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10.

Hanna hatte gestern gegen Abend, mit mehreren Damen an dem Hotel vorübergehend, Stella gesehen, wie diese, das Kinn in die Hand gestützt, am Fenster stand und dem Gemurmel des Baches drüben jenseits des Promenadenweges lauschte und zerstreut auf die frischen Blumenbeete hinabschaute.

»Ei, Frau Richter ist ja auch hier!« sagte sie, als sie bald darauf mit ihrem Gatten im Speisesaal ihres Hotels beim Souper saß. »Solltest Du sie nicht schon bemerkt haben?«

Sie betonte die Frage scharf. Erwin that Anfangs, als höre er nicht. Sie wiederholte.

»Kümmere Dich nicht um Andere!« Erwin beschäftigte sich mit dem Souper.

»Um wen soll man sich hier mehr bekümmern, als um alte Bekannte, namentlich um die Deinigen! Hübscher ist sie nicht geworden!«

»Ich finde doch!« Erwin antwortete zerstreut.

»So! Du findest! Du hast sie also doch schon gesehen! Kein Wunder! ... Ihr Mann, der hinter ihr an das Fenster trat, als ich vorhin vorüberging, gefällt mir übrigens besser.«

Erwin schwieg. Hanna hatte jetzt, ganz entgegen ihrem früheren Geschmack, die Taktik, andere Männer schön zu finden. Er indeß wußte, daß ihm dies nicht gefährlich war, denn Hanna hatte sich, in der Nähe gesehen, nicht zu ihrem Vortheile verändert.

Ihre Züge waren schärfer, ihre Gesichtsform war eckiger geworden. Das aschgraue Haar, das dem Mädchen so originell gestanden, gab dem Frauenantlitz etwas überaus Nüchternes.

Die ihr stets vorschwebende Meinung, von ihrem Gatten mit Undank belohnt zu sein, hatte sie unerträglich bitter gemacht. Für diesen Mann hatte sie Alles gethan, und er hatte ihr gleich nach der Vermählung schon die größte Gleichgültigkeit gezeigt.

Daß sie ihm vor derselben ebenso gleichgültig gewesen, hatte sie vergessen. Jedenfalls verlangte sie von ihm das liebevollste Entgegenkommen, an dem er es von Anfang an hatte fehlen lassen.

Sie peinigte ihn mit Eifersuchts-Ausbrüchen und rächte sich endlich durch ein äußerliches Interesse für andere Männer, das aber an Erwin's Gefühllosigkeit abglitt.

Sie machte die erdenklichsten Toilette-Anstrengungen, für die sie als Kind keinen Sinn gehabt; sie verlangte zu gefallen und hatte darin so wenig Erfolg. Sie bemühte sich, interessant zu sein und gerieth zuweilen in ein burschikoses Wesen, mit dem sie als Kind schon abschreckte.

Das Wiedersehen mit Stella war ihr ein Dorn im Fleisch. Sie wußte, Erwin gehörte ihr selbst nur nothgedrungen, nur der Form nach.

Hundert Fälle hatten ihr während ihrer Ehe den Beweis gegeben, daß er sich für jedes andere Weib mehr interessire als für sie, mit deren Geld er seine Reit- und Rennpferde, seine noblen Passionen bestritt ...

Stella, ihre alte Gegnerin, war in seinen Augen also schöner geworden. Im Grunde mußte sie das auch finden, denn Stella war ein voll aufgeblühtes, schönes Weib, dem sie sich nicht vergleichen konnte.

Sie sah voraus, daß die Anwesenheit ihrer Feindin ihr eine Quelle täglichen Aergers sein werde; aber ihr den Platz zu räumen war sie nicht willens.

Erwin hatte sie auf ihren Wunsch hierher begleitet, bis ihn die Pferderennen abriefen; sie wußte also, daß sie eine harte Stirn finden werde, wenn sie ihn plötzlich hier fortziehen wollte.

»Habt Ihr Euch denn schon gesprochen?« fragte sie, ihre grellen Augen scharf auf ihn heftend.

»Nein!«

»Wie schade! ... Ihr hättet Euch so viel zu erzählen!«

Erwin's Stirn röthete sich, die Adern an derselben schwollen. Seine Hand zitterte leise.

»Es war nicht mein Wunsch, hierher zu gehen,« sagte er, sich mäßigend, um kein Aufsehen bei den übrigen hinter ihm sitzenden Gästen zu erregen.

