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9.

Als der Juli gekommen, befand sich Richter mit Stella in einem waldigen Bade-Ort, der namentlich kräftigend auf ihre Nerven wirken sollte. Auf diese müsse gewirkt werden, hatte der Arzt ausdrücklich gerathen. Danach sollte er in ein Seebad gehen.

Stella's Erscheinen ward bemerkt in dem romantischen Gebirgsthal, dessen heilkräftiges Wasser sich aus dem Waldesdunkel über Fels und Kies in den von einladenden Villen umstandenen Thalkessel schlängelt.

Die Gesellschaft war wie immer eine auserwählte, aus jener Sphäre sich rekrutirend, die nur mit den Nerven, nicht mit den Muskeln lebt. Sie war vollzählig in dieser Saison; die Promenade des Thals, die vielfach verschlungenen, labyrinthischen Steige des Waldes, die lauschigen Plätze und Grotten, von Farren und Waldepheu umrankt, waren belebt von nervösen, bleichen Gesichtern; bunte luftige Toiletten glitten nymphenhaft durch das dunkle Gehege, und der Waldhauch kräftigte die kranken Büsten, die das Lampenlicht und die verzehrte Luft der Ballsäle asthmatisch gemacht.

Stella empfand hier, was ihr gefehlt. Das ewige Gleichmaß, in welchem ihre Tage verstrichen, das ununterbrochene Beschäftigtsein mit denselben Gedanken hatten sie in diese Lethargie versenkt. Ein anderer Schauplatz, eine andere Luft, andere Menschen, andere Tagesgewohnheiten machten sie leichter und freier aufathmen.

Hätte sie Helmine hier gehabt! ... Und doch nicht! Es war besser, daß gerade sie nicht hier war. Eben ihre Person war es, die ihr die alten Erinnerungen immer lebendig erhalten, um ihre Lebenslust abzutödten. Sie wollte frei von Allem sein, wollte nicht denken, nicht erinnert werden.

Sie zeigte sich auch hier während der ersten Tage zugängig für die Gesellschaft; man fand die junge Frau interessant, und die Männerwelt, hier in fast verschwindender Minderheit, schwärmte für sie.

Stella verbrachte ganze Stunden auf der Promenade, im Walde; auch wenn ihr Gatte verhindert war, wanderte sie mit einem Buch in den Wald, und Richter pflegte sie an ihrem Lieblingsplatze zu finden. Aber er sah nie, daß sie las, und oft vergaß sie das Buch an irgend einem Ruheplätzchen.

Vierzehn Tage waren Beiden hier vergangen, als Stella eines Abends, da der Wald sich schon grau färbte, vergeblich an ihrem Lieblingsplatz auf Richter wartend, den Rückweg antrat.

Sie schlug die große Wald-Allee ein, um nicht allein zu sein und ging dem Thale zu.

Es war ihr so unruhig im Herzen geworden. Die alten unzufriedenen Gedanken bestürmten sie auch hier wieder. Sie glaubte immer zu lesen und wußte noch nicht was in dem Buche stand. Es war nämlich das » journale d'une jeune femme«, das ihr Helmine mitgegeben, aber alle Lectüre war ihr verhaßt.

Wie sie dahin schritt, tauchte plötzlich, aus einem Waldpfad in die Allee tretend, eine männliche Gestalt vor ihr auf, ein junger hochgewachsener Mann im Sommeranzuge, den Strohhut auf dem dunklen Haupte.

Sie bemerkend, blieb er überrascht zwischen den Platanen der Allee stehen, als wolle er sie aus Höflichkeit vorüber lassen, und trat dann zurück.

Stella warf ihm einen einzigen, gleichgültigen Blick zu ... Aber ihr Herzschlag stockte, das Blut wich aus ihrem Antlitz, ihr Füße wurden unsicher.

Sie schritt vorüber, einen Schleier vor den Augen – vorwärts in's Thal, ohne zu sehen, und erst als sie die aus rohen Aesten gezimmerte Brückenlehne erreichte, klammerte sich ihre Hand fest und krampfhaft an dieselbe; die andere fuhr zum Herzen, das zu ersticken drohte.

