mit Fräulein von Auer nach Italien verreist sein. Es thut Dir sicher weh, daß es ihr so ergangen, aber sie ist bei Auers in guten Händen. Sie denkt an Dich gewiß nicht, und so ist es Schade um Deine Gedanken an sie; Schade um so mehr, als Du, wie mir scheint, mit Deinen Freunden viel Champagnerschmäuse hast, um sie Dir aus dem Kopf zu bringen, und die kosten Geld! Du mußt sehr theure Freunde haben, denn Du brauchst mehr als zu rechtfertigen ist und kommst jeden Morgen sehr spät und mit wüstem Schädel in's Comtoir. Ich habe deshalb keinen besseren Rath als diesen: trink einmal anderen Champagner! Ich weiß Dir einen viel wirksameren Rausch! ... Da hab' ich zufällig über die Marion Christel gehört, die hier früher im Hause gewesen. Um sich ein bischen zu zerstreuen, wäre die ganz gut.«

Blume sah nicht, wie glühend die Hitze in Carls Gesicht stieg und dieser sich abwandte.

»Es ist das auch wieder ein Beweis für das, was ich Dir immer über die Weiber sagte. Dieses Mädchen nämlich, das bei uns den Weymar hätte heirathen können, einen Mann, der sein hübsches Geld verdient, hat es vorgezogen, sich auf die faule Seite zu legen. Erst war sie Diakonissin, dann ... Sie soll übrigens schon bei der Gräfin Mompach verdorben worden sein. Diese vornehmen Leute glauben nämlich die ganze Woche thun zu können, was ihnen beliebt, wenn sie nur am Sonntag vor allen Leuten mit dem Gesangbuch in die Kirche gegangen sind. Diese Marion also ... sie ist ein hübsches Mädchen und kann doch noch nicht so ganz verdorben sein« ... Die wird ihm die Andere schon aus dem Kopf treiben! setzte er zufrieden für sich hinzu in der Ueberzeugung, den klügsten Rath gegeben zu haben.

Carl antwortete nicht. Ueber das Contobuch gebeugt that er, als höre er kaum und rechnete, ohne eine Ziffer im Kopf zu behalten.

Blume ahnte nicht, daß Carl schon in Marions Händen war – der ehrlichste Bursche, dem sie mit scheinbarem Interesse zuhörte, wenn er ihr von seiner unglücklichen Liebe sprach – in den Händen eines Mädchens, das selber schon durch die schlechtesten Hände gegangen.

Blume, der Comtoir-Philosoph, empfahl also seinem Zögling ein Gift, von dessen Wirkung er keine Ahnung hatte, und Carl athmete heimlich auf. Er hatte eine Rechtfertigung für den sehr bedeutenden Wechsel, der in diesen Tagen wieder präsentirt werden mußte.

Blume hatte kaum ein Wort darüber verloren, als die Concursmasse Moritzsohns eine nicht unbedeutende Summe von Carl Holstein verlangte; jetzt, als auch der neue Wechsel an einem Morgen vorkam, an welchem Carl unter einem Vorwand nicht im Bureau erschienen, sandte ihn Blume ohne ein Wort zu verlieren an den Kassirer mit dem Auftrag, zu zahlen; dann aber saß er eine Viertelstunde lang, das Papier anstarrend.

Diesmal mußte er doch der Mutter davon sagen.

Als Carl am Nachmittag in seiner Wohnung sein sollte, ließ er ihn zu sich bitten und legte ihm den Wechsel vor.

Carl ward roth; er biß sich auf die Lippe.

»Willst Du mir nicht sagen, wohin das Geld ging?« fragte Blume gelassen, aber streng.

»Marion bat mich um das Geld; sie war in großer Verlegenheit!« Carl setzte sich auf seinen Comtoirstuhl und schlug das Conto auf, an dem er arbeitete.

»So ...! Also Marion!« ... Jetzt biß sich Blume auf die Lippe. Er hatte den Teufel mit dem Teufel austreiben wollen und nicht gewußt, was der für Rechnungen macht.

»Ich hoffe, es werden nicht noch mehr von der Sorte kommen! Die Kundschaft ist uns doch zu theuer! ... Wir sprechen noch darüber!« sagte er scharf, den Wechsel ausnahmsweise zu sich steckend.

Das war das erste herbe Wort, das er, der geschäftliche Erzieher, gegen seinen Zögling aussprach, und damit war auch sein Vertrauen in denselben arg erschüttert.

Sie sprachen fortab kein Wort mehr während der Geschäftsstunden mit einander. Blume überging ihn sogar in wichtigen Angelegenheiten, ihm damit andeutend, daß er seiner nicht mehr bedürfe, und Carl zeigte ihm eine störrische Miene, als sei ihm das höchst gleichgültig.

* * *


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