»Und ich hatte natürlich keine Ahnung von so interessanten Begegnungen.«

»Vermeide sie!«

»Dich zog es wieder nach der Schweiz, wo Du ja auch so viel angenehme Erinnerungen gefunden haben würdest.«

Erwin biß die Zähne zusammen.

»Du hast mir nie eingestehen wollen, daß Ihr Euch damals in der Schweiz getroffen. Als ob ich nicht Alles erfahren hätte!«

Erwin war auf dem Punkte, sich heftig zu erheben. Er that sich Gewalt an.

»Beruhige Dich nur,« lachte Hanna vor sich hin. »Ich spreche ja nur von der letzten Deiner Eroberungen vor Deiner Vermählung! Wir sind hier Gott sei Dank nicht in der Schweiz.«

Der Portier des Hotels brachte eine Erwin willkommene Unterbrechung. Er reichte ihm Briefe, die soeben für ihn eingetroffen.

Erwin vergaß ein Zwiegespräch, wie ihm seine Gattin dergleichen oft bereitete.

Mit argwöhnischem Auge blickte Hanna über den Tisch auf die Couverts.

»Für Dich!« rief er, ihr eins derselben zuwerfend.

Beide vertieften sich in die Briefe. Erwin fand in der Beantwortung eines derselben eine Veranlassung, das Souper abzubrechen, und Hanna folgte ihm in die Wohnung hinauf.

Er entfernte sich, als es bereits dunkelte, unter einem Vorwande.

Hanna, die tief verstimmt, in nervöser Unruhe im anderen Zimmer gesessen und die vor ihr auf dem Tische liegenden Blumen unbarmherzig zerpflückt hatte, schaute ihm argwöhnisch nach.

»Du läßt mich zu Hause?« rief sie, in die Thür tretend.

»Ich kehre sogleich wieder. Ich gehe nur zur Post!«

Damit verschwand er. Hanna stampfte entrüstet mit dem Fuß.

Sie war gewohnt, daß er seine eigenen Wege ging, die ihr oft Veranlassung zur Eifersucht gaben; hier glaubte sie doppelte Aufforderung zu derselben zu haben.

Sie trat an's Fenster und schaute ihm mit heißem, racheglühendem Blicke nach. Er ging vorüber an dem weiter oben gelegenen, ihr so verhaßten anderen Hotel.

Eine Stunde wartete sie auf seine Rückkehr, bis es dunkelte. Er saß gewiß ohne sie auf der Estrade des Kurhauses, und wer mochte noch außer ihm dort sein!

Ihr war's unerträglich im Zimmer. Die Luft erstickte sie.

Sich in ihre Mantille hüllend, den Schleier über das Gesicht ziehend, verließ sie die Wohnung, schlich sich aus dem Hotel auf die Straße und das Thal hinauf.

Die unseligen Fenster, an welchen sie Stella heute gesehen, waren erleuchtet.

Sie sprang in die Blumen- und Schilf-Anlagen des Ufers, versteckte sich hinter breiten Philodendron-Blättern und lugte zu den hellen, geöffneten Fenstern hinauf.

Ein Schatten bewegte sich in dem Zimmer, die Flamme des Lichtes inmitten desselben flackerte hin und her, sie sah es an der ungleichen Beleuchtung der Decke.

Was unglaublich erscheinen mußte, war ihrer Eifersucht nur Wahrscheinliches ... Wenn er bei ihr wäre! ...

Jetzt sah sie eine Frauengestalt im weißen Nachtgewande – es war neun Uhr vorüber – am Fenster vorüberstreifen.

Es war Stella. Ihr dunkles Haar hing zur Nachttoilette aufgelöst über ihren Nacken. Die Lauscherin im Gebüsch gegenüber nicht bemerkend, stand sie wenige Schritte vom Fenster entfernt. Sie hob die nackten Arme aus den Spitzen des Nachtgewandes, band das Haar zurück, stand versunken einige Minuten, in die Waldeshöhe gegenüber hinausstarrend, löschte dann das Licht und setzte sich an das geöffnete Fenster.

Hanna war's, als habe sie sich dahin gesetzt, nur um sie zu entdecken, als starre ihr Auge gerade auf das Bosquet, hinter dem sie sich geborgen und mit den leuchtenden Augen eines Luchses gab sie, hinter der Blattwand versteckt, den Blick zurück.