Erwin hier! ... Er! ... Dieses Wiedersehen!

Sie hatte nicht gewahrt, mit welcher Miene er sie angeschaut. Ihre Sehkraft war wie geblendet gewesen. Es war ihr nur, als habe sie keine Schritte hinter sich gehört; er mußte regungslos ihr nachgeschaut haben.

Fort ... Noch heute! Sie beflügelte ihre Schritte ... Sie befand sich auf der freien Promenade, ohne es zu wissen. Die Kurgäste strichen an ihr vorüber, sie erkannte sie nicht.

»Aber, um Gottes willen, was hast Du?« hörte sie ihres Gatten Stimme plötzlich neben sich. Sie fühlte seine Hand auf der ihrigen. »Wie Du aussiehst! Was ist Dir geschehen?«

Stella mußte erst nach Athem ringen. Richter bot ihr seinen Arm, sie stützte sich auf ihn.

»O, es ist im Grund nichts!« lächelte sie, sich erholend. »Es war nur ein Schreck! Ich hatte wirklich Furcht! ... Ich war kindisch! ... Es wurde so dunkel im Walde« ...

Stella sprach das Alles fast ohne zu wissen, was sie sagte.

»Es ist kaum der Rede werth zu erzählen,« antwortete sie auf Richter's Drängen. »Du weißt, ich erschrecke so leicht! ... frage nicht weiter.«

Richter drang nicht in sie. Er führte sie in die Wohnung zurück und sah zu seiner Beruhigung, wie Stella sich erholte und über sich selbst lächelte, über eine Begegnung, die, wie sie sagte, sie zu erzählen sich schämen müsse, weil sie kindisch gewesen.

Richter wollte sie nicht wieder allein in die Waldung gehen lassen.

Am nächsten Nachmittage saß er mit seiner Gattin in der kleinen, terrassenförmig aufsteigenden Kur-Anlage. Stella schien zwar den ganzen Morgen etwas erregt, aber er wußte, sie wollte nicht mit Fragen belästigt sein. Der Schreck von gestern hatte eben ihre Nerven angegriffen. Der Arzt mochte mit seiner Hysterie doch so unrecht nicht haben.

Sie hatte ihm schon am Morgen die Frage vorgelegt, ob es nicht besser sei, einen anderen Kurort zu suchen. Die Abende seien empfindlich kühl; sie fürchte, gestern, als sie, ihn erwartend, bis in die Dämmerung hinein dagesessen, sich erkältet zu haben.

Richter war's willkommen. Man konnte schon jetzt in das Seebad gehen. Er langweilte sich eigentlich in dem engen Thale, in dieser nervösen Gesellschaft. Er war ja nur ihretwegen hier; alle Frauen hier kamen ihm hysterisch vor.

Heute Nachmittag, wie sie da auf der Terrasse saßen, wollt' es ihm erscheinen, als schaue Stella zuweilen mit einer gewissen Spannung auf die Promenade zu ihren Füßen, auf welcher sich gruppenweise die Gäste bewegten. Dann plötzlich – er täuschte sich nicht – erzitterte sie leise; ihr Antlitz entfärbte sich.

»Was ist Dir?« fragte er besorgt.

»O, nichts! Ich sah dort unten nur eine Dame, eine frühere Freundin von mir, die mir nicht sympathisch ist! Du weißt, es giebt Menschen, gegen die wir einen Widerwillen besitzen. Ich fühle mich seit einigen Tagen so nervös.«

Richter schaute hinab. Er sah einen Herrn und eine Dame, die ihm eben den Rücken wendeten.

»Jene etwa, die da neben dem Herrn geht? Sie scheinen Mann und Frau; aber der Eine schaut hierher, die Andere dorthin.«

»Laß uns gehen! Ich mag nicht mit ihr zusammentreffen!«

Stella erhob sich, setzte den Fuß auf eine der zur oberen Waldpromenade führenden Stein-Treppen und Richter folgte ihr mechanisch, stolz auf die seiner schönen Frau geltenden Blicke der Umhersitzenden.