Hatte sie Erwin bemerkt, als er vorhin hier vorüber gekommen? Erwartete sie seine Rückkehr? ... Wo war ihr Gatte, da er sie allein ließ, und lebte sie ebenso unglücklich mit ihm, wie sie mit dem ihrigen? Konnte Stella glücklich leben, wenn ihr Argwohn Grund hatte, daß sie Erwin noch nicht vergessen?

Ihr war's schon gelungen, von dem früheren Verhältniß der Beiden zu einander mehr zu erhorchen, als der Welt bekannt geworden. Im Besitz des Mannes, den sie sich hatte erkämpfen müssen, war's lange noch ihre Aufgabe gewesen, ihn gegen Andere zu vertheidigen. Sie glaubte Ursache genug hierzu zu haben, denn ihr schien's immer, man respektire von Seiten der Damenwelt ihre Rechte auf ihren Gatten nicht genug, ja er selber würdigte dieselben nicht, wie sie es verlangte.

Die Damen des Hofes nahmen ihn in Anspruch, als sei in seiner Stellung gar nichts verändert; die der Gesellschaft fanden ihn so interessant wie vordem und verwöhnten ihn nach wie vor. Man betrachtete sie wie eine überflüssige kleine Person.

Das Alles machte sie vom Anfang an streit- und eifersüchtig, nicht nur auf seine Person, sondern auch auf ihre Rechte. Es zerstreute wohl ihren Verdacht gegen Stella, aber sie glaubte mit der Zeit doch auf Anzeichen zu stoßen, die auch nach dieser Richtung zu Bedenken Ursache gaben. Sie hatte sich nach Stella's Wohnung erkundigt, als sie Helmine, ihre Cousine, in Auershof wieder aufsuchte, war dann controlirend an derselben vorübergefahren, bis endlich ...

Mit einem Worte: Hanna mußte nach allen Richtungen gewaffnet sein, und das gab ihr die ruheloseste Existenz.

Endlich hatte auch Erwin durch ihr kindisch ungereimtes, ihm selbst das Haus unerträglich machendes Benehmen sich zu einer Aeußerung getrieben gesehen, die ihre Eitelkeit auf's Höchste kränkte und ihr über ihre Thorheit die Augen öffnete – freilich ohne dadurch etwas zu ändern oder zu bessern.

Rathbedürftig wandte sie sich wieder an Helmine zurück, die sie auch nach deren Rückkehr von ihrer italienischen Reise, als Stella's Freundin, so lange gemieden.

Sie fuhr öfter nach Auershof, wenn sie sich in ihrem Stolz als Gattin, in ihren Rechten als solche beinträchtigt glaubte, und Helmine nahm sie wieder auf, als sei zwischen ihnen nichts vorgefallen.

Helmine gab ihr Rathschläge, aber sie war nicht zu bewegen, sich in Hanna's Häuslichkeit zu mischen, wenn letztere um Hülfe rief. Helmine war auch nicht bei ihrer Hochzeit zugegen gewesen; sie war ja damals mit Stella verreist.

Endlich war Hanna durch lange aufreibende Gemüthserregung und ehelichen Verdruß in einen Zustand der Nerven-Ueberreizung gerathen, der sie auf die unseligste Idee hatte führen müssen.

Sie hatte im Frühjahr eifrig gehorcht, in welche Bäder gerade diejenigen Damen des Hofes sich begeben würden, die sie am meisten fürchten zu müssen glaubte.

Von keiner hatte sie gehört, daß sie gerade das Bad gewählt, welches ihr ganz insgeheim der Arzt gerathen. Sie begehrte also von ihrem Gatten, hierher geführt zu werden.

Erwin hatte um die Zeit viel mit den Frühjahrsrennen zu thun; er sagte zerstreut zu. Hanna hielt ihn beim Wort. Und jetzt hatte sie ihn gerade dahin geführt, wo er der allergefährlichsten Rivalin begegnen mußte! ...

Wohl eine Viertelstunde hatte sie schon hinter der Gruppe üppig wuchernder Blattpflanzen gestanden, immer die Fenster beobachtend. Nichts Verdächtiges fiel ihr auf.

Stella war ohne Zweifel allein da droben; sie war in tiefes Sinnen versunken, wie sie da, die Schläfe auf den weißen Arm gestützt, im dunklen Zimmer am Fenster saß. Auch ihr Gatte mochte das Kurhaus aufgesucht haben.

Sie wollte warten. Aber das Herz pochte ihr so gewaltig. Der längere ungestörte Anblick dieses Weibes ward ihr unerträglich.

Es dunkelte mehr und mehr. Der Himmel bewölkte sich. Jetzt schien auch Stella ungeduldig zu werden. Sie erhob sich, stand einige Sekunden da und schaute auf die still gewordene Promenade hinab.

Hanna sah die graziöse Gestalt, deren volle Büste sich so plastisch über der schlanken Taille abhob. Sie sah, wie sie die weißen vollen Arme auf die Fensterbrüstung legte, sich auf dieselben stützte und, in Gedanken verloren, gerade auf die Bosquets gegenüber starrte, als ahne sie die Feindin dahinter.

Mit katzenhaftem Leuchten blitzte Hanna's Auge durch das Blattwerk dem ihrigen entgegen. Sah Stella die beiden funkelnden Punkte, sie mochte sie für Glühwürmchen halten, die auf der Wiese in leuchtenden Kreisen die Ufer des Baches umschwärmten.

Endlich horchte Hanna erschreckt auf; harte Tritte kamen den Weg herab.

Es war eine Männergestalt, groß und kräftig; sie bewegte sich wenige Schritte von ihrem Versteck entfernt den Weg herab, blieb den Fenstern gegenüber stehen, winkte hinauf und eilte quer über die Straße in das Haus.

Stella verschwand im Fenster. Hanna, sich aufrichtend, sah, wie das Zimmer sich plötzlich wieder erhellte.

Gleich darauf bewegten sich zwei Schatten droben im Zimmer. Es war Richter, Stella's Gatte.

Hanna sah, indem sie sich auf den Fußspitzen erhob, dann auf die bemoosten Steine einer kleinen, künstlichen Felspyramide zwischen den Blumenpartien kletterte, wie die beiden Schatten sich droben an der Wand vereinten, wie sich ein Männer-Arm um die weiße Frauen-Gestalt legte.

Sie liebten sich! Das tröstete das wunde Herz der Lauscherin. Sie huschte hinter dem Baumwerk entlang, erreichte ihre Wohnung und warf sich mit dem Gefühl der Zufriedenheit auf das Sopha.

Sie liebten sich, die Beiden! Erwin war von ihr vergessen. Aber sie hatten sich wieder gesehen und Stella war schöner als damals. Ihre gefährlichsten Gegnerinnen in der Residenz waren gerade die jungen Frauen ...

Erwin blieb aus. Es schlug zehn Uhr; es war so unheimlich still im Hotel, in welchem Alles früh die Ruhe suchte. Sie schritt im Salon hin und her. Ihr Schatten an den Wänden belästigte sie, erinnerte sie an Jene, die sie vorhin beobachtet.

Sie weckte ihre Zofe, die im Schlafzimmer auf dem Sessel eingeschlummert war und verlangte, eilig ausgekleidet zu werden.

Um Mitternacht lag sie noch in aufreibenden Gedanken da. Die Hitze war ihr unerträglich, obgleich die Fenster geöffnet standen. Heiße Gewitterluft drang durch dieselben herein und erhitzte das schon von Eifersucht und Haß glühende Herz noch mehr.

Wie Stella ihr hier begegnet, konnte sie ihr überall wieder in den Weg treten. Sie konnte sogar in der Residenz wieder auftreten. Sie war nirgendwo sicher vor ihr.

Es kochte allmälig in Hanna's Brust ... Vernichten, ja vernichten wollte sie dieses Weib, um für immer vor ihr Ruhe zu haben! ...

Sie sprang vom Lager auf, bog die Vorhänge zurück, lehnte sich, wie sie da war, in das Fenster, das Nachtgewand von den Schultern reißend und Brust und Nacken in der kühlen Abendluft badend, die durch das Thal strich.

Und das that so wohl, das beruhigte ihr siedendes Gehirn, die überreizten Nerven. Niemand beobachtete sie ja in dem wie ausgestorbenen Ort.

So hatte auch die Feindin heut im Fenster gelegen und den Gatten erwartet. Aber jener war längst daheim, und erst jetzt, nach Mitternacht, vernahm sie in einiger Entfernung die Schritte des ihrigen.

So trieb er es ja schon seit ihrer Vermählung. Die Nächte gehörten seinen Freunden, Gott wußte wem, nur nicht ihr!

Sie verschwand, eh' er sie bemerken konnte. Erwin suchte sie nicht. Sie löschte ihr Licht, als es auch in seinem Schlafgemache still geworden.

Jene Beiden liebten sich! Sie beneidete sie, aber es beruhigte sie dennoch, und mit dem Gedanken schlief sie ein.

* * *


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