Stella erwähnte an diesem Abend nichts mehr von ihrem Wunsche, den Ort zu verlassen.

Sie fühle sich wohler, sagte sie; die Luft sei doch kräftigend; es sei nur ein vorübergehendes Unwohlsein gewesen.

Richter war auch damit zufrieden. Er bemerkte auch nicht, daß Stella's Schlummer in dieser Nacht ein gar so unruhiger war. Er schlief fest, während sie sich auf dem Lager wälzte.

Sie hatte Hanna an Erwin's Seite gesehen – seine Gattin!

Die kleine rothe Narbe am Ohr hatte sie täglich an Hanna erinnert, wenn sie vor dem Spiegel saß; sie brannte heute. Das war das Mal unversöhnlicher Feindschaft. Ihr Anblick empörte ihr Herz.

Dieses Weib, das, wenn auch entwickelter jetzt in ihren Konturen, noch heute den Eindruck eines Kindes machte, hatte ihr den Mann entrissen, den sie einzig geliebt, und nicht durch persönliche Vorzüge oder geistige Ueberlegenheit, durch die brutale Ueberredungskunst ihres großen Vermögens.

Als sie Nachts an der Seite ihres Gatten lag, gab es keinen Schlummer für sie. Mit tobendem Herzklopfen hatte sie heute den Blick gesehen, den Erwin ihr zur Terrasse hinaufgeworfen, während Hanna nur Aufmerksamkeit für die Toilette einer an ihr vorüberschreitenden Dame zu haben schien.

Im Innersten beleidigt, hatte Stella ihm und Hanna nach diesem Wiedersehen den Rücken gewendet und sich mit ihrem Gatten in dem Dunkel des hohen Waldweges verloren. Aber jetzt in der Nacht ...

Das unglückliche Herz fand keine Ruhe; es pochte mit gewaltigen Schlägen gegen die Brust, drängte eine Thränenfluth in ihre Augen; sie hätte aufschreien mögen.

Drüben lag ihr Gatte, der ehrlichste, treueste Gefährte, dessen Blick so gläubig und ahnungslos an ihren Lippen hing, ohne zu argwöhnen ... Sie hatte ihm nie gelogen; kein Wort dieser Lippen hatte ihm Liebe geheuchelt. Er hatte das Wort nie begehrt, hatte nur an die Ehrlichkeit ihres Herzens geglaubt und ... war glücklich.

Sie hörte, während sie schlummerlos dalag, sein Athmen, wie er so fest und vertrauend auch auf ihre Ruhe schlief. Er hatte am Abend noch mit ihr plaudern wollen und, an ihre Ermüdung glaubend, bereitwillig das Lager gesucht.

Sie ermüdet! Ruht ein Vulkan, wenn er selbst still erscheint! Und vulkanisch arbeitete es in ihrer Brust seit diesem Wiedersehen. Das einmal wiedergeschürte Feuer es ruhte fortab nicht mehr, sie fühlte es.

Sie sah sich im Geiste, wie sie so wonnevolle, unvergeßliche Stunden mit Erwin in jenem reizenden Alpenthale verlebte. Und dann ... Sie barg das Antlitz im Kissen, ein Thränenstrom entquoll ihren Augen ... Jene letzten Tage vor dem Abschied, ehe der verhängnißvolle Brief an ihn kam, der sie schon ein Unheil ahnen ließ ...

War er ganz schuldig ihr gegenüber? Gab es irgend etwas Entschuldigendes? Er hatte sie geliebt, o gewiß! Lüge konnte das Alles nicht gewesen sein!

Und deshalb hätte er um ihretwillen sich mit weniger glänzenden Verhältnissen begnügen müssen, wie sie es um seinetwillen freudig gethan haben würde, als das Unglück gewollt, daß auch ihr Vater gerade damals Alles wieder verloren.

Aber wäre er derselbe gewesen, wenn er seine Stellung als Kavalier aufgegeben? War ein Mann wie er im Stande, untergeordnete geschäftliche Ziele zu erstreben durch Arbeit, durch gewerbsmäßige Thätigkeit? Hatte nicht auch sie in ihm gerade den Kavalier geliebt, den glänzenden, von Allen begehrten Salonmann?

Er mit seinem hohen Sinn war nicht gebeugt worden von dem Schicksal, dem sie durch die Wucht der Umstände zum Opfer fiel. Er hätte nicht leben können ohne Befriedigung ihm angeborner, anerzogener Instinkte; sein Wille, sich nicht vom Schicksal demüthigen zu lassen, hatte seine Leidenschaft überwältigt; er war ein Mann, der gekämpft mit diesem Geschick, und sie allein hatte das Opfer desselben werden müssen.

Sie wußte Alles. Helmine hatte sie errathen lassen, daß Hanna, ihre Todfeindin, den günstigen Moment benutzt, daß sie ihm ihre Hand gereicht, nur um sein Weib zu werden, gleichviel, ob sie glücklich mit ihm werde. Was vermochte dieses Kind zu berechnen, welche Zukunft es sich damit bereitete!

Und glücklich war Hanna nicht geworden; auch das hatte Helmine zugegeben. Auch sie lebte eine jener Ehen, von denen das Herz nichts weiß. Erwin sollte, so hatte Helmine erzählt, mit fester Hand ihrer Eifersucht einen Damm gesetzt und seitdem ein eisiges Verhältniß zwischen ihnen Platz gegriffen haben.

Ob er unglücklich? Mit der Frage beschäftigte sich Stella in dieser Nacht, als ihr Herz, längst ermüdet, ihm zu fluchen, jene andere Frage, ob er ganz schuldig, mit Schonung für ihn zu entscheiden und alle Verachtung ganz auf Hanna zu häufen versuchte. Aber unbefriedigt war er zweifellos! Das hatte ihr der eine Blick gesagt, den er heute zu ihr hinaufgeworfen.

Ob er selbst sich schuldig ihr gegenüber fühlte? Fast glaubte sie das in diesem Blicke gelesen zu haben, denn in diesem hatte eine Abbitte gelegen, die sie verächtlich zurückgewiesen.

Fort hatte sie gemußt, als sie ihm in der Allee begegnet, als dies Zusammentreffen beide fassungslos gemacht und sie wie geblendet davongewankt war. Jetzt, da auch Hanna hier war, hätte sie nicht mehr fort gekonnt. Sie mußte bleiben! Beide sollten sich überzeugen, daß sie glücklich geworden!

Mit diesem Vorsatz überließ sie sich endlich nach schlaflosen Stunden dem täuschenden Gefühl einer Beruhigung. Ihr Herz suchte nach Erholung, ihre Nerven waren erschlafft.

Der bleiche Morgenschimmer legte sich bereits auf die Vorhänge ihrer Fenster, als sie endlich den Schlummer fand.

Als sie erwachte, stand Richter, schon von der Morgen-Promenade kommend, vor ihr. Er beugte sich über sie und küßte sie auf die Stirn.

»Wie blaß Du aussiehst!« sagte er schmeichelnd. »Schlummere ruhig weiter und kräftige Dich. Ich kehre bereits von dem Morgenspaziergang zurück und habe soeben auf demselben die Bekanntschaft eines sehr liebenswürdigen Fremden, eines Herrn von Fürth, gemacht ... Ich komme in einer Stunde wieder, um Dich zum Frühstück zu holen.«

Richter nahm ihre auf der Decke liegende Hand, küßte den runden weißen Arm und trat hinaus.

Er sah nicht, wie Stella's matte Augen sich plötzlich wieder schlossen, hielt das leichte Zucken ihrer Hand für eine Bitte, sie ungestört ausruhen zu lassen und suchte auf der Promenade ein schattiges Plätzchen, um seine Morgencigarre zu rauchen.

»Es ist mir eigentlich doch lieb, daß wir noch bleiben,« sprach Richter, der in seiner neuen Bekanntschaft heute morgen den Herrn von gestern nicht wieder erkannt, zufrieden vor sich hin. »Meine Geschäfte drängen nicht; mir thut diese Reise wohl, und Stella wird sich ja auch erholen!«

* * *


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